Kazumba und der Betrunkene

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Mazirian

Mitglied
Kazumbas Abenteuer​

3. Episode​

Kazumba und der Betrunkene

(für Franz Kafka)​

Als Kazumba, der schwarze Weise noch ein junger Bursche und war und sein Durst nach Erkenntnis am heißesten brannte, schritt er oft des Nachts durch die nebeldüsteren Straßen von Schmarantia, um im Dunkel jene Erleuchtung zu finden, die vom Licht der Tagessonne gewöhnlich überstrahlt wurde.
Auf einem dieser nächtlichen Gänge geschah es, dass er zum ersten Mal in seinem Leben auf einen Betrunkenen traf. Interessiert beobachtete er, wie dieser mit stolpernden Schritten den Gehsteig entlang taumelte und sich von Laternenpfahl zu Laternenpfahl voran arbeitete. Manchmal sank sein Kopf weit nach vorn und er gab würgende Geräusche von sich, dann wieder ließ er sich schwer auf die Treppe eines Hauseingangs fallen, schwenkte seine Flasche und gröhlte selig den Mond an.
Nun hätte sich Kazumba eigentlich angewidert abwenden können, denn über die Betrunkenen und den Alkohol hatte man ihm nur Nachteiliges erzählt. Dass es ein schlimmes Gift sei, welches sie aus Haltlosigkeit zu sich nähmen; dass sie ihrer Sinne nicht mehr mächtig seien und sich durch ihr willenschwaches Tun selbst zum stumpfsinnigen Vieh erniedrigten. Aber obwohl ihm dies auf den ersten Blick durchaus zutreffend erschien, blieb Kazumba stehen, um sich den Betrunkenen genauer anzuschauen.
Er kannte den Mann nämlich recht gut, da es Urmgarn, einer seiner Nachbarn war und er schon oft mit ihm gesprochen hatte. Allerdings hatte Kazumba ihn bislang für einen stillen, in sich gekehrten, ja, fast schwermütigen Menschen gehalten. Was auch nicht weiter wunderte, denn Urmgarn drückten unabzahlbar hohe Schulden und sein einziger Sohn saß als verurteilter Verbrecher im Turm ohne Wiederkehr.
Dass seine Frau ihm früh verstorben war, machte die Sache nicht besser und es gab auch sonst nicht viel, was Urmgarn mit seinem unerfreulichen Dasein hätte aussöhnen können: Weder besondere geistige Gaben, noch eine gefällige Erscheinung. Im Gegenteil - er wies eine ungewöhnlich hohe Zahl äußerlicher Mäkel auf und seine Sprache, wie auch seine Gedanken waren schlicht und dumpf. Niemals hätte Kazumba mit ihm tauschen mögen.
Aber wie er Urmgarn da, entrückt grinsend, auf der Treppe hocken sah, war er sich dessen nicht mehr so sicher.
Denn der schien den kalten Nebel gar nicht zu spüren, der Kazumba so unangenehm unter die Kleider kroch. Auch schienen ihn die trostlose Nacht und der Straßenschmutz nicht zu kümmern, die Kazumba bleischwer aufs Gemüt drückten. Ja, es kam Kazumba vor, als blickten Urmgarns leere, glasige Augen in eine Welt voller Sonne und Gramlosigkeit, in der weder Schulden, noch spärliche geistige Gaben und Gebrechen ein Grund zum Trübsinn sein konnten.
Nicht nur das: Da Urmgarn auch nicht zu frieren schien und seine triste Umgebung offenbar gar nicht wahr nahm, fand Kazumba es nicht unwahrscheinlich, dass sich sein Nachbar sogar vollständig körperlich in jener Welt aufhielt; unbeschadet der Tatsache, dass ein sichtbares Abbild seiner Existenz hier vor ihm auf der Treppe saß.
Um es zu prüfen, trat Kazumba vor und setzte seinen Stiefelabsatz auf die Fußspitze des Betrunkenen, so dass dieser eigentlich beträchtliche Schmerzen hätte empfinden müssen. Aber der verzog nicht einmal eine Miene, was Kazumba davon überzeugte, seinen Zustand richtig erkannt zu haben.
Derart verunsichert in seinen Überzeugungen, aber auch erfreut darüber, wieder etwas über die Welt gelernt zu haben, nahm Kazumba sich vor, anderntags auf den Marktplatz zu gehen. Dort wollte er eine große Rede halten, in der er der Bevölkerung die Vorteile der Trunkenheit auseinander legte und sie dazu ermunterte, den Alkohol öfter und reichlicher zu gebrauchen, als dies bisher schicklich gewesen war.
Als er jedoch am folgenden Morgen frühstückend vor dem Küchenfenster saß und auf die Straße schaute, bemerkte er, wie vier Hilfsgendarmen seinen Nachbarn in Richtung Schindanger trugen: Geschwärzt vom Frost der Nacht, den Dolch eines Straßenräubers im Rücken und die Nasenspitze von Ratten abgefressen.
Kazumba dachte kurz nach und sah schließlich davon ab, eine Rede auf dem Marktplatz zu halten. Stattdessen suchte er einen kleinen Laden im Barbarenviertel auf, wo er für billiges Geld eine beinerne Flöte kaufte, auf der er den ganzen Heimweg über lustige Lieder blies.


© 2006 by Achim Hildebrand
 

Mumpf Lunse

Mitglied
allerdings: es steht zu vermuten das kazumba seine rede sorgfälltig ausgearbeitet und zu papier gebracht hatte, bevor er beschloss, von dieser abzusehen.
auf unerfindlichen wegen hat sie sich verbreitet, ist unzählige male abgeschrieben und weitergegeben worden.

so und nur so ist zu erklären, dass vorsätze - selbst wenn man sie bezeiten aufgibt - sich wie das myzel der schimmelpilze in meinem badezimmer, verbreiten und ihre auswirkungen entfalten.
weswegen ja auch der vorsatz selbst das eigentlich schlimme an so manchem tun ist.

mumpf
der wie immer viel zu spät, aber nichtsdestotrotz mit vergnügen, kazumba folgte.
 



 
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