Es gab ein fürchterlich knirschendes Geräusch, Arno kippte vornüber und knallte auf Sally. Monika starrte wie hypnotisiert auf die klaffende Wunde in Arnos Hinterkopf, aus der sofort reichlich das Blut schoss. Sie besah sich den Schaden näher. Oh, sie konnte zum ersten Mal in ihrem Leben in Arnos Kopf hineinsehen! Es schimmerte weißlich-gräulich durch all das Blut. Ob das Arnos Gehirn war? Fast war sie versucht, die Hand auszustrecken, in das Loch zu fassen und alles zu berühren. Plötzlich aber wurde sie sich bewusst, in welcher Situation sie sich befand. Die blutverschmierte Sally unter dem heftig blutenden Arno, sie selbst einer Nemesis gleich mit einem zerdepperten Bierkrug in der Hand, dessen Splitter sich über Arno ausbreiteten. Was sollte sie jetzt tun?
Arno gab stöhnende Laute von sich und sie dachte, ich muss einen Arzt holen! Sofort entschlüpfte ihr ein beinahe sardonisches Lächeln: Ha, Arno war selbst Arzt, sollte er sich helfen, wenn er noch konnte. Sally bewegte sich jetzt unter der Last seines Körpers und öffnete wieder vorsichtig die Augen. Scheiße, dachte Monika, ich muss hier weg. Ich kann das nie und nimmer jemandem erklären. Sie stellte den Bierkrug neben Sally, wischte ihn notdürftig mit ihrem Blusenärmel ab und spähte in den Gang. Die Luft war rein, also nichts wie hin zur Toilette. Sie schloss sich in einer Kabine ein und betrachtete ihr weißes Gesicht im Spiegel. So sah also eine Mörderin aus, denn sie war fest davon überzeugt, dass Arno dieses Loch in seinem Kopf nicht überleben würde.
Das fehlte noch, dass dieser bekloppte Typ es auch nach Jahrzehnten noch schaffen würde, ihr Leben zu zerstören. Sie würde hinter Gitter kommen. Sie würde ihre Familie verlassen müssen. Sie bekäme nie wieder ein Bein auf den Boden, nur in ein privates Fernsehstudio, das ihre Geschichte mit Vorliebe preis geben würde. Nein, so weit durfte es nicht kommen! Sie würde sich nicht limboartig in gesellschaftliche Niederungen begeben, sie nicht! Sie musste die Normale spielen. Hier war der perfekte Ort zum Üben. Sie kniff sich in die Wangen, um etwas Farbe hinein zu bringen und sagte zu ihrem Spiegelbild: "Hallo, ich glaube, ich fahre gleich nach Hause. Ist schon spät....und wir machen doch nochmal ein Treffen?" Das klang ja furchtbar, so wie sie das sagte! Also nochmal, nochmal und nochmal. Schließlich war sie zufrieden. Sie entriegelte die Tür und ging in den Saal zurück. Das Zimmer des Grauens würdigte sie mit keinem Blick.
Im Saal traf sie gleich auf eine angeheiterte Gruppe, bestehend aus Werner, Paula und Lothar, und sagte ihr geübtes Sprüchlein auf. Niemand schöpfte Verdacht. Sie hakte sich bei Paula unter und plötzlich sagte Werner: "Wo ist eigentlich Arno? Der wollte nur zum Klo, ist aber schon lange weg!" "Der hat sicherlich jemand zum Nageln gefunden", warf Paula ein, "guck doch mal, wer von den Weibern auch verschwunden ist!" "Klar, Sally ist auch nicht da, komm, wir gehen die beiden suchen! Denen vermasseln wir aber die Tour", rief Lothar und alle drei schwärmten Richtung Toilette aus. Monika nahm sich einen Ouzo - sie fand, das sei der richtige Moment für einen Schnaps - und hielt den Atem an.
Tatsächlich, zwei Minuten später ertönten spitze Schreie und entsetzte Ausrufe. "Schnell, ruf einen Krankenwagen, jetzt mach!" war zu vernehmen und Werner stürzte mit leichenblassem Gesicht zurück in den Saal. "Arno und Sally liegen übereinander in ihrem Blut, Sally hat dem wohl mit nem Bierkrug einen verbraten, sie ist bei Bewusstsein, aber Arno hat es übel erwischt", berichtete Werner, der zwar nur Tierarzt war, aber den Ernst der Lage erkannt hatte. "Mann, der kratzt ab!", schrie Paula, die ebenfalls in den Saal gelaufen kam. "Ach, was weißt denn du, du bist bloß Zahnärztin", ereiferte sich Werner, "so schnell stirbt es sich nicht!". "Halt die Klappe", schimpfte Paula drauflos, "wer Kälber herauszerrt, hat eh keine Ahnung" und es sah aus, als gäbe es gleich die nächsten Verletzten. "Habt ihr jetzt endlich den Notarzt gerufen?", fragte Lothar, der dazustieß, während sich am Unfallort immer mehr Schaulustige drängten. "Ja, habe ich", antwortete Werner und im selben Moment hörten sie schon die Sirene.
Monika hielt sich dezent im Hintergrund, als das Notärzte-Team, unterstützt von gut gemeinten, aber falschen fachmännischen Ratschlägen von Werner und Paula die Verletzten behandelte. Vorsichtig trennten sie Sally und Arno, führten die Erstversorgung der Wunden durch und brachten beiden auf zwei Tragen heraus. Paula ging heulend hinterher. "Wie schlimm ist es?", wagte Monika zu fragen. "Die werden wieder", brummte einer der Notärzte, "dann können sie es ja nochmal miteinander versuchen!" Monika war erleichtert. Sie war keine Mörderin!
In kleinen Gruppen standen die Ehemaligen zusammen, um die Ereignisse zu beraten. Auf einen Schlag schienen alle nüchtern zu sein. "Ist doch klar, was da passiert ist", referierte Lothar, der vernünftige Rechtsanwalt. "Arno hat Sally angebaggert, sie gingen in den Raum, dann wollte sie nichts mehr oder nicht so viel wie er, also hat sie ihm den Krug über den Schädel gedonnert! Allerdings ist Sally auch verletzt. Vermutlich hat er sie vorher irgendwie vertrümmt!", schloss er. Monika schwieg. Sie dachte, falls Sally oder Arno auspacken, nehme ich Lothar als Rechtsbeistand. Ihn konnte ich schon immer gut leiden ....bald zerstreuten sich alle, um nach Hause zu fahren. Monika war sehr mit sich zufrieden. Von wegen verhuschtes Weib! Nein, sie hatte die Situation bis dahin gut gemeistert und war stolz auf sich.
Am nächsten Morgen fragte Monikas Familie, wie denn ihr Klassentreffen gewesen sei. "Ach, das Übliche", entgegnete sie und strich Leberwurst auf ihr Brötchen, "die gleichen Idioten wie früher! Ich glaube, das war definitiv mein letztes Treffen! Zwei waren so betrunken, dass sie sogar ins Krankenhaus mussten! Unmöglich!" Ihre Familie nickte zufrieden. Genau, Klassentreffen waren blöd! -
Epilog: Sally konnte das Krankenhaus einen Tag später mit genähter Stirn verlassen. Sie erinnerte sich nur noch daran, dass Monika sie verschmäht hatte. Sie traute sich nicht, sie zu fragen, ob sie ihr die Verletzung beigebracht hatte, weil sie sich inzwischen entsetzlich für ihr damaliges Angebot schämte. Sie besuchte Arno auf der Intensivstation, wo dieser sein inzwischen aufgetretenes Herzproblem heimlich selbst behandelte. Arno ließ sie in dem Glauben, dass sie ihn in Panik niedergeschlagen hatte, weil sie seine angebotene Hilfe falsch deutete. Er würde die Sache aber auch sich beruhen lassen, weil er Angst hatte, dass Monika die Wahrheit erzählen würde. Sally wiederum verschwieg, weshalb sie mit Monika in dem Raum gewesen war. Monika stellten sie nicht zur Rede. So verstrickten sie sich in ein Gespinst aus Lügen und Schweigen.
Sie sahen sich nie wieder. Monika lebte inzwischen mit Lothar zusammen, sie fühlte sich dadurch sehr sicher, falls Sally und Arno doch auf die Idee kämen, alles auszuplaudern. Sally zog sich völlig ins Privatleben zurück und suchte nie mehr den Kontakt zu Frauen. Arnos Genesung dauerte lange, er verlor seine Stelle in der Klinik. Heute ist er Leiter eines Gesundheitsamtes in Bayern.
Arno gab stöhnende Laute von sich und sie dachte, ich muss einen Arzt holen! Sofort entschlüpfte ihr ein beinahe sardonisches Lächeln: Ha, Arno war selbst Arzt, sollte er sich helfen, wenn er noch konnte. Sally bewegte sich jetzt unter der Last seines Körpers und öffnete wieder vorsichtig die Augen. Scheiße, dachte Monika, ich muss hier weg. Ich kann das nie und nimmer jemandem erklären. Sie stellte den Bierkrug neben Sally, wischte ihn notdürftig mit ihrem Blusenärmel ab und spähte in den Gang. Die Luft war rein, also nichts wie hin zur Toilette. Sie schloss sich in einer Kabine ein und betrachtete ihr weißes Gesicht im Spiegel. So sah also eine Mörderin aus, denn sie war fest davon überzeugt, dass Arno dieses Loch in seinem Kopf nicht überleben würde.
Das fehlte noch, dass dieser bekloppte Typ es auch nach Jahrzehnten noch schaffen würde, ihr Leben zu zerstören. Sie würde hinter Gitter kommen. Sie würde ihre Familie verlassen müssen. Sie bekäme nie wieder ein Bein auf den Boden, nur in ein privates Fernsehstudio, das ihre Geschichte mit Vorliebe preis geben würde. Nein, so weit durfte es nicht kommen! Sie würde sich nicht limboartig in gesellschaftliche Niederungen begeben, sie nicht! Sie musste die Normale spielen. Hier war der perfekte Ort zum Üben. Sie kniff sich in die Wangen, um etwas Farbe hinein zu bringen und sagte zu ihrem Spiegelbild: "Hallo, ich glaube, ich fahre gleich nach Hause. Ist schon spät....und wir machen doch nochmal ein Treffen?" Das klang ja furchtbar, so wie sie das sagte! Also nochmal, nochmal und nochmal. Schließlich war sie zufrieden. Sie entriegelte die Tür und ging in den Saal zurück. Das Zimmer des Grauens würdigte sie mit keinem Blick.
Im Saal traf sie gleich auf eine angeheiterte Gruppe, bestehend aus Werner, Paula und Lothar, und sagte ihr geübtes Sprüchlein auf. Niemand schöpfte Verdacht. Sie hakte sich bei Paula unter und plötzlich sagte Werner: "Wo ist eigentlich Arno? Der wollte nur zum Klo, ist aber schon lange weg!" "Der hat sicherlich jemand zum Nageln gefunden", warf Paula ein, "guck doch mal, wer von den Weibern auch verschwunden ist!" "Klar, Sally ist auch nicht da, komm, wir gehen die beiden suchen! Denen vermasseln wir aber die Tour", rief Lothar und alle drei schwärmten Richtung Toilette aus. Monika nahm sich einen Ouzo - sie fand, das sei der richtige Moment für einen Schnaps - und hielt den Atem an.
Tatsächlich, zwei Minuten später ertönten spitze Schreie und entsetzte Ausrufe. "Schnell, ruf einen Krankenwagen, jetzt mach!" war zu vernehmen und Werner stürzte mit leichenblassem Gesicht zurück in den Saal. "Arno und Sally liegen übereinander in ihrem Blut, Sally hat dem wohl mit nem Bierkrug einen verbraten, sie ist bei Bewusstsein, aber Arno hat es übel erwischt", berichtete Werner, der zwar nur Tierarzt war, aber den Ernst der Lage erkannt hatte. "Mann, der kratzt ab!", schrie Paula, die ebenfalls in den Saal gelaufen kam. "Ach, was weißt denn du, du bist bloß Zahnärztin", ereiferte sich Werner, "so schnell stirbt es sich nicht!". "Halt die Klappe", schimpfte Paula drauflos, "wer Kälber herauszerrt, hat eh keine Ahnung" und es sah aus, als gäbe es gleich die nächsten Verletzten. "Habt ihr jetzt endlich den Notarzt gerufen?", fragte Lothar, der dazustieß, während sich am Unfallort immer mehr Schaulustige drängten. "Ja, habe ich", antwortete Werner und im selben Moment hörten sie schon die Sirene.
Monika hielt sich dezent im Hintergrund, als das Notärzte-Team, unterstützt von gut gemeinten, aber falschen fachmännischen Ratschlägen von Werner und Paula die Verletzten behandelte. Vorsichtig trennten sie Sally und Arno, führten die Erstversorgung der Wunden durch und brachten beiden auf zwei Tragen heraus. Paula ging heulend hinterher. "Wie schlimm ist es?", wagte Monika zu fragen. "Die werden wieder", brummte einer der Notärzte, "dann können sie es ja nochmal miteinander versuchen!" Monika war erleichtert. Sie war keine Mörderin!
In kleinen Gruppen standen die Ehemaligen zusammen, um die Ereignisse zu beraten. Auf einen Schlag schienen alle nüchtern zu sein. "Ist doch klar, was da passiert ist", referierte Lothar, der vernünftige Rechtsanwalt. "Arno hat Sally angebaggert, sie gingen in den Raum, dann wollte sie nichts mehr oder nicht so viel wie er, also hat sie ihm den Krug über den Schädel gedonnert! Allerdings ist Sally auch verletzt. Vermutlich hat er sie vorher irgendwie vertrümmt!", schloss er. Monika schwieg. Sie dachte, falls Sally oder Arno auspacken, nehme ich Lothar als Rechtsbeistand. Ihn konnte ich schon immer gut leiden ....bald zerstreuten sich alle, um nach Hause zu fahren. Monika war sehr mit sich zufrieden. Von wegen verhuschtes Weib! Nein, sie hatte die Situation bis dahin gut gemeistert und war stolz auf sich.
Am nächsten Morgen fragte Monikas Familie, wie denn ihr Klassentreffen gewesen sei. "Ach, das Übliche", entgegnete sie und strich Leberwurst auf ihr Brötchen, "die gleichen Idioten wie früher! Ich glaube, das war definitiv mein letztes Treffen! Zwei waren so betrunken, dass sie sogar ins Krankenhaus mussten! Unmöglich!" Ihre Familie nickte zufrieden. Genau, Klassentreffen waren blöd! -
Epilog: Sally konnte das Krankenhaus einen Tag später mit genähter Stirn verlassen. Sie erinnerte sich nur noch daran, dass Monika sie verschmäht hatte. Sie traute sich nicht, sie zu fragen, ob sie ihr die Verletzung beigebracht hatte, weil sie sich inzwischen entsetzlich für ihr damaliges Angebot schämte. Sie besuchte Arno auf der Intensivstation, wo dieser sein inzwischen aufgetretenes Herzproblem heimlich selbst behandelte. Arno ließ sie in dem Glauben, dass sie ihn in Panik niedergeschlagen hatte, weil sie seine angebotene Hilfe falsch deutete. Er würde die Sache aber auch sich beruhen lassen, weil er Angst hatte, dass Monika die Wahrheit erzählen würde. Sally wiederum verschwieg, weshalb sie mit Monika in dem Raum gewesen war. Monika stellten sie nicht zur Rede. So verstrickten sie sich in ein Gespinst aus Lügen und Schweigen.
Sie sahen sich nie wieder. Monika lebte inzwischen mit Lothar zusammen, sie fühlte sich dadurch sehr sicher, falls Sally und Arno doch auf die Idee kämen, alles auszuplaudern. Sally zog sich völlig ins Privatleben zurück und suchte nie mehr den Kontakt zu Frauen. Arnos Genesung dauerte lange, er verlor seine Stelle in der Klinik. Heute ist er Leiter eines Gesundheitsamtes in Bayern.