Junger Morgen

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Cafard

Mitglied
Am späten Abend setzte ein heftiger Regen ein, wir saßen unter einer weit ausladenden Markise, wir saßen geschützt. Ich entschloss mich, den Mund zu halten, zu schön war die ganze Szenerie, um weiter über die Technik zu reden, einen Hummer zu essen. Obschon ich es war, der dieses Thema angeschnitten hatte, die Herrschaften stürzten sich darauf, als wenn es kein schöneres Thema gäbe.

Alsbald wurde ich gefragt, was mein Schweigen zu bedeuten hätte, ich erklärte es mit dem Bild, in dem wir saßen, der starke Regen mache mich andächtig; das wurde akzeptiert, ich fühlte mich gut. Als der Regen nachließ, ging ich heim, ich aß noch ein Brot mit rohem Schinken, dann schlief ich bis zum Morgen. Einer von den Morgen, in dem die Sonne sich andeutet, wenn man im dunstigen Licht danach sucht.

Die Erholung der Nacht führte mich früh in die Straßen des Viertels, der kleinere von den beiden Chefs des Eiscafés kehrte die Terrasse. Er kehrte und sang, er mag Opern, zum Beispiel mag er den Figaro, er kehrte die Terrasse und besang den Figaro. Ich muss nicht erwähnen, wie sehr ich so etwas liebe, wo ich doch an sich keine Opern mag.

Mein Weg führte mich zum Bauernmarkt, Bauer Graf verkauft dort Gurken und Rote Bete; in solchen Gläsern eingemacht, wie damals die von Tante Gertrud. Die Rote Bete, die ich neuerdings stehend in der Küche esse, leicht barbarisch direkt aus dem Glas. Ich hatte Lust, den Verkäufer zum Lachen zu bringen, ich sagte, meine Tante hätte mich damit ewig gequält, ich hätte Jahrzehnte keine Rote Bete mehr gemocht und nun sei der Bann gebrochen. Er lachte, seine Kollegin lachte auch, die wartenden Kunden lachten ebenfalls, es kam mir vor, als wenn man mir die Wahrheit glaubte.

Auf dem Rückweg traf ich Stratos, inzwischen verkauft er Dips aus der Nähe von Athen, gestern war ich bei ihm, er empfahl mir einen Dip aus Erbsen und Minze, ich war unentschlossen, ich wählte einen Dip aus Auberginen und einen anderen aus Tomaten und rotem Pfeffer, aber dann ließ ich mich auf seine Empfehlung ein: Ich wagte mich an Erbse und Minze heran, ich fabulierte einen heißen Sommertag herbei, ein Tag, der so unerträglich heiß ist, dass man nichts essen kann, nichts außer diesem erfrischenden Dip aus der Nähe von Athen, in der Glut des Sommers ein wie erlösender Geschmack.

Stratos lachte, auch ihn hatte ich zum Lachen gebracht, es ist ein schönes Gefühl, wenn man Leute zum Lachen bringen kann. In weiten Teilen Griechenlands könnte diesem Dip eine wichtige Bedeutung zukommen; wenn die Hoffnung auf die Hoffnung stirbt, tröstet vielleicht ein geröstetes Brot mit Erbse und Minze. Doch wer bekommt das Zeug zu essen? Wir hier in dem Viertel, die wir keinen Trost brauchen, wir sind unverschämt gut versorgt.

Wir können unser Leben nach Belieben steigern, wir können einem Opernsänger beim Kehren zusehen, wir können unter schützenden Markisen dem Starkregen zusehen, wir können dabei Rosé trinken und über so eine Scheiße reden, wie man fachgerecht einen Hummer verspeist, wir sind vom Leben verwöhnt, wir können Leute zum Lachen bringen, wenn wir von Tante Gertrud erzählen, wie sie mich gequält hat.

Ich wollte sie nicht enttäuschen, sie hat es gutgemeint, sie hat immer gesagt, wie gesund Rote Bete doch sei, nur leider hat sie nicht erlebt, wie ich das Abitur geschafft habe, sie hätte es womöglich auf ihre Sorge um mich zurückgeführt, ich lebte mehr bei ihr als daheim, und sie meinte es wirklich gut mit mir. Könnte sie mir aus dem Himmel zusehen, wie unfein heute der Bub das Eingemachte ißt, dann dürfte sie sich fragen, wozu eigentlich so ein Abitur etwas nützt.

Ich kann darauf keine Rücksicht nehmen, sie hat auch keine Rücksicht genommen, immer und immer wieder diese Rote Bete, und ich habe mich nicht gewehrt. Es ist meine süßsaure Rache, wie ich stehend in der Küche aus dem Glas esse und nicht an ihrem bürgerlichen Tisch.

Als wenn Rache so etwas Harmloses wäre, ich sollte über mich selbst lachen, das wird dringend empfohlen.
 

Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
So vielleicht!

Am späten Abend setzte ein heftiger Regen ein. Wir saßen geschützt unter einer weit ausladenden Markise. Ich entschloss mich den Mund zu halten. Zu schön war die ganze Szenerie, um weiter über die Technik 'wie man einen Hummer' ist, zu reden. Obschon ich es war, der dieses Thema angeschnitten hatte, stürzten die Herrschaften sich darauf, als wenn das ihre wäre.

Alsbald wurde ich gefragt, was mein Schweigen zu bedeuten hätte. Ich erklärte es ihnen anhand des Bildes, das uns umgab.Der starke Regen machte mich andächtig; das wurde akzeptiert. Ich fühlte mich gut. Als der Regen nachließ, ging ich heim. Ich aß noch ein Brot mit rohem Schinken, dann schlief ich bis zum Morgen. Einer von jenen Morgen, an dem sich die Sonne andeutet, wenn man im dunstigen Licht danach sucht.

Die Erholung der Nacht führte mich früh in die Straßen des Viertels. Der kleinere von den beiden Chefs des Eiscafés um die Ecke kehrte die Terrasse. Er kehrte und sang eine Arie. Er mag Opern, zum Beispiel mag er den Figaro. So kehrte er vor sich hin und besang den Figaro. Ich muss erwähnen, dass ich es sehr liebte, dieses Bild, diesen Gesang, wo ich doch an sich keine Opern mag.

Mein Weg führte mich zum Bauernmarkt, Bauer Graf verkauft dort Gurken und Rote Bete, in Gläsern eingemacht, wie damals die von Tante Gertrud. Die Rote Bete, die ich neuerdings stehend in der Küche esse, leicht barbarisch direkt aus dem Glas. Ich hatte Lust, den Verkäufer zum Lachen zu bringen und so sagte ich, meine Tante hätte mich mit roter Beete ewig gequält. Jahrzehnte hätte ich keine mehr gemocht und nun sei der Bann gebrochen. Er lachte, seine Kollegin lachte auch. Die wartenden Kunden lachten ebenfalls.

Auf dem Rückweg traf ich Stratos. Er verkauft Dips aus der Nähe von Athen. Gestern war ich bei ihm. Er empfahl mir einen Dip aus Erbsen und Minze, ich war unentschlossen, wählte einen Dip aus Auberginen und einen anderen aus Tomaten und rotem Pfeffer, aber dann ließ ich mich auf seine Empfehlung ein. Ich wagte mich an Erbse und Minze heran, fabulierte einen heißen Sommertag herbei, einen Tag, der so unerträglich heiß ist, dass man nichts essen kann, nichts außer diesem erfrischenden Dip aus der Nähe von Athen. In der Glut des Sommers ein erlösender Geschmack.

Stratos lachte! Auch ihn hatte ich zum Lachen gebracht. Es ist ein schönes Gefühl, wenn man Leute zum Lachen bringen kann. In weiten Teilen Griechenlands könnte diesem Dip eine wichtige Bedeutung zukommen, meinte ich zu ihm. Wenn die Hoffnung auf Hoffnung stirbt, tröstet vielleicht ein geröstetes Brot mit Erbse und Minze.

Wir können unser Leben nach Belieben steigern. Können einem Opernsänger beim Kehren zusehen, unter schützenden Markisen dem Starkregen trotzen, dabei Rosé trinken und über so eine Scheiße reden, wie man fachgerecht einen Hummer verspeist. Wir sind vom Leben verwöhnt, können Leute zum Lachen bringen, wenn wir von Tante Gertrud erzählt.

Ich wollte sie nicht enttäuschen. Sie hat es gut gemeint, hat immer gesagt wie gesund Rote Bete doch sei. Leider hat sie nicht erlebt wie ich das Abitur geschafft habe. Sie hätte es womöglich auf ihre Fürsorge um mich zurückgeführt Ich lebte mehr bei ihr als daheim, und sie meinte es wirklich gut mit mir. Könnte sie mir aus dem Himmel zusehen, wie unfein heute der Bub das Eingemachte ißt, dann dürfte sie sich fragen, wozu eigentlich so ein Abitur etwas nützt.
 

Cafard

Mitglied
Ganz ehrlich empfinde ich es als eine Ehre, wenn ein Leser sich meinem Text so interessiert widmet, dass er eine eigene Version davon schreibt, das ist ganz wunderbar! Nur bin ich kein Schreiber, der sich um so etwas wie Satzlehre Gedanken macht, stattdessen verhält es sich so: Ich erlebe gewisse Dinge, komme heim, setze mich hin und texte unmittelbar und ungepflegt den Eintrag ins Tagebuch, ebendann kommt so etwas wie Junger Morgen dabei raus, und nur so geht mein Schreiben, das ist mein Zugang zu diesen Dingen, und ohne jeden Anspruch oder Ehrgeiz. Aber wirklich ein Danke an Otto Lenk und sorry für die späte Reaktion, hatte das Feedback grade erst entdeckt. Schöne Grüße von Cafard
 



 
Oben Unten