Kätzchen

van Geoffrey

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Kätzchen

„Böhs' sinn' die Menschen worr’n – all' bös'.“
Oh diese groben Worte – ich erschrak über sie und fühlte, wie sich mir die Haare im Nacken sträubten.
Woher kamen diese Worte? Auf dem Grunde meiner Seele waren sie gebildet worden und zu meiner Kehle emporgestiegen.
Was aber vermag die Zunge eines ungelenken Dieners, der ich bin?
Nächtelang hatte ich geweint, denn in meinen Träumen hörte ich vom Kummer und Weinen der Kinder. O die Verratenen und Verkauften.
Dann, nachts, trat der gütige Schatten an mein Bett. Denkt nicht, ich fürchtete mich. Gütig und huldvoll ruhte sein Blick auf mir, wenn er dann sagte, und es immer – jede Nacht – wiederholte: „Zerbrich das Joch der Tyrannei.“ „Was“, antwortete ich zuweilen, „willst du, edler Schatten, vom einäugigen Diener?“ Ich sage euch, dass ich nicht träumte – sondern ich blickte fest auf ihn mit meinem einen Auge. Das andere hatte ich verloren, wie so vieles im Leben. Das kränkte mich nicht, hatte ich doch noch immer das andere Auge zu Schauen – und zum Weinen.
Trübe sann ich über das Leid in der Welt, als wieder einmal der Schatten aus einer Ecke meines Zimmers zu mir sprach: „Höre doch und weine nicht. Bedenke: es gibt ja noch … das Kätzchen.“ So sanft sprach er, und – reichlich seltsam - mein Herz war durch seine Stimme augenblicklich getröstet.
Ja, das Kätzchen. Mein Sinnen und Weinen verflog wie ein nachtschwarzes Vögelchen, das auf meinem Fensterbrett Rast gehalten hatte, und durch ein Geräusch erschreckt sich wieder in die Lüfte hob.
„Das Kätzchen“, sprach ich fröhlich, „woll’n wir holen.“ Ich klatschte vergnügt in die Hände und als ich mich zum Keller auf machte, war mir so wohl wie dem Bräutigam am Hochzeitstag, wenn er seine Braut zum Tanz führt.
Mein Herz pochte und war munter wie ein Küken in seinem Nest. Ein Lachen wohnte in meinem Herzen.
Jetzt munter die Treppe hinab über 994 Stufen. Ich humpelte nicht mehr und mein krummer Rücken schmerzte mich nicht mehr. All meine Schmerzen waren fort und vergessen.
Ich richtete mich hoch auf und munter, munter war ich im Keller angelangt. Ich musste einen Finger an den Mund legen und sprach zu mir selber: „Das Kätzchen. Aber … das bin ja – ich.“
Ich klatschte in die Hände, tat einen kuriosen Luftsprung – und stieg die 994 Stufen wieder hinan. Ich erklomm sie leichtfüßig – wie ein Kätzchen.
Jetzt hielt ich inne – ich blinzelte mit einem Auge, gleich d’rauf mit zwei Augen. Denn – oh Wunder! – mein rechtes Auge war wieder klar und gesund in seiner Höhlung. Dann besah ich meine Hände – und auch die Finger waren so vollzählig, als hätt‘ nie einer gefehlt. Indessen blieb mir keine Zeit, mich zu wundern. Ich trat aus dem Haus in die milde Abendluft. Es roch nach Flieder.
Da öffnete sich eine Türe in der Ewigkeit. Es verstrich eine Sekunde und ein zweite Sekunde. Hui, da wuchs ich so schnell, dass mir schwindelte. Die kleinen Häuschen meiner Nachbarschaft lagen mir nun zu Füßen. Aber – oh – meine Füße! Wo waren die nun? Ich sah nichts, als zwei gewaltige Tatzen. Schon musste ich mich, der Krümmung meiner Wirbelsäule gehorchend, auf alle Viere niederlassen. So sanft tat ich dies, denn ich wollte keines der Häuschen zertreten, aus denen mich entsetzte Menschen anglotzten.
Ich blickte in den Spiegel unseres schönen Teiches – und erschrak gewaltig vor meinem eigenen Spiegelbild. Ich sah mich in einen Koloss von Tiger verwandelt. Meine Augen leuchteten mir wie glühende Kohlestücke aus dem Teich entgegen.
Das Fell sträubte sich mir vor Entsetzen. Und doch wollte ein Lachen meine Brust sprengen. Mein Lachen aber war ein wütendes Brüllen, das mein Entsetzen noch mehr steigerte. Übertroffen aber wurde mein Entsetzen durch eine unstillbare Wut.
„Wo seid ihr bösen Mäuschen?“ sagte ich und stellte mich dabei ganz freundlich.
Da wurde es Nacht, tiefschwarze Nacht für die Bösewichte auf der ganzen Welt, denn die Stunde der Bestrafung war gekommen. Das fühlten die Bösen, duckten sich in ihren Behausungen – und wimmerten. Sie wimmerten aus Angst – nicht aber, weil etwa Reue ihre finsteren Herzen quälte.
Ich nahm ein schreckliches Mahl. Gäste und Mahl waren alle die Bösen, die sich an den Kindern versündigt hatten.
Hätte ich sie verschonen sollen, die bösen Mäuschen?
Urteilt selbst, und sagt mir, wie freundlich ein Kätzchen mit den Mäuschen sein sollte.
 

Rudolph

Mitglied
Hallo van Geoffrey,

ich muss gestehen, ich bin ratlos.

Zunächst bist du ein mit körperlichen Mängeln gestrafter unterwürfiger Diener (wessen?), der über die Schlechtigkeit der Welt weint. Ihm erscheint ein gütiger Schatten, der ihn dazu auffordert, das Joch abzuschütteln, und zwar mit Hilfe eines Kätzchens(?).
Dann geschehen plötzlich Wunder. Während du (plötzlich!) frohen Muts das Kätzchen aus dem Keller holen willst, kommst du zur Erkenntnis (wieder plötzlich!), dass du selbst das Kätzchen bist. Die körperlichen Mängel verschwinden, du wächst zu gigantischer Größe und verwandelst dich in einen Tiger. Der frisst nun die bösen Mäuschen (=Menschen?) auf.
Gäste und Mahl waren alle die Bösen, die sich an den Kindern versündigt hatten.
Wieso Gäste?
Wer/was ist der gütige Schatten?
Warum erst zum Kätzchen werden um zum rachedurstigen Tiger heranzuwachsen?

Ich kann nur wiederholen: Ich bin ratlos.

LG Rudolph
 

van Geoffrey

Mitglied
Jaja, die Mängel

Hallo!

Ja, die Geschichte hat sicher ihre Mängel. Sie ist surreal und demnach eher eine Traumgeschichte von einem Strafgericht, dass sich Menschen zuziehen, die die Schwächsten der Gesellschaft knechten und schädigen.
Die Gestalt des Einäugigen / Kätzchen kann jeder nach Gutdünken deuten.
Ich persönlich sehe darin "die Menschheit" - wahrlich nicht fehlerlos, und doch möchte man wünschen, dass sie alles Böse "verschlingt".
Der "Schatten" ist eine Gestalt aus dem Totenreich, ein Tyrannenmörder.
Aus der Geschichte ist keine Moral abzuleiten. Eine Geschichte aus Zorn über das maßlose Unrecht in der Welt.
 



 
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