Karriereknick

Allina

Mitglied
Wieder mal unterwegs. 3er-Reihe im Flieger – ich habe den Fensterplatz. Ausnahmsweise Economy. Die Maschine füllt sich. Aha – meine Nachbarn? Ja, Vater und Töchterchen. Vater verstaut das Handgepäck routiniert. Töchterchen neben mir, Vater am Gang.

Sympathisch der Mann, um die 40 wahrscheinlich, mit Schnurrbart. Sein Blick hat mir gefallen, sanft. Beide sind ruhig, sprechen leise. Latinos? Reden mal Englisch mal Spanisch. Etwas gespannte Aufmerksamkeit nehme ich bei dem ca. 12jährigen Mädchen wahr. Auch Freude in ihren Augen. Nach kurzer Erkundung des Sitzplatzkomforts schaut sie immer wieder zum Fenster, hat auch mich gelegentlich verstohlen im Augenwinkel.

Nette Gesellschaft, vermute ich, jedenfalls für 9 Stunden. Ich habe ein gutes Gefühl, beschließe zu entspannen und zu schlafen, will auf keinen Fall das Laptop rausholen. Heute nicht, habe Ruhe verdient.

Das Mädchen ergreift die Hand des Vaters: Du wolltest mir doch die Geschichte weiter erzählen. Der Vater lächelt seine Tochter an: Ja, wenn wir fliegen – und wenn wir gegessen haben.

Geschichte... wird er ihr wirklich eine Geschichte erzählen? Ich mag nicht in die Gesichter meiner Nachbar starren, aber ist das so ein Vater, von denen es nur selten welche gibt? Einer wie mein Vater, aus dessen Mund Geschichten der Mischung Herzenswärme und Phantasie sprudeln können? Niemand konnte Geschichten erfinden und erzählen wie mein Vater.

Tochter und Vater verfolgen das Schauspiel der Besetzung des Flugzeugs, wie geschicktes Personal ungeschickten Reisenden freundlich zur Hand geht. Kein gelangweilter oder nervöser Griff der beiden zu dummen Zeitschriften.

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„Ist die Geschichte wirklich wahr? Hat Don Felipe sie wirklich selbst erlebt?“

„Ja, sie ist wahr.“

„Dann war Don Felipe ein Zauberer. Und ich glaube nicht, daß es Zauberer gibt.“

„Ein Zauberer ist ein Mensch, der die Natur und ihrer Regeln besser kennt als andere Menschen. Er sieht anders, hört anders, fühlt anders. Ein Zauberer kann mir der Haut sehen, mit den Füßen hören, mit den Augen fühlen. Und er kann Gedanken der Menschen wahrnehmen und die Absicht wilder Tiere ahnen.“

Ich wache auf. Hatte mir zum Dinner einen Wein bestellt, war danach eingepennt und habe die Geschichte verpaßt.

„Du mußt selbst eine Zauberin werden“, hörte ich noch. „das weißt du“.

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Im Flugzeug ist die Schlafbeleuchtung eingeschaltet, als ich wieder aus einer tiefen Schlummerphase auftauche. Dieses Mal habe ich länger geschlafen, es müssen Stunden gewesen sein. Mariola ist offenbar schlafend zur Seite gekippt und hat ihren Kopf auf meinen Schoß gebettet. Träume ich?

Ich checke die Situation. Eigentlich müßte ich mal aufs Klo. Ich brings nicht über mich, das Kind zu wecken. Auch ihr Vater ist offenbar in tiefen Schlaf gefallen. Hat Mariola mein Bewußtwerden bemerkt? Sie wendet ihren Kopf und reißt die Augen auf. Ich lege meine Hände auf ihr Haar. „Schlaf weiter“, flüstere ich, „Es ist o.k. so.“ Und sie schließt ihre Augen und schläft tatsächlich weiter...

...und dann steigen Tränen in meine Augen. Mein Gott, so fühlt sich das an, wenn man ein Kind hat. Und ich habe meine Arbeit, meinen Erfolg, mein Selbstbewußtsein in diesem Scheiß verankert, den man Karriere nennt. Ich habe kein Kind, nicht einmal einen Partner, den ich wirklich liebe. Ich hätte schluchzen können, aber dann wäre sie aufgewacht. Nein, meine Tränen rollen einfach.

Ich hüte den Schlaf des Mädchens. Und für Minuten, schließlich für mehr als eine Stunde bin ich so etwas wie eine Mutter, der sich ihr Kind im Schlafe anvertraut.

Für Mariolas Vater ist es gar nicht so überraschend, wie er seine Tochter vorfindet. Ich versichere ihm überzeugend, für mich sei das träumende Mädchen keinesfalls eine Last. Lächelnd, wie selbstverständlich, glaubt er mir.

Als nach der kurzen West-Ost-Nacht das Frühstück ausgeteilt wird, erzählen wir ein bißchen. Er ist Wissenschaftler, irgendwo treffen sich sogar fast unsere Fachbereiche, wir kennen einige Leute gemeinsam. Kolumbien sei kein Land für seine Tochter, und Mariolas Mutter lebe mit einem anderen Mann. Und Mariola sei tagsüber bei einer deutschen Familie.

Ab FRA schlagen wir verschiedene Richtungen ein. Eine freundliches Lebewohl, das soll es dann wohl gewesen sein.

Noch 3 Stunden zum Anschlußflug, streife ich ziellos durch die Shoppingbereiche. Ich kriegs nicht aus dem Kopf: „Habe ich hier DIE Chance vertan? Als Frau dieses liebevollen Vaters und Mutter einer kleinen Zauberin?“ In meiner Phantasie überschlagen sich Bilder.

Ganz nach innen gekehrt mein Blick – fast hätte ich Mariola übersehen. Sie rennt auf mich zu, bleibt 10 Schritte vor mir verlegen stehe. Dahinter ihr Vater - wie er so nett lächelt. Ich lasse meinen Rolli los und öffne meine Arme. Ich darf die kleine Zauberin in meine Arme schließen, drücke dieses dünne Mädchen noch einmal an mich.

Als ich mich schließlich umdrehe, scheinbar meinem Weg durchs Terminal folgend, weine ich. Um mein albernes Leben, das anderen so imponiert.
 

Walther

Mitglied
Hallo Allina,

gute Idee irgendwie nicht ganz überzeugend ausgearbeitet. Insgesamt eine gute Sprache, leider rutschen aus dem Bildungsbürgertum gelegentlich Kraftausdrücke, deren Sinn sich an der Stelle, an der sie eingesetzt werden, nicht ganz erschließt.

Da ich kein Experte bin, dies als kurzes Fazit.

Liebe Grüße

W.
 

HansSchnier

Mitglied
Hallo Allina,

mir hat deine Geschichte gut gefallen.
Allerdings hat sich mir eines nicht erschlossen: Woher kennt die Erzählerin plötzlich den Namen des Kindes? Habe ich etwas überlesen?
Der Name könnte problemlos an einer Stelle der Vater-Geschichte genannt werden, und das Rätsel wäre gelöst.

Grüße

HansSchnier
 



 
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