Kapitalistische Intimität

Wenn ich ihm einen blase, tue ich das nicht nur aus Lust, weder für ihn noch für mich. Wenn ich ihm einen blase, tue ich das aus Notwendigkeit. In der heutigen Zeit dreht sich alles ums Geschäft, und wir sind mit Absicht ein kapitalistisches Paar. Wir machen uns da nichts vor. Auch ein Orgasmus ist eine Art von Währung. Und der angebliche Wert der Liebe hält uns nicht zum Narren. Jeder, der die Aspekte der Romantik vorsichtig und objektiv betrachtet, muss zu dem Ergebnis kommen, dass der Wert einer Beziehung steigt und fällt, dass „Geben“ nur ein anderes Wort für Angebot und „Begehren“ ein anderes Wort für Nachfrage ist. Die Sprache der Wirtschaft, mit ihrem straffen, auf den Punkt genauen Jargon, wurde mit zunehmender Erkenntnis immer mehr Teil unseres Lebens, bis sich ihr alle Aspekte unseres gemeinsamen Zusammenlebens anpassten. Ja, ich werde zum Y wenn er zum X wird, gekreuzt schlafen wir in unserem Bett, unserem Diagramm, unsere Ehe als Graph, der Moment des Entzückens als Erfüllung des perfekten Gleichgewichts. Heute werde ich von meinen Nachbarinnen beneidet, denn ich führe eine äußerst produktive und effiziente Ehe.

Doch lassen sie mich Ihnen berichten, dass auch ich nicht gleich an kapitalistische Intimität glaubte, dass auch ich einst der Apostasie ins Gesicht starrte, dass meine Vorstellungskraft, bestimmte marxistische Ketzer und die ach so idealistischen Romantiker mir während meiner Jugend und Unschuld den Kopf verdrehten und mir den ein oder anderen Gesinnungswandel bescherten. Wie oft trauerte ich der reinen, autonomen Liebe nach, die ich als Kind erfahren hatte, Zärtlichkeiten, die des Gebens willen gegeben und des Nehmens willen genommen wurden. Kindliche Illusionen vergisst man nicht so schnell, Mythen und Märchen haben eine starke Anziehungskraft. Doch langsam erlangte ich die Erkenntnis, dass „Liebe“ und „Zins“ im Prinzip ein und die selbe Sache sind. Jegliche Differenzierung zwischen den beiden ist nichts als reine Illusion. Im übrigen eine Lektion, die mich meine Eltern gelehrt haben.

Während meines zweiten Jahres in Harvard fanden meine Eltern heraus, dass ich heimlich von Betriebswirtschaft zu Wirtschaftspolitik gewechselt hatte. Nun, Wirtschaftspolitik ist im Grunde genommen nichts anderes als reine Theorie – Theorien über Marx und über Keynes, Theorien der Linken und der Rechten, Theorien die kondensieren und verdampfen wie Schwaden in Äther, die flüstern und heulen wie weitgereiste Winde. Aber Schwaden kann man nicht essen und Wind nicht verkaufen, und als meinen Eltern bewusst wurde, dass ich Theorien studierte, die keinerlei broterwerbsfördernde Qualitäten besaßen, durchtrennten sie sofort und ohne jegliche Benachrichtigung durch einen Telefonanruf oder wenigstens eine Email die uns verbindende finanzielle Nabelschnur und ich stand alleine da, empört, und unfähig, meine Studiengebühren zu zahlen, ganz zu schweigen von Miete und allem anderem. Heute sehe ich, wie sehr meine Eltern damals Recht hatten und bin ihnen für ihre Reaktion äußerst dankbar.

Aber zurück zu meiner Studienzeit: warum hatte ich überhaupt mein Hauptfach gewechselt? Ich wusste, Sie würden diese Frage stellen! Er hieß Sebastian und war einer von diesen unkonventionellen Künstlertypen, Sie wissen schon. Er meinte, Betriebswirtschaft sei etwas für die materialistisch Veranlagten und geistig Verkümmerten, für emotionale Geizhälse und politische Philister. Sebastian nannte mich Pfenniglecker und Markthure, beschuldigte mich, den Mammon zu huldigen. Gleichzeitig sagte Sebastian, dass er mich liebte, und immer lieben würde, ganz gleich was ich auch tun würde, und verbrachte Stunden damit, meinen Körper zu entdecken. Für Sebastian oder für den Idealismus, mit dem er seine Gehirnwäsche an mir vollzog, wechselte ich mein Hauptfach. Kurze Zeit später war mein Konto zur finanziellen Wüste ausgetrocknet, und ich konnte es mir nicht mehr leisten, ihn ins ‚Le Couteau d’Or’ einzuladen oder ihn mit hübschen bunten Schals zu überraschen. Nach einer Weile konnte ich nicht mal mehr mit ihm ins Kino gehen, später musste ich sogar meinen Wagen verkaufen und mir Geld für Lebensmittel und öffentliche Verkehrsmittel bei ihm leihen. Um Haaresbreite wurde ich aus meinem Apartment herausgeworfen. Und er ließ mich fallen, machte Schluss mit mir trotz der ganzen sirupsüßen Reden über Geist, bedingungslose Liebe, Unabhängigkeit von materialistischen Normen und Werten.

„Du verlässt mich, weil ich kein Geld habe“, sagte ich zu ihm.

„Da hast du verdammt recht“, antwortete er.

Wir sprachen nie wieder ein Wort miteinander.
 

steffen

Mitglied
Ich stimme deiner Ansicht vollkommen zu. Ich weiß auch aus eigener Erfahrung, dass wenn die erste große Liebe enttäuschend ist, dass man in der Liebe nicht mehr richtig aufgehen kann, sondern sie in den nächsten Beziehungen mehr und mehr objektiv betrachtet. In dem Sinne gibt es nichts schöneres, als wenn zwei Menschen in dieser großartigen Naivität der ersten Liebe zusammenfinden. Da Sebastian (so kommt es mir vor) schon mindestens eine Beziehung gehabt hat, ist das nicht mehr möglich.
Deshalb muss man die Allgemeinheitgültigkeit in Frage stellen. Du neigst zu absolutistischer Darstellung, wie Houllebecq, was allerdings ausgezeichnet mit dem Thema zusammengeht.
mir hat's gefallen
 

Nathalee

Mitglied
hm... *nachdenk* ... dann bin ich eben einer von den hoffnungslosen Romantikern ... aber das stört mich nicht.

Guter Text, der fast zum Nachdenken zwingt.

Gruß,

Nathalee
 
Tja so kann es gehen. Die Menschen, insbesondere die Künstler sind nicht mehr das, was sie waren? Früher durfte man noch richtig lieben. Schnitt. Nein, nein, ich wehre mich gegen die Verklärung von besseren Zeiten. Heute darf noch genauso lieben. Und trotzdem gibt es genug Irre, die meinen Liebe hat etwas mit materialistischer Perfektion zu tun, mit Leistung, mit Erfüllen von Normen. Deswegen finde ich das Herabziehen des Gefühls auf eine rationale materialistische Ebene in dieser Geschichte perfekt gelungen. Der zweite und dritte Teil hat mich nicht ganz so begeistert. Es war weniger der Ablauf der Geschichte. Die Wendung war vollkommen in Ordnung. Nein, irgendwie schimmerte durch, daß der Schluß eher Husch, Husch ins Körbchen geschrieben wurde. Macht nichts. Die Geschichte hat mir trotzdem den Abend versüßt.
 



 
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