John, ein US-Ranger wird Pazifist

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John


1966. 2.Vietnamkrieg. Ein US-Ranger, einziger Überlebender beim Absturz eines Helikopters, wird, schwer verwundet, von Bergbewohnern aufgefunden und in ihr Dorf gebracht. Es ist eine buddhistische Kommune, die aus Hanoi in die Berge Nordvietnams geflüchtet war und hier anderen Kriegsflüchtlingen, Waisenkindern und Deserteuren beider Seiten ein neues Zuhause bietet. Der Rôshi ist ein zen-buddhistischer Lehrmeister.

Sie bringen ihn auf einer Trage, die sie mit wenigen, schnellen Griffen aus Bambusrohr und Palmenblättern zusammengebunden haben. Sein Kampfanzug ist voll Öl und Dreck, und an einem aufgerissenen Ärmel sehen wir einen mächtigen Bizeps. Vier junge Thai bemühen sich um ihn; sie ziehen, sie schieben, sie jonglieren den schweren, an der Trage und weiteren Bambusstäben festgebundenen Mann die steile Felsentreppe herauf. Der Rôshi steht bereits am Eingang der Halle. Yang befragt sie und führt sie hinein. (…)

"Sie haben ihn in einen tiefen Schlaf versetzt, um seine Kräfte zu schonen", sagt er.
Bei der Visite überprüft der Roshi, wie jeden Morgen nach dem Zazen, den Sitz der Schienen und legt einen neuen Verband an. Diesmal fragt er, und Than übersetzt wieder seine Worte: "Hast du auf deinen Atem geachtet, John? Hast du dich konzentrieren können? Hast du alle Gedanken loslassen können?"
"Than hat mir gesagt, wenn die Affen herumturnen in meinem Kopf, soll ich sie gewähren lassen. Sie verschwinden wieder von selbst. Aber sie sind nicht verschwunden! Sie haben nach mir gegriffen. Sie haben mich umklammert. Sie haben mich erwürgen wollen. Es waren wirklich Affen, nicht bloß Gedanken. Ich habe lange Arme gesehen. Braune, behaarte Arme. Ebenso die Hände, große Hände. Und einer hat gesagt: Du hast meine Leute umgebracht, John! Warum hast du meine Leute umgebracht? Und ich konnte nicht antworten. Ich wollte etwas sagen, aber ich habe nur den Mund bewegt... Rôshi, ich habe getötet! Ich habe eure Leute getötet. Auch Frauen, auch Kinder! Ich war ein Killer! Ich muss mich verachten."
"John, bei uns gibt es keine Verachtung."
"Ich habe sie vom Helikopter aus einfach abgeknallt: die Frauen, die Kinder, die Hühner. Man hat mir gesagt: Alle Vietnamesen in den Dörfern sind kommunistische Partisanen. Männer wie Frauen. Die Frauen versorgen die Männer mit Proviant. Viele tragen selber Waffen. Und die Kinder spionieren herum. Unsere G.I. sind nirgendwo sicher. Deshalb musst du sie alle töten, John! Immer wieder habe ich draufgehalten, bis sich unter uns nichts mehr bewegt hat. Das habe ich ja gelernt. Vom Helikopter aus bewegliche Ziele zu treffen, das habe ich gelernt. Anfangs war ich darauf sehr stolz, bis mir ein Büffel unter die Kanone kam. Ich habe ein ganzes Magazin geleert, aber der Büffel ist nicht umgefallen. Wir haben eine Schleife gedreht und sind zurückgeflogen. Der Büffel hatte einen Zaun durchbrochen und raste ein Reisfeld entlang. Auf einmal war er verschwunden. Ich bin sicher, er war nicht tot. Ich hatte ihn mehrmals getroffen, aber er war nicht tot. Er muss sich versteckt haben. Im Dickicht. Im Dickicht am Ende des Reisfeldes, im Sumpf... Dann habe ich von dem Büffel geträumt. Sogar am Tage habe ich von dem Büffel geträumt, mittags, wenn wir siesta machten."
"Der Büffel ist in Vietnam ein heiliges Tier. Alle Vietnamesen achten und verehren ihn. Ohne Büffel gäbe es hier keinen Reis. Der Büffel hilft den Bauern das Feld beackern. Das hast du vielleicht schon gesehen, John. Deshalb ist er für uns ein heiliges Tier. Büffel sind unsere Brüder und Schwestern. Außerdem glauben viele von uns, ihre Ahnen seien Büffel gewesen, und sie selber könnten wieder Büffel werden."
Diese Worte treffen John ins Mark. Er wird von Selbstmitleid geschüttelt. Er weint. Erschöpft sackt er zusammen.
Der Rôshi wartet, bis John wieder aufblickt und sagt, leise: "Das ist Vergangenheit, John. Du lebst aber heute, hier und jetzt, und die Vergangenheit ist in deinem Kopf, in deinen Träumen, in deinen Gedanken. Achte darauf, dass sie nicht überhand nimmt! Ja, du hast getötet. Du hast Leben ausgelöscht. Du leidest an deinen Taten. Du hast eingesehen, dass dies nicht richtig war und leidest. Ist es so, John?"
"Ja."
"Du hast dich verführen lassen und hast geglaubt, dass du stark und heldenhaft bist, wenn du alle Befehle ausführst. Ist es so, John?"
"Ja."
"Du hast deinen Vorgesetzten gehorcht, weil du Angst vor ihnen hattest und ein braver Soldat sein wolltest. Ist es so, John?"
"Ja.
"Und du wolltest dich vor deinen Kameraden nicht blamieren. Ist es so, John?"
"Ja."
"Du warst unerfahren. Man hat dich zum Töten benutzt. Und deine Vorgesetzten haben es dir befohlen, als sei dies die normalste Sache der Welt. Eine Ehrensache, nicht wahr? Soldaten werden nicht ausgebildet, um ihre Feinde zu lieben, auch christliche Soldaten nicht."
"Wir haben jedes Mal gebetet, wenn einer von uns in den Sarg gelegt wurde. Wir haben nicht gebetet, wenn wir die Leichen unserer Feinde verscharrt haben... Wir sind Mörder. Ich bin ein Mörder. Ein Massenmörder. Ein Verbrecher, Rôshi. Ihr müsst mich hassen."
"John, wir hassen dich nicht. Wir klagen auch niemanden an, und wir verurteilen niemanden. Wir bestrafen nicht und verlangen keine Vergeltung. Wir wollen nicht, dass wieder Hass entsteht. Hass und Gewalt und neue Grausamkeiten. Sie entstehen aus der Vergeltungssucht. Und die Vergeltungssucht entsteht durch die tiefen Verletzungen, die man einem Menschen zugefügt hat. Euer Sergeant hat euch geschunden. Aber ihr durftet es ihm nicht vergelten. Deshalb habt ihr euern ganzen Hass auf Vietnamesen gerichtet, lange, bevor ihr überhaupt einem Vietnamesen begegnet seid. Ist es so, John?"
"Ja."
"Euer Sergeant ist als junger Soldat ebenfalls geschunden worden. Ist es so, John?"
"So wird es gewesen sein."
"Und der Sergeant, der euren Sergeant als jungen Soldaten geschunden hat, ist der nicht auch geschunden worden?"
"Sicherlich."
"Warum sollten wir die Schinder anklagen und verurteilen? Müssen wir nicht vielmehr die Schinderei, die Tat als solche aufhalten das Rad, das sich dreht und dreht und dreht und alles unter sich zermalmt?! Die Menschen, die seit Jahrtausenden in die Speichen greifen, werden dazu getrieben: von Wut und Hass. Am Ende gerät die ganze Menschheit unter dieses Rad, wenn sie sich davon nicht lossagt wie du, John."
"Ihr entschuldigt die Tat?"
"Wie sollten wir die Tat entschuldigen, wenn wir niemanden beschuldigen?! Wir versuchen, sie zu verstehen. Damit rechtfertigen wir sie nicht. Die irre, die falsche, die schlechte Tat ist verwerflich, ja. Ebenso verwerflich ist die Absicht, solch eine Tat zu begehen, auch wenn sie unterlassen wird. Das ist alles."
"Soll ich vergessen, was ich getan habe, Rôshi? Das kann ich nicht. Ich werde es nie vergessen können!"
"Du wirst nichts vergessen, John. Du bist ein Teil der Menschheit. Und das Gedächtnis der Menschheit bewahrt alles, was geschehen ist, auf. Alles, was jemals gedacht und getan worden ist. Aber du wirst deine Ansichten ändern. Du hast sie ja schon geändert. Den John, der hasst, gibt es nicht mehr. Und den John, der tötet, gibt es den noch?"
"Nein, Rôshi, den gibt es nicht mehr."
"Siehst du, du hast dich verändert, John. Du bist nun ein anderer Mensch. Warum sollten wir dir etwas nachtragen?!"
"Ich danke dir, Rôshi! Rasiert mir die Haare vom Kopf!"
"Ist dir das Haar nicht kurz genug? Du hast einen Militärschnitt."
"Eben."


(Aus meinem Roman "Der Ritt auf dem Ochsen oder Auch Moskitos töten wir nicht"
365 S. ISBN 3-89514-261-1)

© KARIN FISCHER VERLAG Aachen
 

Rainer

Mitglied
hallo dietrich stahlbaum,

aus dem zusammenhang deines buches gerissen, empfinde ich die geschichte als literarisch nicht sonderlich gelungen. die aussage gefällt mir aber sehr gut, auch wenn ich mich mit der idee des totalen pazifismus nicht identifizieren kann, sondern lieber einen nicht-blinden aktionismus bevorzuge.
kleine anmerkung: ich habe leider keine ahnung von südostasien, mir kommt es nur komisch vor, wenn vietnamesen als thai (?) bezeichnet werden. ist das richtig?

gruß

rainer

p.s. hoffentlich sieht elsa deinen text nicht (siehe plauderecke - "autorinnen für..." - niclas van schuir)
 
K

kuschelmuschel

Gast
Hallo Dietrich,

Sprachlich finde ich es gut, aber inhaltlich bin ich nicht begeistert. Es mag daran liegen, dass es nur ein Romanausschnitt ist, aber so wie es hier steht muss ich sagen, ist es für meinen Geschmack zu viel Predig. Einfach die Schuld auf den Vorgesetzten zu schieben, der ja eigentlich auch nicht schuld ist, weil ja sein Vorgesetzter ihn genauso getriezt hat usw. Scheint mir zu einfach zu sein. Man kann den Soldaten sicherlich keinen Vorwurf machen, aber wenn ich den Ausschnitt so lese, macht mir die Vietnamesische Seite einfach einen zu heiligen Eindruck.

Aber was mich interessieren würde, warum stellst Du die Story hier rein? Das Buch ist doch schon erschienen, also werden Kommentare wohl keinen Einfluss auf die Geschichte haben. Und als Werbung finde ich das Forum Bücherecke passender. Oder vielleicht auch die Plauderecke.

Nichts für ungut.

Michael
 
Kein Kaminfeuer für diesen Roman! Eine Replik

Hallo Rainer! Hallo Michael!

Die Plauderecke hatte ich noch nicht entdeckt. Ich bezweifle auch, dass dies der richtige Ort ist. Krieg und Frieden/Pazifismus ist kein Gegenstand für Plaudereien.

Dank für den Hinweis auf die Bücherecke!

Es sicherlich kein Wunder, dass einer, der an zwei Kriegen teilgenommen hat, Pazifist geworden ist und sich offen dazu bekennt – seit fast 50 Jahren.

Ein Ausschnitt – darin gebe ich euch Recht – ist kein Ganzes und kann leicht missverstanden werden, zumal wenn er aus dem komplexen Zusammenhang eines (zeitdokumentarischen) Entwicklungsromans stammt. Aber es befindet sich in diesem Ausschnitt die Essenz des Ganzen: des buddhistischen Pazifismus, so wie ich ihn selber erfahren habe. Buddhisten sind nun mal dezidierte Pazifisten.

Ein solcher „John“ existiert tatsächlich! Seine reale Geschichte? Schaut mal in das Fenster „Pazifismus“ meines ZEITFRAGENFORUM(s). Als ich das Buch schrieb (1995-99), habe ich noch nichts von ihm gewusst.

Die Thây (nicht zu verwechseln mit den Thailändern) sind ein Bergvolk im Norden Vietnams.

Gruß Dietrich
 



 
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