Jugendwerke 1980 (Teil 2 / Gesellschaft)

Chrissie

Mitglied
Clownerien

ihr sagt: seht ihr den clown? und ihr lacht
ich bin der clown, den ihr beneidet
natürlich, ohne es zuzugeben
die traurigen clowns seid ihr selbst

trotzdem lache ich
über euch? – auch das

gehüpfter tanz durch die stadt
die sonne juckt mich
lache
lache
lache immer wieder
weil eure clownsgesichter mir überall begegnen
weil alle gleich sind

doch: IHR lacht nicht
nicht einmal mehr mich aus
geschweige denn an
angst in euren augen
angst vor meinem lachen
das euch doch
zuviel wird

und ich lache weiter

selbst noch
als sie mir schon den atem nimmt
die zwangsjacke


Chrissie 1980


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Glotzkopf

du sitzt vor der glotze

draußen fallen bäume

siehst dir die heile welt der fünfzigteiligen amerikanischen familienserie an

die U:S.A. unterdrücken lateinamerika

du siehst weg, mit einer gänsehaut, weil im krimi blut fließt

im iran wird zur gleichen zeit gefoltert

die fleißige hausfrau im werbespot hat ein schlechtes gewissen, weil sie das falsche waschmittel benutzt

in äthiopien haben die menschen kein wasser zu trinken

du ärgerst dich, weil schon wieder ein politisches magazin läuft - du willst doch entspannen ( während deine frau in der küche schuftet )

das land wird regiert von rüstungsmultis und gierigen spekulanten

und plötzlich ist der strom weg – du tobst – dein feierabend ist versaut

schalt zur abwechslung doch mal dein hirn an, glotzkopf!



Chrissie 1980


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Manchmal wein ich in der Nacht


manchmal wein ich in der nacht
dann träumt mir von einer toten zukunft
von kindern mit grauen gesichtern
grauer einheitskleidung
unfähig zu spielen
die ersten worte – parteipropaganda

und ich habe angst
frage mich
ob ich es verantworten kann
kindern ein solches dasein zu „schenken“
ob ich sie nicht
gerade weil ich sie liebe
ungeboren lassen soll
besser noch als ein leben ohne glück
laute, düfte, gefühle auf der haut
farben, lachen
maschinen können das nicht
werden das nie können

hoffnung- begründet?
angst gibt kraft für den kampf
doch aus kampf – für den frieden! – wird leicht krieg
zu leicht
angst
bleiben tränen im dunkeln
zweifel
ist das alles, was mir bleibt?
woher, warum dann liebe
solidarität, wille zum anders leben?
nur aus verzweiflung?

hoffnung
für uns, die wir jung sind
voller liebe sind
für unsere schwestern und brüder
überall
voller haß sind
gegen die, die von oben herab regieren
nicht nur politiker, auch viel schlimmere
gegen die, die denen oben gehorchen
durch ihr schweigen zustimmen
ihren eigenen nutzen ziehen
und kommenden generationen die zukunft rauben
gegen den kreislauf des radfahrerdenkens
der keiner ist
sondern immer bei denen endet
die sowieso schon mies dran sind

hoffnung
für unsere kinder
denen wir so gerne das leben zeigen wollen
die geräusche, düfte, farben, gefühle der natur
denen wir so gern eine chance geben wollen
ihren weg zu gehen
für die wir die zukunft erhalten wollen
die ihnen gehören sollte
nicht der technik

hoffnung
für mich
daß aus tränen der angst
tränen der sorge um andere werden
und ich vielleicht eines tages
nachts nur noch weine
aus glück

Chrissie 1980


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Träumer!

träume, solange du noch kannst
träume vom bessern leben
ohne angst und krieg
träume davon
daß es eine zukunft gibt
träume von
liebe
frieden
gerechtigkeit
träume von der welt
ohne terror und unterdrückung
träume
dann merkst du vielleicht nicht
wie wir alle zu grunde gehn
weil du träumer
vergessen hast zu
handeln


Chrissie 1980
 
C

connor

Gast
Hallo Chrissie.

Sehr vielschichtig Deine damaligen Gedanken, find ich.
Wie war das eigentlich bei Dir in diesem Alter? Gabst Du Deine Werke leicht aus den Händen, um sie von anderen Leuten lesen zu lassen?? Oder bist Du damit zurückhaltender umgegangen?

Schönen Tag
connor
 

Chrissie

Mitglied
Tja,
ich war in jeder Hinsicht ein arg frühreifes Ding. Ich habe meine Sachen schon damals anderen zu lesen gegeben resp. vorgelesen, Freunden halt und manchmal auch Lehrern.

Eins meiner Gedichte wurde in der 9. oder 10. Klasse im Religionsunterricht verwendet. Meine Deutschlehrer haben mich fast alle geliebt, und als ich vom Gymnasium geflogen bin, hat mein damaliger (Deutsch- und Klassenlehrer) fast geheult. Der sah in mir schon den aufsteigenden Stern am deutschen Schriftstellerhimmel.

Mit 15 habe ich sogar ein Drama geschrieben. Aber das ist etwas arg Hippie-Kitsch-Style. Wäre sogar beinahe aufgeführt worden. Aber unsere Schultheatertruppe wollte dann doch lieber Nestroy spielen.

Soviel.
Aber nun schreibe ich ja wieder, wenn auch anders, da älter
 

Chrissie

Mitglied
Hallo alle zusammen!

Das hätte ich wirklich nicht gedacht, dass meine Frühwerke so einschlagen.
An Jimbo: 1980 wurde ich 16, die Gedichte habe ich also alle so mit 15-16 geschrieben.
An big: damals habe ich mich bis zur Depression damit belastet, war andererseits aber auch ein heftiger Aktivist. Habe mit 16 an der ersten deutschen Hausbesetzung teilgenommen (die war wirklich in Augsburg! September 1980 bis Januar 1981 ehemaliges Dierig-Werksgelände mit Fabrikantenvilla), war in einer Antifa-Gruppe, bei der evang. Jugend im Vorstand und mit den Spontis auf Anti-AKW-Demos unterwegs.


Ein politischer Mensch bin ich immer noch und schreibe manchmal immer noch gesellschaftskritisches, nur nehme ich das Leben heute gelassener und mit mehr Humor. Auch meine Öko-Touch-Technikfeindlichkeit hat sich inzwischen in Luft aufgelöst, aber damals war auch eine andere Zeit...

Soweit
Chrissie
 



 
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