Jenseits der Wüste ( inspiriert bei THE POLICE )

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JENSEITS DER WÜSTE

Der Mann war allein in der Wüste – abgesehen vom schüchternen, unentwegt mit sich selbst Fangen spielenden Wind, der ihn nie aus den Augen zu verlieren schien, hoffend, vielleicht endlich einen Spielkameraden gefunden zu haben. Wolkenloses Nachmittagsblau und gleißendes Wüstensandgelb erschwerten dem Mann die Orientierung, in einer ihm immer vertrauter werdenden Welt, die er mit knirschenden Schritten zu besiegen versuchte. Den Gedanken, der Sonne zu folgen, verwarf er bald – war sie doch einem ständigen Positionswechsel unterworfen. Weit über ihm kreisten drei schwarze Punkte, akrobatisch Achten fliegend unter dem weitläufigen Zirkuszelt des Himmels. Kopf im Nacken, den bei sich tragenden Feldstecher auf sie gerichtet, verharrte er.
„Ob sie sehen können, was jenseits der Wüste ist“, fragte der Mann leise den Wind, unerfüllte Begierde in seinen schimmernden Augen. Ohne Antwort trottete er weiter, Intuitionen folgend – gepeinigt von der Angst, die eigenen Spuren im Sand zu finden.
Seine Füße brannten.
Auf Blasen, prall gefüllt mit Flüssigkeit nach der seine Kehle heiser verlangte, lief er weiter.
„Nicht aufgeben“, sagte er sich unentwegt. „Irgendwann wird der Ausgang aus dieser Hölle vor mir liegen. Irgendwann.“
Vorbei zog der Tag – ähnlich einem fremden Gesicht auf der belebten Kreuzung einer Stadt.
Als das Heer der Dunkelheit, in Schwarz gehüllt; schwarze Pferde reitend; schwarze, mächtige Banner schwenkend, das Licht vertrieb, glitt der Mann erschöpft in die Umarmung des noch warmen Wüstenbodens, in welcher er sofort versank. Von bösen Träumen blieb er verschont, da der Wind wie ein treues, listiges Tier um seine daliegende Gestalt strich, bestrebt schreckliche Bilder zu verscheuchen. Erwartungsvoll kreisten die Kreaturen weiterhin über ihnen, darauf lauernd, daß der Mann am Morgen dem Wind resigniert eine handvoll Sand in die Augen schleudern würde. Doch als der Morgen den Osten entflammte, erhob der Mann sich unter Schmerzen. Wieder suchte er den Horizont ab, erneut konfrontiert mit dem Bild des Vortages – zwischen Himmel und Erde ein Kalt-Warm-Kontrast der Farben und sich auftürmende, sandige Wogen eines Ozeans aus pulverisiertem Quarz. Das Fernglas um den Hals, setzte er einen Fuß vor den anderen, anderen, anderen, ... – bis er sich gegen Mittag, als die Sonne die Stufen zu ihrem strahlenden Thron erklomm, eine kurze Pause gönnte.
Wieder der Griff zu den Okularen, die ihm die Ferne näherbrachten. Kaum hatte er begonnen sich langsam um die eigene, geschundene Achse zu drehen, da hämmerte plötzlich sein Herz gegen die Wände des Rippenkäfigs. Die Bewegungen des Mannes gefroren jäh, sein Verstand erblühte in einem Dschungel der Ungläubigkeit. Weit entfernt, auf dem Kamm einer mächtigen Düne sitzend, war eine einzelne Person, den Blick von dem Mann abgewandt. Ob Frau, Mann oder Kind – er war sich nicht sicher. Irgendwie war es ihm auch egal, welchen Geschlechts und Alters der unbekannte Mensch sein mochte, schien das Ende der Isolation doch so greifbar nahe. In seinem übermütigen, rauhen Lachen, das sich wie ein kuppelförmiger Regenbogen über ein Niemandsland spannte, brach all die Einsamkeit der letzten Tage ? – Wochen ? – Monate ? – hervor. Es versetzte die flimmernde Luft in Panik; tanzte funkensprühend mit dem Wind, der sich unschlüssig war, ob er das Lachen als den herbeigesehnten Spielkameraden akzeptieren sollte und seine Zweifel schließlich verdammend, wurde er willig von diesem Sog der Ausgelassenheit fortgerissen, Sandfontänen aufwirbelnd – während die drei Wesen über ihnen nach Norden abtrieben. Für kurze Zeit hallte der Freudenschrei des Mannes über gelbe Erhebungen und Ebenen heißer Einöde – auf der Suche nach hohen Hindernissen, gegen die er prallen könnte, um ein Echo zu erzeugen, das seine Existenz verlängern würde. Die Düne, auf dem die fremde Person wie eine von Kinderherzen vergessene Puppe hockte, stellte sich dem Lachen schließlich in den Weg, abrupt dessen kurzes Leben auslöschend. Der Mann bemerkte dieses nicht. Zu sehr eskalierten die Nachwehen der Freude in ihm. Der Wind dagegen hatte eine Ahnung, und aufgebracht eilte er dem auf die Düne zurennenden Mann nach, der sich scheinbar aus dem starren Kettenhemd vergangener Strapazen befreit hatte. Heftiger und heftiger wurde der Versuch des warnenden Windes ihn zur Vernunft zu bringen. Kleine Fantasiegebilde aus mitgerissenem Sand formend, jagte er hinter dem Mann her, für den die Welt nur noch aus der näherrückenden Gestalt bestand. Endlich – keuchend, bunte Schlieren vor Augen – erreichte der Mann den Gipfel der Düne, feststellend, daß es weder Frau noch Mann, sondern ein Junge war, der ihm noch immer keinerlei Beachtung schenkte. Bewegungslos blieb der Junge in seiner gekrümmten Haltung, die Hände im Schoß seiner Jeans, die Weiten des sandigen Pazifiks in sich aufnehmend. Ein bläuliches, flackerndes Licht lag auf seinem ausdruckslosen, vielleicht zehn Jahre altem Gesicht. Der Mann trat an ihn heran, unablässig Worte aussäend für die er keine Antworten erntete. Er berührte die steife Schulter, kniete sich nieder, betrachtete die Augen des Jungen, deren großen Pupillen einem Vakuum glichen – ein Stück unbekanntes Universum, Lichtjahre entfernt von der Wärme einer Sonne. Der Mann fühlte, wie sich Enttäuschung gierig unter ihm auftat, bereit ihn zu empfangen. Mit einem Hauch von Trost umschlang der Wind sie beide.
Aus den zurückgekehrten drei winzigen Punkten in der Luft waren größere Punkte geworden – und wieder flogen sie kunstvoll Achten, genau über ihnen.
Sich verlassener als jemals zuvor fühlend, schüttelte der Mann den apathischen Jungen, schrie ihn an. Der Junge reagierte nicht – den Schlüssel zu den Katakomben, in denen er sich verborgen hielt, lag irgendwo vergraben unter Tonnen von Wüstensand.
Der Mann begab sich wieder auf den Weg, widerwillig den Jungen zurücklassend. Mehrmals blickte er zurück, jedoch gab es nichts zu sehen, was sein Gefühl des Verlustes hätte mildern können. Den Kopf hängend lassend, stolperte er weiter der Ferne entgegen – auf Blasen so groß wie die Faust eines schreienden Babies.
Am Nachmittag desselben Tages machte er eine weitere Entdeckung, und auf eine weitere Enttäuschung vorbereitet, begnügte sich seine, unterschwellig auf der Lauer liegende Freude damit, auf den Augenblick zu warten, in dem es galt emporzuschnellen.
Eine Frau und ein Mann saßen in der Wüste, jeder für sich auf einem Stuhl, die ungefähr drei Meter, mit den Lehnen zueinander, auseinander standen – auf einem glatten Boden, dessen schwarz-weißes Schachbrettmuster aus dem eintönigen Gelb des Sandes hervorstach. Die Frau blickte in die Richtung, welcher ihr Mann den Rücken zukehrte. Keiner von ihnen sprach ein Wort. Jedem floß eine Träne über die Wange, in der sich das Sonnenlicht brach. Ungläubig gingen der Mann und der Wind von einem zum anderen. Der Mann spürte die Kälte, die sein Innerstes in Eis verwandelte, seine Hoffnungen unter einem gefrorenen Panzer erstickend.
„Es hat keinen Sinn“, sagte der Mann und trottete weiter, sich selbst eine Träne aus dem Auge wischend. Er bemerkte die sandigen Zungen, die nach und nach das Schachbrettmuster bedeckten, Gebiete zurückerobernd, die sie als ihr Eigentum ansahen.
Drei Stunden später nahm die Sonne ihren tiefroten Mantel und verließ den riesigen Saal der halben Welt. Zu sehr mit den Ereignissen des Tages beschäftigt, als das er hätte schlafen können, entschied sich der Mann, trotz seiner Schmerzen, durch die Nacht zu wandern. Ohne Protest folgte ihm der Wind.
Gegen Mitternacht, beinahe unfähig sich auch nur noch wenige Meter auf den Füßen zu halten, legte der Mann eine längere Pause ein. Sein Blick glitt dem nicht sichtbaren Horizont entlang, darauf wartend das schwache Glühen der Luft ausfindig zu machen, das die Nähe einer Stadt signalisieren würde. Abgrundtiefe Dunkelheit stattdessen. Dann, unerwartet wie das Explodieren eines Sternes im Herzen der Milchstraße, erschien ein Licht inmitten der Schwärze, sich tapfer gegen die Vorherrschaft der Nacht behauptend. Den warmen Farbton von Kerzenschein und die Form eines kleinen Erkerfensters habend, zeigte es mit seinem Finger auf den Mann. Trotz der Niederlagen, die er im Laufe des verstorbenen Tages erlitten hatte, erhob er sich, das Gesicht verzerrend, als seine Muskeln aufschrien. Zitternd vor Erschöpfung wankte er auf das Licht zu – ähnlich einem alten Kahn auf rauher See, mit Kurs auf ein unbekanntes Signalfeuer. Größer und größer wurde das Fenster und zugleich das Verlangen des Mannes zu erfahren, wer das Licht entzündet hatte. Der Wind stärkte ihm den Rücken, trieb ihn voran, stützte ihn wenn nötig. Einmal hielt der Mann an, nahm sein Fernglas zur Hand – doch nur die Öffnung des Fensters war sichtbar, umrahmt von kantigen Steinen, auf denen sich der flackernde Schein der Kerze wiederspiegelte. Kein Gesicht, das zu ihm hinausblickte, dorthin, wo die Einsamkeit grausam in Monarchie regierte. Weiter schleppte sich der Mann vorwärts, bis endlich die tiefschwarze Form eines hohen Turmes vor ihm aufragte – ein Schatten in der Nacht. Weit oben war das Licht, das ihn gelockt hatte. Der Mann rief, schrie, seine ledernen Stimmbänder unnachgiebig folternd. Der Wind ergriff seine Worte, trug sie hinauf, wo vielleicht jemand sehnsüchtig auf sie wartete – aber keine Antwort kam.
Es blieb still.
Verzweifelt schlug der Mann mit geballten Händen gegen das scharfe, kühle Mauerwerk, spürte seine Haut splittern, sank kraftlos in sich zusammen. Später suchte er nach einer Tür, fand sie nicht. Er stellte sich unter das Fenster, schrie mit allem, was in ihm noch Schreien konnte.
Er wartete.
Wartete.
Plötzlich erschien der Kopf einer Frau in dem beleuchteten Erkerfenster.
Wieder schrie er, heiser, krächzend, kaum ein verständliches Wort hervorbringend – in seiner Stimme nicht den Mann erkennend, der er war. Die Frau blieb am Fenster, jedoch zum Himmel emporblickend. Sie streckte ihre Hände hinaus, in denen sie schützend eine weiße Taube hielt. Hastig ergriff der Mann sein Fernglas. Von seinem Standpunkt aus war das Gesicht der Frau nicht zu erkennen, nur der strahlende Körper der Taube, mitsamt einer an ihrem Bein befestigten Papierrolle. Die Taube wurde in die Luft geworfen, rasch an Höhe gewinnend. Sie blickte der Taube nach, bis sie kurz darauf von der Nacht verschluckt wurde. Ohne nach unten zu blicken, zog die Frau sich in den Raum zurück, in dem die Kerzenflamme einsam brannte. Noch einmal setzte der Mann zu einem Schrei an – und brach ohnmächtig unter dem Fenster zusammen.
Als er am Morgen zu ungewohntem Lärm erwachte, verstand er erst nicht, was er sah.
Hunderte, Tausende, MILLIONEN von Tauben bedeckten den Himmel, aufgeregt gurrend, wild mit den Flügeln schlagend. Sich auf eine Taube zu konzentrieren kam dem Versuch gleich, während eines Wolkenbruches einen Regentropfen zu beobachten. Jede der Tauben trug ein zusammengerolltes Stück Papier am Bein, in der Hoffnung, jemanden zu finden, der die Nachricht lesen würde, die sie durch die Lüfte trugen. Durch ein Loch in dieser Masse aus Tauben wurde ein Teil des blauen Himmels sichtbar – und das Gesicht des Mannes verwandelte sich in eine Maske des Entsetzens.
Er sah die drei Kreaturen, die ihn so lange begleitet hatten, wie sie immer größer, bedrohlicher wurden – als sie im Sturzflug auf die wehrlosen Tauben niederstürzten. Die Schreie, die der Mann vernahm, kamen aus dem Turm, aus der Weite der Wüste – und jenseits davon. Er selbst konnte nicht mehr schreien – seine Kehle gab nichts mehr her.
Windstille ...


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Rainer Heiß

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bilderreiche Sprache

Hallo vobig,

auch wenn ich nach dem ersten Lesen den tieferen Sinn dieser Geschichte (gibt es einen?) noch nicht durchschaut habe, möchte ich dir zu deiner bilderreichen Sprache gratulieren! Gelegentlich fand ich die Bilder und Vergleiche zwar unpassend ("Wände des Rippenkäfigs", "das Lachen ... setzte die flimmernde Luft in Panik") , aber das ist wahrscheinlich Ansichtssache.
Kann es sein, dass du dich teilweise auch mit den Partizipien vertust? Stellen wie "Sich verlassener als jemals zuvor fühlend", "die Form eines Erkerfensters habend" klingen nicht so rund wie der Rest. Und ehe es aussieht, als hätte ich nur zu mäkeln (ich hoffe, du verzeihst!), möchte ich noch einmal betonen, dass sie mir insgesamt richtig gut gefallen hat, deine Wüstenmär! Von welchem Police-Song hast du dich inspirieren lassen?
Grüße Rainer
 

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Message in a bottle ...

Hallo Rainer,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Kritik ist natürlich immer willkommen, egal in welcher Form, daran wächst man schliesslich. Wäre es zudem nicht langweilig, wenn wir alle perfekt wären ;-)

Ja, manchmal gehen die Worte mit mir durch und ich lasse den Text dann so wie er hervorsprudelte. Es ist immer spannend für mich selbst zu beobachten, welche Bilder spontan beim Schreiben entstehen auch wenn sie nicht immer logisch und nachvollziehbar scheinen. Mich interessiert es dann immer nachzuforschen, wieso und woher ich nun genau dieses oder jenes Bild habe.

Der Song von POLICE ist MESSAGE IN A BOTTLE. Das passiert praktisch das gleiche, wenn auch in anderer Form.
Ein Mann allein auf einer Insel. Er wirft eine Flaschenpost ins Meer und Tage später wimmelt der ganze Strand von Tausenden von anderen Flaschen samt Papierrollen.

Die Zusammenfassung der Geschichte könnte lauten: Woher Hilfe bekommen, wenn die ganze Welt ebenfalls auf der Suche nach Hilfe ist ;-)

Vielleicht bis zum nächsten mal ...
Tschau Guido
 



 
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