Jeder kriegt, was er verdient

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Jeder kriegt, was er verdient.

Als ich neulich wieder mal
Hilde in die Augen sah
sah ich, trotz der dunklen Brille,
ihren Zorn in der Pupille.
Von dem Weine leicht getrübt,
doch im Funkeln gut geübt,
schoss sie auf mich ab die Blicke,
riss mich äugig dann in Stücke.

Unterhalb der beiden Augen,
ja ihr könnt es ruhig glauben,
hingen vorwurfsvoll zwei Säcke
einzig für und zu dem Zwecke
jetzt und hier ihn aufzunehmen:
einen Sturzbach dicker Tränen.
Weinen konnte sie schon immer,
jetzt wurd’ alles noch viel schlimmer.

Hildes Wangen, dick und rot,
sprachen auch von großer Not.
Füllig wie zwei Hängetaschen,
ähnlich auch zwei Lederlaschen,
hingen sie und gaben Farbe
ihrer Oberlippennarbe,
die, so richtig dick und fett,
schimmerte leicht violett.

Tiefer dann, schön schwulstig rund,
kommen wir zu Hildes Mund.
Dessen Winkel, ohne unken
sind ganz tief herabgesunken.
Dicke, aufgeschwoll’ne Lippen,
hindern sehr beim Rotwein-Nippen,
lenken aber immerhin,
ab den Blick vom Doppelkinn.

Geben wir ihm das Gewicht,
diesem Allerwelts-Gesicht,
das ihm wirklich auch gebührt
und uns zu dem Schlusse führt,
früher glatt und engelhaft
hat die Zeit es doch geschafft.
Altersflecke, groß und braun
Gibt’s am Ende zu beschaun.

Fazit: was fällt ins Gewicht:
Jeder Mensch hat ein Gesicht
Manche kürzer, manche länger,
einmal milder, einmal strenger,
vielfach wird man auch geboren,
mit 2 großen Segelohren.
Vom Schöpfer werden wir bedient,
jeder kriegt, was er verdient.
 

Udogi-Sela

Mitglied
Vorsicht beim Blick in den Spiegel!

Bei der Beschäftigung mit Deinem Werk fragte ich mich, warum Hilde, die offensichtlich im fortgeschrittenen Alter sein muss, den Zorn in der Pupille hatte und anschließend Sturzbäche von Tränen vergoss. Wegen des Gedichts, dass sie ja da noch nicht kennen konnte?

Und: Ob man schon bei der Geburt die Segelohren „verdient“ hat?

Die Runzeln, Falten, Hängebacken, Doppelkinns, usw. ja, wahrlich, die hat man sich redlich verdient. Die zeitlebens Griesgrämigen sehen dann auch so aus und den Humorvollen wachsen Lachfältchen um die Augen.

Eine gewisse Boshaftigkeit kann man diesem Gedicht nicht absprechen.

Herzlichst
Udo
 



 
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