lieber walther,
je öfter ich dieses werk lese, umso höher wird der punkt, von der ich in eine inzwischen endlose tiefe abspringen muss. zunächst: du sprichst hier von der anwendung des freien rhythmus (vers libre), und als solche bezeichnet man nach meinem wissensstand reimlose, metrisch ungebundene verse mit beliebiger silbenanzahl und unterschiedlich vielen hebungen und senkungen, die jedoch einem erkennbaren rhythmus folgen müssen. von reimloser lyrik der moderne unterscheiden sie sich demnach zum einen durch die größere regelmäßigkeit und das stärkere hervortreten der hebungen und durch den gehobenen, oft ekstatischen ton: du hast in deinem gedicht diese bedingungen einwandfrei erfüllt. durch halballiterationen und wiederholen von wörtern oder wortpartikeln kommt es zu einem erkennbaren rhythmus mit eindeutigen hebungen und senkungen, die den freien fall nach unten noch dramatischer gestalten. und deine stimme, also das lyrische ich (und das ist für mich das bemerkenswerteste deiner arbeit), die darin uns anspricht, tut es nicht hinfällig oder beiläufig, sondern befindet sich selbst in diesem freien fall und wird dazu gezwungen jede kalte, intellektuelle distanz wieder aufzugeben, je länger sie nach unten fällt. am anfang präzise, fast kühl, danach immer heiser werdend und eindringlich, da er gemeinsam mit seinem leser diesen fall erleben muss. und die hoffnung heil anzukommen, ja, die wird uns schon mit dem titel genommen, eine erkenntnis, die gleich zu anfang einem im hals stecken bleiben muss: keine landung vorgesehen
dein material ist kein oberflächlicher text, sondern geht einem ganz schön unter die haut.
jetzt: einige kleine kritikpunkte, die mir aufgefallen sind:
1) das wort koppheister (plattdeutsch) würde ich persönlich in hochdeutsch, also kopfüber schreiben, denn dein gedicht ist ja in hochdeutsch geschrieben und "kopfüber" ist für mich nicht nur präziser, sondern richtungsweisend für dein text, weshalb an dieser stelle eine lücke, eine pause entstehen kann, wenn ein leser "plattdüütsch" nicht versteht...
2) das wort "oder" am ende gehört nicht mehr zu dem gedicht, denn dein gedicht beginnt mit dem titel: keine landung vorgesehen und endet mit demselben Es besteht doch noch/keine Not zur Landung
3) der übergang zwischen den folgenden strophen wirkt unrhythmisch, da ein bruch in der sprache entsteht, kann aber durch zufügen eines einzigen der vorgeschlagenen verbindungswörter wieder hergestellt werden:
Im Fallen liegt Zukunft
gestiegen sind wir genug
Richtungswechsel sind
so zeit-
gemäß
[red]und/auch[/red] Zeitmesser
schneiden sich davon
ein Stück ab
Verbiege
den Zeiger
also für mich ist das lyrik, der mich ungeheuer anspricht, aber damit werden viele schwierigkeiten haben, da ein intensives lesen, und das muss ich immer wieder betonen, auch eine erhebliche leseerfahrung voraussetzt...
alles gute...
lg penelope