Kein Tag wie jeder andere

Kein Tag wie jeder Andere


Prolog


Der kleine Junge saß zu Füssen seines Grossvaters, der es sich in seinem alten Lehnstuhl bequem gemacht hatte. Eine rot- schwarz karierte Wolldecke lag über seinen Knien und wärmte seine von Gicht geplagten Glieder. Das Schnee weise Haar war zu einem ordentlichen Scheitel gekämmt, sein sandfarbenes Hemd war eine spur zu groß, doch zeitlebens hatte er seine Hemden so getragen und er dachte nicht im Traum daran, jetzt, am Ende seines langen Lebens etwas daran zu ändern. Er nippte an der dampfenden Tasse Kaffee, wie immer trank er eine selbst zusammengestellte Mischung kolumbianischer und brasilianischer Bohnen deren aromatischer Duft ihm jetzt in die Nase stieg und er genoß jeden Schluck den er trank mit bedacht. Der Junge blickte in die wäßrigen Augen des alten Mannes, lächelte ihn glücklich an und streichelte ihm die Hand , die jetzt locker auf der Armlehne des Lehnstuhls lag. „ Opa .....“ setzte der Junge vorsichtig an „Ja Mark, was hast Du denn?“ kam die Antwort mit einer sanften, tiefen Baßstimme, deren Kraft jeden der sie zum ersten mal hörte in Erstaunen versetzte. „Opa ..erzählst Du mir nochmals die Geschichte, als die Welt sich zum Guten gewandelt hat, ich hör sie doch so gern, weißt Du “ . Der alte Mann liebte das freche Blitzen in den Augen seines Enkels, „ ein aufgeweckter kleiner Junge“ dachte er, und ein zärtlicher Ausdruck machte sich auf seinem von Wind und Wetter gegerbten Gesicht breit, er liebte den Jungen mehr als alles andere das er auf dieser Welt besaß und das war nach menschlichen Maßstäben gerechnet ein ganze Menge. „ Klar mein Junge, komm setzt dich auf meinen Schoß, dann erzähl ich Dir von dem Tag der so anders war als alle anderen Tage in meinem Leben“. Er half dem Jungen auf seinen Schoß zu klettern, ignorierte den Schmerz den das ungewohnte Gewicht in seinen Gliedern verursachte, sah zu wie es sich sein Enkel bequem machte, sich eng an ihn schmiegte und den Kopf erwartungsvoll auf seine Brust lehnte. Er legte seinen Arm um den kleinen Jungen, in dem er so viel von sich selbst zu erkennen glaubte und begann mit gleichmäßiger Stimme zu erzählen ...



17.September 2000

Der Jahrtausendwechsel war ohne größere Zwischenfälle über die Bühne gegangen, wenn man von den wenigen Störungen in Kernkraftwerken und militärischen Anlagen einmal absah, von denen die Öffentlichkeit nie etwas erfahren hatte. Die kleine radioaktive Wolke die Teile Südostasiens in jener Nacht überzogen hatte war ebenso unbemerkt geblieben, wie der Austritt eines neuartigen biologischen Kampfstoffes auf der Basis des Milzbranderregers aus einem militärischen Forschungslabors in der Nähe von Middletown, Ohio. Die Wiederkehr Jesus, von vielen selbsternannten Propheten für diese „heilige Nacht“ heraufbeschworen, war auf unbestimmte Zeit verschoben und hatte eine Reihe von religiösen Glaubensgemeinschaften in eine schwere Identitätskrise gestürzt. Nicht wenige sahen sich mit einem nie erwarteten Anhängerschwund konfrontiert, der ihre Führer ernsthaft um den Fortbestand ihres einträglichen Geschäfts fürchten ließ. Die unzähligen Endzeitsekten die zum Ende des alten Jahrtausends wie Pilze aus dem Boden geschossen waren, verschwanden fast genauso schnell wieder von der Bildfläche wie sie aufgetaucht waren. Ihre Anhänger zerstoben in alle vier Himmelsrichtungen, weiterhin auf der Suche nach etwas, von dem sie in letzter Instanz nicht einmal selbst wußten, was es eigentlich war. Allein die Aktienmärkte an den Weltbörsen hatten in der Folgezeit mit einem wahren Kursfeuerwerk auf den ausgebliebenen Millenium Gau reagiert, hatten die Lust und die Gier nach schnellem Reichtum weiter angeheizt. Politisch blieb ebenfalls alles beim Alten. Manipulierte Wahlergebnisse in Entwicklungsländern gehörten ebenso zur Tagesordnung wie Korruption und parteiinternes Schmierentheater in den G8 Staaten. Das Aufflammen kleinerer regionaler Konflikte auf dem Balkan und anderen Teilen der Welt interessierte wie schon im alten Jahrtausend außer den tatsächlich Betroffenen und einer handvoll Idealisten niemand wirklich, dafür machte man sich Gedanken ob man den nächsten Urlaub auf den Malediven oder doch lieber in der Karibik verbringen sollte. Niemand ahnte etwas von den heraufziehenden „Veränderungen“ und schon gar nicht aus welcher Richtung sie kommen sollte.


17.September 2000 11:55 Ortszeit
CNN Studio Washington D.C.

Hektisches Treiben herrschte in dem winzigen Fernsehstudio im Zentrum Washingtons in dem CNN für gewöhnlich die 12 Uhr Nachrichten produzierte und in die ganze Welt ausstrahlte. Die Einschaltquoten waren atemberaubend und wie immer kurz vor der Sendung spielten sich mehr oder weniger chaotische Szenen ab, so daß ein Außenstehender niemals erwartet hätte, daß in weniger als 5 Minuten hier überhaupt etwas vernünftiges würde über die Bildschirme flimmern können. Madeleine Fredericks die Regisseurin, saß gelangweilt vor dem großen Mischpult, beobachtete die 24 Kontrollmonitore mit den verschiedenen Kameraeinstellungen, ließ von den Technikern zum 5 mal die Einspielungen der Korrespondenten aus aller Welt überprüfen und warf einen letzten Blick durch die große Glassscheibe der ihr zeigte, daß das Chaos langsam in geordnete Bahnen gelenkt wurde. „ Noch 3 Minuten“ mahnte ihre Assistentin, die direkt hinter ihr Stand. Sie haßte diese jungen, gutaussehenden Dinger, die es ihrer Meinung nach allesamt nur auf ihren Job abgesehen hatten. Aber so ist das nun mal in diesem Geschäft, dachte sie resigniert, schließlich war sie auf die gleiche Art und Weise an diese Stelle gekommen, also warum sich beschweren. „ Noch 2 Minuten“. Die Sprecherin zupfte ein letztes mal an ihrer Bluse, bekämpfte die trotz aller Routine vorhandene Nervosität in dem sie ihre Textblätter nochmals ordnete und mit den Fingerspitzen die Ränder des Stapels glattstrich. Natürlich dienten sie nur für den Notfall, wenn die Monitore ausfallen würden. Die Maskenbildnerin prüfte zum x-ten mal das Gesichtsmakeup, warf einen fragenden Blick in Richtung Kontrollraum, und als ihr von dort versichert wurde, daß es keine Schatten gab, verschwand sie blitzartig aus Madeleines Blickfeld. Routine, dachte Madeleine, ein Teufelskreis, alles verlor nach einer Weile seinen Reiz, der Job, die Beziehung zu ihrem Mann mit dem sie seit mehr als 10 Jahren verheiratet war, ja sogar beim Sex mit ihrem um 9 Jahre jüngeren Liebhaber hatte sie in den letzten Wochen deutlich weniger Befriedigung gefunden, und sie machte sich ernsthaft Sorgen, ob es allmählich wieder an der Zeit war sich nach etwas Neuem umzusehen. Für eine Karrierefrau wie sie kein all zu schwieriges Unterfangen, wenn man einmal davon absah, daß sie aufgrund ihres Bekanntheitsgrades auf Verschwiegenheit und Diskretion angewiesen war. Bisher hatte sie ihr weiblicher Jagdinstinkt jedoch noch nie im Stich gelassen und noch keiner ihrer abgelegten Spielgefährten hatte sich nicht durch ein mehr oder weniger üppiges Geschenk davon abhalten lassen an der Öffentlichkeit schmutzige Wäsche zu waschen. Sie lächelte bei dem Gedanken und konzentrierte sich zugleich.„ Noch 1 Minute“ im selben Augenblick wurde die zweiteilige Tür des Notausgangs mit einem lauten Krachen aufgestoßen, die Tür brach aus ihren Angeln. Madeleine erstarrte, da sie die Bewegung aus dem Augenwinkel heraus wahr genommen hatte, wie war das möglich, die Tür war doch von außen gar nicht zu öffnen. Ein Anschlag,, durchfuhr es sie, oh mein Gott auch das noch, wahrscheinlich irgendwelche religiösen Spinner die ihre Botschaft auf diesem Weg verbreitet sehen wollten. Wo war nur der Sicherheitsdienst ? Schon mehrfach war CNN von Fanatikern heimgesucht worden , doch jedesmal war es dem Sicherheitsdienst, für den der Sender schließlich auch eine gewaltige Geld locker machte, gelungen, die Situation in kürzester Zeit in den Griff zu bekommen. Gebannt starrte sie auf die Tür, sah wie sich zwei Sicherheitsleute mit gezogenem Revolver in Richtung Tür stürzten, dann jedoch in merkwürdig gekrümmter Haltung mitten in der Bewegung wie zu Statuen erstarrten. Madeleine konnte nicht glauben was sie da sah, geschweige denn es begreifen. Sie blickte zu ihrer Assistentin um zu prüfen , ob sie Opfer eines Scherzes mit versteckter Kamera geworden war. Ein Blick in das völlig verzerrte Gesicht genügte um ihr zu beweisen, daß nichts was sie gesehen hatte ihrer Phantasie entsprungen war. Als sie wieder zurück zur Tür starrte trat eben ein etwa 1.90 großer Mann durch die nicht mehr vorhandene Tür ins Studio. „Wow“ dachte sie, schalt sich jedoch gleich selbst, über so viel Kaltschnäuzigkeit. Er hatte kurzes schwarzes Haar, trug einen teuren Schwarzen Anzug, und sah unglaublich gut aus, unverschämt gut sogar. Erneut war sie verwirrt über die Reaktionen die dieser Fremde in ihr hervorrief, jemand der gewaltsam in ihr Allerheiligstes eingedrungen war, der sie den Job kosten würde und der dabei war ihr Leben in Schutt und Asche zu legen aber sie konnte sich seiner Anziehungskraft und seiner erotischen Ausstrahlung einfach nicht entziehen. Wie hypnotisiert beobachtete sie das Geschehen am Sprecherpult, unfähig einzuschreiten, unfähig überhaupt etwas zu unternehmen. In diesem Augenblick wand der ungebeten Besucher ihr den Kopf zu und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln, so entwaffnend, daß es sie mitten ins Herz traf.
„ Währen Sie doch bitte so freundlich und würden sich erheben, junge Dame, ich habe der Welt etwas mitzuteilen, es wird nicht allzulange dauern“ erklang die warme, sympathische Stimme über den Kontrollmonitor.
Die Sprecherin erhob sich zögerlich um dann um so schneller die Chance zur Flucht zu ergreifen und das Studio panikartig zu verlassen. Der Mann, er hatte sich mitlerweile gesetzt, schaute freundlich in die Kamera direkt vor ihm, Frontalaufnahme. Als sie den roten leuchtenden Punkt an der rechten Seite der Kamera registrierte wurde Madeleine bewußt, daß sie schon seit mehreren Minuten auf Sendung waren.


17.September 2000 12:01,Ortszeit
Washington D.C. Capitol Hill



Die Berater des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, dem derzeit wohl mächtigsten Mann der Welt saßen völlig verstört auf den bequemen Sofas im Oval Office und starrten zusammen mit dem Präsidenten auf das, was sich auf dem großen Bildschirm der an der gegenüberliegenden Wand befestigt war, abspielte. Niemand war in der Lage sich zu bewegen, geschweige denn ein Wort zu sprechen. Matt McDermott der Chef des CIA wollte aufspringen, doch irgend etwas hielt in an seinem Platz. Sein Körper verweigerte den Gehorsam und er mußte tatenlos mit ansehen, wie Welt um ihn herum aus den Fugen geriet. Waren die bei CNN denn jetzt völlig durchgedreht , dachte er, was soll denn dieser verdammte Mist, und er schwor sich daß er, wenn der Spuk erst mal vorüber war, diesen Laden der ihm schon lange ein Dorn im Auge war, umgehend dichtmachen würde.



17.September 2000 18:01 Ortszeit
Rom - Der Vatikan


Der neugewählte Papst, ein in seinen Ansichten sehr liberaler Mann, der in den wenigen Monaten seiner Amtszeit eine kleine Revolution in der katholischen Kirche ausgelöst hatte, starrte auf den 21 Zoll Bildschirm seines Compaq Rechners, auf dem er wie immer um diese Zeit die CNN - Mittagsnachrichten verfolgte. Er war das jüngste Kind einer einfachen Familie mit 3 Brüdern und 4 Schwestern, in Mexiko aufgewachsen. Dort hatte er in den Elendsvierteln von Mexiko Stadt die Bekanntschaft mit Gott gemacht und mit ihm dort an einem glühend heißen Sommertag Freundschaft geschlossen. Nachdem er vor mehr als zwanzig Jahren in einem Traum seinen Auftrag erhalten hatte, begann er seine beeindruckende Karriere in der römisch-katholischen Kirche, kein einfaches Unterfangen für einen weltlich so verwurzelten Mexikaner wie ihn, doch so wie es Gott ihm in jenem Traum prophezeit hatte, führte sein Weg bis an die Spitze, auf den heiligen Stuhl. So saß er an diesem Tag an seinem Schreibtisch und verfolgte das ungewöhnliche Treiben auf seinem Bildschirm. Er wußte das sich das was sich auf seinem Monitor abspielte mehr als 10 000 km entfernt in eben diesem Moment wirklich ereignete und daß es sich um kein Fernsehspiel oder einen schlechten Scherz handelte, die nackte ungeschminkte Realität Sein Freund Gott hatte es ihm in der Nacht zuvor mitgeteilt.

17.September 2000 18:01 Ortszeit
London



Riesige Menschenmassen hatten sich vor den Schaufenstern versammelt, auf jedem Bildschirm flimmerte die Live Übertragung aus dem Washingtoner CNN Studio, unzensiert, unkommentiert und völlig unbegreiflich. Vereinzelt erhoben sich „ Der Herr sei gepriesen“ Rufe aus der Menge doch ansonsten verharrte die Menge in stiller Erfurcht, wollte den Worten lauschen die dieser namenlose Unbekannte gleich an sie richten würde. Einem stillen Beobachter wäre wohl aufgefallen, daß es trotz der zufälligen Zusammensetzung der Menge aus Menschen unterschiedlicher Rassen, verschiedensten Kulturen und sozialen Schichten, sowie Altersstufen zu keinerlei Gedränge kam, auch gab es offensichtlich keine Berührungsängsten, viele hatten sich in stiller Übereinkunft an den Händen gefaßt, warteten ehrfürchtig auf den großen Augenblick der unmittelbar bevorstand.

Dann begann es ....




17.September 2000 12:04 Ortszeit
Washington D.C. - CNN Studio


Madeleine hatte versucht die Übertragung zu unterbrechen, doch das Mischpult hatte ihren Befehlen nicht mehr gehorcht, sogar das Kappen der Hauptstromversorgung hatte nichts genutzt. Natürlich wußte sie, daß die USV in einem solchen Fall den reibungslosen Fortlauf der Sendungen garantierte, doch hätte sie eigentlich in der Lage sein sollen durch Betätigen des EMERGENCY- Schalters den sofortigen Zusammenbruch der Stromversorgung herbeizuführen. Die Eigentümer des Senders hatten diesen Schalter gefordert, nachdem Mitte der 90er Jahre mehrere Fernsehstudios für politische Demonstrationen mißbraucht worden waren.

„ Nun denn“ begann der Fremde unterdessen, machte eine kleine Pause, wählte seine nächsten Worte mit Bedacht. Sofort war Madeleine gefesselt, die Sanftmut seiner Stimme schien sie vollständig in seinen Bann zu ziehen und sie hielt urplötzlich den Atem an als er weitersprach, „sie möchten sicher gerne wissen, wer ich bin. Ein nachvollziehbarer Wunsch ihrerseits. Ich werde mich bemühen ihre Neugier alsbald zu befriedigen. Aber lassen sich mich vorneweg ein paar Dinge klarstellen, die mir sehr am Herzen liegen.“ Madeleins Atem ging stoßweise, sie glaubte ihre Lungen würden jeden Augenblick bersten, doch das hatte bereits wieder jede Bedeutung für sie verloren, als er fortfuhr „Sehen sie, ich weiß nicht welche Vorstellung sie vom Himmel haben, es ist letztendlich auch nur von untergeordneter Bedeutung. Wenn sie Glück haben, dann werden sie vielleicht eines Tages in den Genuß kommen sich diesen Ort einmal aus der Nähe zu betrachten, wer weiß. Ich für meinen Teil war schon mal dort. Ein bißchen langweilig , das Unterhaltungsprogramm ist auch etwas eintönig, aber wem´s gefällt, bitte.“ er machte eine kleine Pause um die Worte wirken zu lassen, dann führ er fort „Ich schweife ab.“ Sein ehrliches Lachen offenbarte zwei Reihen Schnee weißer Zähne, die im grellen Scheinwerferlicht immer wieder aufblitzten. Eigentlich müßte er doch ohne MakeUp schwitzen, dachte Madeleine. „ Mmmmmh, vielleicht ist es doch besser ich stelle mich erst mal vor.“ Ein gütiges Lächeln spielte um seinen Mundwinkel und ein sehnsüchtiger Blick lag in seine Augen als er mit ruhiger Stimme weitersprach.

„ICH ... BIN ... DER TEUFEL“.


17. September 2000 18.06 Ortszeit
Rom - Der Vatikan


Der Papst lächelte, wie hatte er sich spitzbübisch auf diesen Augenblick gefreut. Welch ein Schauspiel dachte er bei sich, die beste Inszenierung in der Geschichte der Menschheit, ohne Zweifel. Aber im selben Augenblick dachte er auch an die Tragweite dessen, was nun folgen würde, und ein wohliges Kribbeln durchfuhr seinen Körper. Die ganze Laste der Mitwisserschaft fiel mit einem mal von ihm ab und er fühlte eine innere Leichtigkeit, die er noch nie zuvor empfunden hatte. Aber was würde nach diesem Tag noch so sein wie zuvor, fragte er sich, alles würde sich verändern, es war der Anbeginn einer neuen Zeitrechnung und er war glücklich darüber.


17.September 2000 12:07 Ortszeit
Washington D.C. - CNN Studio

„ Jetzt schauen sie doch nicht so geknickt, was haben Sie denn gedacht wen sie vor sich haben ?“ sprach er in die Kamera, wiederum begleitet von diesem gewinnenden Lächeln. Sein gütiger Blick tat seine Wirkung und Madeleine erstarrte vor Ehrfurcht. „ Dies soll der Teufel sein ?“ dachte sie und im selben Augenblick spürte sie wie etwas von ihren Gedanken Besitz ergriff. „Madeleine, soooo ungläubig“ , sie erahnte das Zwinkern seiner Augen mehr, als daß sie es sah und in ihrem Kopf schien alles zu vibrieren. „ Ganz ehrlich, den Teufel hast Du Dir anders vorgestellt, was?“ Sie nickte stumm, unfähig das zu glauben, was sie da sah, begreifen konnte sie es ohnehin nicht. Sie lauschte andächtig als er nun fortfuhr. „ Können sie sich vorstellen wie frustrierend es ist, wenn man immer nur der Böse ist, wenn einen keiner liebt. Wenn man immer für alles Unglück der Welt verantwortlich gemacht wird, während der da oben die Lorbeeren einsammelt ? Nein, können sie sicherlich nicht.“ Ein trauriger Glanz spiegelte sich in seinen Augen und sie verspürte den Drang ihn zu trösten. „ Es ist schon gut, Madeleine, ich danke Dir für Dein Mitgefühl“, die Worte hallten durch ihren Kopf. Vor der Kamera lachte der Teufel nun vergnügt „Haben sie mich jemals in ihr Abendgebet einbezogen, sehen sie, sicherlich nicht. Dafür haben sie mir ja auch mit jedem * Zum Teufel mit Dir* ihre schlimmsten Feinde angetragen. Der ganze Abschaum der Menschheit tummelt sich bei mir in der Hölle, kein angenehmer Aufenthaltsort, wenn dort nur solche Verkrachten Existenzen ihr Unwesen treiben. Also habe ich vor einer Weile mit umfassenden Umstrukturierungsmaßnahmen begonnen, und sie werden sehen, es wird ihnen dort gefallen.

„Madeleine würdest Du bitte die Aufzeichnung abfahren ....“ wieder dieses Lächeln, dachte sie bei sich„ den kleinen grünen Knopf bitte“ . Sie löste sich aus der Erstarrung, blickte verwirrt auf das Regiepult und drückte dann den Startknopf für die Videoeinspielungen, irgendwie noch immer damit rechnend, daß gleich alles in die Luft fliegen würde.


17. September 2000 18:10 Ortszeit
Der Vatikan


Er kannte den Film bereits. Während der Vorspann lief gönnt er sich einen Schluck, er liebte das leichte, etwas herbe Prickeln den der Prosecco auf seiner Zunge verursachte, genoß es wie Tropfen um Tropfen seine Kehle hinabrann und die angenehme Kühle ihn erschaudern ließ. Er spürte wie die ungeheuere Anspannung ein wenig von ihm abfiel und er seine innere Ruhe wiederfand. Er ignorierte das wilde hämmern an der schweren Eichentür, was hätte er den völlig verwirrten Kardinälen auch sagen können. Dann entdeckte er das vertraute Gesicht und im gleichen Augenblick verstummte das Klopfen an der Tür. Alles lauschte gebannt.

17.September 2000 12:10 Ortszeit
Washington D.C. Capitol Hill


Der Präsident spürte die Verwirrung die seine Berater erfaßt hatte. Die tägliche Routinesitzung war angesichts der sich überschlagenden Ereignisse zu einer Farce geworden. Er musterte seinen Beraterstab, 12 regungslose Gestalten die in den schwarzen Ledersesseln saßen, er wußte daß sie von der selben Todesangst heimgesucht wurden wie er selbst. Sie hatten den Blick stur auf den Bildschirm gerichtet, so als warteten sie darauf, daß der Teufel höchstpersönlich daraus hervortreten und sie bestrafen würde. Gründe für eine Bestrafung, so schoß es ihm durch den Kopf gab es genügend. Ohne Vorwarnung erschien nun auf dem Bildschirm der Titel des angekündigten Films in roter Schrift



Familienbande


Der Film begann mit einer Weitwinkelaufnahme. Das spitzbübische Lachen des Teufels war in dieser Einstellung kaum zu sehen, als er zu sprechen begann . „Meine sehr verehrten Damen und Herren, treten sie doch ein in mein bescheidenes Heim, fühlen sie sich wie zu Hause“. Die Kamera zoomte auf sein Gesicht , als er weitersprach. „Es ist an der Zeit das 7 Tage Wunder meines Bruders wieder ins rechte Licht zu rücken. Ja, sie haben richtig gehört, Gott, Allah, Manitou oder wie sie ihn auch sonst nennen mögen ist mein Bruder.“ Es folgte eine längere Pause, offenkundig dazu da diese neuerliche Unfaßbarkeit wirken zu lassen. Dann fuhr er fort „ Die Schöpfung der Erde war sein Werk, ganz ohne Zweifel und ich möchte mich auch gar nicht mit fremden Federn schmücken, wozu auch. Ich an seiner Stelle hätte sicher manches anders gemacht, aber er hat mich nun mal nicht um Rat gefragt. Im Zeitraffer flimmerte nun die vollständige Schöpfungsgeschichte über den Bildschirm, im Mittelpunkt ein junger Mann mit schwarzem Vollbart der dem Teufel zum Verwechseln ähnlich sah. Er hatte ein wildes unberechenbares Blitzen in den Augen und fuchtelte scheinbar unkontrolliert mit den Armen in der Gegend herum, dennoch schien sich das in den ersten Einstellungen herrschende Chaos langsam aber sicher zu ordnen und Gestalt anzunehmen. „Ja, sah am Anfang wirklich gelungen aus, stimme ich ihnen ohne Vorbehalt zu, lief auch längere Zeit prächtig, bis dann, aber sehen sie einfach selbst“. Auf dem Bildschirm erschienen nun zwei junge Männer auf einem weitläufigen Maisfeld, die offensichtlich in wildem Zorn aufeinander einredeten. „Kain und Abel, sie streiten sich wegen einer Kleinigkeit, nicht weiter von Bedeutung. Links das ist Kain, rechts das ist Abel“ Kain hob nun einen Stein auf und schlug mit aller Kraft auf Abels Schädel ein, der blutend zu Boden stürzte. Anstatt einzuhalten und seinem schwer verletzten Bruder zu helfen, schlug er immer wieder mit weit ausholenden Bewegungen und verzerren Gesichtszügen auf Abel ein, bis dieser sich nicht mehr bewegte und leblos am Boden liegen blieb. Im selben Augenblick erschien eine hell strahlende Aura um den Sterbenden. „Ja, Abel stirbt, und seine Seele wird einen Platz im Himmel meines Bruders finden. Er wird ihn mit offenen Armen in seinem Paradies, das er für die Seelen der Menschen erschaffen hat, empfangen. Aber was ist mit Kain ?“ Der Himmel verdunkelte sich mit unvorstellbarer Geschwindigkeit. Der Mond verschwand hinter schwarzen Gewitterwolken und Blitze tanzten wild am nächtlichen Firmament. Kain stand auf dem Feld, die Hände gen Himmel gereckt, den blutverschmierten Stein noch immer in der Hand. „Der Zorn und die Strafe meines Bruders kann manchmal grausam sein“ Ein heller Blitz suchte sich seinen Weg zum Boden, schlängelte sich durch die Nacht und fand seinen Weg zu Kain. Dessen Körper begann durch die ungeheuren Energiemengen sofort zu brennen. Unter markerschütternden Schmerzensschreien sank nun auch er zu Boden und blieb dort als verkohlter Torso liegen. Das ganze hatte nicht länger als 30 Sekunden gedauert. Um den toten Kain erschien jetzt ebenfalls ein weißer Lichtkegel, jedoch von schwarzen dunklen Flecken durchzogen, die dem ganzen einen düsteren Ausdruck verliehen. „ Kain´s Seele hat nun ein Problem, denn mein Bruder wird ihn nicht in sein Paradies reinlassen. Also wenn sie mich fragen hätte sich mein Bruder bei seiner schöpferischen Großtat etwas mehr Zeit lassen und gerade bei seinem Meisterstück Mensch etwas sorgfältiger Vorgehen sollen, aber er wollte ja unbedingt in 7 Tagen fertig sein, immer dieser sinnloses Ehrgeiz. Außerdem hätte die Menschheit ja nicht unbedingt ein Selbstbildnis werden müssen, wußte er doch um seinen Zorn, seine Gier und seinen unkontrollierbaren Trieb, aber er wollte ja nicht auf mich hören. Nun gut, um der Seele des bemitleidenswerten Kains eine Heimat zu geben, habe ich beschlossen die Hölle zu schaffen. In weiser Voraussicht, daß er nicht der Letzte sein Würde der bei meinem Bruder auf Grund seiner Taten und Gedanken in Ungnade fallen würde, habe ich sie zum Glück groß genug angelegt. Sie ist nicht so komfortabel und luxuriös wie der Himmel , aber sehr zweckmäßig und das Betriebsklima stimmt auch. Bei dem Chef schließlich auch kein Wunder.“ Vergnügt lachte er über seinen eigenen Scherz. “So schauen sie sich um, hier ist alles vertreten was die Menschheit an Monstrositäten zu Tage gefördert hat Die Kamera schwenkte nun in weitem Bogen über den Platz, auf dem sich allerlei bekannte und unbekannte Gesichter tummelten, Vergewaltiger, Massenmörder, Politiker, Priester, Ehebrecher. Kurtz um, alles was jemals die 10 Gebote gebrochen hatte. Sie alle lächelten und winkten freundlich in die Kamera. „Sie wundern sich sicher, wie es mir gelungen ist aus diesen Bestien so wunderbare Geschöpfe zu machen. Das war einfach, ich habe einfach die schlechten Eigenschaften meines Bruders eliminiert.“
Die Kamera ging nur auf eine ungefähr fünf Minuten dauernde Fahrt durch die Hölle und was sie zeigte war von ungeheurer Schönheit.



17.September 2000 13:00 Ortszeit
Washington D.C. - CNN Studio

Über den Bildschirm flimmerte „THE END“ und eine Überblende zeigte nun wieder den im Studio sitzenden Teufel.
„So und jetzt mal das Ganz kurz und schmerzlos auf den Punkt gebracht. Ich hab keine Lust mehr auf diese Scheiße. Ich kann mit meiner Zeit durchaus was besseres anfangen als mir mit dem Abschaum der Menschheit die Tage und Nächte um die Ohren zu schlagen. Aus diesem Grund habe ich mich mit meinem Bruder zusammengesetzt und wir haben beschlossen ein paar Kleinigkeiten in Ordnung zu bringen. Aus dem Hintergrund trat nun eine weißgekleidete Gestalt vor die Kamera, ebenfalls sehr gut aussehend, aber mit einer Menge Sorgenfalten im Gesicht. Er trat neben den Teufel und lächelte ihn liebevoll an, ergriff seine Hand, zog ihn vom Stuhl zu sich empor und nahm ihn dann fest in die weit geöffneten Arme. Die Kamera erhaschte wie jedem der beiden eine kleine Träne die Wange hinabkullerte, und als kleiner Diamant auf dem Boden aufschlug.

17.September 2000 13:01 Ortszeit
Washington D.C. - CNN Studio

Madeleine wußte nicht was mit ihr geschah, aber sie spürte die Veränderung die in ihr vorging. Ein seltsames Kribbeln breitete sich in ihrem Körper aus, abgelöst von heftigem Zittern das in schnell sich wieder lösenden Krämpfen mündete. Dann von einer Sekunde zur nächsten war sie von einer inneren Ruhe und Zufriedenheit erfüllt, die sie noch nie in diesem Maße gespürt hatte und sie fühlte sich unbeschreiblich Glücklich. Plötzlich erklang eine vertraute Stimme in ihrem Kopf *Madeleine .. komm zu mir ... *

17.September 2000 13:01 Ortszeit
Vatikan

Der Papst trat mit Tränen in den Augen hinaus auf den Balkon und beobachtete das Treiben auf dem Petersplatz. Wildfremde Menschen näherten sich einander, nahmen sich liebevoll in die Arme, ungeachtet des Alters, der Herkunft oder der Rasse. Es gab keine unterschiedlichen sich gegenseitig zerstörenden Religionen mehr, nur noch diese eine wundervolle Wahrheit und er war froh darüber.

17.September 2000
Welt

Geschosse blieben in den Abschußrampen, obwohl die sie steuernden Computerprogramme das Gegenteil befahlen. Auf den Schlachtfeldern wurden die Waffen weggeworfen und die sich vor wenigen Augenblick noch Hass erfüllt in den Schützengräben gegenüberliegenden menschlichen Marionetten rannten von Liebe getrieben aufeinander zu.



Epilog


„Mami, Mami“ mit einem Satz war Marc aufgesprungen, rannte zur Tür und fiel seiner Mutter in die Arme. „ Engelchen, wie sehr ich dich vermißt habe“, sie drückte ihn fest an sich und küßte ihn zärtlich auf den Mund. „Daddy, hast Du mir etwas mitgebracht“ „ Jetzt warte doch erst mal bis wir im Haus sind“ lachte sein Vater und seine Mutter schüttelte belustigt den Kopf. „Mark, sei doch nicht immer so gierig, von wem Du das nur hast“ und sie schaute liebevoll in die pechschwarzen, undurchdringlichen Augen ihres Mannes.“ Von mir sicher nicht“ erklang es in ihrem Kopf, „ICH habe damit überhaupt nichts zu tun, wie du ja genau weißt, bei allen Höllenhunden“, er liebte dieses Spiel und sie genoß es nicht minder. „Laß das Du Ausgeburt der Unvernunft“ und ihr Lachen erfüllte den Raum „wenn du nicht sofort aufhörst, kannst Du nachher eine Runde im Keller Kohlenschippen“ „Ihr sollt Euch in meiner Gegenwart wie anständige Menschen unterhalten, zum Teufel nochmals“, erklang es jetzt amüsiert aus dem Wohnzimmer. Marcs Vater betrat den Raum, ging vor seinem Schwiegervater in die Knie, nahm seine Hände, drückte sie fest und mit einem mal waren die Schmerzen aus den gepeinigten Gliedern des Greises gewichen. Dann hob er den alten Mann empor, trug ihn auf den Armen in die Eßküche und setzte ihn auf seinen ihm angestammten Platz “Du solltest aufpassen mit dem was Du sagst, denn manchmal holt dich der Teufel schneller als Dir lieb ist...... und wenn es nur zum Mittagessen ist“.
 



 
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