Blutige Marie
Mitglied
„Ist dieser Platz noch frei?“
Die Frage kam für ihn aus dem Nichts. Er schaut auf und sagt ja.
„Alle Plätze sind besetzt.“, sagt die Frau sich entschuldigend.
„Kein Problem.“, sagt er entgegenkommend.
Sie stellt ihren Teller hin, der wie eine Schubkarre überhäuft ist mit Gyros, an der Seite ein wenig Sauerkraut.
Sein Essen lässt länger auf sich warten, er liest wieder die Zeitung. Manchmal schaut sie vorsichtig zu ihm; die Blicke spürt er mit seinen niedergeschlagenen Augenlidern.
Das Essen kommt. Er legt die Zeitung beiseite und wendet sich der dampfenden Auflaufform zu. Vorher schaut er zu ihr, erwischt ihren Augenblick und nickt freundlich - guten Appetit! Als sie merkt, dass er lächelt, lächelt sie zaghaft zurück und schaut wieder auf ihren Teller.
Warum ist sie nur so nervös? Das macht ihn ganz verlegen. Sie verschluckt sich gleich an ihrer Unsicherheit, denkt er.
„Sind Sie öfter hier?“, fragt sie schüchtern.
„So gut wie nie.“
„Das Essen schmeckt gut hier.“, sagt sie.
„Ja.“, erwidert er freundlich, obwohl er das Essen hier nicht mochte.
Heiß! Er nimmt sich Zeit für einen Blick auf sie: Sie ist Anfang dreißig und bereits am Ende. Um den Hals trägt sie einen rotweißen FC-Schal. Den linken Nasenflügel schmückt etwas, das man mit genug gutem Willen als Muttermal auslegen könnte.
„Ich heiße Julchen.“
„Aha.“
„Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht beim Essen stören.“, sie wendet sich zurückgeschlagen einem Gyrosblättchen zu, spießt es mit einem Gabelzacken auf und lässt es im Mund verschwinden.
„Sie stören nicht.“, er bereut schon im gleichen Augenblick, nicht einfach geschwiegen zu haben.
„Das ist gut. Guten Appetit!“, sie lächelt und scheint vorerst zufrieden. „Aber Sie essen ja kaum!“
„Ja, das sehe ich.“
„Ach so.“
Ihre Augen sind braun wie zwei traurige Spatzen. Vielleicht sucht sie nur ein Gespräch gegen das Alleinsein. Vielleicht sollte er sich einen Ruck geben und nett zu ihr sein. Überlegt er hin und her.
Er versucht erneut von dem Auflauf - die Ofenhitze steckt weiterhin in ihm. Es gelingt ihm nur umständlich, einen Bissen herunter zu kriegen.
„Sind Sie in Eile?“, fragt sie.
„Ein wenig. Ich bin in meiner Mittagspause.“
„Mittagspause um vier Uhr am Nachmittag? Das ist aber seltsam.“, staunt sie.
„Das hat sich so ergeben.“
„Was machen Sie denn?“
„Ich arbeite im Büro. - Büroarbeit.“ Er sieht sich außerstande, in wenigen Sätzen seinen Beruf zu erklären.
„Das ist gut. Sie haben Arbeit. Und, viel zu tun?“
„Ja, es genügt.“ Er versucht von seinem Filterkaffee. Er ist ein Schlag in den Magen.
„Sie suchen nicht zufällig Leute?“
Doch, sie suchten immer gute Leute.
„Momentan nicht. Die Wirtschaftslage ist nicht so günstig.“
„Ja, das stimmt, die Zeiten sind hart.“, sie seufzt. „Vor fünf Jahren war ich beim EDEKA an der Kasse, und dann hab ich die Allergie gekriegt.“
Er isst. Ihn reut jede Minute seiner Mittagspause. Das Essen, der Kaffee, die Frau – alles ein Niveau.
„Wie heißen Sie?“
„Peter.“
Schweigend schlingt er die langen Nudeln.
„Haben Sie einen Job für mich, Peter?“
„Wie gesagt, wir stellen derzeit nicht ein…“
„Ich weiß." Sie flüstert. "Aber wissen Sie: ich brauche einen Job, sonst komm ich in Schwierigkeiten. - Ich kann keine 3,50 aufbringen, um den Teller zu bezahlen.“
Peter, ein Name, den er erst auf ihre Frage hin angenommen hatte, fühlte Geduld und Verständnis schwinden. Sein schlechtes Gefühl, das er von Anfang an mit der Frau verband, bekam jetzt fette Nahrung.
„Sie müssen, verstehen Sie, Sie müssen mir einen Job geben. Sonst bin ich verloren, die Polizei wird mich holen oder die machen mich fertig in diesem Laden. - !“ Ihre Klageaugen unterstreichen die verzweifelten Worte, die leise aus ihrem dünnlippigen Mund kommen, der von Gyrosfett und Sauerkraut glänzt.
Er schaut sie an, um festzustellen, ob er nicht einen Anflug von Wahn- oder Schwachsinn in ihrem Gesicht feststellen könne.
Sie hat nichts Irres an sich, das Gesicht unangenehm aber ernst, die Verzweiflung echt.
„Hören Sie,“, fängt er an, „ich kann Ihnen keinen Job geben. Ich würde gerne, aber wenn wir doch niemanden einstellen.“
„Das weiß ich doch.“ Sie zögert, spricht weiter: „Sie können mir trotzdem einen Job geben, da bin ich mir sicher: ich wohne hier um die Ecke. Sie könnten doch kurz mitgehen, verstehen Sie? Für einen Zehner schüttel ich Ihnen ab, für einen Zwanni nehm ich auch in den Mund.“ Sie flüstert gänzlich unerotisch.
„Vielen Dank für das Angebot.“, er weiß nicht, wie ihm wird. Aber er bleibt gefasst:
„Ich habe leider keine Zeit mehr, meine Pause ist vorbei. - Hier.“ Er holt einen Zehner aus dem Port Money. „Bezahlen Sie Ihr Essen und behalten Sie den Rest. Ich muss jetzt los, tschüss.“
Viele Wochen später nötigte ihn der Hunger wieder in diese Gyrosschenke. Als er sie betrat dachte er an das Julchen, das arme, und hoffte, ihr nie wieder zu begegnen.
Das Schicksal jedoch hatte andere Pläne mit ihm, es wollte ihm das Julchen ein zweites Mal vorzeigen. Er sah es am Tisch mit einem Fleischteller und einem jungen Mann. Der Mann stand auf, verabschiedete sich höflich und hinterließ für Frau und Fleisch einen Geldschein auf dem Tisch.
Die Frage kam für ihn aus dem Nichts. Er schaut auf und sagt ja.
„Alle Plätze sind besetzt.“, sagt die Frau sich entschuldigend.
„Kein Problem.“, sagt er entgegenkommend.
Sie stellt ihren Teller hin, der wie eine Schubkarre überhäuft ist mit Gyros, an der Seite ein wenig Sauerkraut.
Sein Essen lässt länger auf sich warten, er liest wieder die Zeitung. Manchmal schaut sie vorsichtig zu ihm; die Blicke spürt er mit seinen niedergeschlagenen Augenlidern.
Das Essen kommt. Er legt die Zeitung beiseite und wendet sich der dampfenden Auflaufform zu. Vorher schaut er zu ihr, erwischt ihren Augenblick und nickt freundlich - guten Appetit! Als sie merkt, dass er lächelt, lächelt sie zaghaft zurück und schaut wieder auf ihren Teller.
Warum ist sie nur so nervös? Das macht ihn ganz verlegen. Sie verschluckt sich gleich an ihrer Unsicherheit, denkt er.
„Sind Sie öfter hier?“, fragt sie schüchtern.
„So gut wie nie.“
„Das Essen schmeckt gut hier.“, sagt sie.
„Ja.“, erwidert er freundlich, obwohl er das Essen hier nicht mochte.
Heiß! Er nimmt sich Zeit für einen Blick auf sie: Sie ist Anfang dreißig und bereits am Ende. Um den Hals trägt sie einen rotweißen FC-Schal. Den linken Nasenflügel schmückt etwas, das man mit genug gutem Willen als Muttermal auslegen könnte.
„Ich heiße Julchen.“
„Aha.“
„Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht beim Essen stören.“, sie wendet sich zurückgeschlagen einem Gyrosblättchen zu, spießt es mit einem Gabelzacken auf und lässt es im Mund verschwinden.
„Sie stören nicht.“, er bereut schon im gleichen Augenblick, nicht einfach geschwiegen zu haben.
„Das ist gut. Guten Appetit!“, sie lächelt und scheint vorerst zufrieden. „Aber Sie essen ja kaum!“
„Ja, das sehe ich.“
„Ach so.“
Ihre Augen sind braun wie zwei traurige Spatzen. Vielleicht sucht sie nur ein Gespräch gegen das Alleinsein. Vielleicht sollte er sich einen Ruck geben und nett zu ihr sein. Überlegt er hin und her.
Er versucht erneut von dem Auflauf - die Ofenhitze steckt weiterhin in ihm. Es gelingt ihm nur umständlich, einen Bissen herunter zu kriegen.
„Sind Sie in Eile?“, fragt sie.
„Ein wenig. Ich bin in meiner Mittagspause.“
„Mittagspause um vier Uhr am Nachmittag? Das ist aber seltsam.“, staunt sie.
„Das hat sich so ergeben.“
„Was machen Sie denn?“
„Ich arbeite im Büro. - Büroarbeit.“ Er sieht sich außerstande, in wenigen Sätzen seinen Beruf zu erklären.
„Das ist gut. Sie haben Arbeit. Und, viel zu tun?“
„Ja, es genügt.“ Er versucht von seinem Filterkaffee. Er ist ein Schlag in den Magen.
„Sie suchen nicht zufällig Leute?“
Doch, sie suchten immer gute Leute.
„Momentan nicht. Die Wirtschaftslage ist nicht so günstig.“
„Ja, das stimmt, die Zeiten sind hart.“, sie seufzt. „Vor fünf Jahren war ich beim EDEKA an der Kasse, und dann hab ich die Allergie gekriegt.“
Er isst. Ihn reut jede Minute seiner Mittagspause. Das Essen, der Kaffee, die Frau – alles ein Niveau.
„Wie heißen Sie?“
„Peter.“
Schweigend schlingt er die langen Nudeln.
„Haben Sie einen Job für mich, Peter?“
„Wie gesagt, wir stellen derzeit nicht ein…“
„Ich weiß." Sie flüstert. "Aber wissen Sie: ich brauche einen Job, sonst komm ich in Schwierigkeiten. - Ich kann keine 3,50 aufbringen, um den Teller zu bezahlen.“
Peter, ein Name, den er erst auf ihre Frage hin angenommen hatte, fühlte Geduld und Verständnis schwinden. Sein schlechtes Gefühl, das er von Anfang an mit der Frau verband, bekam jetzt fette Nahrung.
„Sie müssen, verstehen Sie, Sie müssen mir einen Job geben. Sonst bin ich verloren, die Polizei wird mich holen oder die machen mich fertig in diesem Laden. - !“ Ihre Klageaugen unterstreichen die verzweifelten Worte, die leise aus ihrem dünnlippigen Mund kommen, der von Gyrosfett und Sauerkraut glänzt.
Er schaut sie an, um festzustellen, ob er nicht einen Anflug von Wahn- oder Schwachsinn in ihrem Gesicht feststellen könne.
Sie hat nichts Irres an sich, das Gesicht unangenehm aber ernst, die Verzweiflung echt.
„Hören Sie,“, fängt er an, „ich kann Ihnen keinen Job geben. Ich würde gerne, aber wenn wir doch niemanden einstellen.“
„Das weiß ich doch.“ Sie zögert, spricht weiter: „Sie können mir trotzdem einen Job geben, da bin ich mir sicher: ich wohne hier um die Ecke. Sie könnten doch kurz mitgehen, verstehen Sie? Für einen Zehner schüttel ich Ihnen ab, für einen Zwanni nehm ich auch in den Mund.“ Sie flüstert gänzlich unerotisch.
„Vielen Dank für das Angebot.“, er weiß nicht, wie ihm wird. Aber er bleibt gefasst:
„Ich habe leider keine Zeit mehr, meine Pause ist vorbei. - Hier.“ Er holt einen Zehner aus dem Port Money. „Bezahlen Sie Ihr Essen und behalten Sie den Rest. Ich muss jetzt los, tschüss.“
Viele Wochen später nötigte ihn der Hunger wieder in diese Gyrosschenke. Als er sie betrat dachte er an das Julchen, das arme, und hoffte, ihr nie wieder zu begegnen.
Das Schicksal jedoch hatte andere Pläne mit ihm, es wollte ihm das Julchen ein zweites Mal vorzeigen. Er sah es am Tisch mit einem Fleischteller und einem jungen Mann. Der Mann stand auf, verabschiedete sich höflich und hinterließ für Frau und Fleisch einen Geldschein auf dem Tisch.