Kippes letzter Wunsch

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knychen

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Kippes letzter Wunsch


Verdrängtes ist nie richtig weg und wenn so eine Sache von ganz tief unten aus dem Keller wieder ans Tageslicht kommt, kann einem schon mal das Knie schwach werden.
Diese Erfahrung musste ich an meinem letzten Geburtstag machen.
Eigentlich hätte es schon ein halbes Jahr vorher „Klick“ machen müssen, als ich Matze auf dem Weg zum Bäcker traf.
Es war an einem Freitagnachmittag im August letzten Jahres und ich stand an der Ecke Dörpfeld/Anna-Seghers. Da kam mir vom Markt her mein alter Freund Matze entgegen.
Ich in Wochenendstimmung und er verstaubt und grau in Arbeitsklamotten.
„Tach Matze.“
„Tach.“
„Zeit für’n kurzet Bier inne ´Börse´ mit mir?“
„Oha! Da sprichta, der Dichta. ´N langet Bier jeht ja bei dir wohl kaum“ frotzelte er mit Blick auf meine Körpergröße.
Das war ich gewohnt und es entlockte mir nur ein müdes Augenbrauenlupfen.
’Zu billig und in tausend Varianten gehört, Glatze...äh...Entschuldigung, Matze’ bedeutete in etwa diese minimale Veränderung meiner Miene. Wobei das ’Glatze...äh...Entschuldigung, Matze’ durch einen traurigen Blick auf das weite Ödland oberhalb seiner Stirn vermittelt wurde.
Auch das wurde blind verstanden.
Als wir uns kennen lernten, waren wir beide sehr junge Erwachsene und sehr langhaarig. Jetzt sind wir mehr als doppelt so alt wie damals.
Wir setzten uns an einen Biertisch auf dem Vorplatz unserer kleinen Kiezkneipe und bestellten durch das große Fenster Richtung Tresen zwei Pils. Irgendeiner der Leute, die draußen alles mit scharfem Blick von drinnen unter Kontrolle haben – haben ja sonst nix zu tun – würde die Bestellung schon weiter reichen. War doch schön, wenn man mal wieder gebraucht wurde.
„Warum siehste denn aus wie`n Rußkäfer ?“ fragte ich mit einem Fingerzeig auf seine verdreckten Sachen.
„Ham grad’n Abriss anjefangn. Mußt ick vorher noch auf’m Dachboden rumkriechen. Nee, wat für’n Dreck. War ja schon abartich.”
Ich schaute in die Richtung, aus der er gekommen war. Dann nickte ich mit dem Hinterkopf Richtung S-Bahn. „Und warum läufste Achten?“
Er grinste. „Is diesmal hier in Adlershof. Müntzerstraße. Haste doch früher mal jewohnt?“
Ich versuchte mich an die Hausnummer zu erinnern. „Fuffzehn? Oder Sechzehn?“ blindtippte ich. Im Blindtippen bin ich gut, da treffe ich oft.
„Sechzehn“ bestätigte er. „Muss bis übanächsten Freitag platt sein, denn jibt’s jutet Jeld extra.“
Ich war mir sicher, dass er nächsten Freitag einen ausgeben würde.
Und dieses Gespräch war die Stelle, an der es hätte „Klick“ machen müssen.
Tat es aber nicht. Nicht mal ganz leise „Bing“.
Wir plauderten noch über die begonnene Bundesligasaison und über ein gemeinsames Wochenende mit Familien an der Ostsee - irgendwann im späten Spätsommer.
„Denk dir mal langsam een ausjefallnen Musikwunsch für dein Geburtstach aus“ sagte er dann drei Bier später und stand auf.
„Na du machstet dir aba einfach, Matze, wälzte det Problem, ausm Sohn n’Vater zu machen, einfach uff mich ab. Mach mal schön selba, kann ooch `ne feedbackorgie sein.“
Deutlich war ihm anzusehen, dass er mit dem ersten Teil meiner Antwort noch nichts anzufangen wusste.
„Is mir zu schwierich jetz, muss erst mal duschen, aba feedbackorgie merk ick mir“ sagte er beim Auf-den-Tisch-Klopfen und weg war er.
Im September verbrachten wir ein Wochenende mit unseren Frauen und Töchtern auf Rügen. Die Damen schliefen im Wohnmobil, die Herren sägten reichlich Brennholz im Zelt auf einem wilden Parkplatz direkt hinter Düne.
„Du bist doch’n deathhead?“ fragte er mich abends beim Feuer am Strand.
„Yep! Grateful Dead sind wat richtich Jutet - also für mich“ bestätigte ich ihm.
„Na denn hab ick wat Schönet für dich zum Jeburtstach“
„Na da bin ick aba mal jespannt, womit de mir da noch überraschen willst.“
Dann kam der Februar und mein Geburtstag.
Zu neunzehn Uhr hatten wir die Gäste eingeladen. Außer Matze mit Frau - die sollten ein wenig eher kommen, damit wir mit ihnen noch eine richtig gute Flasche Wein trinken konnten.
Matze kam allein. Seine Frau sei noch beim Anziehen und das dauere ihm zu lange. Er habe schon Durst.
In den Händen trug er einen Karton, so groß wie ein Fußball. Mit Glückwunsch kam der Karton in meine Hände und ich schüttelte ihn neugierig.
Was immer darin war, füllte ihn nicht komplett aus und rollte raschelnd gegen die Seiten. Meine Frau verschwand wieder in der Küche.
Ich stellte mein Geschenk auf den Tisch im Wohnzimmer. Es war nicht aufwändig verpackt, ich brauchte den Karton nur oben öffnen.
Erstmal sah ich nur Holzwolle, die ich zusammenraffte und in den Papierkorb warf. Nun lag da etwas graubraunes Rundes. Ich griff zu, wie man einen Handball nimmt und was ich heraushob, hatte auch ungefähr die gleiche Größe. Die Oberfläche war hart und wahrscheinlich deshalb erwartete ich ein gewisses Gewicht, doch der Gegenstand war recht leicht. Durch meinen Irrtum glitt mir das Ding fast aus der Hand, ich jonglierte es ein paar Mal hin und her und als ich es endlich ruhig hielt, starrten mich die Augenhöhlen eines Totenschädels an. Eine sogar mit Braue, wegen einem Kringel Holzwolle.
Er war nicht komplett, das sah ich sofort. Der Unterkiefer fehlte und im Oberkiefer steckten nur – ich zählte kurz nach und drehte ihn ein wenig dabei – vier Zähne. Aber sonst sah er klasse aus.
Ich schnupperte daran.
„Sieht ja täuschend echt aus“ staunte ich „und riecht sojar wie’n ollet Erdloch.“
Matze grinste mich an. „Der is auch echt.“
„Quatsch. Wo willste denn sowat herkriegen?“
„Hab ick dir doch erzählt“ meinte er „mit dem Abriss deiner alten Hütte inne Müntzerstraße. Da hab ick den beim Ausschachten jefunden.“
RRRUUMMMMS!!! machte es und riss mich in doppelter Hinsicht in den Keller. Eine Überdosis Adrenalin durchzuckte meinen Körper und mein Nacken verkrampfte sich.
Ruckartig ging ich auf einen Stuhl nieder. Der Schädel fiel mir runter, wurde aber von Matze aufgefangen. Der Moment, den er durch das Auffangen von mir abgelenkt war, reichte mir zum Sammeln und ich hatte mich wieder im Griff.
„Setz dir“ forderte ich Matze auf.
Er hielt mir fragend den Schädel hin. „Schwerkraftprobleme?“
„Wollt nur mal deine Reflexe testen. Jeh’n grad noch so“ wiegelte ich meinen Schwächeanfall ab.
So was war mir noch nie passiert. Einfach zu Boden gehen. Wäre der Stuhl nicht gewesen, hätte ich sogar auf dem Teppich gesessen.
„Erzähl mal“ animierte ich Matze zum Reden.
Er ließ sich auch nicht lange bitten.
„Wir hatten een Freitachtermin für die Hütte. Abriss und drei Meter tief ausschachten, weil da n’Haus mit Tiefgarage hinsollte. Wußten wa vorher selba nich. Und am Mittwoch vorm Termin hebt Svenni - also unsa Baggafahra - hinten links uff det Grundstück in vielleicht zwee Meter Tiefe ’n Löffel Sand raus und als er det Janze uff den Kipper schmeißt, rollt der Schädel da anne Bordwand. Ham wa den Alten anjerufen und ruckzuck war der da. Paar Knochen ham wa ooch noch jefunden und’n paar Fetzen von ne alte Decke oder so wat.
Naja, und da hab ick mir jedacht, weil doch hier bei euch so´n Haufen skurrilet Zeuch rumliecht, der passt janz jut dazu“
Er bewegte dabei den linken Arm im Halbkreis und wies so auf die Regale hin.
Gewiß, da liegt so manches Zeug rum. Was sich eben ansammelt, wenn man aufmerksam durch die Landschaft stolpert. Ein Unterkiefer von einem ausgewachsenen Wildschwein, seltsam geformte Wurzeln aus ausgetrockneten südfranzösischen Bächen, lustige Steine, ein vertrockneter Frosch, Nashornkäfer, dergleichen Kram halt.
Aber ein Totenschädel? Und noch dazu dieser?
Matze war mit der Begründung seiner Geschenkidee noch nicht am Ende. Ein vermutlich gerade entstehendes Wortspiel ließ sein Gesicht erwartungsfroh strahlen
„Der Alte hat jedenfalls jesagt, wir sollen einfach weiter machen. Er ist auch Bauherr von det neue Haus und kann sich n Baustopp nicht leisten. Und schon jar nicht wejen der paar Knochen von irjendein russischen oder deutschen Soldaten, den irjendjemand inne letzten Kriegstage untern Keller entsorcht hat. Da ham wa eben weitajemacht, aber den Kopp hab ick nich mit uff de Kippe jelassen. Den hab ick sauba jemacht und den kannste dir beim Schreiben uff´n Schreibtisch stellen oda ihn ooch inne Hand nehm und fragen: Klein oda nich klein?“
Mir war nicht nach Scherzen. In den für mich zeitlosen Sekunden seines letzten Spruches war ich abgetaucht in die Vergangenheit und hatte ihm nur halb zugehört.
„Und jetz steht da also n’Haus mit Tiefgarage, sachste?“ fragte ich zerstreut.
„Steht da“ bestätigte er. „Sind ooch noch Wohnungen frei, hab ick letztens jesehn. Also fallste zurück willst.“
„Nee, lass ma.“
Das Adrenalin begann sich zu verflüchtigen.
„Würdste mir det glooben, wenn ick dir erzählte, det ick den selba da einjebuddelt hab?“ platzte ich schließlich ohne Vorwarnung heraus.
Matze ging auf Abstand. „Wohl in dein früheret Leben so um Fümmenvierzich rum, watt?“
„Nee, Anfang Achtzich. Da hab ick den tot in´t Treppenhaus jefunden und hab ihn inn hintersten Keller eensfuffzich tief vergraben.“
„Watt??!!“
„Gloob et mir. Die Stücken von die Plane, die dabei lagen, det war so’ne jefleckte Tarnplane mit Ösen inne Seite, stimmts?“ Ich hatte innerlich den Punkt erreicht, wo ich neben der subjektiven Sicht auf den Raum, in dem ich mich befinde, auch noch den objektiven Blick habe. Wahrscheinlich hilft mir das, alberne und peinliche Situationen besser durchzustehen. Grad sah ich mich so von der Seite und dachte mir: So, jetzt kiekste dir mal an, wie de dir da rauswindest. Zeit wirtet ja mal.
Matze hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und hielt mir sein Glas hin.
„Na denn erzähl mal deine Lügenjeschichte.“
Ich goss uns zwei Gläser voll, sagte „Prost“, wir tranken, schauten einen Augenblick ins Leere, ich spitzte die Lippen und begann.
„Pass uff, dett war so. Ick war ja erst een knappet Jahr nach Berlin jezogen, die Wohnung illegal und jobmäßig grad nich viel zu tun. Denn hatte ick ooch grade eure Truppe kennen jelernt. Jedenfalls bin ick een Sonnahmdahmd aus´n „Paradiesgarten“ jekomm´n und et war Ende November. Ick hatt mir am Bahnhof ´ne Karo anjesteckt und lief de Dörfelt hoch bis zur Müntzer und denn rechts rin. Et war so richtich pissijet Wetter. Der Nieselrejen fing an zu stechen im Jesichte und et laach Schnee inne Luft. Wenn man denn vonne Dörfelt inne Müntzer einjebogen war, sah det immer janz trostlos aus. Nasset Koppsteinflaster, graue Häuser mit Einschüsse aussen letzten Krieg und nur jede dritte Lampe jab Licht. Und mittendrin in meen Weg ´ne Mörtelkiste aus alte Türblätter und Wasserrohre zusammenjestoppelt - halb voll Mörtel und halb voll Müll. Jenau über die Kiste war eene von die funktionierenden Lampen. Zwischen Kiste und Hauswand jabs denn bloß noch ´n Jang für janz Schlanke. Und von die andere Seite von die Kiste kam mir eener entjejen. Der kam langsam, aba mir war klar, det wir zur gleichen Zeit anne Kiste sein würden. Is immer ´ne blöde Situation, wenn man anne Engstelle kommt zur gleichen Zeit wie ´n anderer von der andern Seite ooch da durch will, wa?“
Matze blickte mich skeptisch an. „Kommt jetz wieda `n Vortrach üba de Zeit?“
„Jottbewahre, da hab ick keene Lust und keene Zeit nich zu. Nee, Mann, ick wollt bloß mal so nebenbei feststellen, det is komisch, wenn man weeß, det eener warten muß und det keen Code jibt, wie man sich in so´ne Situation verständicht mit´n Fremden. Mit Angst konnte det ooch nischt zu tun haben. Der war ja man nich groß, höchstens so wie icke..“
„HOAH! Nu mach dir ma nich lächerlich. Groß kanner wahrlich nich jewesen sein, wenndenn in Augenhöhe hattest.“
„Lass jut sein. Jedenfalls, ick war sauer, weil ick gleich inne kalte Bude kommen würde. Hatte zwar den janzen Tach Kohlen jeschleppt – immer mit zwee Eimer vonne Straße inn Keller - aber der ehemalije Kollege, der mir die Kohlen mit’n Trecker und Anhänger jebracht hatte, hatte sich um een Uffjang jeirrt. Det jing mir übrijens am Anfang ooch n paar Mal so. Erstaunlich, wo ick manchmal so versucht hab, mit meen Schlüssel `ne Türe uff zu kriejen. Naja, jedenfalls lagen unjefähr drei Tonnen Kohle nu nich mehr bei Berlin-Chemie, sondern inne Müntzer vor`t Nachbarhaus. Meen Anteil ans Volkseijentum und deswejen ooch schön billich. Hatte mich nur drei Lagen jekostet. Ick hatte bestimmt schon eene Tonne im Keller und dacht mir: So, det reicht jetzt. Holste dir den Rest so nach und nach vonne Straße und der eene oda andre Nachbar würde sich ooch bedienen. Det war mir ejal. Aba bei die janze Kohlenschlepperei hatt ick völlich verjessen, meene beeden Kachelöfen anzuheizen. Als ick abends loswollte, war et denn zu spät. Die brauchten ja imma ewich bisse durchjebrannt waren.
Deswegen war ick sauer.
Müde war ick ooch und noch mal sauer war ick, weil ick wieder nischt zum Kuscheln jefunden hatte.
Ick weeß, du kannst det nich nachvollzieh’n, aba wenn die Sonne tief steht – so sacht man - denn werfen ooch Zwerje große Schatten. Naja; und ick warf grade `nen Riesenschatten anne Hauswand. Ick würde also an die Schmalstelle uff meene Vorfahrt bestehen, det war klar.
Der Typ blieb aba von alleene stehen. Ick konntn jut sehen da im Licht. Bleich wie der Mörtel inne Kiste stand er `n bisschen krumm da, hatte een alten speckijen Anorak an, buschije Augenbrauen und ´n zottlijen Schnurrbart in’t Jesichte und der Sprit kiekte ihm aus alle Falten. Der Mann war’n Wrack. Ne jescheiterte Existenz und schon jenseits von Jut und Böse. Für meene Maßstäbe damals war der uralt, bestimmt Mitte vierzich...nee, sach nischt....is mir selba grad uffjefallen... na ja, jedenfalls jing ick durch und hab stur vor mir herjekiekt und wie ick an ihn vorbeijehe, sacht er zu mir…“
„Jib mal ´ne Kippe!“
Gottseidank saß ich schon, so fiel mir diesmal nur die Kinnlade runter. Mechanisch bot ich Matze eine Gauloise an. Er hob abwehrend die Hand.
„Nee, laß man, ick rooch meene. Ick meene den Typen, der hat jesagt: Jib mal ´ne Kippe! Stimmt’s?“
“Woher weest´n dit?“
„Det war Kippe. Der Typ, der hieß so. Also wahrscheinlich hieß er nich wirklich so, aba so wurda jenannt, weil er konsequent jeschnorrt hat. War überall unjern jesehener Stammgast. Tantow, Bierstube, Klause, Lindenberch, Linde, Vier Titten - konntste überall hinjehn, in Köpenick ooch. In alle Arbeitastampen isser irjendwann am Ahmd uffjekreuzt und hat sich `ne Runde zusamenjeschnorrt. War meistens hacke. Hat keene Karten jespielt und nich jetrudelt. Schach hatta ab und zu mal jespielt, am Stammtisch im Leichenkeller - wenn ick mir recht erinner, sojar janz jut.
Haste ihm denn nu eene jejeben?“
„Wie mans nimmt. Ick hab ihm jesagt, det ick nischt zu verschenken habe und bin weiter jejangen. Aba der war wie Schleppscheiße.
Ick hat ja nu die Karo noch im Mund und eijentlich war et mir ooch ejal, ob ick ´ne Zijarette mehr oder weniger inne Schachtel hab, aba der war so penetrant und ick sowieso schon sauer und als ick an meene Haustüre war, hielt er mir ooch noch ann Ärmel von meen juten Shell-Parka fest und det jab een häßlichet Jeräusch, det ick mir schon wieder sah anne Singer sitzen und Löcher übernander lejen“ ich sah Matze an „da hab ick ihm een Stoß jejeben und da issa mit de Schulter jejen de Mauer jeschrabt und denn hatta sich uff de Stufe anne Tür jesetzt und ´n bisschen jejammert. Unjefähr so wie du, wenn de mal wat heben musst, wat schwera is wie ´ne Fernbedienung. Umjefallen isser aba nich, det musste mir glooben, der hat sich janz normal hinjesetzt.“
Wieder sah ich ihn an.
Matze starrte zurück und nach einer Weile Schweigens fragte er provozierend: „Ja und denn? Haste denn zu ihm jesagt: Komm mal mit, ick buddel dir jetzt een schönet Loch inn Keller, da hastet schön mollig und wenn de erst mal eensfuffzich Sand übern Kopp hast, ist dir ooch nich mehr nach Roochen und denn isser mitjejangen und hat jesagt: JOOOO! So moken wi dat! Und denn hatta dir wahrscheinlich zur Feier des Tages mal eene von seine anjeboten. Jing et denn so weita?“
„Schwachkopp! Ick hab’n sitzen lassen und bin hoch in meene Wohnung, hab anjeheizt wie´n Wilda und bin denn einjepennt, bevor die Kohlen durchjebrannt war´n. Da war die Klappe vom Ofen natürlich die janze Nacht offen und als ick vormittachs wach jeworden bin, war et arschkalt inne Bude. Meen Klo die halbe Treppe tiefer war einjefror´n und da musst ick ooch erst den kleenen Heizstrahler vonne Küche runtertragen und ´n Weilchen loofen lassen. Koppschmerzen hatt ick ooch und Durscht. Aba erst mal mußt ick runter – neue Kohlen holen für’n zweeten Versuch.
Von oben hatt ick schon jesehn, dass et die janze Nacht jeschneit haben musste. Sah lustich aus mit meen Kohlenhaufen uff de Straße. Von jeden Hauseinjang lief mindestens eene Spur zum Haufen hin und wieder zurück und eene jut ausjetretene rings um den Haufen rum. Nur von meen Haus noch nich. War ja keen Wunder. Von die acht Wohnungen war ick ja der einzije Mieter. Alle anderen war´n bis Sommerende raus jewesen. Als ick ´n dreiviertel Jahr vorher einjezogen war, war`n ja wenigstens noch vier Buden bewohnt. War komisch damals für mich – bei meene Eltern noch im Haus mit Jarten und Jeschwister und plötzlich een Mietshaus für mich alleene. War aba ooch ne janz schöne Bruchbude mit kaputte Fallrohre und einfache Fenster. Jefleechtet Grau eben.
Ick komm also die Treppe mit de Eimer runtajeklappert und in dem Haustürwinkel von den Flügel, der nie uff jing, lag Fluppe“
„Und wer is nu Fluppe wieda?“
„Na der kleene Typ vonne Nacht, den ick jejen de Mauer jeschubst hatte.“
„Kippe.“
„Kippe, jenau. Lag da zusammenjekauert inne Ecke, hatte een Spuckefaden am Kinn und war grau wie det Haus inn Herbst. Ick hab die Eimer abjestellt und ihn mitte Fingerspitzen so`n bisschen jetätschelt. Da is der Spuckefaden abjefalln – im Stück und mit’n janz leiset Klirren. Der Mann war kalt wie ´ne Hundeschnauze beim Chinesen Mir is richtich schlecht jeworden.
Da bin ick denn erst mal uff'n Hof raus und musste kotzen. Denn hab ick meen Haustürschlüssel von oben jeholt und hab abjeschlossen. Krankenwagen hilft nischt mehr, det war mir schon klar, aba wat hilft de Polizei?
Du musst det mal so seh´n: Besetzte Wohnung ohne Mietvertrach, keene Arbeit, also dem Staat die Arbeitskraft entzogen, also asozialet Verhalten, ´ne Leiche im Treppenhaus und irjendeener find sich denn bestimmt ooch, der den kleenen Streit hat jesehn vom Fenster aus inne Nacht. Uff so wat ham die doch im Osten nur jewartet. Und die nächsten Jahre bei de Langstrafigen in Schkeuditz oder Brandenburg hatt ick weiß Jott keene Lust.
Wat macht man also mit `ne Leiche, die man zu ville hat? Jenau, erst mal vastecken. Ick konnt mir zwar nich vorstellen, det den jemand sucht, andererseits wusste man ja nie. Erst mal hab ick denn noch zum Hof hin abjeschlossen und denn hab ick den Kerl inn Keller jeschleift. Die steile Stiege runter bin ick jestolpert und der lag mir denn uff de Beene, det war so widerlich und ick hab ständich vor mir hin jebrabbelt: Scheiße, Mann, wat machste denn hier bloß? Biste dir denn sicher, dass det det wirkliche Leben iss, wat de haben wolltest, als de zu hause raus bist und nich irjendwie een Scheißtraum nach zu ville Alkohol? Denn hab ick mir in die janzen volljemüllten Keller umjekiekt. Hinten links denn, die hatten beim Auszuch ihre Kohlen mitjenommen und een saubern Raum mit ’n Haufen Grus hintalassen, da fiel mir uff, det die Backsteine uff ’n Fußboden nur lose valeecht waren. Konnte man einfach rausheben. Der Hauptjang zu de Kellerräume war zwar mit Beton ausjejossen, aba die Kellerräume selbst warn uff Sand jebaut. Naja, und da hab ick denn anjefang `n großet Rechteck von die Steine aussen Fußboden zu pulen und denn jings los mit schippen. Hab mir jefühlt wie Muff Potter und Indianer Joe in eens. Ick hab jeschippt wie`n Wilda, denn ick wollte fertich sein bisset dunkel wird. Ick hatte Angst, det eener aus Neugier an det vernagelte Kellerfenster versucht durch zu kieken, nur weil drinne Licht brennt. Und liegen lassen wollt ick den Typen ooch nich. Ick hätt ihn ja wieda nach oben schleppen müssen, bevor ick de Polizei rufe und die hätten doch bestimmt jemerkt, det ick mit den schon spazier’n war bis in letzten Keller. Da hätt ick mir nur verhaspelt beim Erklär’n. Ick gloob, ick hab sojar vor Wut jeheult, weil mir det Leben so ne Stolpersteine in Weech legt. Nebenbei hab ick mir denn ooch noch übalegt, det ick den ja nackich machen muß und seine Papiere verbrennen und so...“
„Hör uff, ick will nich wissen, watte mit den noch jemacht hast in dein sexuell verwahrlosten Zustand. Det is ja eklich!“
„Für deine abjeschmackten Jedanken müsst ick dir eijentlich tadeln, Matze, nee, mal ernsthaft, ick hab mir da richtich rinjesteigert. Hab übaleecht, in welche Krimis ick vergleichbare Situationen jesehn hatte, wo ick watt dazu jelesen hätte und so. Und die janze Zeit hab ick jelauscht und wenn vorne anne Straße jemand `n bisschen lauter uffjetrampelt hat, hab ick an uffjebrochne Haustüren und Handschellen jedacht. So stell ick mir ’ne ausjewachsne Paranoia vor. Aba irjendwann war det Loch denn tief jenuch, denn hab ick ihn die Klamotten...“
„Is jut. Denn lach er also irjendwann im Loch.“
„Lach er. Hat jenau jepasst. Da hab ick ihm denn so’ne alte Armeeplane rüber jeschmissen – Sand direkt uff’s Jesichte konnt ick nich - und denn hab ick zujeschüttet. Zum Schluß de Steine ruff, den restlichen Sand mit den Kohlengrus jemischt und de Fugen mit det Jemischte zujefegt. Denn hab ick den Keller mit Jerümpel volljeschmissen, seine Sachen mit andern Müll aus de Keller in Plastiksäcke jestoppt und in zwee vaschiedne Mülltonnen jeschmissen. Ausweis hatta nich beijehabt, nur `n paar Sechser und Groschen inne Hosentasche.
Kiek mir nich so an, die hab ick ooch mit weg jeschmissen.“
„Aba `n Zehner hättste jenommen, wa?“
„Weeß ick nich… Jaa...Nee...Wahrscheinlich nich.“
Wir schwiegen. Ich goss nach.
„’N Monat später bin ick denn sowieso ausjezogen, die Wohnung war nich warm zu kriejen als einzijer Mieter im Haus und da hatt ick denn ooch det Mädel in Köpenick – mit Fernheizung und Bad.
Von da an war det Problem einfach ausse Welt – bis heute. Schönen Dank ooch.“
Matze protestierte. „Woher hätt ick det denn wissen sollen?“
„Ach hör uff, man nimmt einfach keene Totenköppe von Arbeit mit nach hause. Det is pietätlos.“
“Ach nee” jetzt wurde er sarkastisch “ een Loch inn Keller is wohl ‘n würdevolla Umjang mit’n Toten, wat?”
Es klingelte und ich ging in den Flur.
„Gleich jibt’s Jeschenke!“ klang es aus der Wechselsprechanlage. Ich drückte den Türöffner. Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, saß Matze noch am Tisch und hatte den Schädel zu sich gedreht.
„Und nu?“ fragte er und bot mir eine Zigarette an.
Angestrengt nachdenkend sog ich den Rauch in mich hinein; schaute auf das Regal, den Schreibtisch, den Aschenbecher mit unseren zwei Kippen.
„Nehm ick`n eben wieda mit und koof dir `ne CD“ schlug er vor.
Kopfschüttelnd wies ich diesen Vorschlag ab.
„Is ja ooch Quatsch, nu hat er mir wieda jefunden, nu soll er ooch hier bleiben. Und ´ne bessere feedbackorgie wirste wohl kaum finden.“
Ich hatte einen Entschluß gefasst. Den Schädel mit der linken Hand aufnehmend, beschrieb ich mit dem Zeigefinger der Rechten einen Kreis an der Oberseite.
„Hier trenn ick den uff und setz det falsch rum wieda rin und den lass ick mir von meen Vater aus Kupper oder Messing een Aschenbecher dengeln, der da jenau rinpasst, mit zwee Ablagen sagen wa mal.“
Matze schob die Unterlippe vor. „Det find ick nu wieda ´n bisschen pietätlos“ meinte er mit wiegendem Kopf.
„Pietätlos? Wieso?“
Ich hielt den Kopf mit ausgestrecktem Arm und drehte sein Gesicht zu mir. Dann hob ich die zwei Schwurfinger.
„Kippe, ick vasprech dir, det ick dir immer mit dein Namen anreden und dir dein letzten Wunsch ab und an afüllen werde. Und wenn ick mit Matze mal wieda Schach spiele, kannste kiebitzen, solange de willst. Aba jeden Tach voll, det kann ick dir nich vasprechen.“
Rauch stieg mir ins Auge.
„Und ´ne Träne kriegste ooch noch posthum.“
 
N

nachtlichter

Gast
Gruseliges Grinsen

und lächelndes Schaudern hat Deine Geschichte bei mir provoziert, knychen - gefällt mir. Wenn ich eine von der Idee und Ausarbeitung gelungene und mit so viel Schlappmaul erzählte runde Story lese, dann zieht es mich wieder heftig nach Berlin.

nachtlichter
 

knychen

Mitglied
besten dank, regina,
also ganz rund finde ich die geschichte doch noch nicht. kann aber noch nicht genau sagen, wo es stört. aber ich habe festgestellt, der berliner dialekt eignet sich hervorragend für respektlose scherze. (andere dialekte natürlich auch) und vor allem scheint er mir gut zu liegen. dank fallada, graeser, wiesner usw.
gruß aus berlin. knychen
 



 
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