Karnevalstrauma

Dani

Mitglied
Karnevalstrauma

Karneval war für mich, solange ich denken kann, nicht unbedingt das Fest des Jahres auf das ich mich immer wieder freuen musste. Okay, abgesehen von den Süßigkeiten, denen ich zu keiner Zeit abgeneigt war, oder Sparkassen-Plastikfußbällen oder die niedlichen Ein-Pfennig-Spenden, die in Stofffetzen eingewickelt den Leuten vor die Füße geworfen worden. Also, abgesehen davon, muss ich leider sagen: nö, brauch ich nicht.
Seinerzeit hatte ich zu Karneval das Vergnügen, mich der Welt, also Krefeld, als Rotkäppchen zu präsentieren. Ausstaffiert mit einem Rotkäppchenkleidchen, Rotkäppchenschüchen, einem Rotkäppchenkäppchen und einem überdimensional langen Stoffdackel (Ich weiß bis heute nicht, wo Rotkäppli im Märchen einem mutierten Stoffdackel begegnete, aber egal) zog ich als kleines Mädchen voll froher Erwartung mit meiner Mutter zum Krefelder Karnevalszug.
Ich glaube an dem Tag stellte ich fest, dass ich anstelle eines Rotkäppchens besser ein Stahlkäppchen aufgezogen hätte. Na gut, das hätte natürlich die Gesamtkostümierung ein wenig in Frage gestellt. Rotkäppchen beim Militär?! Aber angesichts der Bonbons, die auf mein Haupt niedergingen, hätte ich gerne zu jeglicher "Infragestellung" betreffs meiner Verkleidung Stellung bezogen. Um dies bildlich zu erläutern, stellen Sie sich folgendes vor: einen gentechnisch manipulierten LKW mit freier Ladefläche, der als Riesendrache durch die Innenstadt tuckert, auf dem lauter Minidrachen ihr Unwesen treiben, kleine Rotkäppchen wie mich als Ameisen von oben herab betrachten und mit harten antiquierten Bonbons um sich werfen. Je höher der Werfende seine Position bezieht desto härter ist der Aufprall, wenn kopfgerecht ins Visier genommen, auf einem kleinen Rotkäppchenschädel. Verstanden?

Zuweilen war ich Rosenmontags eingehend damit beschäftigt, mich vor weiteren Bonbonbombenattentaten zu schützen, als diese, sobald sie einschlugen und auf die Erde niedergingen, aufzusammeln. Die Bombenaufräumarbeiten übernahmen daraufhin meine mich liebenden Anverwandten, wenn nicht irgendwelche kleinen Cowboys oder Prinzessinnen schneller waren. Klar, je kleiner der Mensch desto näher am Boden. Nun ja, da meine Mutter aber auch relativ bodennah erschaffen wurde, hatte ich am Ende doch noch eine nette Sammlung von Süßigkeiten.
Am Ende des Tages zog ich für mich Bilanz - ich kombinierte: Rote Käppchen ziehen Süßigkeiten an, leider jedoch mit äußerst schmerzvollen Folgen. Nach Beobachtungen anderer kostümierter Zwerge ist die Chance an einen Sparkassenball zu kommen größer, wenn man sich direkt an die Front begibt. Außerdem ziehen Drachen es vor, Bonbons nicht direkt senkrecht vom Wagen plumpsen zu lassen, ergo keine Kopfschmerzen.

Die mittlere Reihe werde ich nie wieder in Anspruch nehmen.

In der hintersten Reihe kommen selten die richtig guten Leckerchen an, aber sie ist einfach sicherer. Ich malte mir aus, wie ich meine Familie fürs nächste Jahr strategisch gut verteilen könnte.
Im darauffolgenden Jahr war ich auf alles vorbereitet. Ich wählte eine etwas zweckmäßigere Verkleidung, ich ging als Mexikaner. Ein Sombrero mit einer gaaaanz breiten Hutkrempe, jawohl. Sollten sie doch wieder auf mich zielen, würden die Bonbonbomben an der Spitze meines Hutes herniedergehen und sich in meiner Hutkrempe ansammeln. Meine Mutter bezog die mittlere Kampfzone, weil wegen der Bodennähe, sozusagen ein Bodenkämpfer. Meine Onkel verteilten sich auf zwei Posten, der eine ganz hinten zur Rückendeckung, und der andere kämpfte mit dem kleinen Mexikaner an der Front. Praktischerweise wohnten damals meine Mutter und ich mitten in der Stadt und an unserer Wohnung zog der Zug vorbei, was bedeutete das meine Großeltern auf dem Balkon standen und von oben das Terrain sondierten. Sozusagen ein Beobachterposten! Hätten mich die Bomben trotz meines Kampfhutes jäh erwischt, hätten sie sofort medizinische Hilfe ordern können. Ich fühlte mich so sicher wie noch nie. Und tatsächlich war es so, wie ich es mir ausmalte, nur hatte ich da nicht mit der Hinterhältigkeit der Angreifer gerechnet. Meine Mutter war kaum noch zu sehen - ich meine es ist sowieso recht schwer mein klein-Mütterchen hinter einem siebt-Klässler stehend, ausfindig zu machen - doch da sie ja die Anordnung bekam, für die Aufräumarbeiten Sorge zu tragen, sorgte ich mich nicht. Die Rückendeckung gab nach Augenkontaktaufnahme, per Handzeichen, zu verstehen, dass von hinten keine Gefahr drohte.
Nachdem ich bemerkte, dass ein Indianer neben mir schon 2 Bälle sein eigen nennen konnte, spionierte ich seine Angriffstaktik aus. Mit lautem Kampfgeschrei stürmte er unmittelbar auf die Artillerie zu und rief inbrünstig „HELAU!!!“. Aha, dachte ich so bei mir, dass ist also der geheime Kampfcode. Ich versuchte es meinerseits, ging mit meiner mir charakteristisch gottgegebenen Schüchternheit, quasi todesmutig, auf einen einzughaltenden Kampfwagen zu und sprach: „helau?!“. Ich schwöre bei Gott, hätten die Kampfkapellen nicht so laut gespielt, und hätte ich zuvor den kleinen Indianer außer Gefecht gesetzt, hätten die Feinde mich und mein Helau-Friedensangebot auch akustisch wahrgenommen. Aber nein, der Ball prallte an meiner Hutspitze ab und fiel einem hinter mir stehenden Schneewittchen gradewegs in die Arme. Zwischenzeitlich bemerkte ich, das mein Sombrero sich extrem meiner Nasenspitze neigte. Es hatten sich doch tatsächlich mehrere süße Fremdkörper in meiner Auffangschale angesammelt. Da mein onkelhaftiger Mitstreiter sich nicht bemühte, die Beute zu sichern, war ich allein damit beschäftigt, mich vor Plünderern zu schützen. Diese kleinen, garstigen, gleichaltrigen, menschlichen Ausgeburten versuchten doch tatsächlich, sich an meiner Kriegsbeute zu bereichern. Nun versuchen Sie mal einer solchen Hinterlist Einhalt zu gebieten, wenn sie nichts sehen können und die Mexikanerkrempe so breit ist, dass man mit altersgemäß kurzen Armen nicht an dieselbige heranreicht.

Dies war ein weiteres, frustrierend karnevalistisches, Erlebnis für meine arme geknechtete Mexikanerseele. Nebenbei gefragt: Haben Mexikaner eigentlich je einen Krieg gewonnen? Ich kann es mir kaum vorstellen.
In sämtlichen Spielfilmen sitzen sie an irgendwelchen Häuserwänden deprimiert und sternhagelvoll sinnlos umher. Kein Wunder, eine scheinbar karnevalgeschädigte Kultur, die von Indianern und Prinzessinnen in den Alkoholismus getrieben wurde.
Am Ende des Tages zog ich abermals Bilanz. Ich bestellte meine nichtsnutzige Armee zum Appell und entließ sie alle unehrenhaft vom Dienst.

In den darauffolgenden Jahren entging ich dem Karneval mittels ansteckender Krankheiten wie Masern, Windpocken, Röteln, grippalen Infekten, etc.
Und ehrlich gesagt, hat sich das bis heute nicht geändert, leider muss ich sagen. (Ich sollte mit meinen Wünschen etwas sorgsamer umgehen, oder ihnen zumindest ein Haltbarkeitsdatum einräumen) Jetzt, da ich um einige Zentimeter in die Höhe gestiegen bin und mich per alkoholischer Unterstützung verbal auf proletarischem Niveau zur Wehr setzen könnte, wie das zur Karnevalszeit ein üblicher Brauch des Erwachsenentums zu sein scheint, liege ich mit Grippe dahingerafft im Eigenheim sinnlos in der Gegend herum. Was hat sich der liebe Gott nur dabei gedacht?
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Tja, was soll man da sagen? Du gehörst nach Mexiko, dort kennt man die Grippe nicht, dafür den Tequila.
Und zum Karneval fährst du kurzerhand mal um die Ecke nach Rio.

Viele Grüße
Thomas
 



 
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