Jugendsünden

LUPESIWA

Mitglied
Aus meiner Reihe "Geschichten über Senioren für Senioren"

Jugendsünden

Das neue Jahr hatte sehr stürmisch begonnen. Orkanartige Winde trieben immer wieder dunkle Wolken vor sich her und peitschten den Regen durch die Strassen.
An einen Spaziergang war gar nicht zu denken und so verbrachten die meisten Bewohner schon nach dem Frühstück gemeinsam ihre Zeit in den Aufenthaltsräumen und gemütlichen Sitzecken.
Auf der Zweiten herrscht bedrückte Stimmung. Gerade hatten sie erfahren, dass Gretel Müller nicht mehr zurückkommen würde.
Martha Eichmann fährt mit ihren Rollstuhl der Agathe Brunner fast in die Haxen, als die laut schniefend und schnäuzend mitten auf dem Gang stehen bleibt.
„Frau Brunner!“, ruft sie erschrocken, was ist los? Hat sie die Nachricht so aus der Fassung gebracht? Ja, es ist schlimm an so einer verflixten Lungenentzündung kaputt zu gehen. Aber irgendwann sind wir alle mal dran.“
„Nein, das ist es nicht. Ich muss diesen Gestank in der Nase loswerden“, brummelt Frau Brunner zurück und schnaubt kräftig in ihr Taschentuch.
„Gestank, welcher Gestank?“, fällt Einstein lachend in die Unterhaltung ein. „Hatten sie ihren Kopf vielleicht zu lange unter der Bettdecke?“, setzt er noch einen drauf und läuft hurtig an den Beiden vorbei zur Sitzecke. Die schauen nur kopfschüttelnd hinterher.
„Typisch, unser Einstein! Aber nun ernsthaft, Frau Brunner, was ist los?“, bohrt Martha weiter und kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
„Ach, ist eine lange Geschichte, habe sie noch nie jemandem erzählt.“
„Dann wird es Zeit! Wir können eine Aufmunterung gebrauchen“, schallt es ihr laut entgegen und sie schaut in ein duzend lachende Gesichter.
„Teufel noch mal, hat der Einstein schon geplaudert“, spielt sie die Empörte, „aber gut, ich erzähle es euch in Kurzfassung. Als wir 16 waren, meine beste Freundin Lilly und ich, schwärmten wir für Alfred, den forschsten Jungen im Dorf. Er war zwei Jahre älter, bester Fußballspieler und sah toll aus. Aber unsere Freundschaft war uns wichtiger.
Irgendwann bekam ich jedoch mit, dass sich Lilly heimlich mit Alfred traf. Ich war stinksauer und enttäuscht. Und dabei lief sie noch durch unseren Garten, hinter dem kleinen Plumpsklo entlang zum Sportplatz, das war der kürzeste Weg. Tja, irgendwann landete sie in der Jauchengrube.“
Für Sekunden war es mucksmäuschenstill in der Runde.
„Agathe, du hast doch nicht etwa..?“, kreischt plötzlich Isolde Gruber los.
Mit einem Grinsen fällt die andere ihr ins Wort. „Ihr ist nichts passiert, die Grube war nicht tief. Meine Mutter schob dem Vater die Schuld zu, er habe wohl die Bretter nicht richtig drauf gepackt, Lilly hatte nie gefragt und wir sind über 50 Jahre beste Freundinnen gewesen."
„Was hat das nun mit dem Gestank in ihrer Nase zu tun, Gnädigste?“, bringt Einstein die Sache wieder auf den Punkt.
„Ach ja, der Gestank. Die hat vielleicht gestunken“, gurgelt es aus Agathe heraus. „Vor 5 Jahren verstarb Lilly und genau seit 5 Jahren, immer in dieser Nacht vom 6. zum 7. Januar, besucht sie mich im Traum. Triefend vor Jauche steht sie dann vor mir und erklärt mir, dass sie es immer gewusst hätte. Ich solle es endlich beichten.“
„Ja und, wie geht’s weiter?“, drängt Einstein, „muss man Ihnen alles aus der Nase ziehen?“
„Genau das ist es, aus der Nase ziehen“, quietscht Agathe Brunner los, „ mich verfolgt sonst dieser Gestank weiterhin einen Tag lang, bis zu meinem seligen Ende.
„Da können wir Abhilfe schaffen“, meldet sich Gustav Häberlein, steht auf, faltet feierlich die Hände und erhebt die Stimme. „Liebe Gemeinde, hiermit befreien wir Frau Agathe Brunner vom Fluche des Gestankes, da sie voller Reue ihre Sünden gebeichtet hat. Sollte in einem Jahr ihre Nase wie…“, weiter kommt er nicht. Ein Lachanfall überkommt ihn und steckt alle anderen mit an. Etwas verwundert eilt Schwester Hilde herbei, versteht in dem Tumult kein Wort und lacht einfach mit.
 



 
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