Käsetage

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majissa

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Käsetage

Es ist eine Tatsache, daß die Gastfreundschaft auf Kreta groß geschrieben wird.

”Man kann dort nicht verhungern”, sagte Svenja, eine Freundin, die zwei Jahre auf Kreta gelebt hatte. Der Liebe wegen warf sie kurzerhand in Deutschland alles über Bord und ging nach Chania, wo sie ein Jahr im Hotel ihrer großen Liebe arbeitete, die Sprache lernte und jeden Tag nach Strich und Faden verprügelt wurde.

”Gut, es war nicht die Liebe, die ich suchte, aber eines muß ich dir sagen: Obwohl sie dich windelweich prügeln, füttern sie dich hinterher, damit du bei Kräften bleibst. Was das Essen angeht, verstehen sie keinen Spaß”, erklärte sie mir später.

Damals schob ich diese seltsame Philosophie auf die Nachwirkungen der schrecklichen Erlebnisse, mit denen Svenja konfrontiert worden war. Heute weiß ich, was der Kreter denkt: Wer nicht fortwährend ißt, hat irgend etwas zu verbergen. Wenn ich in Chania bin, besuche ich in der Regel meine Freundin Poppi, die eine hervorragende Köchin ist und ihr Herz am rechten Fleck hat. Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, unangemeldet zu erscheinen, damit sie keine Chance hat, 7 Lämmer zu schlachten, 4 Hühnchen zu köpfen und den gesamten Salat- und Gemüsebestand aus dem nahegelegenen Omalosgebirge eigenhändig abzuernten, nur damit ich eine Kleinigkeit zu mir nehmen kann.

”Kind, du ißt wie ein Vögelchen!” jammerte sie einmal, rieb sich ihre Hände an der weißen Schürze ab, die sie immer trägt, wenn sie ein Festessen zubereitet, und überhäufte meinen Teller mißmutig mit 120 kleinen gebratenen Fischen, von denen mir schon ein einziger Kopfzerbrechen bereitet, weil ich prinzipiell nichts esse, was mich vom Teller aus mit toten Augen anglotzt. Ich habe keinen empfindlichen Magen und mittlerweile habe ich gelernt, die Eigenheiten der griechischen Küche zu akzeptieren, sogar zu lieben. Doch alles, was in der Schüssel noch halb lebt und denkt, lehne ich entschieden ab. Bis heute kann ich kein Ziegenhirn essen, auch wenn es eine Delikatesse ist und nur für den Gast bestimmt ist. Bei größeren Festen, wenn Menschen und Mahlzeiten gleichermaßen unübersichtlich sind, habe ich eine kleine Lupe zur Hand, die mir anzeigt, was auf den riesigen Fleischplatten in irgendeiner Form an Kopf oder Innerei erinnert.

Wenn man langsam ißt, kann man Unmengen in sich aufnehmen. Der Nachteil ist, daß immer Nachschub kommt. Ich frage mich, wie die Griechinnen es schaffen, schlank zu bleiben. Eine Zeitlang war ich überzeugt, daß sie das Essen heimlich in ihrer Handtasche verschwinden lassen, doch den Gedanken verwarf ich wieder, als ich feststellte, daß die Frauen in Keratokampos und Kastri keine Handtaschen mit sich führen. Also stecken sie die Frikadellen in den Ausschnitt, den Ziegenkäse zwischen Fuß und Sandalensohle und die Fische...ja, wohin stecken sie die Fische, dachte ich. Da kamen mir die Katzen in den Sinn, die immer an den Tischen zugegen sind und hungrig maunzen. Den Fisch also zu den Katzen und das Lammkotelett in den Hosenbund, dachte ich weiter. Zu meiner Scham muß ich gestehen, ein einziges Mal etwas in meinem Hosenbund versteckt zu haben. Es war ein Spiegelei. Das letzte von 5 Spiegeleiern, die ich unter der strengen Aufsicht einer weiteren Freundin in Chania vertilgen mußte. Erst, als sie sich einmal kurz umdrehte, um zu husten, griff ich nach dem Ei und ließ es blitzschnell verschwinden. Es war eine schlechte Idee und eine einzige Sauerei.

Doch nichts fürchte ich mehr als die Zeit des Käse. Je härter und penetranter er schmeckt, um so besser. Perikles ist Käsespezialist und der Oktober ist seine Käsezeit. Obwohl ich ihn schon sehr lange kenne und um seine Leidenschaft weiß, tappe ich immer wieder in die Käsefalle. Wenn der Abend gerade schön wird, der Wein seine Wirkung zeigt und der Vollmond auf dem Meer seine silberne Straße zeichnet, wenn man restlos glücklich und über beide Ohren satt ist, springt Perikles auf, kramt aus irgendeiner gefürchteten Ecke eine Plastiktüte hervor und leert sie mit einem Schwung über einen großen Teller, der wie aus dem Nichts aufgetaucht ist. Dort liegen dann die dicken, harten gelben Scheiben eines undefinierbaren Käse, der einem schon beim Anblick im Halse steckenbleibt.

”Das ist mein Käse”, sagt Perikles stolz. ”Der Beste! Probiert, nur keine Scheu!”

Es ist wie verhext. Alle am Tisch drücken sich gleichzeitig auf den Magen, um zu demonstrieren, wie satt sie sind. Seltsamerweise werden sie auch verschont. Nur ich scheine immer wieder einen hungrigen Eindruck zu erwecken. Drohend lugen die Käsescheiben über den Tellerrand. Es entsteht eine bedrohliche Stille. Wenn ich es einmal schaffe, davon abzulenken und mich gekonnt dem ein oder anderen Thema in griechischer Sprache zuwende, spickt Perikles den Käse kurzerhand auf eine Gabel und schiebt ihn mir liebevoll während meines Ablenkungsmanövers in den Mund. Und dann kaue und kaue ich, quetsche und beiße, aber das verdammte Stück wird nicht kleiner und fühlt sich wie Gips in meinem Mund an. Mit viel Wein und Wasser läßt sich das Stück schließlich wenigstens in zwei Teile trennen, die ich rechts und links hinter meine Backenzähne zwänge und dort deponiere, bis ich sie beim nächsten Gang auf die Toilette in irgendeinem Gebüsch verschwinden lassen kann. Lehne ich mich dann erlöst zurück auf meinem Stuhl mit seltsam aufgeblähten Backen, kommt ein finsterer Seitenblick und die Frage:

”Na, wie schmeckt es, ist der Käse nicht gut?”

Wieder diese Stille, und man ist in einer furchtbaren Zwickmühle. Ein ”Nein” wäre unhöflich und ein ”Ja” würde mindestens einen weiteren Teller Käse zur Folge haben. Im letzten Jahr war ich jedoch vorbereitet. Wieder einmal saßen wir mit Perikles in einer geselligen Runde. Das Essen lag hinter uns, das Meer rauschte neben uns, die Leute unterhielten sich angeregt, und nichts konnte meiner Zufriedenheit etwas anhaben. Und dann geschah es wieder: Perikles sprang auf. Zuerst dachte ich, er würde beginnen, zu tanzen. Doch er ging in sein Haus und kramte in einer seiner hintersten Ecken. Zurück kam er mit einem schweren Eimer, in dem man grobkörnige weiße Berge aus Käse erkennen konnte. Innerlich schrie ich verzweifelt auf und mußte blaß geworden sein, denn mein Mann fühlte besorgt meinen Puls. Perikles klopfte glücklich auf seinen Eimer, blieb neben mir stehen und sagte stolz:

”Den mußt du probieren, den habe ich selbst gemacht! Er stammt von Wildziegen.”

Er öffnete den Eimer, aus dem der Geruch einer ganzen Ziegenherde entwich und klatschte einen großen Schwung der weißen Masse auf einen freien Teller vor mir. Alle anderen am Tisch drückten sich entschuldigend auf den Magen. In die bedrohliche Stille hinein flüsterte ich mit Bestimmtheit:

”Danke, Perikles, aber mein Dermatologe hat mir im letzten Jahr eine irreparable Käseallergie diagnostiziert. Wenn du möchtest, daß ich gesund bleibe, dann wirst du verzeihen, wenn ich ablehne.”

So, dachte ich. Das hat gesessen. Dem kannst auch du nichts entgegensetzen. Böse grinste ich in mich hinein.

”Ha, Ha, netter Versuch!” lachte Perikles und belehrte mich eines Besseren.

”Die Ärzte wissen nichts. Wir haben die beste Milch und das hier ist der gesündeste Käse, den du je gegessen hast. Glaubst du mir etwa nicht? Wenn du mich nicht beschämen willst, dann probierst du ein Stückchen! Ich verspreche, es wird dir danach sehr gut gehen!”

”Komm, stell dich nicht an, iß es doch!” fiel mir nun auch mein Mann in den Rücken und alle anderen schauten mich erwartungsvoll an. Perikles Frau lächelte mich voller Mitleid an und sagte:

”Ich mag diesen Käse nicht. Er brennt im Hals!” Dann riet sie mir: ”Iß ihn mit Brot, dann ist es nicht so schlimm.”

Mir blieb nichts weiter übrig, als zuzugreifen, und es war mit Brot genauso schlimm wie ohne Brot. Ich aß und aß und es brannte im Hals, im Gaumen und 3 Tage später noch im Magen. Als ich höflichkeitshalber den halben Eimer geleert hatte, lehnte ich mich erschöpft und todkrank zurück. Später am Abend schrie Perikles mich unvermittelt an:

”Iß Gurken, Mädchen, iß Gurken, du ißt keine Gurken!”

”Ich esse Gurken, Perikles, ich esse fortwährend Gurken, siehst du das denn nicht?” schrie ich fast hysterisch zurück und spickte mir wie befohlen sofort zwei große Gurkenstücke auf die Gabel.

Als das Schwindelgefühl am nächsten Tag endlich nachgelassen hatte und ich das Bett gegen 17.00 Uhr verlassen konnte, schwor ich mir, mich das nächste Mal durchzusetzen. Die Chance dazu kam früher als erwartet. Perikles lud uns mit mehreren anderen Freunden in die Taverne von Manolis ein. Da ich beim Essen nicht allzusehr auffallen und vor allen Dingen gesättigt wirken wollte, zog ich mir vorsorglich mehrere dicke Pullover über mein weißes Hemd. Ich machte einen sehr molligen Eindruck und fühlte mich sicher, verströmte ich doch die Botschaft: Diese Frau ist gut genährt, bitte nicht füttern! Der Abend verlief harmonisch. Es gab Kaninchen, Koteletts, Brokkoli, Blattsalat, Kartoffeln, Nudeln und vieles mehr. Ich aß Unmengen, um meine Solidarität mit der griechischen Küche zum Ausdruck zu bringen. Fein, dachte ich, hier in der Taverne kann Perikles mit seinem Käse nichts ausrichten. Die Stunden verstrichen und meine Sicherheit wuchs. Als ich drei meiner insgesamt fünf überflüssigen Pullover ausgezogen hatte, runzelte Perikles sorgenvoll die Stirn, machte Manolis, dem Tavernenwirt ein Zeichen, woraufhin dieser sich sofort in Bewegung setzte und etwas großes Unförmiges auf den Grill warf, was an sich nichts gefährliches an sich hatte. Bis...ja, bis das unförmige Etwas auf dem Grill dahinschmolz und einen penetrant käsigen Geruch verströmte. Bevor ich fliehen konnte, trug Manolis einen großen Teller auf den Tisch, auf dem das dicke, fettige, halb geschmolzene Stück Käse dampfte und vor sich hin brodelte. Dem Geruch nach zu urteilen mußte diese Käsesorte von einer altersschwachen Ziege stammen, die ihr Leben lang schlechtes Gras gefressen hat. Perikles grinste, gab mir ein Gäbelchen und sagte:

”Nur zu, Mädchen, dieser Käse ist sehr pikant!”

”Man riecht es!” erwiderte ich und rümpfte heimlich die Nase.

Ich wollte mich weigern. Die anderen am Tisch drückten sich gleichzeitig entschuldigend auf den Magen. Mein Sitznachbar, der alte Nikos, flüsterte mir ins Ohr:
”Weißt du Kind, dieser Käse hat sehr viel Salz, und das Salz macht meine Knochen kaputt. Ich kann ihn nicht essen, aber du bist noch jung...!”

Das reichte. Alarmiert rief ich laut und bestimmt in die bedrohliche Stille hinein:

”Entschuldigt, aber so spät am Abend verursacht der Käse Alpträume!”

”Alpträume! Hört, hört!” und wie aus einem Mund riefen alle drei gleichzeitig:

”Dieser Käse ist gut für den Sex!”

Welches Argument konnte ich dagegen noch anbringen? Außerdem nahm mir Perikles die Gabel aus der Hand, weil ihr Gebrauch nur unnötigen Aufschub bedeutet hätte. Die drei Kavaliere brachen den Käse eigenhändig in kleine Stücke und schoben sie mir in den Mund.

Eines Tages werde ich mich rächen, schwor ich mir in den nächsten Wochen bei jedem Liter Wasser, den ich trinken mußte, um das Salz aus meinem Körper zu spülen. Eines Tages werden sie bei mir sitzen und Sauerbraten essen, und wenn ihnen übel wird, werde ich ihnen Leberpasteten in den Mund quetschen, eine nach der anderen, bis sie mich auf den Knien um Verzeihung anflehen.
 
Hallo majissa!

Mit größtmöglicher Verspätung teile ich meine neusten Erkenntnisse mit:

1. Von den Fischen bereitet "mir schon ein einziger [red]Kopfzerbrechen[/red]". Das klingt zu sehr nach einem rationalen Problem; eher geht es aber um ein emotionales Problem. Ich schlage vor: Von den Fischen bereitet "mir schon ein einziger [blue]Übelkeit[/blue]".

2. "Da kamen mir die Katzen in den Sinn, die [...] hungrig mau[blue]n[/blue]zen."

3. "Den Fisch also zu den Katzen und das [strike][red]Lammkottelet[/red][/strike] [blue]Lammkotelett[/blue]..."

4. "[red]Lehne ich [/red]mich mit seltsam aufgeblähten Backen dann erlöst auf meinen Stuhl [red]zurück[/red],..." Die Paränthese ist zu groß => Todsünde! Ich schlage vor: "[blue]Lehne [/blue]ich mich schließlich [blue]erlöst[/blue] zurück mit seltsam aufgeblähten Backen,..."

5. "Ha, ha, [strike][red]N[/red][/strike][blue]n[/blue]etter Versuch,..."

Viele Grüße,
Alexander
 

majissa

Mitglied
Gott, das ist aber schon ein alter Hund! Auf den ich auch nicht sonderlich stolz bin. Als ich die Mail öffnete, fürchtete ich schon, dass du tausend Fehler gefunden hast.

Katzen maunzen! Das sollte ich mir langsam mal einprägen. Ebenso die ärgerliche Kotelett-Angelegenheit. Das verdammte Wort schreibe ich immer falsch. Ich weiß zwar, was du sagen willst, aber die "Übelkeit" beim Fischebetrachten trifft es nicht ganz. Die Protagonistin ist ja nicht nur angewidert, sondern sucht verzweifelt nach einer Lösung, die Fische möglichst unauffällig wieder loszuwerden. Das geht aus dem Text jedoch nicht hervor, würdest du entgegnen. Und damit hättest du zweifellos Recht. Hmpf!

Todsünde!? Ein solch winziger Einschub zwischen "Lehne" und "zurück"? Ach...aber es stimmt schon. Ich neige oftmals dazu, meine Sätze auseinanderzureißen.

Majissa dankt und hüpft zum nächsten Thread.
 



 
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