Junge Menschen und Drogen

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Junge Menschen und Drogen

Kevin wurde von seinem Ausbilder beim Kiffen erwischt und zur Drogenberatung geschickt. Kevin will telefonisch einen Termin vereinbaren.
“Drogenberatung Bielefeld, guten Tag!”
“Ja, hallo. Also …, ich wollte … , also ich meine …, ich wollte mal so eine Beratung …”
“Sind Sie aus Bielefeld?”
“Ja”
“Ortsteil?”
“Sieker”
“Wie alt”
“17″
“Gut. Komm vorbei. Offene Sprechstunde immer donnerstags 17 bis 20 Uhr, Adresse hast Du?”
“Ja, glaube schon …. Ich habe da so nen Zettel zum Unterschreiben …”
“Wohl das erste Mal, was? Den bringst Du mit, Du bekommst Deine Unterschrift über die Unterweisung am Ende der Beratung. Noch Fragen?”
“Nee … Ich komme dann am Donnerstag.”
“Na dann bis Donnerstag und Kopf hoch. Wird schon!”
“Hmmm …. tschüss.”

Nach einem richtigen Scheißtag in der Firma, einem Tag, der mindestens genauso scheiße war, wie der gestrige Scheißmittwoch oder der vorgestrige Scheißdienstag, nach einem dieser Scheißdonnerstage, die sich in ihrem scheiße Sein in nichts von allen anderen Scheißtagen unterscheiden, machte sich Kevin auf zur scheiß Drogenberatung. Er hatte sowas von keinen Bock und sich daher vorgenommen, es möglichst kurz zu halten. Er würde sich von so einem Sozialfuzzi zulabern lassen, würde zu allem Ja und Amen sagen und zugeben, dass Kiffen total schlimm sei, er es daher nie wieder machen würde. Er hoffte, so seine Anwesenheit auf maximal zehn Minuten begrenzen zu können, denn er wollte sich anschließend mit den Jungs im Park treffen, um sich dort zur Entspannung noch die ein oder andere Tüte und ein paar Bier zu gönnen. Kevin drückte auf die scheiß Drogenberatungsklingel. Die Tür wurde geöffnet und Kevin trat ein.
“Hallo, was können wir für Dich tun?” Kevin erkannte die Frauenstimme vom Telefon.
“Ja also …. ich wollte mal so eine Beratung”
“Alkohol oder illegal?”
“Also eigentlich illegal, glaube ich …”
“Was heißt, glaubst Du? Für Alkohol sind wir nicht zuständig. Nur illegal. Brauchst Du eine Unterschrift für die Schule?”
“Nee, Ausbildung …..”
“Kiffen?”
“Nur einmal …”
“Geschichten kannst Du gleich erzählen, ich mache nur die Termine. Nimm Platz, es kommt jemand und holt Dich ab.”
“Mist”, dachte Kevin, als ihm klar wurde, dass er hier nach zehn Minuten nicht raus käme. Nach einer Wartezeit von zwanzig Minuten öffnete sich eine Tür und ein Mann trat auf Kevin zu. Mitte fünfzig, langes, graues Haar, hohe Stirn, ausgebeulte Cordhose, ärmellose Filzweste über weitgeschnittenem Hemd. “War ja klar, ein Ökofreak”, dachte Kevin, hoffte aber, mit der Mitleids- und der Ich-tue-es-echt-nie-wieder-Masche den Alten um den Finger wickeln zu können. Auf jeden Fall war ihm die Unterschrift sicher, das wusste er sofort.
“Sie kommen zur Beratung?”
“Hmm, ja schon.”
“Duzen oder Siezen?”
“Du ist schon ok.”
“Gut, ich bin der Helmut. Dann komm mal mit. Willst Du einen Kaffee?”
“Nee.”
“Ich nehme mir einen, wenn Du nichts dagegen hast.”
Kevin hatte nichts dagegen, es war ihm scheißegal. Helmut goss sich einen Kaffee ein, nahm kräftig Zucker und ein wenig Milch und ging schließlich Kevin voran in ein kleines Büro, dessen Tür er schloss, nachdem beide eingetreten waren.
“Setz Dich.”
Kevin tat’s, Helmut setzte sich ebenfalls und nahm einen Schluck Kaffee.
“Lass mich erst einmal sagen, dass hier alles vertraulich ist. Nichts verlässt diesen Raum. Wenn Du willst, können wir die Beratung auch anonym durchführen, aber es wäre natürlich schön, wenn ich Dich mit einem Namen ansprechen könnte. Wie heißt Du denn?”
“Kevin.”
“Schön, Kevin. Bevor wir zum Thema kommen, lass uns noch den Statistikbogen ausfüllen. Das ist für unsere interne Auswertung. Weißt ja, Kostendruck und so.” Er führte seine Tasse zum Mund. Kevin versuchte ein wissendes Lächeln, obwohl er keine Ahnung hatte, wovon Helmut sprach. “Schon ok.”
“Also, Kevin, hier aus Bielefeld?”
“Ja”
“Wann geboren?”
“26.1.1996″
“Gehst Du noch zur Schule?”
“Nein, Ausbildung.”
“Wo denn?”
“Autohaus Koslowski”
“Sagt mir was. Zum ersten Mal hier?”
“Ja, schon …”
Helmut nahm einen Schluck Kaffee, nachdem er die Information eingetragen hatte.
“Was konsumierst Du denn?”
“Wie? Konsumierst?”
Helmut nippte am Kaffee und sagte: “Okay, Entschuldigung. Nehmen. Was nimmst Du?”
“Ich nehme nichts.”
“Gut, nochmal anders: Wer schickt Dich und warum?”
“Ich schwör, es war echt nur einmal! Ich habe nur mal dran gezogen, weil der Lukas gesagt hat, ich soll mal an der Tüte ziehen und dann kam der Müller aus der Werkstatt und hat uns gesehen und ist voll abgegangen.”
“Kevin, Mensch, Du bist ja total angespannt. Also: Du hast einen Joint geraucht?”
“Nur einmal. Ich habe echt kein Problem mit Drogen und so.”
Helmut lächelte, griff nach seiner Kaffeetasse und meinte: “Klar, hier haben alle kein Problem mit Drogen. Nur ohne wird’s manchmal schwierig.”
“Ne, echt jetzt. Es war echt das erste Mal und ich mache es auch nie wieder. War ja voll krass, wie der Müller abging und so.”
“Also Kevin, Du hast Cannabis konsumiert. Nimmst Du noch andere Drogen?”
“Nee, nur Joints Und echt total selten.”
“Hast Du mal über Konsumreduktion nachgedacht?”
“Nee… was ist das? Echt nur Joints!”
Helmut warf einen Blick in seinen Kaffeetasse. Sie war inzwischen leer.
“Willst Du vielleicht nen Kurzen? Bier ist leider alle.”
“Nee, jetzt doch nicht.”
“Hast aber nichts dagegen, wenn ich einen nehme, oder?”
Es war Kevin nach wie vor scheißegal, aber er fand es irgendwie komisch, als Helmut aufstand, zum Schreibtisch ging und mit einer Flasche Jägermeister und zwei Gläsern in der Hand zurückkam.
“Ist das normal hier mit dem Kurzen?” wollte Kevin wissen.
“Ist doch schon nach vier. Nur falls Du es Dir doch noch überlegst”, meinte Helmut, während er ein Glas für sich füllte und eins vor Kevin stellte. “Gut für den Magen wegen der Kräuter und so.”
“Das ist bestimmt irgendein Trick”, dachte Kevin, der sich vornahm eisern zu bleiben, obwohl ihm so ein Kurzer jetzt schon gut reingelaufen wäre.
“Okay… wie war das mit dem Joint?”
“Also der Müller …”
“Das ist Dein Ausbilder?”
“Ja, der hat das halt gesehen und ist abgegangen wie Sau. Wollte mich erst rauswerfen aber dann kam der mit ‘letzter Chance’ und so. Ich sollte zur Drogenberatung, weil er meint, in der Schule wäre ich auch scheiße, weil ich immer drauf bin.”
“Und? Bist Du immer drauf?”, wollte Helmut wissen, der sich noch einen Kurzen einschenkte.
“Nein, überhaupt nicht! Nur manchmal halt einen Joint. Meistens abends.”
“Aber dann auch mal während der Arbeit.”
“Nur ausnahmsweise. Weil der Lukas zufällig was dabei hatte.”
“Der hatte zufällig was dabei?”
“Naja, meistens hat der was dabei ….”
Helmut nahm noch einen Kurzen. Kevin überlegte, ob er auch einen trinken sollte, glaubte aber immer noch an einen fiesen Sozialarbeitertrick, der nur das Ziel hatte, ihn zu überlisten.
“Hast Du denn auch immer mal was dabei?” fragte Helmut.
“Nein!”
“Aber ich. Sollen wir einen bauen?”
“Wir können doch hier keinen bauen!”
“Warum denn nicht? Bleibt doch alles unter uns. Schweigepflicht und so.” Helmut lachte einen kleinen Tick zu laut. “Gib mal Papers.”
Kevin zog sein Zigarettenpapier aus der Hosentasche und zählte drei Stück ab. Helmut klebte sie gekonnt aneinander, öffnete eine Dose, die er Kevin unter die Nase hielt.
“Gab’s keine langen? Riech mal, feinstes Zeug. Ist sogar bio, selbst angebaut. Kein Dünger, nichts. Nur Brennesseljauche. Willst Du echt nicht?”
“Nee….”
“Na gut, dann nicht.” Helmut zündete seinen Joint an, inhalierte tief und lehnte sich zurück. “Mach mal bisschen Mucke. Musst nur hinter Dir auf dem PC den Media-Player anwerfen.”
Kevin drehte sich zum Schreibtisch. Auf dem Monitor sah er nur eine Tabelle mit Namen.
“Hier ist kein Media-Player.”
“Du musst erst die Kliententabelle zumachen. Moment… was ist der erste Name, der da steht?”
“Özgül”
“Klick mal drauf.” Helmut zog am Joint und schenkte sich noch einen Jägermeister ein.
“Da geht ein Fenster auf.”
“Schon klar. Was steht da?”
“Hat Hep. C. Wegen Interferon mal mit Arzt sprechen.”
“Okay, wollte ich heute machen, hab’s aber vergessen. Der war übrigens auch mal in Deiner Firma. Cooler Typ, kennst Du bestimmt vom Sehen. Kannst alles zumachen. Mache ich dann vielleicht morgen. Mach jetzt Mucke.”
Kevin klickte und “The Doors” füllten lautstark den Raum. Helmut, Kopf im Nacken, grinste und zog nochmals an seiner Tüte.
“Willst Du echt nicht? Ist gutes Gras.”
“Nein. Aber kann ich jetzt meine Unterschrift haben?”
“Machen wir gleich. Hast Du schon mal so geile Musik gehört? Voll der Klang, über das ganze Spektrum. Das gibt’s heute gar nicht mehr. Boahwoww …” Helmut spielte einen Moment Luftgitarre im Sitzen. Dann versank Helmut mehrere Minuten in der Musik.
“Was hörst Du denn so?”
“Mehr so Hip-Hop.”
“Ist auf Gras auch cool. Hast Geschmack, Junge!” Schweigen.
” Weißt Du, guter Geschmack ist eigentlich schon der Sinn des Lebens.” Beide schwiegen einen etwas ausgedehnteren Augenblick, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
“Hast Du da mal drüber nachgedacht? Ich meine, über den Sinn des Lebens? Nee? Das ist echt wichtig. Man muss seinem Leben Sinn geben, Sinn entdecken.” Helmut versank wieder in sich.
“Weißt Du, eigentlich ist der Sinn überall, man sieht ihn nur oft nicht. Verstehst Du? Nein? Ich dachte, Du kiffst ganz gern. Passiert da nichts bei Dir? Wäre ja schade um das Zeug.”
Kevin nahm allen Mut zusammen: “Wollt noch mal wegen der Unterschrift fragen.”
“Was bist Du denn für ein Stresser? Mach Dich mal locker. Ist doch gerade total easy hier alles. Willst Du vielleicht ein Benzo zum Entspannen? In der Schublade sind welche, kannst Dich bedienen. Aber stress hier nicht rum.”
Wieder erfüllte Schweigen den Raum, das durch die Musik noch greifbarer wurde.
“Ich glaube, ich gehe dann mal …”
“Jetzt warte doch mal fünf Minuten. Ich bin jetzt gerade echt zu breit für Unterschriftenkram. Gib mir einen Moment. Oder besser noch, hol mal die Brigitte her.”
“Wer ist Brigitte?”
“Die vom Empfang.”
“Aber Du bist doch total zugedröhnt.”
“Eben! Hol sie.”
Kevin stand auf, ging zur Tür und öffnete. Brigitte stand vor der Tür, Kevin hatte den Eindruck, sie hätte gelauscht.
“Helmut will was.”
“Ich kann mir auch schon denken was”, sagte Brigitte und wedelte mit ihrer Hand vor der Nase, um den Cannabisgeruch zu vertreiben. “Riecht ja heftig.”
“Brigitte, komm rein. Ich bin total breit und der junge Mann will seine Unterschrift. Haben wir noch was von dem Coca, damit ich wieder auf die Beine komme?”
“Ein bisschen ist noch da, aber für drei reicht es nicht. Ist ja schon Donnerstag und Du weißt, was hier die Woche los war.”
“Willst Du eine Line”, fragte Helmut an Kevin gewandt.
Kevin verneinte.
“Der will nichts, der hat alles abgelehnt bisher. Ich weiß gar nicht, was der hier soll. Mach für uns, Brigitte.”
Brigitte zog eine kleine Schachtel aus ihrer Jackentasche und schüttete das weiße Pulver auf Helumts Schreibtisch, unterteilte es mittels einer Visitenkarte der Drogenberatungsstelle auf zwei kleine Häufchen, die sie dann zu vier weißen Linien formte. Mittels eines Röhrchens zog sie eine Linie in das eine, die andere Linie in das andere Nasenloch, um das Röhrchen dann an Helmut zu reichen, der ebenso verfuhr. Zum Schluss schniefte er das Pulver noch mal kräftig in der Nase hoch. “Das tut gut, was? Bringt einen wieder auf die Beine. Was ist das eigentlich für eine Unordnung hier. Überall Akten, Akten, Akten. Bin ich Beamter? Ich arbeite kreativ, frei! Ohne Korsett, Morgen kommen die Akten hier raus, Brigitte.”
“Lass uns was unternehmen, bisschen Bewegung, tanzen wäre toll”, war ihre Antwort.
“Und das war jetzt echt der Rest?” wollte Helmut wissen.
“Ja, ab jetzt nur noch Speed. Davon ist aber genug da.”
“Mensch, Kevin, Du bist ja noch da. Bist echt ein cooler Typ. Lass uns feiern gehn. Ist Feierabend hier für heute.”
Helmut hakte sich bei Brigitte unter. Die beiden zogen Richtung Ausgang.
“Nimm noch ein paar E mit. Nur so für den Fall”, hörte Kevin Brigitte zu Helmut sagen.
“Was ist mit meiner Unterschrift?” rief Kevin den beiden nach.
“Komm einfach morgen wieder. Geht auch ohne Termin. Und mach die Tür zu, wenn Du gehst.”

Kevin saß noch etwa zehn Minuten allein in Helmuts Büro und dachte nach. Dann stand er auf und ging. “So ein Mist!”
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Sucht sucht Hilfe

Na ja, einer der es auf der Drogenberatung mit zugedröhnten Beamten zu tun bekommt. Soll vorkommen, hat was, ist grotesk und traurig gleichermaßen. Hast für meine Begriffe aber etwas arg mit der verdrehten Welt übertrieben und somit dem satirischen Potential dieses Stoffes den Wind aus den Segeln genommen.

Mir fehlt noch eine Spur mehr glaubwürdige Situationskomik und eine Pointe, die der Geschichte am Ende ein Aha-Erlebnis beschert oder der Drogenszene im Allgemeinen einen Spiegel vorhält. Ist mehr eine Schilderung des Elends der jungen Konsumenten, die durch die Hilflosigkeit der staatlichen Institutionen allein gelassen werden.

Trotzdem herzlich willkommen auf der Leselupe. Bin gespannt, wie andere diesen nicht ganz einfach zu schildernden Ausflug in das Genre „Sucht mit Humor“ beurteilen.

Es grüßt der Ironbiber
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Thema satirisch zu verpacken ist echt schwer. Der Ansatz ist aber nicht schlecht. Das Ganze ist allerdings viel zu lang. Ich würde den Beamten das Gespräch mit Kevin abbrechen lassen und ihn zu A...i schicken, wenn er Kokain braucht. (Realsatire: In Berlin wurde dort heute Stoff in Bananenkisten gefunden.)

LG Doc
 
Danke für die Rückmeldung,

es ging mir gar nicht um eine Pointe oder ein Aha-Erlebnis, sondern um das Abdriften ins Absurde. Das hätte ich vermutlich noch deutlicher herausarbeiten müssen.
 



 
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