Kasi fliegt

Tagmond

Mitglied
Test


Sie sind im Kaufhaus und haben es eilig. Die Frau an der Kasse tauscht sich mit einer Kundin über die Vorteile von Push-up-Unterhosen aus. Was tun Sie?

a) Ich warte geduldig, schließlich will ich ja nicht unnötig auffallen
b) Ich räuspere mich deutlich, verdrehe die Augen gen Himmel und klappere mit meinen frisch-manikürten Fingernägeln auf die Plastikoberfläche der Kasse
c) Ich nehme eine Dose Haarspray und ein Minifeuerzeug, halte dieses Ensemble in bedrohlicher Gebärde an die Pudel-Frisur der Tippse und fordere das sofortige Einscannen und Abkassieren meiner Slipeinlagen.

Ich mag diese Psychotests in den Hochglanz-Frauenmagazinen nicht. Im Allgemeinen mag ich diese Zeitungen sowieso nicht - bis auf einen kleinen Ableger einer großen Frauenzeitschrift, der so ähnlich heißt wie „junge Dame“. Die Lösungsvorschläge dieser „Entdecke Dich selbst innerhalb von 2 Minuten“ - Tests sind so unrealistisch wie blöd. Außerdem weiß man vorher, welches Ergebnis man möchte und kann sich selbst beschummeln. Verstohlen schielt man in die untere Tabelle. Ah, Dreieck bedeutet dominant. Hohe Punktzahl hohes Selbstbewusstsein. Bei einem Test namens „Bist Du eine gute Freundin“ bin ich einst fast verzweifelt. Man sollte angeben, welche Situation im Leben der besten Freundin für sie die Peinlichste war und, angenommen sie könnte zwischen Vogel, Fisch und Pferd wählen, welches diese ausgewählten Tiere sie dann wohl am Liebsten sei.
Meine beste Freundin setzt sich auf jeden Fall aus zwei Tieren zusammen. Biest und Spatz. Beide Seiten sind hilfreich…doch empfinde ich es nicht als Freundschaftsbeweis, seine Freundin mit einem Vogel, Fisch, oder einem Pferd gleichzusetzen. Ein Vogel zum Vergleich ist aber nicht ganz so schlimm. Meine Haltung gegenüber den Federviechern hat sich doch einmal um 180° gedreht. Der Wellensittich einer anderen Freundin hat mich für sich begeistern können als eines Sonntags morgens in das frisch geöffnete Nutellaglas fiel. Gemächlich aßen Julia und ich im Bademantel unser Nutellabrötchen- bis sie auf die Idee kam, mir die Kunststücke ihres Vogels namens Harry vorzuführen. Mit verquollenen Augen und Kopfschmerzen von Vorabend lachte ich also netterweise über seine Künste. Harry war bei diesem Frühlingswetter bester Laune und gab sein Bestes. Ich habe ja was gegen Tiere auf dem Küchentisch aber machte gute Miene zum bösen Spiel. Zugegebenermaßen war er echt nicht schlecht. Auf dieses Ereignis hin dachte ich, mein Verhältnis zu den fliegenden Freunden habe sich geändert, eigentlich seien sie lustig, unterhaltsam und lieb. Ich kaufte mir auch einen Vogel. Schon sein erster „Flug“ war eine Katastrophe. Ich hatte- bin ja kein Unmensch- mir ein Vogelbuch gekauft und befolgte alles haargenau. Darin stand: Ihr neuer Freund muss sich erstmal ein sein Umfeld gewöhnen. Es ist möglich, dass sein Orientierungssinn vom Transport verwirrt wurde und er gegen Scheiben fliegt. Von daher ist es ratsam, Vorhänge beim ersten Flug zu schließen, damit er die Grenzen „seines Zimmers“ erfassen kann“ Ich schloss als meine blauen Samtvorhänge und wartete mit Taschenlampe bewaffnet auf den großen Moment. Kasi- so hatte ich ihn nach langen Überlegungen getauft- saß auf meinem Teppich und tat nichts. Ich wahrte meine Geduld und er schlief auf der Stelle ein. „Nett!“ Dachte ich. „Ein Mittagsschlafkumpane“ und kam einfach nicht darauf, dass durch meine blauen
Samtstoffe aus diesem Zimmer eine kleine, dunkle Hutzelgrotte wird und öffnete die Gardinen, woraufhin er sofort losflog und sich wahrscheinlich einige Beulen einholte.
Ich hoffe irgendwie, Anfang 30, irgendetwas aufzubauen, was länger währt als die Loveparade oder Kasi, der zwar lieb und treu war, aber mich schon nach viel zu kurzer Zeit verliess. Ich rede nicht vom Einfamilienhaus mit Vorgarten, zwei Kindern oder Heirat. Ich finde dieses ständige Gefeiere einfach nur inhaltslos und oberflächlich. Denn selbst, wenn man alte Freunde trifft, oder ein paar Gespräche hat, ist so ein Ablauf einer Party immer gleich. Und das ist überall so. Ich war in Paris und in Berlin auf irgendwelchen Parties und so beeindruckt hat mich das noch nie. Die Leute und ihre Masken. Wo ist er, der Sammelpunkt all dieser verlorenen Seelen, die einem „Style“ weichen mussten, der dem Geist als cooler erschien? Irgendwo sitzen sie, die Verlorenen, in kargen Bäumen und halten sich frierend an dünnen Zweigen fest. Und wenn die Leute von ihrer Party nach Hause kommen, sich noch die letzte Tüte rauchen und verstrahlt einschlafen, dann weinen die Seelen, heulen, fassen sich an den imaginären Kopf und wünschen sich wieder in die Welt der Kinderträume, der Natur und Kunst, die verrauchten Technohölen weichen musste. Es ist einfacher, nicht zu denken. Und wenn man richtig lebt, dann ist einmal auch genug. Leider haben wir alle völlig den Bezug zu uns selbst verloren. Oder nicht? Wir finden ihn wieder- bestimmt. Ich klettere auf meinen Seelenbaum, um zu gucken, ob es zu spät ist, oder ob etwas Trauriges, Stummes dort kauert, das mich ruhig in seine Arme schließt und zu den uralten Klängen der Menschheitsgeschichte langsam auf seinem Schoss hin- und herwiegt.
Wenigstens scheint die Sonne und ich habe im Büro ein wenig zu tun, so dass ich nicht die ganze Zeit traurig bin. Eigentlich bin ich fast glücklich. Alles ist ambivalent. Ich ziehe es vor, jemanden getroffen zu haben, bei dem ich sorgenfrei von „Liebe „ sprechen kann, mit dem ich mir eine Zukunft vorstellen kann, auch wenn sie in weiter Ferne liegt. Diesen jemand nach ein paar Wochen für ein Jahr zu verabschieden ist natürlich schwierig, aber die Zeit, die ich mit ihm hatte war so schön, dass ich ein Jahr voller Traurigkeitsanflüge schon überstehen werde und gerne überstehe.
Ich habe keine Angst, ich bin nur etwas lahm, weil ich nicht weiß, wohin mit meinem Kopfgemüse. Da dachte ich, die Leselupe wäre eine Möglichkeit.
Mein Kampfschrei: schreibt und erklärt der Diktatur diesen einschränkenden Riesenmarken den Krieg. Jawohl.
 



 
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