Kirschblut

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JACkaffee

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Kirschblut


Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte finden werde, um zu berichten, wie man mir erst meine Liebe nahm und dann das Land meiner Träume stahl. Über eine gestohlene Liebe wurden schon so viele Worte bemüht, daß ich mit meinem Bericht danach einsetze: der größte, gegenwärtige Schmerz war vorbei. Schmerzhaft war nur noch die Erinnerung daran. Ein Anruf von ihr, ein Treffen war noch immer heikel. Sie war die zweite Liebe meines Lebens gewesen. Schülerlieben nicht mitgezählt.
Auch von Heim- und Fernweh wurde schon viel berichtet, der Kummer ist im schwersten, letzten Stadium so ziemlich der gleiche. Aber wer hat schon sein Traumland unter Worten untergehen sehen, von einem rotgeschminkten Mund in Schutt und Asche gelegt. Japan ist dieses Land, das mich seit meiner Kindheit fasziniert. Alles was ich über die Samurai in die Finger bekam, hatte ich als kleiner Junge mehrmals verschlungen.
Nach meinem Wehrdienst war es soweit, oder noch nicht ganz: zuerst bereiste ich mit einem Kollegen Südostasien: Thailand, Kambodscha, Vietnam, Laos. Auf dieser Reise traf ich mehrere Japaner und zum Schluß hatte ich ein Dutzend Adressen gesammelt und mich ihrer Hilfe versichert. Der Wechselkurs stand günstig. Ich trennte mich von dem Kollegen und wagte allein den Schritt ins teure Japan. Es eröffnete sich mir eine neue Welt von Geräuschen, Farben, Miteinander. Ich ließ mich von der Geschäftigkeit und Glitzerwelten Tokios berieseln, gab mich still den kleingerasterten archaischen Winkeln, dem knappen Tonfall in den Teehäusern und den verspielten Postkartenmotiven kleiner Fischerdörfer hin. Bilder von Festungen, Gärten, Tempel und Feuerwerk brannten sich in mein Gedächtnis. Immer, wenn es mir zu Hause zu eng wird, flüchte ich dorthin.
Ich übertrieb nicht, ich hatte kein Samuraischwert an der Wand hängen oder lief zuhause im Kimono herum und wenn ich ehrlich bin, schlafe ich lieber in einem normalen Bett, würde ich meine Federkernmatratze nie gegen einen Futton tauschen. Sprachlich verfüge ich über ein kleines Vokabular an brauchbaren und unbrauchbaren Worten und Wendungen.
Meine Passion offenbarte sich eher in meinen Koch- und Eßgewohnheiten, das Abspielen japanischer Musik, und die bevorzugte Wahl japanischer Kinofilme, die bei allen Freunden und Freundinnen auf Unverständnis stieß, und mir, ich gebe es zu, Gelegenheit gab, mich in den Mittelpunkt zu stellen und über Japan zu dozieren.
Dieses Thema war mir Stütze, war mir Hilfe in wort- und einfallsloser Not: Japan. Ich hatte Haikus zur Hand, befremdliche Sitten und Gebräuche, Wissen über Geschichte und aktuelle tagespolitische Themen, bin ich doch Empfänger eines täglichen japanischen, aber englischsprachigen Nachrichtenbulletins, übers Internet. Und nicht zu Letzt, waren meine Erinnerungen an die Reise ein unerschöpflicher Quell an Eindrücken, Gerüche und Geschmäcker, die nicht verblassen wollten. Oft saß ich im Sommer am Fenster, sah in die alte Kastanie vor dem Haus und dachte an die Kirschblüte in Japan.
Leider ließ mir meine dünne finanzielle Decke kaum Spielraum, und mein Studium der Rechtswissenschaft kaum Zeit und bisher keine Möglichkeit beides, Japan und mein Studium, wirklich sinnvoll miteinander zu verbinden. So blieb es bei dieser einen Reise in das Land der Sonne.

Meine Exfreundin kam zu spät. Welche Ausreden sie auch immer finden würde, sie ließ mich wieder hängen. Beinahe hätte ich es in der Kneipe laut ausgerufen. Ich bestellte mir noch ein Bier.
Eine Frau gesellte sich zu mir an die Theke, ließ einen Platz zwischen uns frei. Auf den Tresen legte sie eine schmale rosa- und lilafarbene Handtasche, das Logo eines japanischen Manga vorne auf. Ich machte ihr ein Kompliment wegen der Tasche. Sie war überrascht. Ich war angetrunken. Ich erzählte ihr, daß ich auch so eine Tasche zuhause hätte und ließ sie eine Weile im Ungewissen, ob ich schwul sei, das konnte nur hilfreich sein, gerade am Anfang. Ich sprach sie auf den japanischen Modedesigner Yamamoto an, das Skulpturelle seiner Entwürfe. So hatte einmal eine Japanerin zu mir geredet. Mit der Ästhetik des Sumoringens entlockte ich ihr ein schrilles Lachen. Als ich mich über die Vorzüge blasser Frauenhaut ausließ, machte ich ihr klar, auf welcher Seite ich stand, und rückte einen Platz näher.
Ich hatte mich so ereifert, daß ich meine Ex übersah, die mit einem Mal hinter uns stand und sich mit einem Räuspern bemerkbar machen mußte. Mit einem verlogenen Grinsen und einem Seitenblick auf meine Thekenbekanntschaft begrüßte sie mich. Um mich zu ärgern, schlang sie mir ihre Arme um den Hals, küßte mich und drängte sich zwischen mich und meine Thekenbekanntschaft, obwohl auf meiner anderen Seite ein Platz frei war, also rückte ich auf diesen zurück und sie übernahm meinen. Ein perfektes Manöver ihrerseits. Mit einem Blick nahm ich Abschied.
Ihr Zuspätkommen ließ sie unerwähnt und eröffnete mit einem japanischen Film, den ich mir unbedingt anschauen solle, daß nur vorne weg, damit sie es nicht vergaß. Ich war angenehm überrascht.
Dann aktualisierte sie meinen Informationsstand über alte, gemeinsame Freunde und ihre Familie, daß war OK und ließ mir Zeit weiter vor mich hinzusaufen.
Das Schlimmste für mich war, wenn sie ihren neuen Freund erwähnte. Beim ersten mal mußte ich wohl böse geguckt haben, und sie hielt sich zurück. Ich wußte wenig von ihm, und das war mir recht so. Aber ein, zwei ihrer Bemerkungen entnahm ich, daß nun schon genug Zeit vergangen sei, um auf so was keine Rücksicht mehr zu nehmen.
Zufällig bekam ich einmal die Gelegenheit sie beide aus der Ferne zu beobachten. Er sah aus, als wäre er dem Titelblatt eines Schwulenmagazins entsprungen. Aber ich würde nicht näher rangehen, da gäbe es noch manches zu bemäkeln, da bin ich mir ganz sicher. Da ist vieles retuschiert. Außerdem ist er Träger eines bescheuerten Namens, den ich mir geschworen habe, nicht in den Mund zu nehmen. Sie werden ohne diese Information auskommen müssen. Aber seine Individualisierung ist auch nicht wichtig. Er war Ausführender diverser Fun-Sportarten, die er scheinbar exzessiv betrieb, muskulöser war er also auch noch. Meine Ex war schnell angefixt, verzichtete morgens früh auf dem Weg zur Arbeit auf die Bahn, zugunsten eines monströsen Mountainbikes; an Wochenenden befuhren beide ausgiebig die Berge nah und fern. Da war mit einem Hollandrad nur schwer hinterherzukommen.
Leider haben wir beide nie ein außergewöhnliches Hobby gefunden, das wir hätten teilen können. Ich meine irgend etwas eigenes und besonderes, abseits von gut Essen oder ins Kino gehen oder Party machen. Wir haben ohne auskommen müssen und waren gescheitert.
Aber so wie es aussah, machte sie keine Anstalten ihn zu erwähnen. So etwas ist eher die Art verlassener Männer. Dummerweise stand mir keine feste Freundin, die meine Ex in allem ausstach, zur Verfügung. Wenn ich ehrlich bin, ich hatte gar nichts, und nun stand auch noch meine Thekenbekanntschaft auf und ging grußlos aus der Kneipe.
„Was bist du so nachdenklich?“, sagte sie.
„Ich? Nichts besonderes! Ich sitz halt schon ’ne Weile hier und hab was getrunken.“
„Frauen dürfen zu spät kommen!“
„Ihr und eure Spielchen.“
„In Japan gab es sogar eine eigene Schrift für Frauen“, sagte meine Ex.
„Ja, die hieß Reisho.“
„Nein, Sosho!“
„Erzähl mir nix!“
„Wetten?!“
Eine Wette ist ein Wettkampf, und auf einen Kampf mit ihr hatte ich mehr Lust als jemals zuvor, zumal ich mich als Sieger wähnte. „Wer macht den Schiedsrichter, wie finden wir es heraus?“
„Ich kenn da jemanden.“ Sie begann eine SMS zu tippen.
„Der hat ein Lexikon?“
„So ähnlich.“
Nach nicht einer Minute kam per SMS die Antwort.
„Ich habe recht!“, sagte sie.
„Das bezweifle ich.“
„Lies selber!“ Sie hielt mir ihr Telefon hin.
„Laß mal.“ Warum war ich mir so sicher gewesen. „Und wer steckt hinter deiner Informationsquelle?“
„Mein Freund!“
„Ha, was weiß der schon über Japan. Ist er etwa Japaner?“ Ich lachte weiter.
„Nein, aber er studiert Japanologie und schreibt gerade seine Diplomarbeit.“
Mir blieb die Luft weg.
„Ich weiß nicht woran es liegt, es war ein Zufall“, sagte sie. „Er wundert sich immer wieder, wieviel du mir beigebracht hast.“
Es sollte wohl wie ein Kompliment klingen.
„Ach, tut er das.“
„Ja.“
Und dann berichtete sie in wenigen Sätzen, eine Gegenwehr war mir nicht möglich, von seinen Pfaden in Japan, seinem zweijährigen Studienaufenthalt in Tokio und Kobe, seinen zwei Praktika im Norden und Süden, seiner mehrmonatigen Reise durchs ganze Land, über alle Inseln, in der Zeit dazwischen.
Sie nahm mir das Land Stück für Stück, eroberte es auf einem verheerenden Feldzug und hinterließ auf meiner inneren Japankarte nur verbrannte Erde.
„Du hast recht“, sagte sie, „die Kirschblüte muß ein unvergeßliches Erlebnis sein.“
Das Gefühl auf diesen Satz, ähnelte dem eines Kreislaufkollaps, der Ohnmacht nahe, nachdem man die Todesnachricht eines geliebten Menschen erhalten hatte, es war ein tausendfacher, erstickter Todesschrei, ich war Taub und hatte einen Klumpen gammeligen Gewebes im Rachen. Als sie endlich gegangen war, erbrach ich mich in meinen Schoß.

Ich bin dabei mich von diesem Schlag zu erholen. Meine Freunde sagten mir schon, ich sei in letzter Zeit ein wenig wortkarg gewesen.
Aber ich laß mir das von niemanden kaputtmachen. Vergessen geht nicht, aber ich brach den Kontakt zu ihr ab. Manchmal noch finde ich eine Nachricht von ihr auf dem Anrufbeantworter. Wenn ich weiß, daß sie nicht zu Hause ist, hinterlasse ich ihr die Nachricht, daß ich im Moment sehr beschäftig sei. Soll er sie doch mit Sushi vollstopfen, Geschenke von seinen Reisen mitbringen, oder sie vielleicht mitnehmen, ihr den Kaiserpalast in Kioto zeigen, mir ist das egal! Träfe ich ihn hier auf der Straße, ich ginge grußlos an ihm vorbei. Träfe ich beide zusammen, ich würde Kneipe oder Straßenseite wechseln.
Aber sollte ich sie und ihn eines Tages in Japan treffen, auf einer einsamen Landstraße in den Hügeln, Kirschblüten beladene Bäume ringsum, ich schwöre ihnen, ich weiß nicht was ich tun werde.
 



 
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