Kaufhauspsychologie versus selbstbestimmtes Einkaufen

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Frederik

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Kaufhauspsychologie

Neulich saß ich meinem Lehrer für Allgemeinwissen gegenüber. Seine zwanzig Zoll Bildschirmdiagonale präsentierte mir eine Sendung über Kaufhauspsychologen. Diese Leute sorgen dafür, dass wir mit drei Einkaufswagen den Supermarkt verlassen, obwohl wir lediglich zwei Suppenwürfel benötigten.

Produktanordnung, Musik, Farben alles Wahrnehmbare, oder auch nicht Wahrnehmbare, wird mit einem Psychologen abgestimmt. Verständlicherweise war ich schockiert. Seit Jahren, werde ich Woche für Woche manipuliert. Ich hatte diesen Verdacht schon, als ich beim letzten Einkauf spontan einen farrariroten Rasenmähertraktor kaufte, obwohl sich der Freiluftbereich meiner Wohnung auf einen Balkon beschränkt; dessen Fläche im Übrigen nun mit dem Rasenmäher ausgefüllt ist. Aber nun hatte ich den Beweis, bunt auf TFT!

Am nächsten Morgen machte ich mich auf zum hiesigen Supermarkt. So ein richtig großes Kaufhaus mit Kleidung, Obst, Nudeln, Eier, Salmonellen, Brötchen, Elektrowaren, Psychologen, Zeitungen, Kaffee und vielem mehr. Der Wocheneinkauf war zwar noch nicht fällig, aber ich wollte mir -und denen, die mit meiner Psyche experimentierten- beweisen, dass ich selbstbestimmt einkaufen konnte. Ich war nun eingeweiht in die üblen Manipulationsmachenschaften, ergo konnte mir kein Psychologe mehr etwas aufzwängen.

Es war soweit, ich passierte mit meinem Einkaufswagen den Eingangsbereich. Rechts von mir stand eine junge Frau in der Dessousabteilung. Sie lächelte mich an und blinzelte mit dem rechten Auge. Ich war für einen Moment verzückt und fühlte mich geschmeichelt. Dann wurde mir klar, dass es sich nur um einen weiteren verkaufsfördernden Trick handeln musste. So etwas passierte allenfalls im Fernsehen, und auch dort nur in unseriösen Filmen. Ich lief auf die Frau zu, packte sie an den Schultern und schrie ihr ins Gesicht, wie satt ich es hätte ständig von Verkaufspersonal manipuliert zu werden. Die Frau versprach mir es weiterzugeben, sobald sie einen Verkäufer sähe. Mit einem gewissen Maß an Schamesröte führte ich meinen Einkauf fort.

Überhaupt, eine Dessousabteilung, direkt am Eingang. Klar, hier soll die Durchblutung des männlichen Gehirns deutlich herabgesetzt werden, zugunsten einer maximierten Durchblutung in anderen Körperregionen. Ein trockenes Gehirn lässt sich eben leichter beeinflussen. Wer diesen gemein schönen Taschenspielertrick verharmlosen will, indem er damit argumentiert, dass die meisten Einkaufswilligen noch ihre Gattin zur Seite haben, deren Gehirn noch nicht blutentleert vor sich hingetragen wird, irrt. Direkt gegenüber der Lingerie befindet sich die Schuhabteilung, womit oben beschriebenes Symptom entsprechend auf die Gattin übertragbar ist.

Ich konzentrierte mich, um weitere Strategien der Marktleitung zu durchschauen. Insbesondere die subtilen Methoden galt es aufzudecken. Die Kommunikation mit meinem Unterbewusstsein unter Ausschluss meines Bewusstseins, musste verhindert werden. Plötzlich hörte ich es...

Geheime Botschaften klangen zwischen den Tönen der gewohnten Kaufhausmusik. Phil Collins versuchte mich zu einem maximierten Konsumverhalten zu animieren. Es war eine Art Krächzen, vom Bewussten-Ich kaum wahrzunehmen. Es schienen hebräische Suggestionen zu sein, rückwärts gesprochen und dann verkehrt herum abgespielt, eventuell sogar von links nach rechts gesprochen. Zugegeben, eigentlich kenne ich nur das hebräische Wort Schlemihl, aber das Unterbewusstsein versteht das ständige Krächzen wahrscheinlich und übersetzt es als „Kauf mehr, kauf schon, Schokolade macht glücklich, Frauen brauchen Schuhe ...!“,und Ähnlichem mehr. Um den juristischen Grundsatz in dubio pro reo zu wahren, muss ich allerdings gestehen, dass es sich auch um einen defekten Lautsprecher gehandelt haben könnte. Wobei mir ersteres Szenario wahrscheinlicher erscheint.

Dann erinnerte ich mich an einen weiteren geheimen Dreh der Psychologen, der mir -und Dreimillionen weiteren Fernsehzuschauern- in der konspirativen Sendung verraten wurde. Teure Produkte sollten immer in Augenhöhe stehen, während die erschwinglichen eher in Bodennähe zu finden sein sollten. Ich stand vor meinem gewohnten Rasierwasser, „König der Lüfte“, platziert in Augenhöhe, 13,80 Euro. Fast hätte ich zugegriffen, doch ich begab mich in die Hocke. Tatsächlich, „Prinz der Erde“, 3,80 Euro. Ich sah unter dem Regal und fand „Knecht des Erdreichs“ für 3,80 DM. Unglaublicher Erkenntnisgrundsatz: Höhenluft wirkt inflationsbeschleunigend.

Aus nachvollziehbaren Gründen, führte ich meinen Einkauf auf allen Vieren fort. Ich stellte fest, dass mein neugewonnener Grundsatz nahezu Allgemeingültigkeit in Anspruch nahm. Außerdem kann ich nun aus Erfahrung sagen: Haute couture Absätze a la Gucci schmerzen auf dem Handrücken ähnlich wie Discounttreter. Ausnehmend, wenn eine viertel Tonne auf einen Quadratzentimeter konzentriert wird.

In der Gemüseabteilung wurde ich wieder zu einer aufrechten Haltung gezwungen, denn eine junge Dame warf mir ihr Rotkohlglas auf dem Kopf. Sie meinte ich bewegte mich in Bodennähe, um ihr unter dem Rock zu schauen. Ich erwehrte mich, ob solcher Behauptungen. Als wenn mich ihr blöder, rosafarbener Slip interessierte.

Eine interessante Entdeckung lenkte mich ab. Vor der Gemüsewaage stand eine gestandene Hausfrau und brach die grünen Stiele von ihren Paprikaschoten. Clever, dachte ich mir. Diese Frau lässt sich nichts andrehen. Vor dem Wiegen wurde sämtliches Grün abgerissen. Ein Verkäufer lächelte ihr noch mit einem Kopfnicken zu. Wahrscheinlich aus purer Resignation. Ich nahm diese Jeanne d´ Arc des Supermarktes zum Vorbild. Warum sollte ich für meine Bananenschalen den selben Kilopreis zahlen, wie für meine Bananen? Folglich trennte ich Bananen und Schale vor dem Wiegen, ebenso wie Nüsse und Schale. Ich lächelte dabei freundlich dem Verkäufer zu. Er lächelte nicht. Meine Aktion stieß auf wenig Gegenliebe. So wog ich meine Schalen nach, um ein Hausverbot zu umgehen. Alternativ gewährte mir der Gemüseaufseher die Möglichkeit, die Schalen vor Ort zu verzehren. Ich lehnte ab. Aus niederen Rachegelüsten drückte ich allerdings bei den Bananenschalen die Taste „Walnüsse“.

Endlich fand ich Maggiwürze, nachdem mich drei Verkäufer an vier verschiedene Orte geschickt hatten. Sie wollten mich natürlich nur verführen, unterwegs weitere unnütze Artikel zu erwerben. Dilettantischer Versuch. Ihre Rechnung ging nicht auf. Die einzigen Waren, die ich aufgrund der Suche zusätzlich in den Einkaufwagen legte, waren eine Taschenlampe, eine Zeitschaltuhr, ein Digitalkompass, ein Lichtdimmer, zwei Leuchtjojos, ein PC, ein Helioskop, ein Schweizermesser, ein GPRS-Navigationssystem, eine geblümte Tischdecke mit Leuchtdioden, ein Handy und ein multifunktionales Weiß-ich-noch-nicht-was-das-ist, kurz und gut: Technik die begeistert, nur das Notwendigste.

Nun studierte ich die Maggipreispolitik. 500 ml kosteten 2,98 Euro, hingegen waren 1000 ml schon für 5,94 Euro zu haben. Früher hätte ich natürlich die kleine Flasche genommen, weil ein halber Liter Maggi bis zum nächsten Wohnungswechsel reicht. Sensibilisiert, wie ich nun war, fing ich an zu rechnen. Die Literflache bedeutete zwei Cent Ersparnis pro Liter und was spricht gegen Maggi in Umzugskartons. Ich setzte mich mit der Geschäftsleitung in Verbindung und handelte nahezu problemlos vier Cent Rabatt auf jeden Liter aus. Ich musste mich im Gegenzug nur verpflichten fünf Hektoliter abzunehmen. Was für ein Sparpotential! Ich bestellte noch drei Doppelzentner Schokohasen, einen Container Kartoffeln, sechs Kubikliter Ketchup, fünfzig Gros Toilettenrollen, und einige Dutzend weitere Artikel. Natürlich nicht ohne einen adäquaten Rabatt herauszuholen. Diese, in meiner Sparwut erworbenen, Artikel bekam ich größtenteils sogar frei Haus geliefert. Lediglich einige speziellere Dinge galten nur „free on board, columbia“, diese konnte ich aber ab Hamburg Hafen abholen. So ein selbstbestimmter Einkauf hat etwas befreiendes.

Ich schob meine drei, aus reiner Eigeninitiative gefüllten, Einkaufswagen in Richtung Kasse. Nach meiner stringenten Selbstdisziplin gönnte ich mir einen Impulskauf, um nicht die Arbeitsplätze der Kaufhauspsychologen zu gefährden. Außerdem ließen sich mit dem zitronengelben Rasenmähertraktor die Waren leichter nach Hause ziehen. Ein gelungener Einkauf, hätte ich nur nicht die verflixten Suppenwürfel vergessen.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
prust,

kicher, lach! meine bude wackelt. vielen dank für diese herrliche satire!
ganz lieb grüßt
 

Frederik

Mitglied
Re: prust,

Hallo,

danke für den Kommentar. Ich freue mich sehr, wenn ich Resonanz bekomme.
Oder ist das nur ein psychologischer Trick?!

Liebe Grüße zurück
Frederik
 



 
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