Kleiner Leuchtturm Lumi

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Mick Tales

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Kleiner Leuchtturm Lumi

Der Leuchtturm Lumi stand auf einer grünen Insel im Meer und leuchtete den Schiffen den Weg. Lumi war ziemlich klein - zumindest für Leuchtturmverhältnisse - und der starke Wind, der fast immer auf seiner Insel blies, hatte ihn ein bisschen schief werden lassen. Außer seiner Freundin, dem Schaf Bella, das auch auf der kleinen Insel lebte, und ein paar Möwen auf der Durchreise, hatte ihn seit Jahren niemand mehr besucht.

Eines Tages empfing Lumi mit seiner Dachantenne eine Radiosendung. Der Nachrichtensprecher berichtete, dass die Leuchttürme nicht mehr gebraucht würden. Es gäbe nämlich inzwischen Satelliten, die den Schiffen mit Funksignalen den Weg zeigten. Fortan machte sich Lumi jeden Tag Gedanken darüber, wozu er eigentlich noch nutze und er wurde immer trauriger. Bei Regen sah es sogar manchmal so aus, als ob dicke Tränen von seinem schwarzen Leuchtturmkopf über seinen rot-weiß geringelten Körper hinab kullerten.

Das Schaf Bella fing an, sich Sorgen um ihren Freund zu machen. „Du, Lumi, warum bist du immer so schrecklich traurig?“, fragte Bella eines abends. „Ach, weißt du, Bella, das ganze Leuchtturmleben macht mir gar keinen richtigen Spaß mehr“, antwortete der kleine Leuchtturm. „Mach dir doch keine Gedanken wegen diesen blöden Sumstelliten oder wie diese Dinger heißen. Auf unserer Insel habe ich jedenfalls noch keine gesehen“, versuchte Bella ihn zu trösten. „Satelliten heißen die blöden Dinger! Und auf unserer Insel wirst du sie auch nie sehen, die kreisen nämlich im Weltraum um die Erde. Das habe ich jedenfalls in der Radiosendung gehört.“

Bella versuchte noch ein paar Mal, Lumi auf andere Gedanken zu bringen. Doch der Abend kam, die Sonne ging unter und Lumi war immer noch traurig. Bella gab schließlich ihre Bemühungen auf und schlief am Fuße des kleinen Leuchtturms ein. Lumi starrte in den nachtschwarzen Himmel zu den Sternen hinauf. „Soso, da oben schwirrt ihr also rum, ihr blöden Satelliten. Wartet nur, euch werde ich es noch zeigen“, dachte Lumi.

Je länger er über die Satelliten nachdachte, um so mehr rumorte es in seinem rot-weiß geringelten Leuchtturmbauch. Zuerst grummelte es nur ein bisschen. Dann fing der kleine Leuchtturm an zu wackeln. Bella wachte erschreckt auf und sprang von Lumi weg. „Lumi, was ist mit dir los?“, konnte sie noch rufen. Da schoss plötzlich ein greller gelber Lichtblitz unter dem Leuchtturm hervor und Lumi erhob sich mit lautem Getöse in einer riesigen Rauchwolke in den Himmel. Aus dem kleinen Leuchtturm war tatsächlich ein Raketen-Leuchtturm geworden, der immer schneller und schneller nach oben stieg. Lumi versuchte, zurückzublicken, doch seine Freundin und die kleine grüne Insel waren schon nicht mehr zu erkennen. Statt dessen wurden der Mond und die Sterne immer größer, es wurde immer kälter, die Luft wurde immer dünner und dann – ja dann war Lumi tatsächlich im Weltraum. Zum Glück brauchen Leuchttürme keine Luft zum Atmen, denn im Weltraum gibt es keine Luft. Auch sonst schien es Lumi hier oben recht still zu sein. „Hier ist ja noch weniger los als auf meiner Insel“, dachte Lumi gerade, als unverhofft eine Sternschnuppe an ihm vorbei schoss.

„Hey, hallo, du!“, rief Lumi ihr nach. Die Sternschnuppe machte eine Vollbremsung, flog ein Stückchen zurück, blickte ihn erstaunt aus ihren funkelnden Augen an und fragte: „Was ist denn das? Seit wann fliegen denn rot-weiß-geringelte Riesentaschenlampen durch den Weltraum?“

„Seit heute!“, antwortete Lumi. „Und außerdem bin ich keine Taschenlampe, sondern Lumi, der Raketen-Leuchtturm. Der erste, den es gibt. Aber jetzt sag du mir doch bitte, wo ich einen Satelliten finde“, bat Lumi und wunderte sich ein bisschen, dass die Sternschnuppe und auch die vielen Sterne ringsum alle tatsächlich so aussahen wie auf Kinderbildern: leuchtend gelb-glitzernd und mit fünf bis sieben Zacken.

„Also, du Raketen-Leuchtturm, ich heiße Schnüppchen und ich kenne tatsächlich einen Satelliten, einen ziemlich langweiligen Burschen. So ein richtiger Blechdepp ist das, kreist schon seit Jahren um die Erde und hat immer noch keine Ahnung vom Weltraum. Aber wenn du ihn unbedingt treffen willst, musst du hinter den nächsten zwei Asteroiden links abbiegen, dann noch ein paar hundert Kilometer Richtung Mond fliegen und kurz vor Sonnenaufgang anhalten. Dann müsste er dir eigentlich in die Umlaufbahn kommen.“ Noch bevor Lumi sich bedankt hatte, war Schnüppchen schon wieder unterwegs, um am Nachthimmel aufzublitzen und die Wünsche der Kinder unten auf der Erde zu erfüllen.
Lumi flog also weiter, bog hinter den Asteroiden links ab, Richtung Mond und noch bevor die Sonne aufging, schepperte er beinahe mit dem Samstagabend-Satelliten zusammen. „Hoppla, wohin so eilig?“, fragte ihn der Satellit, der offensichtlich gerade ein Nickerchen gehalten hatte.
„Wenn du ein Satellit bist, dann bin ich schon an meinem Ziel angekommen“, antwortete Lumi und musterte misstrauisch die kleine stachelige Blechkiste. Mit seinen zwei rechteckigen Sonnenpaddeln an den Seiten sah der Satellit ein bisschen wie ein japanischer Kugelfisch mit zu großen Flossen aus.

„Natürlich bin ich ein Satellit, was soll ich denn sonst sein“, sagte der Samstagabend-Satellit, „aber was bist denn du? Und was willst du von mir?“

„Ich bin Lumi, der erste Raketen-Leuchtturm der Welt. Und wegen dir habe ich unten auf der Erde keine Aufgabe mehr. Wegen deinen Funksignalen brauchen die Schiffe auf dem Meer nämlich keine Leuchttürme mehr und jetzt möchte ich von dir wissen, was du dir eigentlich dabei denkst“, schimpfte Lumi auf den Satelliten ein.

Der Samstagabend-Satellit war völlig fassungslos. „O weh. Ich wollte doch niemandem schaden oder seine Aufgabe wegnehmen. Weißt du, hier oben ist man sehr allein und bekommt selten Besuch. Wie hätte ich da ahnen können, dass es so jemanden wie dich überhaupt gibt. Wie kann ich das nur wieder gut machen?“ Lumi war sehr erstaunt. Damit, dass der Satellit gar nicht wusste, dass er den Leuchttürmen ihre Aufgabe wegnahm, hatte er nicht gerechnet. „Ist schon gut. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Du kannst wohl wirklich nichts dafür“, sagte Lumi zu dem Satelliten und blinkte beruhigend mit seinem Leuchtturmlicht.

„O, das ist aber schön!“, staunte der Satellit und blicke verwundert in Lumis Licht. „Kannst du auch noch heller blinken?“ „Na klar!“, antwortete Lumi ein bisschen stolz und fing sofort sein allerhellstes Leuchtturmblinken an.

Mit einem Mal ging die Sonne auf. „Jetzt musst du mal da runtergucken!“, sagte der Satellit und deutete mit einem Sonnenpaddel auf die Erdkugel, die riesengroß unter ihnen aus dem Nachtschatten auftauchte. Lumi traute seinen Augen kaum. Die Erde schimmerte blau mit weißen Spiralen wie ein Wackelpudding mit Sahnehäubchen unter ihnen. Natürlich waren die weißen Wirbel keine Sahnehäubchen, sondern Wolken und das Blaue war auch kein Wackelpudding, sondern das Meer, aber Lumi hätte sich nie träumen lassen, wie wunderschön die Erde von hier oben aussah. „Guck mal da, da unten ist meine kleine grüne Insel!“ Tatsächlich war mitten im Meer ein kleines grünes Pünktchen zwischen den Wolken zu erkennen. „Meine liebe Bella wird sich sicher schon Sorgen machen. Ich muss dringend wieder zurück,“ sagte Lumi und wollte sich schon von dem Satelliten, auf den er gar nicht mehr böse war, verabschieden. Da fiel ihm mit einem Mal ein, dass er gar nicht wusste, wie er denn wieder auf die Erde zurückkommen sollte. Sein Raketentriebwerk schien nicht mehr zu funktionieren. Er hatte ja auch keine Wut mehr im Bauch.

Der Satellit wusste auch keinen Rat. „Mich hat man einfach an einem Samstagabend hier heraufgeschossen und ausgesetzt. Seitdem kreise ich um die Erde. Vom Runterkommen und Landen verstehe ich leider auch nichts.“

Lumi fing schon an zu verzweifeln, als plötzlich etwas zischte und brummte wie eine alte Kaffeemaschine und wie aus dem Nichts gezaubert eine flache silbrige Scheibe neben ihm auftauchte. „Das glaube ich nicht!“, sagten Lumi und der Samstagabend-Satellit wie aus einem Mund. „Ein Raumschiff! Ein richtiges UFO! Eine fliegende Untertasse!“

Tatsächlich war ein Raumschiff vom Planeten Quarksi-Moksi durch Lumis Leuchtturmblinken neugierig geworden und mit Überlichtgeschwindigkeit Richtung Erde geflogen. [blue]„Quwrrrrrkss– Krakrakssel, Quarksi-Moksi!“[/blue] stellte ich das Raumschiff vor. [blue]„Warkseldiplups?“[/blue], fragte es dann auf Quarksi-moksianisch, einer Sprache, die natürlich weder Lumi noch der Satellit verstehen konnten.

„Also, so viel steht fest“, sagte der Satellit, „vielleicht achten die Schiffe auf dem Meer nicht mehr auf euch Leuchttürme. Die Raumschiffe hier oben tun es auf alle Fälle. Am besten solltest du dieses UFO fragen, ob es weiß, wie du wieder auf deine grüne Insel kommst.“

Zum Glück hatte das quarksi-moksianische Raumschiff einen superschlauen Sprachcomputer an Bord, der so ziemlich alles übersetzen konnte, was in diesem Teil des Weltraums gesprochen wurde. Noch ehe Lumi etwas sagen musste, hatte ihn das UFO – zisch – wieder auf die Erde gebracht, genauer gesagt auf seine kleine grüne Insel zu seiner Freundin, dem Schaf Bella.

„Lumi, hast du schlecht geträumt? Du siehst heute früh so verschlafen aus“, fragte Bella. „Geträumt? Aber nein! Ich bin doch gestern Nacht in den Weltraum gestartet. Weißt du das denn nicht mehr? Kannst du dich nicht mehr an das Getöse und die Rauchwolke erinnern?“ Der kleine Leuchtturm stand wieder genau so windschief wie eh und je an seinem alten Platz. „Getöse? Rauchwolke? O je, mein armer Lumi, ich glaube, du hast dich einfach zu sehr über die Geschichte mit den Sumstelliten aufgeregt,“ antwortete Bella.

„Du meinst die Satelliten,“ sagte Lumi. „Ach weißt du, das ist halb so wild. Die haben es im Weltraum auch nicht so leicht. So kalt und einsam, wie es da oben ist. Und übrigens werde ich doch noch beachtet, wenn auch nicht von unseren Schiffen hier auf dem Meer, aber das ist eine lange Geschichte und eine ziemlich unglaubliche noch dazu. Die heben wir uns besser für einen langen Winterabend auf.“

In der Zwischenzeit wurde auf Quarksi-Moksi und vielen anderen Planeten mit dem Bau von rot-weiß geringelten Leuchttürmen begonnen. Und wer nachts zum Himmel schaut, kann sie manchmal blinken sehen.
 



 
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