Katholisch

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Thomas Fried

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Gesellschaftliche Ereignisse sind mir zuwider, ich versuche ihnen zu entgehen wo es nur möglich ist. Leider lassen sich nicht alle Einladungen umgehen. Mein neuer Roman war erschienen und fand so reißenden Absatz, dass er von den Buchhändlern gleich aus den Versandkartons verkauft wurde.Ich wurde von meinem Hamburger Verlag eingeladen. Man wolle den Erfolg mit mir feiern und habe eigens für mich ein Programm zusammengestellt, das mir garantiert als unvergessliches Erlebnis in Erinnerung bleiben würde.

Der Tag verlief wie erwartet. Ich wurde durch den Verlag geschoben und allen wichtigen Menschen vorgeführt, deren Namen ich schon wieder vergessen hatte, kaum dass sie mir vorgestellt worden waren. Geduldig ließ ich die ganze zweihundertjährige Firmengeschichte, in einem ebenso langen Vortrag, über mich ergehen und bewunderte, wie es von mir erwartet wurde, das historische Gebäude in dem der Verlag seit seiner Gründung residierte.

"Ruhen Sie sich noch etwas aus, es könnte eine lange Nacht werden. In drei Stunden hole ich Sie wieder ab und dann geht es richtig los" verabschiedete sich mein Lektor, der mich zu meinem Hotel gefahren hatte. Er grinste breit, kniff ein Auge zu und war schon verschwunden, ehe ich noch fragen konnte, was da auf mich zukommen würde.

Zutiefst beunruhigt schlich ich auf mein Zimmer, an Ruhe war überhaupt nicht mehr zu denken. Ich hasse lange Nächte, ich hasse Überraschungen und ich hasse es drei Stunden in einem Hotelzimmer zu verbringen, während sich über meinem Kopf ein Unheil zusammenbraut. Als Schriftsteller lebe ich in meiner eigenen Welt, erschaffe Charaktere mit denen ich umspringen kann, wie es mir beliebt. In meinen Büchern werde ich mit jeder Situation fertig, jeder Kommentar ist scharfsinnig und für meine Schlagfertigkeit bin ich berüchtigt. Meine Welt funktioniert so, wie ich es wünsche. Ich bin der unumstrittene Herrscher und wer sich meinem Willen nicht beugt, wird den Tag verfluchen an dem ich ihn ersann. Ich mag es nicht wenn ich Situationen ausgeliefert werde, die ich nicht vorausgeplant habe und in denen ich alle Fähigkeiten meiner Helden bräuchte, über die ich aber nicht verfüge.

Pünktlich wurde ich drei Stunden später abgeholt. Der Lektor hatte zwei weitere Verlagsmitarbeiter zur Verstärkung mitgebracht. Offenbar rechnete er mit Widerstand. Ich ließ mich zum Wagen führen und auf die Rückbank setzen und schon fuhren wir los. Der Beifahrer drehte sich nach mir um:
"Na, schon eine Ahnung wo es hingeht?"
"Nein" Ich wusste es wirklich nicht und ich wollte es auch nicht wissen. Ich wollte noch nicht einmal dahin. Seit wann fragt der Henker den Delinquenten, ob er weiß, wo es hingeht?
"Na, überlegen Sie doch mal. Ich gebe Ihnen mal einen Tipp: Hamburg! Unvergesslicher Abend! Na, klingelts?"
Mein Henker hatte eindeutig Spaß daran, mich vor meiner Hinrichtung noch etwas zu quälen. Mit seinen blöden Fragen und seinen noch viel blöderen "Na's".
"Na, okay, ich sags Ihnen" Da, schon wieder ein 'Na'. "Kiez. Reeperbahn. Sankt Pauli! Aber vorher gehen wir noch richtig gut essen, damit wir schön bei Kräften bleiben"
Die Welt um mich herum verschwamm.
"Frauen?" Mehr brachte ich nicht heraus. Mein Lektor, der den Wagen fuhr, gackerte leise vor sich hin und schüttelte den Kopf.
"Na klar. Frauen! Halbnackt, nackt. Ganz so wie Sie es nur vorstellen können."
Ich wollte mir gar nichts mehr vorstellen. Damen gegenüber bin ich so schlagfertig und wendig wie ein Kreuzfahrtschiff in voller Fahrt. Bei halbnackten oder gar nackten Frauen, verlässt dann auch noch der Kapitän das sinkende Schiff. Rien ne vas plus, nichts geht mehr.

Wo wir essen waren, was wir gegessen haben und wie lange wir Essen waren, kann ich nicht mehr sagen. Ein Mensch der in Panik ist, vergisst die Welt. Ich kam erst wieder zu mir, als ich in die "Ritze" gestoßen wurde.
"Na, hier wären wir" meldete sich mein Henker wieder zu Wort. "Das ist die "Ritze". DAS Etablissement auf Sankt Pauli, ach was, in ganz Deutschland. Da werden Ihnen die Augen übergehen."
Die Augen gingen mir nicht über, die hielt ich fest geschlossen, während ich mich vorwärts schieben ließ. Aber mein Magen meldete, dass er sehr gerne übergehen würde. Ich öffnete die Augen erst wieder als wir an dem für uns reservierten Tisch ankamen.
"Da haben wir aber den Platz mit dem besten Blick auf das Paradies. Na, was meinen Sie?"
Das Paradies hatte ich mir immer ganz anders vorgestellt. Zumindest gab es in meiner naiven Vorstellung von Eden kein ovales Podest in der Größe eines Gartenteiches und wenn, dann wäre ganz sicher Boden nicht mit trittfesten Spiegelfliesen ausgelegt. Und wozu die Feuerwehrstange in der Mitte gut sein sollte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Es dauerte nicht lange, bis mir ihr Zweck sehr eindrucksvoll demonstriert wurde.

Wir hatten kaum Platz genommen, als eine Tänzerin das Podest betrat. Auch wenn sie auf den ersten Blick so aussah, es war keine Nonne. Nonnen tragen keine Tracht aus Lackstoff und ganz gewiss endet deren Saum nicht knapp unter dem Po. Nonnen tragen auch keine Netzstrümpfe und keine Riesenschnuller um den Hals, wie man sie auf einem Jahrmarkt schießen kann. Gott sei dank trug sie dieses Nonnengewand. Wenn auch nur notdürftig, so verdeckte es doch ihr Intimstes. Dachte ich…bis ich den Blick verschämt nach unten richtete. Schlagartig wurde mir der Sinn der Spiegel klar.
"Nonnen tragen Unterwäsche!" schoss es mir durch den Kopf. Die Dame auf dem Podest hatte davon aber offensichtlich noch nichts gehört. Laute Musik erklang und die Nonne begann, in immer groteskeren Verrenkungen, ihren Körper um die Feuerwehrstange zu winden. Nachdem sie einige Male, die Stange zwischen ihren Schenkeln, in die Hocke ging und sich wieder aufrichtete, ließ sie sich auf alle Viere nieder und kroch langsam auf mich zu. Ich war doch im Paradies. Die Schlange, von der Eva verführt wurde, den Apfel zu nehmen, muss ebenso falsch gelächelt haben.

Die Nonne setzte sich direkt vor mich hin, schlang ihre Beine um mich und riss sich den Schnuller vom Hals.
"Nimm die Frucht!"
Sie drückte mir das Riesending in die Hand, warf ihren Oberkörper zurück, stützte sich auf den Ellbogen auf und hob ihr Becken.
"Und jetzt, füttere das Tier!"
Ich konnte das Tier nicht füttern. Ich saß an meinem Tisch, den Schnuller in der erhobenen Hand und war gelähmt. Keine Bewegung war mehr möglich, mein Hirn war leer und mein Mund stand offen, obwohl ich nichts zu sagen hatte. Alles starrte mich an und wartete ungeduldig. Langsam wurden einzelne Stimmen laut, die sich rasch zu einem Chor sammelten.
"Fütter das Tier. Fütter das Tier…"
Ich stand auf, immer noch die Frucht in der Faust, als es plötzlich totenstill wurde. Was würden meine Helden jetzt tun? Was würden sie sagen? Hätte ich zwei oder drei Tage Zeit gehabt, wäre mir etwas besseres eingefallen, als das was ich sagte.
"Ich kann nicht, ich bin streng katholisch."
 
nix für ungut...

Nix für ungut, aber Autoren, deren Bücher aus dem Karton raus verkauft werden, schreiben dann doch noch einen Tick rafinierter. Obwohl...
 



 
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