Kategorie zwei

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ebbajones

Mitglied
Kategorie zwei

„Könnte ich bitte ein Glas Wasser bekommen?“
Keine Reaktion.
Wie auch, ich habe mich offiziell noch nicht entschieden.
Danach gehört das Glas Wasser zum Service.
Natürlich weiß ich das.
Ich habe auch nur gefragt, um eine menschliche Reaktion zu provozieren.
Ich stehe total auf menschliche Reaktionen,
weil man Menschlichkeit heute nur noch selten findet.
Doch vielleicht ist mein Gegenüber gar nicht menschlich?
Es wird immer schwieriger sie von uns zu unterscheiden.
Ihr Gesicht ist makellos schön.
Doch das ist meines auch.
Ganz nach den individuellen Wünschen meiner Eltern gestaltet.
Mit einer plötzlichen abrupten Bewegung versuche ich direkten Blickkontakt herzustellen, denn man erkennt sie an den Augen.
Doch sie lässt sich nicht ablenken.
Scheinbar völlig unberührt spricht sie weiter.
„Sie gehören zur Kategorie zwei!“ Das bedeutet einige Extras!“
Ihre Stimme ist sanft und melodisch.
Unmenschlich melodisch?
Als ich nicht sofort reagiere, hebt sie endlich den Kopf.
Mandelförmig, von langen seidigen Wimpern umrandet, sehen mich zwei veilchenblaue Augen an. Ich glaube ein leichtes Glitzern zu erkennen.
Menschlichkeit oder die neuste Spielerei der Technologie?
„Ihre Sonderwünsche bei Überschreitung der Schwelle, mein Herr!“
Ein kluger Schachzug, denn die Assoziationen mit „Überschreitung der Schwelle“ sind wesentlich angenehmer, als die mit dem Wort „Sterbehilfe“.
So klug wie der Status mein Herr, den ich mit Kategorie zwei noch besitze. Automatisch nehme ich eine aufrechtere Haltung ein.
„Schmerzfrei wäre mir sehr wichtig!“, antworte ich mit so viel Würde wie möglich. „Schmerzfrei ist eine unserer Grundregeln, alles andere wäre unvernünftig und nicht im Sinne unseres Hauses!“, fügt sie mit gleich bleibend freundlicher Stimme hinzu. Als ob ich das nicht wüsste, schließlich hat mich die Vernunft auch zu „Eliminare“ geführt!
Vernunft ist immerhin das große Schlagwort dieser Institution.
Wer früher stirbt, verbraucht weniger Wasser!
Es gibt kein vernünftigeres Argument in diesem Jahrhundert!
„Sie haben mit dem Betreten unseres Hauses alle Bedingungen akzeptiert und verstanden.“ Mir ist nicht ganz klar, ob das eine Information oder eine Frage ist.
Natürlich habe ich das verstanden, ich bin ja nicht senil, krank oder uralt, alles
Gründe für die automatische Einstufung in Kategorie drei.
Kategorie drei bedeutet keinerlei „Extras“ mehr, weder beim Leben noch beim Sterben. Man belastet nur noch das System.
Doch noch bin ich Kategorie zwei und komme freiwillig.
Aber man trifft so eine elementare Entscheidung nur ein einziges Mal!
Da könnte man in einem renommierten Haus wie diesem mehr Verständnis
für ein klein wenig Nervosität zeigen!
Routiniert erklärt sie mir die tödlichen Konsequenzen meiner Wahl.
„Sind sie sich über die Tragweite ihrer Entscheidung bewusst?“
Bei dieser Frage beugt sie sich ganz leicht nach vorne.
Und jetzt kann ich es erkennen.
Es ist nur minimal und für einen Laien kaum erkennbar, doch nicht für mich.
Schließlich komme ich aus der Branche, auch wenn das schon länger her ist.
Für einen kurzen Moment erweitern sich seine Pupillen.
Während der Androide mich abscannt, lächelt er sanft.
Die Überprüfung meiner Daten bis hin zum kleinsten Detail meines Lebens dauert dank des Implantates in meinem Bein nur Sekunden.
Ein Geschenk an die gesamte Weltbevölkerung, natürlich nur zur Gewährleistung deren eigenen Sicherheit.
Sie haben in der Entwicklung rasante Fortschritte gemacht, phänomenale Fortschritte. Obwohl ich jetzt den Beweis habe, dass sein Lächeln nicht menschlich ist, erweckt es in mir ein wohliges Gefühl in der Bauchgegend.
Genau wie das leise plätschernde Geräusch des Springbrunnens.
Ein zarter Duft liegt in der Luft.
Es ist der Lieblingsduft meiner verstorbenen Frau.
Wie ein Hammerschlag trifft mich unvermittelt die Erkenntnis.
Die Farbe der Augen, das leicht rötliche Haar und sogar das sanfte Lächeln sind eine leichte Kopie von ihr. Geschickt gemacht, nicht zu offensichtlich, aber so, dass das Unterbewusstsein darauf reagiert, ein Gefühl erzeugend am richtigen Ort angekommen zu sein, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Natürlich war mir klar, dass sie auf diesen Termin perfekt vorbereitet sein würden. Das die Daten meiner Frau noch nicht gelöscht sind, trifft mich etwas unvorbereitet. Noch immer wartet mein Gegenüber geduldig auf eine Antwort.
Das hätte meine Frau nicht getan, denn Geduld war keine ihrer vielen Tugenden, schießt es mir traurig durch den Kopf und damit ist meine Entscheidung endgültig gefallen.
„Wasser!“, ich möchte vor Überschreitung der Schwelle das volle Programm mit allen Variationen von Wasser!“, übergehe ich die letzte Frage und komme damit gleich auf das Wesentliche. Damit erspare ich mir eine Auflistung aller erfüllbaren Wünsche, die in „Eliminare“ fast lückenlos in allen Bereichen der menschlichen Begehrlichkeiten garantiert werden.
Schon allein der Gedanke an Wasser belebt meinen dauerdehydrierten Körper.
Die zugeteilten Rationen reichen kaum noch zum Überleben.
Die globale Wasserknappheit hat dieses Element zum kostbarsten Gut des sterbenden Planeten katapultiert.
Für mein Gegenüber hat Wasser keine Bedeutung.
Einer der Gründe für die rasante Entwicklung seiner Art.
Soll ich es darum beneiden?
Wie könnte ich!
Immerhin werde ich aus freien Stücken für eine Extraration Wasser sterben.
 

raineru

Mitglied
hallo ebbajones,

schön geschrieben.
die Leute bemerken langsam, dass sie nur noch mit Maschinen zu tun haben. Wenn erstmal die erste Zelle durch programiertes Silikon ausgewechselt wurde, geht die Veränderung sehr schnell und die begreifen es nicht, weil sie im Hirn schon Maschinen sind.
Trotzdem kann dich selbst die tollste Silikon-Konstruktion nicht
"Mandelförmig" anschauen. Mit mandelförmigen Augen vielleicht.
das solltest du ändern.

(beim Berwirtungs und Beherbergungsvertrag ist, meines Wissens, nur in Österreich, Wasser als Service beinhaltet.
Wenn alle nur Leitungswasser - für Null - trinken. Wie soll das mit der Pacht gehen?)

raineru
 

Haruki

Mitglied
Du kannst schreiben. Zweifellos. Der erste Eindruck ist gut.
Du vermeidest unnötige Füllworte weitgehend und spinnst den Faden in aller Ruhe.
Durch ein paar Kürzungen würde Deine Zukunftsvision, die mich ein wenig an Stanislaw Lem erinnert, sogar noch gewinnen.
Alles in allem hat es mir aber auch so gut gefallen.

Gruß

Haruki
 



 
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