Kondolenz

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kite

Mitglied
Ein magerer Kondolenzzettel, der nach der Beerdigung mitzunehmen blieb. Kaum dass es sich ihn aufzuheben lohnte. Die Mutter vergaß ihn, oder wollte ihn seiner Magerkeit wegen nicht wahrnehmen. Der Sohn, ich, riss ihn ab. Wie einen Bestellbogen, ein Kalenderblatt oder anderen poetischen Unsinn. Und es zeigte sich, dass es sich als Verzeichnis der Bewohner des Mietshauses lesen ließ. Die wenigen Verwandten vom Dorfe der Mutter hatten ihren Eintrag vergessen. Darüber hinaus hatte sich aus der Ferne niemand herbegeben, nicht einmal aus einem Nachbarhaus, oder aber sich nicht eingetragen, wie, um das Verzeichnis nicht zu stören. Acht Parteien, davon abgezogen die betroffene, also wir und die eines debilen Nachbarn, der den Vorgang nicht verstanden hatte. Das Verzeichnis war erstellt und sogleich wieder entfernt.
Er sieht doch gut aus, hatte mich meine Mutter beschworen, als wir einen letzten Blick getan hatten. Sieht er nicht gut aus. Fürchterlich, wie man erkennen konnte, dass die Bearbeiter der Leiche bei dem Versuch sie für sich akzeptabel hinzukneten, in einem Nichts gelandet waren. Sie hatten, schien es mir plötzlich, den normalen Ausdruck meines Vaters für Todesschrecken gehalten und ihn entfernen wollen. Jetzt war es ein Gesicht, das krampfhaft einen Schrecken zu verbergen suchte.
Ja er sieht recht gut aus.
Die Wohnung müsste nun ja zu groß für meine Mutter sein. Von Fünfen war allein sie geblieben. Allerdings zogen in die gleich geschnittenen Nachbarwohnungen zunehmend Alleinstehende, Frauen, Männer, die, wenn sie dem Alleinstand ein Ende gemacht hatten, dann gar wieder in noch größere Wohnungen wechselten. Irgendwie hatte sich unsere Familie durch Wegzug und Tod ins Normale geschrumpft. Das hieß nicht, dass meine Mutter den Raum zu nutzen verstanden hätte. Für sie war die Wohnung einerseits zu groß, andererseits nicht. Sie hatte nun, wie es sich gehört, eine gute Stube, brauchte sie aber nicht. Es fanden keine Feste mehr statt.
 
L

Lee

Gast
Hi,
dem letzten Absatz würde etwas Straffung gut tun......

Die beste Stelle für mich:

"Sie hatten, schien es mir plötzlich, den normalen Ausdruck meines Vaters für Todesschrecken gehalten und ihn entfernen wollen. Jetzt war es ein Gesicht, das krampfhaft einen Schrecken zu verbergen suchte."

Das geht schon rein.
 

kite

Mitglied
es freut mich einmal eine Reaktion zu haben, leider kann ich sie bei mir nicht lesen, von einem anderen Computer aus ging es.
Die Breite ist gleichzeitiges Verbergen. Wie man Ordnung macht zwischen Papieren, Schnipseln und Fürs und Widers überlegt, dass das Eigentliche so nebenher weg kann. Klar wenns so dick ist, bleibts an der Oberfläche.

kite
 

kite

Mitglied
Ein magerer Kondolenzzettel, der nach der Beerdigung mitzunehmen blieb. Kaum dass es sich ihn aufzuheben lohnte. Die Mutter vergaß ihn, oder wollte ihn seiner Magerkeit wegen nicht wahrnehmen. Der Sohn, ich, riss ihn ab. Wie einen Bestellbogen, ein Kalenderblatt. Es zeigte sich, dass es sich als Verzeichnis der Bewohner des Mietshauses lesen ließ. Die wenigen Verwandten vom Dorfe der Mutter hatten ihren Eintrag vergessen. Darüber hinaus hatte sich aus der Ferne niemand herbegeben, nicht einmal aus einem Nachbarhaus, oder aber sich nicht eingetragen, wie, um das Verzeichnis nicht zu stören. Acht Parteien, davon abgezogen die betroffene. Das Verzeichnis war erstellt und sogleich wieder entfernt.
Er sieht doch gut aus, hatte mich meine Mutter beschworen, als wir einen letzten Blick getan hatten. Sieht er nicht gut aus! Fürchterlich, wie man erkennen konnte, dass die Bearbeiter der Leiche bei dem Versuch sie für sich akzeptabel hinzukneten, in einem Nichts gelandet waren. Sie hatten, schien es mir plötzlich, den normalen Ausdruck meines Vaters für Todesschrecken gehalten und ihn entfernen wollen. Jetzt war es ein Gesicht, das krampfhaft einen Schrecken zu verbergen suchte.
Ja er sieht recht gut aus.
Die Wohnung müsste nun ja zu groß für meine Mutter sein. Von Fünfen war allein sie geblieben. Allerdings zogen in die gleich geschnittenen Nachbarwohnungen zunehmend Alleinstehende. Irgendwie hatte sich unsere Familie durch Wegzug und Tod ins Normale geschrumpft. Das hieß nicht, dass meine Mutter den Raum zu nutzen verstanden hätte. Sie hatte nun, wie es sich gehört, eine gute Stube, brauchte sie aber nicht mehr.
 



 
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