Kopfball!!!

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Marc Olivier

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„...ein weiter Abschlag von Kohn...Bullock stoppt mit der Brust...und gibt den Ball mal wieder zurück zu Tiramizu...“, stöhnte der entnervte Reporter.

„Verdammt noch mal!“, brüllte Frank. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und das halb gefüllte Weizenglas kam bedrohlich ins Wanken. Mit einem schnellen Griff hatte er es gefasst und die Katastrophe war abgewendet.
„Wenn er diesmal wieder das Bier auf dem Teppich verteilt, werde ich zur Furie“, dachte seine abgemeldet neben ihm sitzende Freundin Monika, sagte aber nichts. „Nur keine schlafenden Hunde wecken!“
„Himmel Herrgott! Leute! So geht’s doch nicht!“, brüllte er den Fernseher an.
„Ob er manchmal hofft oder denkt, dass die Spieler ihn hören?“
„Es ist doch ganz einfach! Wenn ihr Tore schießen wollt, dann müsst ihr auch in die richtige Richtung spielen, nämlich nach vorne. Nicht nach hinten. Bullock, du Penner!“ Seine Stimme hatte sich inzwischen ein paar Mal überschlagen.
„Mal sehen, wie lange es noch dauert, bis die Krause, die alte Schachtel, wieder gegen die Wand hämmert!“
„Nach vorne, nach vorne!“ Frank hatte mit seinen Händen eine Flüstertüte um seinen Mund gebildet.
„Ob er sich wünscht, dass sie ihm auch mal antworten.“

„Abseits!“, rief der hörbar erleichterte Reporter. „Gott sei Dank! Das wäre gefährlich geworden für die Bauern aus München!“

„Glück gehabt, ihr Weicheier!“ Frank dachte offenbar nicht im Geringsten daran, seinen Ton zu mäßigen. Also beschloss Monika, ihn abzulenken.
„Du hast mir noch nie erklärt, wann Abseits ist und wann nicht.“
Frank blickte sie entsetzt an, nun konnte sie seine Funken sprühenden Augen in voller Pracht bewundern, da er sie in seiner Fassungslosigkeit ob der inkompetenten Störung seiner Freundin bis zu den Augenbrauen aufgerissen hatte.
„Nee, hab ich auch nicht“, fauchte er sie an. „Und weißt du auch warum? Weil ich noch nie eine Frau getroffen habe, die es geschnallt hätte. Da rede ich mir bei Dir auch nicht den Mund fusselig!“ So sprach er und wandte sich wieder dem Spiel zu.
„Blödes Arschloch!“
„Nach vorne, nach vorne!“, wiederholte er sein hysterisches Gebrüll.
Monika schnappte sich beleidigt die neben ihr liegende Zeitung und begann, das Kreuzworträtsel zu lösen. Eine ganze Weile half es, das Benehmen ihres Freundes zu ignorieren, der weiterhin ungeniert herumbrüllte. Schließlich stockte sie bei einem „Brasilianischen Fußballer“ und noch einem Wort. Sie entschloss sich, Frank danach zu fragen. Nur um zu sehen, ob sie an diesem Abend noch zärtliche Zuwendung erwarten durfte.
„Brasilianischer Fußballer mit sieben Buchstaben?“, warf sie schließlich gespannt in den Raum.
„Schwuchtel!“, war die lautstarke Antwort. Allerdings wusste sie nicht, ob er sie gehört oder wieder einen der Spieler beschimpft hatte. War auch egal, denn es passte sowieso nicht. Einen Versuch startete sie noch:
„Amerikanischer Gangster mit vier Buchstaben. Der Erste ist ein B“
Frank hatte den Blick vom Fernseher abgewandt. Diesmal konnte sie also sicher sein. Er hatte sie gehört. „Was?“, fragte er genervt.
„Amerikanischer Gangster mit vier Buchstaben. Der Erste ist ein B“, wiederholte sie.
„Weiß ich nicht!“ Er winkte energisch ab. Damit war die Konversation beendet.
Die Stimme des Reporters wurde nun lauter. Das hörte Monika sogar durch das Gebrüll ihres Freundes.

„...Traumpass Bullock!“

„Ja! Ja! Ja!“
„Jetzt denkt die alte Krause bestimmt, wir poppen. Mistkerl, verdammter!“Sie stand auf. Es war genug. Zeit, ins Bett zu gehen.

„Gelber läuft frei aufs Tor zu! Nur noch der Torwart vor ihm!“

Frank sprang auf und rammte brutal den Tisch. Das Bier kam wieder ins Straucheln.

„Nein!“, schrie der Reporter.

„Neeeeiiiin!“, schrie Frank.

„Er verstolpert den Ball! Wo gibt’s denn so was?“ Der Reporter hatte die Lautstärke Franks erreicht. „Heide braucht den Ball nur noch aufzupflücken und ihn ins Feld zurückzuschlagen!“

Frank fiel auf die Knie. Er reckte seine Arme nach oben und richtete den Blick gen Himmel.
„Lieber Gott! Lass mich nur einmal mitspielen, damit ich den Kerlen zeigen kann, wie es geht!“
Er sah einen Blitz vor seinen Augen und spürte dessen elektrische Energie durch seinen Körper rasen. Schließlich hatte er nur noch eine dichte weiße Rauchwolke vor sich. Das erste, was er wieder hörte, war das Geschrei und das gellende Pfeifkonzert der Zuschauer. Als sich der Rauch endlich auch verzogen hatte, blickte er fassungslos um sich. Er kniete nicht mehr auf seinem Wohnzimmerboden, sondern stand inmitten des Anstoßkreises. Panisch blickte er um sich. Überall Blitzgewitter, tosender Lärm aus tausenden hasserfüllten Kehlen. Er begann zu frieren. Kein Wunder, im kurzärmligen und –hosigen Dress des CF Bauern München. Plötzlich bekam er den Ball gegen die Brust, woraufhin dieser vor ihm zum Liegen kam. Santa Fe raste an ihm vorbei und brüllte: „Gasse! Gasse!“ Jetzt wurde ihm klar: Seine Gebete waren erhört worden! Aber bevor er zum tödlichen Pass ansetzen konnte, war das letzte, was er sah, die zwei gegnerischen Spieler, die, Stollen voran, auf ihn zugeflogen kamen. Bevor er ohnmächtig wurde, spürte er noch, wie die Knochen in seinem Körper ordentlich durcheinander gebracht wurden. Mit dem Sturm der Entrüstung, der durch die Zuschauermassen ging, fiel er in einen tiefen Schlaf .

In einem fernen Land, in dem er sich nun eine ganze Weile mit exotischen Schönheiten amüsiert hatte, sie durch die Palmen gejagt und durchgekitzelt hatte, aus Kokosnussschalen köstliche Cocktails geschlürft und frische Früchte von Bäumen gepflückt hatte, begann plötzlich seine rechte Ellenbeuge schlimm zu jucken. Er kratzte sich wieder und wieder, doch es half nichts.
Schließlich erpackte ihn eine fremde Macht, der er sich nicht zu widersetzen vermochte. Sie riss ihn aus seiner von den Schönheiten mit Palmwedeln umringten Liege heraus. Er flog direkt gen Himmel. „Ich komme wieder!“, war das Letzte, was er seinen Dienerinnen noch hatte zurufen können.
„Wartet auf mich!“, brüllte er die weiß gekleidete Frau neben seinem Bett an. Diese zuckte zusammen und sah ihn erschrocken an.
„Ah, da sind sie ja wieder!“ Sie lächelte ihn nun freundlich an.
Frank blickte sich irritiert um. „Wo bin ich?“
„Im Krankenhaus! Ich bin Schwester Julia. Bleiben sie einen Moment ruhig liegen. Ich muss ihre Infusion erneuern.“
Das also war das Jucken. Aber wo war er? Und vor allem: Wer war er?
„Was ist passiert?“
„Sie erinnern sich nicht?“ Besorgnis lag in der Stimme der Krankenschwester.
„Sie sind auf dem Platz bewusstlos geworden. Tut ihnen denn etwas weh?“
Frank horchte in sich hinein und er spürte tatsächlich etwas.
„Mein Bein tut höllisch weh!“
„Kein Wunder! Es war ja auch mehrfach gebrochen! Aber unsere Ärzte haben es operiert und gut hingekriegt!“
Frank war ratlos. Er konnte sich zwar langsam wieder an das völlig absurde Erlebnis der Transformation in das Champions-League-Spiel erinnern. Aber was ging hier vor sich?
„Wo ist Monika?“, fragte er schließlich.
„Wer?“ Sie begriff offensichtlich nicht.
„Monika. Meine Freundin.“
Die Schwester zuckte etwas zusammen und wirkte plötzlich unverständlich verschämt.
„Sie sind doch verheiratet! Ich weiß jetzt nicht so recht, was ich davon halten soll. Ihre Frau heißt nämlich anders, Herr Bullock.“
„Ich bin doch nicht verheiratet. Was faselt die da für einen Mist?“, dachte er. Seine Freundin hieß Monika. Er wohnte mit ihr zusammen. Er war doch nicht verr..... Moment mal.
„Wie haben sie mich eben genannt?“
„Ich habe sie gar nichts genannt.“ Julias Verwunderung wurde immer größer.
„Nein, ich meine, mit welchem Namen sie mich angesprochen haben?“
„Herr Bull...“, sie zögerte. „Herr Bullock“, wiederholte sie seinen Namen ganz vorsichtig. „Ich glaube, ich rufe besser den Arzt.“
In diesem Moment flog die Zimmertür auf und eine Frank nicht bekannte, aber sehr attraktive Frau stürzte herein und begann, ihn anzuschreien.
„Ich habe alles mitgehört. Du Schwein! Wie heißt die Schlampe? Maria?“
„Monika“, berichtigte Frank höchst erstaunt.
„Monika also! Werde doch glücklich mit dem Flittchen! Hoffentlich kommst du nie wieder auf die Beine! Der Rollstuhl soll dein Schicksal werden, du verdammter Saukerl!“
Die Frau wirbelte herum, rannte aus dem Zimmer und warf die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu. Er hörte sie draußen weiterschreien. „Schwein! Sau! Drecksack!“
Frank blickte höchst irritiert zu der Schwester.
„Was....?“ Mehr brachte er im Moment nicht heraus.
Julia blickte verschämt unter sich. „Es tut mir wirklich sehr leid. Das wollte ich nicht.“ Sie ging in Richtung Tür. „Ich werde jetzt den Arzt holen.“ Dann verschwand sie.
„Ich bin Frank Neumann. Ich wohne in der Gartenstraße 14 in Frankfurt mit meiner Freundin Monika“, brüllte er hinterher. „Glaubt mir denn keiner? Was zum Teufel ist hier los?“
Was zum Teufel war hier los? Warum sagte die Schwester Bullock zu ihm? Warum hatte ihn diese fremde Frau so angebrüllt und ein Schwein geschimpft?
Doch er konnte sich keine weiteren Fragen stellen, denn die Tür wurde vorsichtig geöffnet. Ein grobschlächtiger Mann mit Halbglatze trat ein. Ihm folgte ein größerer, hagerer mit graumelierten Haaren. Sie stellten sich ans Fußende seines Bettes.
„Die Schwester hat gesagt, wir dürfen dich nur kurz besuchen. Es ginge dir noch nicht so gut.“, sagte der Mann mit der Halbglatze.
Frank hätte nicht gedacht, dass es noch absurder werden würde. Um sicherzugehen, kniff er die Augen fest zusammen und schüttelte sich. Als er die Augen wieder öffnete, waren sie immer noch da. Er konnte es kaum fassen, aber sie waren es tatsächlich:
Olli Hannes und Volkmar Witzbold!
„Ich bin nicht Bullock!“, japste er, denn die Situation nahm ihn nun ganz schön mit. „Ich bin Frank Neumann, wohnhaft Gartenstraße 14 in Frankfurt.“
„In Frankfurt?“ Olli Hannes glaubte ihm auch nicht, das spürte er sofort. Die beiden Bauern-Koryphäen steckten die Köpfe zusammen.
„Hat der Gutreis irgendwas gesagt, das er auch was am Kopf abgekriegt hat?“, flüsterte Witzbold, aber Frank konnte es verstehen.
„Ich bin nicht verrückt.“, platzte Frank heraus. „Ihr seid verrückt! Ich steh jetzt auf und gehe nach Hause!“ Er versuchte, sich gewaltsam von der Infusion zu befreien und aufzustehen. Hannes stürmte auf den Flur. „Schwester! Schwester! Schnell! Er flippt aus!“ Im Nu war das Zimmer voll mit Weißkitteln, die ihn aufs Bett zurück drückten. Der Arzt rammte ihm eine Spritze in den Arm. Es dauerte nicht lange und er war wieder zurück im fernen Land.
Er durchlebte es noch einmal, traf wieder die exotischen Schönheiten, schlürfte Cocktails und wurde schließlich wieder hinauskatapultiert.
„Schwester Julia?“
Sie erschrak sich zu Tode. „Woher kennen sie meinen Namen?“, fragte sie ihn schließlich sichtlich überrascht.
Er überhörte die Frage. „Bin ich wieder im Krankenhaus?“
„Wieder?“
„Ja. Ich war doch schon mal da. Wissen...“ Er hielt augenblicklich inne, da ihm klar geworden war, wie völlig unsinnig das alles klingen musste.
„Ich glaube, ich hole den Arzt.“, beschloss die Schwester.
„Oh nein, bitte nicht.“ Panisch packte er sie am Arm, ließ sie aber gleich wieder los und versuchte, sich zu beruhigen.
„Was ist passiert?“, fragte er sie wieder einmal.
„Ihre Freundin hat sie mit einem leeren Bierglas niedergeschlagen.“
„Monika? Wo ist sie?“
Julia zögerte.
„Wo ist sie?“, wiederholte Frank.
„Dazu muss ich ihnen etwas sagen.“ Ihre Stimme wurde sehr sanft. Sie legte ihre Hand auf die seine. „Sie hat gestern hier angerufen und uns gebeten, ihnen, sobald sie wieder bei Bewusstsein sind, auszurichten, dass sie sie nie wieder sehen will.“
„Nie wieder?“, Franks Stimme wurde brüchig.
„Nie wieder! Und sie sei froh, in U-Haft zu sitzen, dann könne es nämlich auch nicht zufällig auf der Straße passieren.“
Frank verfiel in tiefes Schweigen. Wie konnte es bloß so weit kommen? Er begann, nachzudenken. Doch lange brauchte er nicht, bis er zu einem Ergebnis kam.
„Schwester?“ Sein Ton war schwer und bedeutungsvoll.
„Ja, Herr Neumann?“
„Sagen Sie dem Arzt, ich will die stärkste KO-Spritze, die er auftreiben kann.“
 

Marc Olivier

Mitglied
hallo flammarion

Hallo Flammarion,

vielen Dank für Dein Feedback, ich werde mein Bestes tun. Ich möchte noch anfügen, daß die Geschichte einer gewissen Selbstironie nicht entbehrt. Aber auch nur einer gewissen, denn bisher hat mir meine Freundin noch nie mit einem Weizenglas oder irgendeinem anderen Gegenstand 'nen Scheitel gezogen. Ferner wehre ich mich prophylaktisch gegen mögliche Versuche, mich des FC Bayern-Fanatismus zu bezichtigen.
Ich hoffe, der Leser nimmt keinen Anstoß am Kalauer am Ende der Story. Normalerweise mag ich das auch nicht. Aber ich dachte mir: "Hey, hier geht's um Fußball!"
 



 
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