Klaustrophobie

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Isildur

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Dieser Text, mein Debutstück bei der Leselupe, war ein Beitrag zum Literaturwettbewerb vom Kult/Jugendsender FM4 (das Thema war \"Bretter\"). Natürlich preislos, aber hoffentlich nicht wertlos, wär ich sehr dankbar über eure Meinung. Viel Spass.
(Hier noch der Link, mit downloads, zum alljährlichen Wettbewerb: http://fm4.orf.at/connected/206973/main )


Klaustrophobie

Mahagoni oder Teak? Wahrscheinlich Teak. Mahagoni wäre nicht so dunkel. Auch die zarte, schwarze Maserung spricht für Teak. Jedes Brett perfekt in das ihm Benachbarte eingefügt, alle etwa einen Meter lang und zehn Zentimeter breit, ergibt das Bild eines lang gezogenen Parkettbodens. Aber Bretter darf man hier nicht sagen. Hier muss man Planken sagen.

Alberts Blick gleitet das Deck entlang, vorbei an Peter und Maria, die Achtern auf einer Schafwolldecke liegen, Marias Kopf in Peters Schoß, vorbei am Beiboot, das am Bug festgezurrt ist, direkt in den weiten Horizont.
Jetzt muss er an seine Kindheit denken. An das Sägewerk vom Großvater, der immer betrunken war, und ihn gerne anschrie.
Er war sicher noch keine 6 Jahre alt, aber das Gefühl der Freiheit und der Lebendigkeit das ihn ergriff, wenn er durch die Halle mit den großen Bandsägemaschinen turnte, das hat er nie vergessen. Wie eine Kathedrale wirkte das Holzbauwerk auf ihn: meterhoch und der Geruch von frischen Sägespänen, sein Weihrauch.
Natürlich war es ihm verboten sich bei den riesigen Sägen aufzuhalten. Wenn er erwischt wurde gab es die Strafe. Daran erinnert sich Albert nicht so gerne. Aber sie gehen Hand in Hand, die beiden Erinnerungen, die an die Kathedrale und die an die kleine fensterlose Kammer, seine Zelle, in die ihn seine Großmutter steckte, wenn er sich nicht den Regeln entsprechend benahm.
Jetzt hält er das Steuerrad so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten.

„Du, der schaut schon wieder so komisch“, raunt Maria, die in Richtung Albert schielt.
„Was meinst mit komisch?“, fragt Peter. Er lehnt mit dem Rücken an der Reling und blickt den Mast entlang in den Himmel. Er ist bewölkt.
„Du passt wirklich nie auf wenn ich dir was sag. Ich hab es dir die letzten drei Tage vier Mal gesagt!“, giftet Maria.
„Fängst jetzt schon wieder an? Ich kann mir halt nicht alles merken, was du so den ganzen Tag von dir gibst. Außerdem ist Urlaub. Da brauch ich nicht dauernd aufpassen. Es reicht mir, wenn ich dem Mario seine Gescheitheit jeden Tag anhören darf. Super Idee übrigens, sich mit deinem Chef drei Wochen auf einem Boot einsperren zu lassen.“
Jetzt richtet sich Maria auf, nimmt langsam die Sonnenbrille ab und meint säuerlich: „UNSER Chef, nicht MEIN Chef. Und wenn dir eine Gratiskreuzfahrt nicht zusagt, kannst ja aussteigen. Von mir aus auch gleich.“
Ruckartig steht sie auf, wirbelt um hundertachtzig Grad herum, taumelt kurz, und marschiert Richtung Unterdeck.
„Funsn“, murmelt Peter und fischt sich aus dem Kübel, welcher neben ihm steht, ein kaltes Bier.

So schön hat er sich den Urlaub ausgemalt. Das man sich ein bisschen näher kommt. Darum hat er seine Sekretärin eingeladen. Nicht damit sie den Proleten mitschleppt, der sich ihr Freund schimpft. Ausgerechnet den Peter. Wenn man höflich wäre, könnte man behaupten, der wäre dumm.
Er, der Mario, hat seinen Hochschulabschluss, hat seine eigene Firma, fährt einen Audi A8, und ist noch nicht einmal dreißig.
Der Peter ist schon mit fünfzehn aus der Schule ausgestiegen und hat dann eine Lehre beim „Bestattungsinstitut Moser“ als Sargtischler angefangen. Und selbst dabei hat er sich schwer getan. Der Herr Moser, Marios Vater, hat oft genug über den „depperten Lehrbuam“ geschimpft, aber behalten hat er ihn dann doch. Weiß der Teufel warum.

„Na Maria? Du hast heuer noch gar keinen Urlaub in Anspruch genommen? Wieso denn das?“
„Ach, es hat sich halt noch nichts ergeben.“
„Na dann hast jetzt aber Glück. Ich mach heuer mit einem Freund aus meiner Studienzeit eine Mittelmeerkreuzfahrt, so richtig auf einem Segelboot! Das kostet fast nichts im Gegensatz zu einem Cluburlaub. Magst vielleicht mitkommen?“
„Des klingt ja super. So richtig auf dem Meer? Darf ich da vielleicht auch einen Freund mitnehmen?“
„Na…sicher.“

So genau hat er jetzt das Gespräch nicht mehr im Kopf, aber Mario weiß, dass Maria EINEN Freund gesagt hat. Und nicht MEINEN Freund. Das sich die Weiber nie richtig ausdrücken können.
Dabei wäre sie eine so fesche Person, die Maria. Ein liebes Gesicht hat sie. Nicht zu gescheit, aber auch nicht strohdumm – obwohl sie strohblond ist. Mit den richtigen Proportionen an den richtigen Stellen gesegnet, und immer zur Stelle mit einem frischen Kaffee wenn er, der Chef, einmal erledigt ist, vom vielen Telefonieren. Kurz: perfekt. Und dann der Peter. Unverständlich.

Maria steigt rückwärts die Holztreppe in den Schiffsbauch hinunter. Als sie sich umdreht, steht Mario direkt vor ihr. Ganz nah steht er vor ihr und sie kann nicht zurückweichen. Doch er macht einen Schritt zurück und grinst: „ Jetzt hab ich dich erschreckt, oder?“
Maria lässt den Atem entweichen, den sie unbewusst angehalten hat: „Ja, schon ein bisschen.“
„Sag, was findest eigentlich an dem Peter?“, entwischt ihm eine Frage, die er lieber nicht ausgesprochen hätte. Sofort muss er an jede einzelne Nacht auf diesem unsäglichen Boot denken, in der er Mitanhören durfte, was sie an Peter findet. Und Sie findet es öfter als einmal pro Nacht.
Jetzt grinst Maria während Marios Lächeln gefriert: „Na ja, er ist halt schon ein starker Mann. Aber das weißt ja eh.“
Und mit diesen Worten zwängt sie sich an Mario vorbei und verschwindet in der Toilette.
Mario steht wie angewurzelt da. Er ist halt ein starker Mann? Ich weiß das? Heißt das ich bin schwach und steh auf den Peter? Glaubt die ich bin schwul?
Jetzt wird ihm ein bisschen schwindlig ob seiner eigenen Gedanken. Oder ist es das Boot? Er schüttelt sich und steigt hinauf an Deck.

Bier Nummer sechs. Und das vor dem Mittagessen. Seit seinen wilden Zwanzigern hat er das nicht mehr geschafft. Mit fünfunddreißig an seine alten Erfolge anknüpfen zu können, das erfüllt einen zu recht mit Stolz. Wie ein vierzigjähriger Ex-Boxweltmeister, der sich seinen Titel zurückerobert, fühlt sich der Peter.
Außerdem macht der Alkohol den Chef erträglicher. Wenn der glaubt er, der Peter, merkt nicht wie dieser geifernde Sauhund immer die Maria anstiert, wenn sie sich im Bikini präsentiert, dann ist er aber schief gewickelt, der Mario.
Peter blickt auf die Bierdose. Eine grüne ist es, und „Gambrinus“ steht darauf. Ist schon ein ordentlicher Geizkragen, der Mario. Peter nimmt einen großen Schluck. Es sind sowieso alle Studierten gleich. Die wollen immer das kriegen, was sie nicht bekommen können. Und auf dem was sie haben, sitzen sie wie die Henne auf dem Ei.
Na gut, der Albert ist in Ordnung. Für einen Studenten. Einen angehenden Arzt. Der redet wenigstens nicht so viel. Im Gegensatz zu der Maria. Die redet ja dauernd. Was hat sie vorhin gesagt? Der Albert schaut so komisch? Und gestern hat sie gesagt, dass er mit sich selber redet. Wenigstens gafft er nicht dauernd die Freundin von jemand anderen an. Nicht so wie der Mario. Der Sauhund.
Jetzt muss Peter grinsen, weil er sich an das Gesicht vom Mario erinnert, das ihm wie eine Maske aus Wachs vorkam, ganz bleich und glänzend, als er nach der ersten Nacht an Bord aus der Kabine torkelte. Zuerst hat er es nicht verstanden, aber nach zwei Tagen war ihm dann klar, was den Mario so stört. Die Maria kann schon am Tag den Mund nicht halten, und in der Nacht erst recht nicht. Die schreit vielleicht.
Genüsslich trinkt Peter weiter und angelt dann nach der Nummer sieben, obwohl ihm da schon ordentlich schlecht ist.

„Na Herr Schweitzer, alles klar an Deck?“
Albert erschrickt und seine Hände entspannen sich.
„Was?“
„Ob wir auf Kurs sind will ich wissen, Her Schweitzer“, fragt Mario.
Er nennt Albert Herrn Schweitzer. Weil Albert doch Medizin studiert und sein Nachname auch mit einem „S“ beginnt. Er pflegt dieses humoristische Unding bei sich jeder bietenden Gelegenheit in möglichst alle seine Gespräche mit Albert einzubauen.
„Ja, ich denke schon. Aber das Wetter macht mir Sorgen. Sieh dir die Wolken an.“
„Ach, ein wenig Wind kann nicht schaden. Im Übrigen bist du mit Kochen dran. Kannst gleich anfangen, sonst kotzt uns der Peter vielleicht noch den Salon voll, wenn der in dem Tempo so weiter säuft“, belehrt Mario „und du siehst auch nicht sehr gesund aus. Alles in Ordnung?“
„Ja. Kochen. Ich fang gleich an“, antwortet Albert monoton.
Es schnürt ihm den Magen zusammen.
Langsam lässt er das Ruder los und geht auf die Öffnung im Boden zu. Er hört das rhythmische Klatschen der Wellen gegen den Rumpf. Es schwillt zu einem mächtigen Rauschen an, das in seinem Kopf dröhnt. Kurz schließt er die Augen und atmet tief ein. Und wieder aus. Er öffnet die Augen und energisch schwingt er sich in den Bauch des Schiffes.

Wie viel Zeit war vergangen? Ein Tag? Eine Stunde? Zehn Sekunden? Der Raum dreht sich um Albert herum. Er pulsiert. Zieht sich zusammen und dehnt sich wieder. Vor ihm schwingt der Gasherd in seiner Aufhängung. Und auf einer Herdplatte brodelt ein…Eintopf?
Die getäfelte Wand hinter dem Herd beginnt sich aufzulösen. Karos, Rechtecke und Quadrate aus dünnem Furnierholz tanzen vor seinen Augen auf und ab. Beinahe muss er sich übergeben.
Er hört die näselnde Stimme von Maria, die nach ihrem Sonnenöl kreischt. Wie eine Bandsäge klingt sie. Er hört das betrunkene Grölen von Peter, der lautstark weitere Biere verlangt, und ordinär rülpst. Er klingt wie der Großvater. Und er hört auch das überhebliche, gebieterische Gebell von Mario, der der Bandsäge gerne näher kommen möchte und den rülpsenden Großvater herumkommandiert. Großmutter!
Immer wilder dreht sich das Karussell der Ornamente um Albert. Immer lauter werden die Stimmen.
„Es ist zu eng! Zu dunkel!“ schreit er. Aber er schreit nicht wirklich. Er steht nur da, während der Salon immer dunkler und kleiner wird. Der Raum schrumpft, umfasst ihn, umklammert ihn, und nimmt ihm die Luft zu atmen.
Wie lange schon? Wie lange sind wir gefangen in dieser Nussschale? Ein Monat? Ein Jahr? Wie lange noch? Nicht mehr lange.
Es ist vollkommen dunkel. Mitternacht. Mondlos. In der Zelle.
Doch jetzt sieht er einen Türknauf. Er strahlt in einem gleißenden, weißen Licht. Albert streckt seine linke Hand aus.
In seinen Ohren hört er das Meer, sein Blut rauschen. Die Wellen, sein Herz trommeln wie wild gegen den Rumpf, seinen Kopf. Er erreicht die Tür und es wird hell.
Albert blickt auf seine linke Hand hinab. Sie hält einen kleinen Plastikbeutel, in dem sich weißes Pulver befindet. Ein Dekorelement, das selbst Escher einen gehörigen Schrecken eingejagt hätte, flüstert ihm was zu tun ist. Aber er weiß es ohnehin.
Langsam rührt er den Inhalt des Säckchens in das große Kochgefäß. Die neuerdings aufsteigende Übelkeit, die ihn dabei ergreift, bekämpft er erfolgreich.
Der Salon verringert seine Drehzahl und die Ornamente hüpfen zurück an ihren Platz an der Wand.
„Hast du was gesagt?“ Peter lugt durch die Deckenluke.
„Ja“ meint Albert. „Essen ist fertig.“
Dann beginnt er den Tisch vorzubereiten.
Vier Gedecke und vier Teller.
 



 
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