Kinder, die nicht angenommen werden!

strolch

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Kinder die nicht angenommen werden!!!

Liebe Dorothee,

Die Arbeit an der Lernbehinderten Schule war toll.

Obwohl, wenn ich ehrlich sein soll, die ersten Wochen hatte ich große Probleme.
Ich kam nicht mit der Gewalt, den Aggressionen der Kinder zurecht.

Vielleicht haben mir meine Kindheitserinnerungen da geholfen.
Ich wusste, was in diesen Kindern vorgeht.

Viele fühlten sich nicht angenommen und hatten Recht mit diesem Gefühl.

Eine Mutter sagte uns in einer Aussprache über ihren Sohn: "Ihr wollt ihn nicht, ich will ihn nicht - also, wie entsorgen wir ihn?"

Er liebte seine Mutter und wollte ihre Aufmerksamkeit!

Der Junge war sehr aggressiv, ließ sich von den Mitschülern provozieren.
Er rastete dann aus und schlug auf seine Mitschüler brutal ein. Dabei wurde er von einigen Mitschülern angefeuert, dies war für ihn eine Anerkennung.

Deshalb sollte er von der Schule verwiesen werden.
Ein Schulverweis war aber nicht die Lösung, denn das Problem blieb.
Er wurde nicht verwiesen.

Er wusste durch aus, das sein Verhalten, keine Lösung war.
Aber verfiel immer wieder in dieses Verhaltensmuster.

Er bekam dann eine Therapie!

Nur, ob die wirklich geholfen hat, weiß ich nicht, weil ich da nicht mehr an der Schule war.

Außerdem hätte man die Mutter damit einbeziehen müssen - denke ich.

Mein erstes zusammenkommen mit Malik, war ein Schock. Es war gleich am ersten Tag an dieser Schule. Man musste Malik aus der Klasse raus nehmen, weil er den Unterricht erheblich störte.

Ich nahm ihn in einem Raum, in dem ich mit ihm allein war. Er hatte den Auftrag einige Rechenaufgaben zu erledigen.

Es dauerte nicht lange und er rannte durch das Zimmer, er schrie tobte „hilf mir doch – du kannst es doch und ich nicht!“

Mein Problem war, ich war ABM-Kraft, war von heute auf morgen an diese Schule gekommen. Ich bin keine Pädagogin, später stellte sich heraus, dass gerade diese Tatsache mir half.
Aber in diesem Augenblick war ich überfordert, ich wusste nicht was ich machen sollte.

Je mehr ich ihn beruhigen wollte, je mehr tobte er.
Ich goss mit jedem Wort - Öl ins Feuer.

Dann hatte ich eine Eingebung: Ich schwieg – es vergingen Minuten, für mich eine Ewigkeit

Auf einmal wurde er ruhiger setzte sich wieder hin:
„Sag was“, hörte ich ihn sagen.
Ich schwieg weiter.
Diese Ruhe beruhigte ihn und gleichzeitig verunsicherte sie ihn.

Er setzte sich an seine Rechenaufgaben. Sagte:
“Du darfst aber nicht gucken"
Ich guckte nicht. Einfach deshalb, weil ich als Kind sehr unter Druck gesetzt wurde. Meine Adoptivmutter saß mit einem Handfeger neben mir, wenn ich Hausaufgaben machte. Er wurde nie eingesetzt, aber die Drohung reichte aus. Ich machte noch mehr Fehler.
Auch heute habe ich noch Probleme, wenn mir jemand auf die Finger sieht beim arbeiten, dann verspüre ich das beklemmende Gefühl, wie damals.

Er löste die Aufgaben schnell und Fehler frei.

Ich versuchte dann mit ihm noch Lesen zu üben, es ging gut, bis ich merkte – er konnte es auswendig. Als ich ihn bat den einen Satz noch mal zu lesen, war es aus.

Aber er hat mir an Hand der Bilder eine Geschichte erzählt, so was kann er und auch kaum sprachliche Fehler, was mich schon erstaunte.


Malik war damals 11 Jahre alt und hatte schon einiges hinter sich.
Er war in der verschiedenen Heime und Pflegefamilien. Seine neun Geschwister eben so.
Er und ein jüngerer Bruder und eine ältere Schwester lebten wieder zu Hause bei dem Eltern.

Seine Schwester erzählte mir, dass ihr Vater, die Mutter immer geschlagen hat, als er noch soff.

An der Lernbehinderten Schule gingen alle drei.
Malik war das schwarze Schaf der Familie und nicht nur in der Schule.
Sicherlich er hat genervt, weil er immer gepetzt hat, wenn andere Schüler was gemacht hatten, was diese nicht durften. Ich werde bestraft, dann sollen auch die anderen bestraft werden.

Er wurde bestraft, ob er Schuld hatte oder nicht, es machte sich kaum einer die mühe nach dem Ursprung zu forschen. Malik hatte ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl, auch wenn sich dies widersprüchlich anhört.

Er brauchte normalerweise ein ruhiges ausgeglichenes Umfeld.
Er brauchte jemanden zu dem er Vertrauen haben konnte und der mit ihm in Ruhe spricht. Das habe ich versucht, aber seine Wutausbrüche hatte er auch bei mir.

Einmal da war er wieder unausstehlich, einfach nicht in Griff zu bekommen. Das war als er den Ausraster hatte.
Du da hatte ich Angst, es hatte sich so zugetragen:

„Ich schlage dich tot…“
Malik wutschnaubend. Er beißt und tritt David. Ist gar nicht so einfach einen elf jährigen Jungen festzuhalten.
Frau Rabe verlässt schnell mit den anderen Kindern den Klassenraum.
„Ich schlag dich tot“, schreit Malik ihn hinterher. Er hebt Schulbänke hoch und lässt sie nach unten knallen.
„Bin sehr wütend.“ er rast durch das Zimmer, nimmt einen Glasfiberzeigestock, schlägt damit auf die Schulbänke. - Er springt auf diese, rennt hin und her.
Ich schweige, wie soll ich mich verhalten? Denke, las ihn in Ruhe, warte ab.
„ Bin wütend!“
„Malik, das sehe ich, - warum?“
„Sag ich nicht.“ dabei läuft er ständig auf den Bänken hin und her. Sein Gesichtausdruck, die Körperhaltung – alles eine einzige Drohung. Er fühlt sich überlegen, er überragt mich. Das ist keine Leistung, bei meinen 1.50m. Die Bank gibt ihn Sicherheit.
„Warum nicht?“ bleibe dabei immer ruhig stehen, beobachte ihn.

Er schreit: „bin wütend - sehr!!!“
„Das sehe ich, willst du mir nicht sagen warum?“ ich bin unsicher!

„Verstehste nich - helfen tuste mir auch nicht.“ holt einen zweiten Stock, lässt diese ganz dicht neben mir auf die Bank sausen. Mir wird mulmig. Jetzt nur keinen Fehler machen. Malik läuft wieder wutschnaubend durch den Klassenraum, dann über die Schulbänke.

„Sei still - endlich still - bin sehr wütend!“

Was mache ich, wenn er mich wirklich angreift? Die Bereitschaft ist dazu da.
Es vergeht einige Zeit. Er wird einwenig ruhiger, bleibt stehen.

„Wehre dich doch.“ ich bin überrascht.

„Malik, ich lose meine Probleme nicht mit Gewalt“.

„Warum?“ ich merke seine Unsicherheit, aber auch das er wieder beginnt, herum zu laufen. Ich warte einwenig mit der Antwort.
„Weil ich es nicht tue -, so gewinnt man nicht.“ er will immer gewinnen. „Willst du mir nicht sagen was los ist?“
„Nein - bin wütend.“ seine Haltung wird wieder drohender.
„Ich weiß, du gibst mir aber keine Gelegenheit dir zu helfen - (mir kommt ein Gedanke), außerdem bist du bewaffnet, ich nicht.“ Malik zögert, ihm ist anzusehen - er überlegt. Ich habe ihn vor ein Problem gestellt.
„Hier hast du Einen!“
Will mir einen geben. Nun staune ich, damit habe ich nicht gerechnet. Ich muss mir auch das Lachen verkneifen.
„Ich habe dir schon gesagt, ich löse meine Probleme nicht mit Gewalt.“
Jetzt ist er ratlos, zögert einige Zeit. Es dauert eine Zeit. Auf einmal setzt er sich auf die Bank, er gibt damit seine Überlegenheit auf.
„Ich erzähle es dir – jetzt...!
Der – David - ich habe, habe mit Nicole gespielt - da kam - kam er –spielte - mit ihr - weißte.“

Jetzt ist alles klar, er ist ausgebootet wurden. Wie löse ich dies Problem?
„Malik, ich denke David wollte dir nicht wehtun, er wollte mitspielen.“
„Meinste?“
„Ja!“ er ist ruhiger geworden. „Ich denke, du beruhigst dich noch einwenig, dann gehen wir zu David und erklären ihm alles.“
„ Erzähle es aber nicht meinen Bruder, bitte.“
„Gut ich sage es ihm nichts.“
„Versprochen?“
„Versprochen!“

Ich habe es seinen Bruder wirklich nicht erzählt und auch den Schulleiter gebeten, nichts weiter zu unternehmen – was er auch tat.

Am anderen Morgen kam er zu mir, umarmte mich und bedankte sich, weil ich nichts gesagt hatte.

Dies habe ich damals gleich niedergeschrieben, ich war so aufgewühlt, musste es.

So hoffe ich, konnte dir einwenig Einblick geben und wünsche dir einen sehr schönen Urlaub
Deine Brigitte
 



 
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