Jörg

wolfmann

Mitglied
Ich stehe in der Einkaufspassage unserer Stadt, … trinke bei Tchibo den sehr guten, heißen Kaffee, … wie üblich im Stehen. Etwas später sehe ich einen jungen Mann die Passage herunter kommen. … Er nähert sich mir mit schleppenden Schritten, denn in der rechten Hand hält er eine Reisetasche die offenbar schwer ist, auch sehr voll, so voll, dass der breite Reißverschluss nicht geschlossen werden konnte.
Kaum an meinem Tisch angelangt, setzt er seine Tasche ab und schaut mich offen und aufmunternd an.
Ich sehe mir den blonden Mann, der mich so unversehens angesteuert hat, und der mir nun lächelnd, ruhig und gelassen gegenübersteht, genau an.
Mit Erstaunen und Neugierde sehe ich ihn mir an.
Dann muss auch ich lächeln, und ich weiß, dass mein Lächeln keineswegs einfältig oder aus Unsicherheit herrührend aufgesetzt ist, … nein, ich weiß, dass es eher eine dieser offenen Gesten ist, die sich immer dann, und nur dann zeigen, wenn zwei, die sich unverhofft begegnen, sich wiedererkennen oder doch zumindest wieder erkennen zu glauben, und darüber sehr erfreut sind, über dieses Wiedersehen, weil sie nur Gutes erinnern, nur Gutes mit dem anderen in ihrer Erinnerung verbinden.
Und gleich darauf muss ich unwillkürlich meine Augen schließen, denn ich glaube ja den anderen zu erkennen, mehr noch, ich erinnere mich augenblicklich an einen Rainer, einen Freund aus Kindertagen, nein, Jugendtagen, und erinnere mich (sie drängt sich auf, diese Erinnerung, kommt aus den Tiefen meines Gedächtnis, ist nicht zurückzuhalten, ist augenblicklich präsent), ... ja, sehe mich, wie ich mit diesem Rainer, meinem Freund, irgendwo, irgendwann, an einem späten Sommerabend, zögerlich, aber nicht aufzuhalten, eine dunkle Treppe, zum Keller hinab führend, hinabsteige.
Ich sehe mich und sehe Rainer, uns beide vor einer verschlossenen Kellertür stehen, sehe unsere Ratlosigkeit, unsere Befangenheit, sehe aber auch, dass wir entschlossen sind, etwas von einander zu wollen.
Wir beide schauen uns nicht an, … aber unsere Hände finden zu einander.
Erst langsam, vorsichtig, dann rascher, unbeherrschter, tasten wir uns ab. … Überall.
Dann öffnet Rainer meinen Hosengürtel, streift die Jeans herunter, und auch seine lässt er fallen. … Mein Schwanz steht, und schon spüre ich die Lippen des anderen.
Kaum später habe ich Rainers Schwanz im Mund.
Lange noch wechseln wir miteinander, mal knie ich auf dem harten Betonboden, dann wieder Rainer, ... dabei fest saugend, mit Gier und mit Lust.
Und als es uns dann endlich kommt, hat ein jeder den Schwanz des anderen in der Hand und spürt warm die sämige Flüssigkeit den Handrücken hinunterlaufen.
Es ist ein wunderbares Gefühl: Ein inniges Gefühl der unzertrennlichen Verbundenheit.
Das ist dann das Letzte was ich sehe, … ja, spüre, dieses enge Zusammenknien, denn, so plötzlich diese Erinnerung aufgetaucht, sich vor meinen Augen abgespielt, so schnell verschwindet sie auch wieder in den Tiefen meines Gedächtnis.
Nochmals schließe ich für einen kurzen Moment die Augen, vermag aber nichts mehr hervorzuholen, sehe dann auf den Blonden, meinem Gegenüber, der immer noch lächelnd, ruhig und gelassen dasteht, sehe auf ihn und muss ihn fragen:
„Bist du es Rainer?“
„Rainer? …Nein! Ich heiße Jörg!“, ist von dem Angesprochenen sogleich zu hören.
„Ich hatte geglaubt, ... ich hätte wetten mögen, dass du Rainer bist, ein Freund aus meiner Jugendzeit. ... Du kommst, ... du kamst mir so bekannt vor.“
Ich halte inne, mustere dabei den anderen, nicht unfreundlich, aber skeptisch und fragend, und noch nicht ganz überzeugt.
Jörg bemerkt es und reagiert sofort:
„Nein! Du kannst es mir schon glauben, wenn ich dich kennen würde, wüsste ich es aber. Ich sehe dich zum ersten Mal.
Aber egal, lassen wir Vergangenheit Vergangenheit sein. Auch wenn wir uns noch nicht kennen, so lernen wir uns eben jetzt kennen. Meinen Namen weißt du ja.“
Er hat es leichthin, und dadurch glaubwürdig, gesagt und somit meine Skepsis überzeugend abgetan.
Und damit ist auch für mich das Eis gebrochen.
Und wir beide kommen dann, anknüpfend an dem was schon von Anfang an da war, nämlich eine Verbindung zwischen uns, beruhend auf Sympathie, die uns also band, schnell ins Gespräch.
Mein neuer Bekannter beginnt gleich frei weg und mit Kölner Dialekt (den ich da erst bemerke) zu erzählen:
Er arbeite als freier Mitarbeiter, genauer als freier Kameraassistent, bei einer Filmproduktionsgesellschaft, die Fernsehfilme, auch Spielfilme für das Kino produziere und drehe, in Köln am Rhein.
Und da er zur Zeit, „wie ab und zu mal, denn so ist das Geschäft“, eine kleine „Sendepause“ habe, da ein neuer Auftrag erst wieder in einem Monat in Aussicht, zwar schon fest vereinbart, aber doch noch nicht ganz sicher sei, da man „bei dieser Firma nie so genau weiß, ob die festen Vereinbarungen auch immer wirklich fest, immer wirklich gelten“, da er nun also Zeit habe, sei er unterwegs, um sich hier im Norden ein wenig umzutun, denn „man muss doch wissen, was sich hier so tut“ und „man darf doch nicht immer nur alles aus zweiter Hand nehmen“, da doch „selbst Erfahrungen aus erster Hand nicht immer ´eigentlich` sind, und die aus zweiter Hand schon gar nicht“.
Die Art wie Jörg erzählt und auch seine Einstellung gefällt mir (auch wenn ich mit diesem „eigentlich“, welches Jörg übertrieben wichtig betont hat, nicht allzu viel anfangen kann), und somit berichte ich dann auch sogleich von dem was sich hier, in meiner Heimatstadt, so tut.
Jörg hält einen Wohnortwechsel in den Norden, „vorerst zwar nicht, aber vielleicht schon bald, wenn auch nur für eine gewisse Zeit“, für möglich, … wegen „des Meeres und so“.
Bekräftigt diese denkbare Möglichkeit gleich zweimal ausdrücklich und kommt dann, übergangslos und plötzlich, mit einer Frage, nämlich die, ob er nicht für ein, zwei Tage und Nächte bei mir wohnen und schlafen könne.
Diese Frage überrascht mich denn doch.
Damit habe ich nun nicht gerechnet.
Einen kurzen Moment fühle ich mich überrumpelt, weiß Jörgs Trachten nicht genau einzuschätzen, habe kurz den Verdacht, dass diese Absicht, vielleicht schon von Anfang an, hinter all dem gesteckt hat, schüttele aber, ohne mir hierüber weiter Rechenschaft abzugeben, diesen Verdacht sogleich wieder ab, und sage zu.
Gemeinsam verlassen wir, es ist mittlerweile recht spät und auch schon dunkel geworden, die Einkaufspassage, und gelangen nach gut fünfzehn Minuten Fußweg, wobei wir gemeinsam Jörgs schwere Tasche tragen, zu meiner Wohnung.
So kommen wir also, ich und mein Besucher, in meine Wohnung.
„Sit down, nimm Platz, da auf der Couch. ... Da kannst du später auch drauf schlafen. ... Ich hole uns mal ein Bier, ja?“
Gleich nachdem ich dies gesagt, gehe ich, ohne eine Antwort auf meine Frage abzuwarten, in die Küche, um dann mit zwei Flaschen Bier zurückzukehren und sie sogleich mit einem für mich nutzlos herumliegenden Feuerzeug (ich bin Nichtraucher) zu öffnen, sie auf den Tisch zu stellen und mich dann neben Jörg auf die Couch zu setzen.
Jörg hängt schlaff in den Polstern, nur die Beine hat er gespreizt und, anders als den Rest seines hängenden Körpers, fest auf den Teppichboden gepfählt.
Dann aber rafft er sich auf, beugt sich vor und nimmt seine Flasche, wartet bis auch ich die meine in der Hand habe, prostet mir zu, nimmt einen langen Schluck und sagt darauf unvermittelt:
„Hast du eigentlich gar keine Angst? ... Na ja, kommt dir das nicht komisch vor? ... Ich ... ich bin doch ein völlig Fremder, du kennst mich nicht, lässt mich in deine Wohnung, lässt mich bei dir übernachten, ich könnte doch, ... na ja, ... ich könnte dich doch, ... hm, ... na, ... na ja, ausrauben, erschlagen, … was weiß ich denn!“
Ich habe Jörg aufmerksam zugehört und seinem Blick standgehalten.
Ich bin nicht ängstlich, eher schon neugierig, auch fragend, dabei in mich hineinschauend und dort nach einer Antwort suchend.
Bevor ich ihm eine Antwort geben kann, muss ich noch einen zweiten Schluck aus meiner Flasche nehmen, die ich dabei bis zur Hälfte leere.
„Warum sollte ich Angst haben? Du bist nicht so, du bist anders. Ich bin sicher, dass du nicht so bist, da müsste ich mich schon sehr täuschen.“
„So, wie bin ich denn?“
„Na, ... du bist, ... ich müsste mich schon sehr in dir täuschen, … du machst so etwas nicht, du bist da wie ich. ... Du bist, ... na, ... na ja, ich weiß nicht, ... du bist mir einfach wohlgesonnen. Du könntest so etwas nicht machen. ... Du könntest höchstens versuchen, mich zu verführen, das höchstens!“
Jörg sieht mich eindringlich an, ich aber fahre unbeirrt und ohne Scheu fort:
„Ja, ... ne Verführung könnte ich mir bei dir vorstellen. Ich hab ja, gleich wie ich dich gesehen hab, dich ja mit jemand anderem verwechselt, ... mit einem Jugendfreund. Rainer hieß er, ... mit dem hatte ich mal was, ... na ja, ... aber harmlos war`s, nicht richtig. Wir mochten uns sehr, mussten es einfach mal ausprobieren, ... aber nur mit der Hand, ... auch mit dem Mund, mehr nicht, ... und es war ja auch in unser Jugendzeit, … fast Kinderzeit noch. ... Aber es war gut. ... Ich hab`s jedenfalls immer noch in guter Erinnerung, auch wenn’s schon so lange her ist, ... schon so vergangen ist.“
„Und wenn’s so wäre, ... wenn ich dich nun verführen wollte, … was wäre dann wohl?“
Ich antworte sofort, denn ich habe auf diese Frage gewartet:
„Nein! ... Nein, nein, das geht nicht mehr, das ist vorbei, das ist längst vergangen. War ja auch nie richtig. ... Ich hab mir schon meine Gedanken darüber gemacht: So gut man sich auch mit einem Mann verstehen kann, so nah man sich auch sein kann, und irgendwie fühl ich mich dir nah, aber ... du, ... er bei mir hinten drin oder ich da bei ihm, nein, ... nein, wirklich! ... Das geht nicht, … wirklich! ... Dazu tauge ich nicht. Ich bin da lieber bei Frauen, ... ja! … Da ziehen mich ihre Körper mehr an, ... die ziehen mich doch weit mehr an, … eindeutig mehr an.“
„Schade...“, lässt sich Jörg nach einer längeren Pause vernehmen und fährt dann fort:
„Ich mag solche Typen, wie du einer bist. Ich mag auch Frauen, genauso. … Ich kann mit beiden, es macht mir mit beiden Spaß, es ist mit beiden schön und mit beiden anders. ... Aber der Mann, ... auch die Frau natürlich, sollten es auch wollen, … genauso gern wie ich, sollte er es auch wollen.“
Er hält inne, denkt nochmal kurz nach, und beginnt dann wieder:
„Und man merkt bei dir, ... man merkt, dass es bei dir nicht geht. Es geht nicht! ... Schade, ... sehr schade, ... wirklich schade!“
Und mit diesem abschließenden „schade“ sind die Fronten geklärt und es ist soweit und auch bestens abgetan, denn wir sind keine Heranwachsenden mehr, die sich ausprobieren müssen, die mehr gewagt hätten, auch rücksichtsloser gewesen wären - wenn es denn ein so tiefsitzendes, übermächtiges Bedürfnis, ... bei beiden, gewesen wäre.
Bei mir jedenfalls gibt es dieses Bedürfnis nicht.
Ich muss diese Erfahrung nicht machen, so jemanden, ob seinerzeit Rainer oder jetzt eben Jörg, „drinnen gehabt zu haben“ oder „selbst drinnen gewesen zu sein“.
Ich, der für Erfahrungen immer offen bin, brauche dieses eine Erlebnis wirklich nicht (obgleich ich, ... und das muss ich wohl doch zugeben, bei einer Frau vielleicht doch mal hinten hinein möchte).
Noch lange, bis spät in die Nacht hinein, sitzen wir beide dann zusammen, unterhalten uns ausgiebig, sprechen über Gott und die Welt, verstehen uns prächtig, und schlafen danach, nachdem viel Bier unsere Nieren und Blasen durchspült hat, in getrennten Betten und Zimmern.
Am nächsten Morgen, gegen Mittag, nach einem ausführlichen Frühstück, zeige ich meinem neuen Bekannten die Stadt.
Am übernächsten Tag, dem Sonntag, verlässt Jörg, der Kölner, meine Heimatstadt in Richtung Ostsee.
Bei nächster Gelegenheit will er sich wieder bei mir melden.
 



 
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