Kochwäsche

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arle

Mitglied
Ich habe nichts gegen Bauarbeiter. Ehrlich. Bauarbeiter sind rechtschaffene Leute, die täglich dafür sorgen, dass wir ein Dach überm Kopf und eine Straße unter den Füßen haben. Bauarbeiter sehen auch meistens sehr lecker aus; besonders im Sommer, wenn ihre braunen, gestählten Muskeln in der Sonne spielen, und ihre schweißnassen Körper.... Aber lassen wir das. Ich habe wirklich nichts gegen Bauarbeiter. Einige meiner besten Freunde sind Bauarbeiter. Ich habe nur etwas gegen das, was ich bei mir „Bauarbeiterhemd“ nenne. Bauarbeiterhemden sehen an Bauarbeitern gut aus. An sonst niemandem.

Wenn ein Bauarbeiterhemd weiß ist und aus Feinripp, dann ist das nicht besonders schön. Wenn es zudem etwas zu groß geworden ist, weil der Träger des Hemdes eben nicht 10 Stunden am Tag einen Presslufthammer bedient, sondern 8 Stunden am Schreibtisch sitzt, ist es schon eine Beleidigung fürs Auge. Quillt aus den labberigen Armausschnitten – besonders im Schulter- und Rückenbereich – ein Wald von schwarzen Haaren, kann man dies getrost als seelische Grausamkeit bezeichnen. Betritt man nach wenigen Stunden unruhigen Schlafs morgens um sieben Uhr die Küche, und am Frühstückstisch sitzt ein Mensch, der kein Bauarbeiter ist, trotzdem ein solches Hemd trägt und dieses zudem nur mit einer Unterhose und Tennissocken kombiniert hat, ist das eindeutig Körperverletzung. In seltenen Fällen kommt es vor, dass das Hemd mit überhaupt keiner Hose kombiniert ist. Dann sollte man sofort die Polizei rufen.

Als ich heute morgen, im Zuge des allgemeinen Großreinemachens, meinen Oberkörper bis zur Taille in die Schmutzwäsche versenkte, sprang mir doch tatsächlich so ein vergessenes Bauarbeiterhemd an die Kehle. Entsetzt starrten wir einander an. Der Feinripp verzog sich zu einem vorwurfsvollen Schmollmund. Das, rief es, ist also deine Auffassung von einem ordentlichen Haushalt!?! Mich hier wochenlang unter deinen dreckigen Unterhosen zu begraben?! Ich wäre fast erstickt!! Mein Herrchen hatte schon ganz Recht, dich in deinem Saustall sitzen zu lassen, du, du... Schlampe! Den ganzen Tag Pralinen fressen, Nägel lackieren, Sekt saufen und mit deinem fetten, faulen, breiten A.... Mit einem gezielten Handkantenschlag setzte ich dem Gezeter ein Ende.

Aber jetzt stehe ich da, das müffelnde Hemd in den Händen, und überlege, was ich denn damit tun soll. Einfach aus dem Fenster werfen? Dann steht fünf Minuten später die Nachbarin vor der Tür und bringt es mir zurück. Nach ganz unten in den Mülleimer stopfen und die im Backofen vor sich hin schimmelnden Reste des Nudelauflaufs von letzter Woche großflächig darüber verteilen? Ich könnte es auch in briefmarkengroße Stückchen zerschneiden und jeden einzelnen Fetzen mit einer satanischen Botschaft beschriften. Dann chartere ich mir einen Hubschrauber und lasse sie auf einen ganz bestimmten Stadtteil herunter schneien... Nein! Ich werde ein Huhn schlachten. Ich ziehe das Hemd an – mit nichts drunter! – und beschmiere uns beide mit dem noch warmen Blut. Ich entzünde mitten auf dem Marktplatz einen riesigen Scheiterhaufen. Wild und ekstatisch werde ich um das Feuer tanzen. Stundenlang. Bis zur völligen Erschöpfung. Und dann, in einem letzten großen Aufbäumen, reiße ich mir das Hemd vom Leib und übergebe es unter dem Gejohle der Zuschauer (und ZuschauerInnen - so viel Zeit muss sein) den hungrigen Flammen, in denen es jämmerlich verschmurgelt! Jawohl! So mach ich’s.

Aber zuerst sollte ich das Bauarbeiterhemd wohl waschen und ordentlich zusammen legen. Vielleicht bekommt es sogar einen Ehrenplatz in meinem Schrank. Jedes Mal, wenn ich die Tür öffne, wird es mich hämisch angrinsen. Naaaaa...., fragt es dann. Naaaaaa....., wirst du dich wohl noch mal mit einem Bauarbeiterhemd tragenden Nicht-Bauarbeiter einlassen?? Und jedes Mal, wenn ich die Tür wieder schließe, werde ich mich bekreuzigen, dreimal auf meinen ungeputzten Fußboden spucken und feierlich schwören: Nein! Nie wieder werde ich das tun!

Das Hemd bleibt hier. Ein Fanal.Ein blütenreines, pfirsichduftendes Mahnmal.
 

arle

Mitglied
Echt????

Danke, Heike-Schätzchen.....

Aber, wie schon so oft gesagt: An DEINE Phantasie werde ich nie heran reichen.

Kuss!
 
mein statement zudeinem text istaufrichtig. wollenwir unsnicht belobhudeln. es geht hier um faire kritik zu unseren texten. und deine haben eine eigenwillige, aber sehr ansprechende klasse.
heike
 
S

Stoffel

Gast
guten Morgen Arle,

ich werde ab heute Bauarbeiter mit anderen Augen sehen und mein "Bauarbeiterhemd" in die Kleidersamlung geben.*Lach*
Oder ich fordere einen der B' auf, es für mich zu tragen.Oder ich mach ne Baustelle auf:D
(dachte erst,Du meinst diese Karohemden,Du meinst die Unterhemden, ich Blödi.

Haste wieder fein hingekriegt;)
Nur paar Gedanken zu einzelnen Sätzen:

"ihr muskulösen Oberkörperin der Sonne spielen, und die kleinen Schweißperlen..."

"Bauarbeiterhemnden sehen.....sonst an niemanden.."

Arle, das ist genauso geschrieben, wie ich es liebe! Klasse.

lG
Stoffel
 
Hallo arle,


der erste Abschnitt ist großartig zu lesen und hat so wunderbare Aussagen wie die, dass Bauarbeiter lecker aussehen. Ich habe nach diesem ersten Abschnitt eine hohe Erwartung an die Fortführung gehabt. Ich hatte fast an ein sich weiter steigerndes Schreiben wie bei Kafka oder Bernhard gedacht. Es folgt dann viel über die Beschaffenheiten des Hemdes, manche "lustige" Reflexion etwas weg vom großen Thema, weg von der Abgründigkeit ins Humoristische.

(Ich las den Text über den Link "Das Neueste" und wusste, während ich las, zunächst gar nicht, dass er unter "Humor, Satire" stand.)

Der Schluss scheint mir wieder an die Haltung des Anfangs anzuschließen, wenn auch dann ins Fantastische sich wendend. Vielleicht hatte ich auch wie bei deinem Inserat - war doch von dir? - diese Stringenz erwartet. Jedenfalls, eine schöne hemdsärmelige Angelegenheit. Lecker!

Beste Grüße

Monfou
 

arle

Mitglied
Hallo Monfou,

mit Schelte habe ich ja gerechnet, als ich den Versuch startete, ein wenig aus der Larmoyanz meiner ersten drei Texte auszusteigen. Dass sie so herbe ausfällt, gibt mir schon zu denken.
Dass du bei dem Text "Inserat" eine Stringenz findest, die du hier vermisst, kann eigentlich nur daran liegen, dass ich das "Inserat" innerhalb von fünf Minuten in die Tasten gehauen habe. Ohne noch daran herum zu feilen oder groß nachzudenken. Mag sein, dass dies die einzig richtige Arbeitsweise für mich ist. Ich werde das für die Zukunft beherzigen.

Danke für deinen Beitrag.
 

arle

Mitglied
Liebe Heike,

ich habe weder deinen noch meinen Beitrag als "Lobhudelei" empfunden. Und als ich meinte, deine Phantasie überträfe die meine bei weitem, dachte ich vor allem an die "Bienchen"....

Danke für deine lieben Worte.
 
Hallo arle,

das muss ein Missverständnis sein. Denn mein Kommentar ist alles andere als eine Schelte.

Ich schreibe, dass ich den ersten Absatz "großartig" finde. Es ist normal, dass man vielleicht einen Absatz besser, einen weniger gut findet. Auch das Ende habe ich besonders lobend hervorgehoben.

Meine Stellungnahme war also GANZ ÜBERWIEGEND positiv. Dass man einen Einwand, eine Idee, einen Korrekturvorschlag einbringt, ist ja normal, sonst könnte man sich Kommentare sparen und gleich nur "Toll" unter jeden Text schreiben.

Ich hoffe, dass nun mehr Klarheit herrscht. Jedenfalls hat mich deine Lesart meines Kommentars sehr verunsichert. So oder so war er als Lob gedacht.

Beste Grüße

Monfou
 

GabiSils

Mitglied
Hallo Monfou,

ich war bei deinem Kommentar auch nicht ganz sicher, wie er zu lesen ist, man könnte ihn sehr leicht als ironisch verstehen. Da ich dich schon ein wenig länger kenne, habe ich das Lob aber gesehen.

Liebe Grüße,
Gabi
 
Liebe Gabi,

diesen zitierte Satz mit den lecker aussehenden Bauarbeitern fand ich wirklich sehr sympathisch und witzig. Da war ich gleich als Leser gewonnen. Dass dieses mein Zitieren ironisch klingen mag, liegt ja an der Art des Textes und am Thema und an dem Zitierten. Ich möchte sagen, es liegt in der Natur der Sache. Ich hoffte doch, auch mit meinem Schlusssatz ein wenig dem satirischen Gegenstand gerecht geworden zu sein

Allen beste Grüße

Monfou
 

arle

Mitglied
Lieber Monfou,

ich wollte mich nicht beklagen. Ehrlich nicht. Und wenn ich keine Kritiken zu meinen Sachen lesen wollte, würde ich hier nichts veröffentlichen. Mit Kritik umgehen muss ich ja schon von Berufs wegen.
Sollte meine Antwort ein bisschen nach "beleidigter Leberwurst" geklungen haben, entschuldige ich mich dafür. Ich war nur ein bisschen verwirrt.
Da wir uns ja jetzt auch schon viel besser kennen ;), lese ich noch mal. Also, herzlichen Dank für dein Lob.

Wieder Freunde? :D
 

arle

Mitglied
Liebe Gabi,

danke, dass du in die Bresche gesprungen bist. Ich dachte schon, die letzten schlimmen Wochen hätten nun doch Spuren in meinem Hirn hinterlassen.... :eek:

Wünsche Euch allen einen schönen Abend.
 

Andrea

Mitglied
7 von 10 Punkten

Na, dachte ich mir, das Inserat noch im Hinterkopf, ob sie auch so witzig wie eindringlich schreiben kann. Ja, antworte ich jetzt, kann sie. Ich jedenfalls habe mich großartig amüsiert, v.a. bei der Körperverletzung.
Aber (vielleicht, weil der Text länger ist?) dieses Mal sind mir noch ein paar Kleinigkeiten aufgefallen, auf die ich gern meinen besserwisserischen Zeigefinger legen möchte.. ;) Also denn:

Dritter Absatz ist im Präteritum, die inhaltlich daran anschließenden Absätze aber im Präsens geschrieben. Ich würde den dritten Absatz entsprechend anpassen.

Du hast mitunter einer, nun: freizügigen Umgang mit Satzzeichen; bei der "Ansprache" des Hemdes etwa "!?!" oder "?!" Irritierend ist, daß das Hemd sich ja eigentlich steigert, aber deine Satzzeichen werden weniger. Kleinkram, mag man da (vielleicht zurecht?) anmerken, aber durch deine Wortwahl hast du schon so klar die Stimmung eingefangen, daß eine leichte Reduzierung der Satzzeichen möglich wäre - wenn's gefällt.
Ebenso steht es mit "MIT NICHTS DRUNTER!" – ich bin unsicher, ob die Großbuchstaben sein müssen - und mit dem doppelten "Naaaaa....". Ich persönlich mag die Vermehrung von Vokalen und Punkten nicht sonderlich, würde es dementsprechend kürzen.

Wenn dein Ich seine blutschmierenden und feurigen Phantasien pflegt, könntest du vielleicht noch ein "werde" einbauen (Ich werde es anziehen).

Und, last but not least, ein kleiner Teil von mir erwartete ein drittes Adjektiv vor dem Mahnmal. Takttechnisch. Vielleicht frisch gebügelt. Aber man bügelt Bauarbeiterhemden vermutlich nicht. Naja.

Jetzt war's aber genug Gemecker. Sonst könnte noch jemand auf den Gedanken kommen, mir hätte die Geschichte nicht gefallen. :)
 

Andrea

Mitglied
Verdammt, ich habe noch was vergessen: die ZuschauerInnen. Finde ich in einem literarischen Text immer unangenehm. Wir haben doch die Zeit.. ;) Aber weil "Zuschauer und Zuschauerinnen" etwas umständlich ist, empfehle ich Publikum.

Jetzt aber.

Gruß
Andrea
 

arle

Mitglied
Liebe Andrea,

die "...Innen" fand ich irgendwie witzig...:eek: Ich wollte damit den Referat-Stil der ersten beiden Absätze wieder aufnehmen. Aber wenn es nicht witzig ist, lass ich es weg.
Mit den großzügig verstreuten Satzzeichen und Verdopplungen will ich die Rotznäsigkeit und die pubertäre Sprechweise des Hemdes zum Ausdruck bringen. Vielleicht fällt mir ja noch was anderes ein.
Der dritte Absatz springt in den Zeiten; da hast du Recht. Ich werde ihn noch einmal überarbeiten; aber nur an einigen Stellen, damit die Aufgeregtheit und Verwirrung der Erzählerin nicht verwaschen wird.
"Mit nichts drunter" war mir so wichtig, dass ich es in Großbuchstaben schreiben MUSSTE ;)
Auf jeden Fall danke ich dir sehr für deine konstruktive Kritik. Und ich schwöre dir: Jedes Wort der Geschichte ist wahr. Alles ist genau so passiert! :rolleyes:

Hab einen schönen Tag und sei gedrückt.

Silvia
 

arle

Mitglied
Liebe Flammarion,

da du so schön drüber gackern kannst, nehme ich an, dieses Erlebnis kommt dir irgendwie bekannt vor.... :D
Freue mich sehr über deine schöne Antwort; vielen Dank!!
 



 
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