Jagdgene

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Jagdgene

Durch meine tolle Treiberleistung aufe Hubertusjagd kannten die Jäger den Namen „Willi Püttmann“ fast im gesamten Ruhrpott.
Qualität sprach sich in Jagdkreisen sehr schnell rum. Ich war ne begehrte Treiberkanone. Et verging kaum en Wochenende, an dem ich nich als Treiber irgendwo auf ne Jagd eingeladen wurde.
Berta war schon stinksauer und wurde richtig kiebig, wenn wieder son Anruf wegen ner Jagdeinladung kam. Jedet Mal hatte ich Zoff inne Bude. Sie mahnte mich ständig:
„Kümmer dich lieber um deinen Betrieb und schreib am Wochenende Rechnungen. Du brings uns noch ins Armenhaus! Meine Mutter hat mich immer vor dir gewarnt, die ahnte schon, dat du die Familie irgendwann vernachlässigen würdest. Sie hatte Recht!“
Dat Gemecker hörte ich nach jeder Jagdzusage und zwar in immer neuerer und gemeinerer Form. Dat können Se sich einfach nich vorstellen! Schrecklich war dat.
Nich dat Se glauben, ich hätte wat auf dat Gerede gegeben. Nee, et war nämlich mit meiner Klempnerklitsche genau dat Gegenteil der Fall. Die Bude brummte. Ich musste sogar noch zwei Leute einstellen. Durch meine neuen Jagdbekanntschaften hatte ich dat Auftragsbuch voll! Rappelvoll!
Berta wusste dat natürlich auch, die machte mir ja schließlich die Bücher. Et war ganz wat anderet, wat sie piesackte. Ihr verdammter Egoismus!
Sie wollte mich unbedingt an sich kleben. Ich sollte am Wochenende möglichst Händchen haltend bei Fuß gehen und immer brav nach ihrer Pfeife tanzen. Wilhelm, mach dies, Wilhelm, tu dat. So behämmert war ich ja nich, dat ich dat nich merken tat.
„Berta, hömma gut zu“, sachte ich, „ich bin nur deshalb son gefragten Treiber, weil ich die Sache mit die Jagd ernst nehmen tu und vollen Einsatz zeige. Mich begeistert dat ganze Drumherum bei die Jagd. Nie hatte ich so viel Freude anne heimatliche Mutter Natur und will jetz endlich diese Mutter mehr und mehr begreifen. Ich geh inne Jagdgemeinschaft richtig auf. Dat könnte meine neue Heimat werden, verstehsse dat eigentlich nich?“
„Wilhelm, hör auf mit der Spinnerei“, höhnte Berta, „da lachen ja die Hühner! Willze deinen Beruf am Nagel hängen und Förster werden? Deine Welt und Heimat iss die Familie und deine Klempnerklitsche und sonst gar nix! Schlag dir bloß ganz schnell solche Flausen aussem Kopp!“ Her jeh, wat war die wieder patzig!
Ich hielt den Rand und kuckte beleidigt ausse Wäsche. Ich kann son dummet Gequatsche einfach nich verknusen.
Ich wusste genau, dat Berta ganz wat anderet wurmte: Eifersüchtig war se auf die neuen Freundschaften und hatte panische Angst, dat ich nach dreißig Jahren härtestem Ehealltag aufwachen und meine Freizeit anders verbringen könnte.
Jeden Abend Glotzekucken, öde Familienbesuche, oder beim Taubenvadder Jupp rumhängen, dem alten Trauerkloß, dat war ich schon lange leid. Dat wöchentliche Skatdreschen in Theos Kneipe war dat einzige Heileit, wat ich hatte. Ich dachte:
„Willi, dat kann im Leben ja wohl noch nich allet gewesen sein. Bisse inne Kiste springen tus, muss sich noch wat in deinem Leben ändern. Et wird sich wat ändern!“

Durch die wunderbaren Treibererlebnisse bin ich aufgewacht. Ja, man könnte sagen, erst richtig Mensch geworden. Dat merkse plötzlich, du biss auf einen Schlag völlig verändert. Son besonderet Stück vonne Natur bisse auf einmal.
Gut, ich hab dat spät gemerkt, dat ich nen richtigen Mensch war. Hauptsache aber war doch, dat ich dat noch früh genug erkannt hab und dat neue Lebensfieling überhaupt noch ma zu spüren kriegte.
Die Jagdlunte in mir war am glimmen. Ich wollte mehr über dat heimische Tier- und Pflanzengedöns und über die Zusammenhänge vonne Schöpfung wissen. Vor allem aber – allet über die Jagd.
Von Berta völlig unverstanden, verzog ich mich in meine Schmollecke, knallte mich auf die Küchencouch, schnappte mir alle Familienalbums und bekuckte ganz entspannt die alten, schwarz-weißen Familienfotos.
Berta merkte, dat ich sauer war, setzte sich nach en paar Minuten zu mir, peilte mit inne Albums rein und wollte sich wieder ankötteln.
„Ach, kuck ma, Willi, die Kinder, wie schnell doch die Zeit vergeht. Weiße noch, hier dat Bild inne Hängematte, inne Hardt war dat. Nee, wie süß, kuck ma, wir alle schön zusammen mit die Kinderkes. Ach, Willi, leider kann man die Zeit nich zurückdrehn.“ Damit hatte Berta ausnahmsweise Recht. Ich schmollte, sie schwärmte.
Als ich die vierte Seite vom dritten Album aufschlug, traf mich fast der Schlag!
Et war plötzlich aus mit meine Beherrschung.
„Berta, kuck ma, dat darf doch nich wahr sein, kuck ma, wat ich hier sehen tu! Ich hab et geahnt!“
„Willi, wat hasse geahnt?“
„Berta, siehsse dat denn nich, bisse blind? Berta, dat iss ne Fügung, schau dir ma dat Bild hier unten links genau an. Wat siehsse da? Berta, dat iss mein Opa Wilhelm aus Wattenscheid! Der steht da mit nem Jagdhund und ner Flinte aufe Schulter, da unten rechts neben der Fichte am Waldrand.
Dat isset Berta, dat isset! Ich hab et gewusst! Mein Jagdblut iss genetisch! In mir stecken die Urinstinkte vom Jäger und Sammler. Dat Bild iss der Beweis! Alle Jagdgene haben still in mir geruht, jetz sind se endlich erwacht und ausgebrochen, Halleluja!“
Berta hielt mich für bekloppt.
„Willi, son Schwachsinn hab ich ja noch nie gehört. Nur wegen son blödet Bild von deinem Opa, oder weil du ma mit uns inne Pilze und Himbeeren gezottelt biss, sind doch nich gleich deine dämlichen Urinstinkte als Jäger und Sammler ausgebrochen! Hoffentlich iss da nich wat anderet bei dir im Kopp ausgebrochen. Lass dich ma ganz schnell von som Neuroorthopedisten untersuchen!“
„Berta, persönlich brauchse nich gleich zu werden. Mit dir kann ich über so hochwissenschaftliche Themen einfach nich ernsthaft reden, dat iss viel zu hoch für dich. Ich sach dir ma wat: Tief in meinem Innersten hab ich et schon als Kind verspürt, dat bei mir wat Jagdlichet schlummern tat. Alle Förster- und Tierbücher hab ich damals nur so verschlungen.
Berta, hol doch ma schnell dat alte Buch vom Hermann Löns, dat steht im Küchenschrank oben rechts im Regal, zwischen „Mein Kampf“ vom Opa und der Bibel. Der olle Löns schreibt da auch wat vonne Jagdleidenschaft, die du im Blut hass. Dat iss eben so, dat steckt einfach in dir drin, du kannz dich nich dagegen wehren.“
Berta zeigte mir hinter meinem Rücken nen Vogel, dat spürte ich.
„Hömma, Berta, ich hatte inne Jugend bereits die ersten Anzeichen von Jagdleidenschaft inne Knochen. Mit zehn besaß ich meine erste Luftbüchse und hab damit Spatzen und Mäuse gejagt. Und inne Schulferien, auf Hoffmanns Bauernhof in Vreden, fingen wir Blagen Tauben mit Rattenfallen und Karnickel mit Netzen.
Jetz fällt et mir wie Schuppen auße Haare. Berta, ich hatte schon als Kind Jagdblut inne Adern drin. Heute iss dat am brodeln.“
Berta sachte nix mehr über mein Blut. Sie kapierte wohl endlich, dat ihr Willi et verdammt ernst meinte. Sie räumte sogar ein, dat die Beschäftigung mit die Natur wat Sinnvollet sein könnte. Man dürfte dat aber nich übertreiben und nich direkt son Ökorevoluzzer spielen wollen und die Familie vernachlässigen.
Dann grummelte se noch sehr abfällig wat über die Jäger:
„Jagd iss doch nur wat für reiche Säcke mit dickem Mercedes. Damit fahren se bis unterm Hochsitz und machen “bumm“ auf arme, unschuldige Tiere, und saufen sich anschließend die Hucke voll.“
„Berta, dat iss dat dösige Gequatsche von einigen unwissenden Blödmännern, neidhammeligen Quertreibern und Besserwissern. Die Spinner würden gerne mit den großen Hunden pinkeln, kriegen aber dat Bein nich hoch. Die Krakeeler bestellen sich seltsamerweise nach jeder Anti-Jagd-Demo, sofort dicke Portionen Wildgulasch, oder, wat gänzlich unverzeihlich iss, sogar extra große Jägerschnitzel!
Armleuchter gibt et natürlich auch unter Waidmännern. Die gibt et mit Sicherheit, du darfst dat aber nich immer verallgemeinern. Ich hab genug vernünftige Kerle kennengelernt. Berta, für mich steht fest, meine unbändigen Jagdgene sind entfesselt, et muss sich wat ändern, sonst kommt in meiner armen Seele keine Zufriedenheit mehr auf.
Dat kannze doch nich ernsthaft wollen, mein kleinet Dornröschen? Komm, gib Papa schnell ma en Küsschen.“
 



 
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