Kälte

Kälte

Sie lag auf der Parkbank. Betrachtete die Sterne. Wie schön sie sind, die Sterne, wie strahlend. Mal rund und mal eckig. Mal ganz groß, dann wieder klein. Wie schön sie doch sind. Leuchten durch den Nebel. Dichter weißer Nebel. Weiße Schwaden voller weißem Nebel. Wie Schlieren von Öl auf der Straße. Sie liebte diesen Nebel. Versteckte sich darin. Der Nebel schwamm in ihrem Kopf und auf ihren Augen.
Ohne bestimmtes Ziel schweiften sie über den Himmel. Ausdruckslos. Verschleiert. Schöne Sterne. Was für schöne Sterne. Ihr Atem zeichnete sich in der Luft ab. Weiße Wölkchen. Sie blies sie zum Himmel. Der sagte nichts. Sag was, sagte sie. Er sagte nichts. Bist du dumm? Er schwieg weiter. Dann nicht. Dann sei eben still. Still! Sie schlug mit der Hand nach dem Himmel. Geh weg. Er ging nicht. Laß mich. Geh weg. Er ging nicht. Er war nur kalt. So kalt.
Ihre Hand zitterte. Sie blies ihren Atem in die Kälte. Weiße Wolken stoben davon. Sie tastete nach ihren Sachen. Ihre Finger griffen nach der Flasche. Schraubten den Deckel ab. Sie trank.
Die Flasche entglitt ihren Fingern. Sie fiel auf das Gras. Ein paar Tropfen sickerten heraus. Ihre Hände zitterten stärker. Ihr Körper rutschte auf der Bank in sich zusammen. Der Himmel wurde kälter. Der Körper unter ihm zitterte heftig. Was soll das? Werde warm! Der Himmel antwortete nicht. Ein dünner Nebelstreifen zog über die Sterne. Ein kleines Lächeln des schwarzen Himmels. Was lachst du? Was gibt es da zu lachen? Hör auf! Sie schlug mit der Faust nach dem Himmel. Lach nicht! Hör auf! Laß mich! Geh weg! Verschwinde!
Sie kreischte wild. Sie hob die Hände, die Nägel wie Krallen. Sie kratzte den Himmel. Sie schlug nach ihm. Sie trat. Sie kreischte. Der Himmel sagte nichts. Sag was! Sag was! Ein plötzliches Schluchzen. Sag doch was! Leiser, traurig. Tränen liefen über ihre Wange. Auf der Bank rutschte sie weinend zusammen. Sag was. Hilf mir. Der Himmel war nur kalt. Sag was, hörst du? Ihre Stimme wurde leiser. Immer leiser. Hilf mir. Sie flüsterte. Du trägst doch die Sterne. Die wunderschönen Sterne. Noch leiser. Warum nicht mich? Sag mal? Laß mich ein Stern sein! Der Himmel sagte nichts. Er schwieg. Sie schwieg auch. Sie zitterte nur.
Ihre Hand suchte etwas. Sie fand es nicht. Ihre Fingerspitzen waren schon blau. Sie zitterte weniger. Irgendwann hörte es ganz auf. Ihre Augen starrten den Himmel an. Er war kalt.
Der Körper rutschte von der Parkbank. Dumpf schlug er auf den Boden. Verdreht blieb er liegen. Die starren Augen blickten ins Gras und sahen den Himmel. Er schwieg noch immer.

Als das weiße Licht ihrer Taschenlampe den blassen Körper bläulich erscheinen ließ, trat die Frau einen Schritt näher. Sie trug eine Uniform. Sie stieß den Körper mit dem Fuß an. Er rollte auf den Rücken. Die starren Augen blickten in den Himmel. Die Frau nahm einen schwarzen Kasten vom Gürtel. Sie sprach hinein. Ich hab schon wieder eine. Wahrscheinlich Drogen. Ja. Kommt sie holen. Sie steckte den Kasten weg und stieg über den Körper der Frau. Sie setzte sich auf die Parkbank. Die Augen der toten Frau blickten an ihr vorbei in den Himmel.
Sie war ihre Schwester. Der Himmel über ihr war kalt.
 



 
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