Kornkreise

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Mazirian

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Kornkreise

Fast niemand außer seinen Bewohnern kannte Kleinklitzenborn. Niemand brauchte es. Niemand fuhr hin. Niemand hatte Lust darüber zu reden. Jedenfalls - bis jetzt nicht!
Denn seit man vor drei Tagen auf den Getreidefeldern des Dörfchens die bisher größten und komplexesten Kornkreise in Europa entdeckt hatte, bestand eine gute Chance, dass die Zweihundert-Seelengemeinde weltweit den Sprung in die Schlagzeilen und Nachrichtenshows schaffen konnte.
Immerhin waren Fernsehen und Presse bereits vor Ort und berichteten live über die sensationelle Entdeckung. Zwar war das Feld weiträumig mit rotweißen Bändern abgesperrt worden, aber schon kurz nach Sonnenaufgang fielen rudelweise die einschlägigen Experten, Hobbyforscher und Schaulustigen ein und trampelten durch das wenige noch aufrecht stehende Getreide. Überall klickten Kameras, wurden Maßbänder gespannt, Proben genommen und Flachmänner aufgeschraubt.

Auch Günther Lauch, der bekannte TV-Moderator und sein Team waren natürlich mit von der Partie. Der Vorfall passte perfekt in die saure-Gurken-Zeit und in seine Infotainment-Show. Er stand am Feldrand und schaute mit säuerlicher Miene auf seine neuen Designer-Schuhe. Die ganze Nacht über hatte es genieselt und der schwere Boden pappte wie Kitt an den Sohlen.
Nervös warf er das Mikrofon von einer Hand in die andere und blickte sich suchend nach Riedel, seinem Assistenten um. Dieser war auf der Jagd nach medienwirksamen Namen und Gesichtern, die man interviewen konnte.
Endlich sah er ihn vor sich durch die Halme brechen, drei tapsende, schwitzende Männer im Schlepptau. Lauch erkannte sie sofort: vorneweg der Bestsellerautor Jonas von Dumbard, ausgewiesener Grenzwissenschaftler, Esoterikexperte, Kosmobiologe, Ernährungstherapeut und neuerdings sogar Kosmetikberater in einer Person - der Verfasser zahlloser spekulativer Bücher.
Hinter ihm Kanga Roohmishwar, der nur Physiker war, dafür aber seine eigene Wissenschaftsshow mit aufklärerischem Anspruch hatte. Und als Letzter schließlich ein älterer, vierschrötiger Mann mit zerfurchtem Gesicht, verbeultem Hut und einer löchrigen blauen Arbeitsjacke. Das musste wohl Erwin Reiweisen sein, der Bauer, dem der Acker gehörte. Er kam nicht ganz als Letzter - da waren noch zwei halbwüchsige Bengel, die immer um Lauchs Kameramann herumhüpften und krähten:
"Wir waren das! Wir haben das gemacht! Ehrlich!"
Nach einem kurzen Händeschütteln und einigen begrüßenden Worten wandte Lauch sich zunächst an von Dumbard.
"Herr von Dumbard, wenn's um übersinnliche Phänomene geht, sind sie einer der versiertesten Experten in Deutschland. Sie sind jetzt seit zwei Tagen hier und haben sich die Sache angesehen. Gibt es für sie eine einleuchtende Erklärung?"
von Dumbard schob selbstsicher das markante Kinn vor. Seine kleinen aber stahlblauen Augen suchten die Kamera, bevor sich ein Lächeln auf seine Züge stahl.
"Ja, in der Tat, die gibt es. Alles deutet darauf hin, das diese sogenannten Kornkreise die Manifestation einer hyperdimensionalen Vortex sind. Einer parallelweltlichen, strukturierten Matrix, die sich gewissermaßen durch eine dünne Stelle des Raum-Zeit-Blasengefüges hindurchpreßt und sozusagen ihren Abdruck in unserer Welt hinterlässt. Da es sich hier um mathematische Symbole handelt, zum Beispiel Kreise, spricht außerdem alles dafür, dass diese Strukturen absichtlich hervorgerufen wurden, also eine Art Botschaft darstellen. In der Lage wäre dazu nur ein multikontinuales Bewusstsein, eine jenseitige Intelligenz also, wenn ich es mal volkstümlich ausdrücken darf."
Lauch nickte verstehend. Riedel befand sich hinter der Kamera und konnte es sich daher leisten, fassungslos die Augen zu verdrehen.
"Das hört sich alles sehr kompliziert und technisch an. Haben sie denn auch schon Beweise für ihre Theorie."
"Ich denke, wir sind bereits über die Phase der reinen Theorie hinaus. Schauen sie, wir haben einige dieser Kreise sehr genau vermessen. Wenn man den Umfang durch den Durchmesser teilt, bekommt man die exakte Zahl Pi. Das kann kein Zufall, keine Laune der Natur sein. Dahinter steckt eine überlegene, fremdartige Intelligenz"
"Wir haben's gemacht! Reini und ich!" Riedel sorgte mit sanfter Gewalt dafür, dass die beiden Nervtöter aus dem Blickfeld der Kamera verschwanden, als Lauch sich nunmehr an den nächsten Gesprächspartner wandte:
"Kanga Roohmishwar, sie gehören ja der streng wissenschaftlichen Gegenpartei an. In Ihrer Sendung haben Sie schon mit so manchen Irrtümern aufgeräumt und etliche Schwindel entlarvt. Wie ist ihre Meinung. Können Sie etwas mit der Hypothese von Herrn von Dumbard anfangen?"
Roohmishwar lächelte sein lausbübisches Ach-wisst-ihr-es-ist-sowieso-alles-ganz-anders-Lächeln.
"Nein, Herr Lauch. Das hört sich doch alles sehr nach Science Fiction und Esoterik an. Ich halte es da eher mit Sherlock Holmes. der mal sagte: 'Wenn ich alles unmögliche ausschließe, dann muss das, was übrig bleibt die Wahrheit sein.'"
"... und wenn sie noch so fantastisch anmuten mag"! ergänzte von Dumbard mit gedehnter Stimme das unvollständige Zitat.
"Und wie sieht demnach Ihre Wahrheit aus?" bohrte Lauch.
"Ich bin sicher, es gibt für dies alles eine natürliche Erklärung. Jetzt mit einer endgültigen Deutung zu kommen wäre sicher verfrüht. Wir müssen Daten und Fakten sammeln, sie sichten und interpretieren. Aber am Ende wird sicher ein völlig normaler, unspektakulärer Mechanismus stehen, der für dieses Phänomen verantwortlich ist. Aber wir sollten wartem bis es soweit ist und nich vorzeitig wilde Spekulationen in die Welt setzen."
"Ganz der vorsichtige korrekte Wissenschaftler", grinste Lauch. "Aber fragen wir nun den, der dieses Weizenfeld besser kennt als jeder andere: Erwin Reiweisen. Herr Reiweisen, was ging in Ihnen vor, als Sie vor drei Tagen auf Ihr Feld kamen und diese Kreise entdeckten?"
Reiweisen verschränkte die Arme vor der Brust und brummte:
"Also, als erschtes dacht ich: schad um des scheene Korn. Des is ja jetz all nur noch als Viehfudder zu gebrauche. Awwer dann dacht ich: des bezohlt jo eh die Vesicherung. Mein Kuseng hot nehmlich die Vedrehdung hier am Ort."
"Und haben Sie einen Verdacht, wer oder was für diese Kreise verantwortlich sein könnte?"
"Ach, was waas dann ich? Vielleicht is nur jemand middem Bulldog druff erum gefahrn. Odder vielleicht hängt's aach am Ozonloch... des is jo aach rund..."
"Wir warn's! Der Reini und ich ... !"
Lauch steckte sein Mikrofon weg und drehte sich seufzend zu seinem Kameramann um.
"Schalt ab. Ich denke das reicht für drei Minuten Sendung. Ich brauch jetzt erstmal was zu trinken."

*****

Weit draußen, in den Nebeln jenseits von Zeit und Raum, im Heute der vergangenen Zukunft, war es gerade Montagmorgen ...
'Jetzt muss ich aber wirklich aufstehen', dachte Gott, nachdem er sich eine Viertelstunde dösend hin und her gewälzt hatte. Er stemmte sich ächzend hoch und schälte sich aus der Decke. Vergeblich suchte er nach seinen Schlappen und schlurfte schließlich barfuß in Richtung Bad. Der Boden war eisekalt, seit Familie Luzifer, die im Untergeschoss wohnte, in Urlaub gefahren war.
Er hatte das ganze Wochenende geschlafen, nachdem er die Erde geschaffen hatte - zwei volle Tage an einem Stück! Dementsprechend verquollen sah er aus, als er jetzt in den Badezimmerspiegel schaute. Er schnitt ein paar Grimassen, um sich die Kissenfalten aus dem Gesicht zu ziehen, aber es gelang ihm nicht. Dafür fiel ihm auf, dass es überhaupt nicht nach Kaffee und frischen Brötchen roch.
Merkwürdig, seine Frau war doch schon längst aufgestanden. Kurz entschlossen verzichtete er auf's Zähneputzen und ging in die Küche, um nachzusehen, was seine Frau so trieb. Doch in der Küche war sie nicht. Auch im Ess- und im Wohnzimmer konnte er sie nicht finden; und da die Haustür noch abgeschlossen war blieb nurmehr seine Werkstatt übrig. Richtig, die Werkstatttür war nur angelehnt und drinnen brannte Licht.
Er zog die buschigen, schneeweißen Brauen zusammen. Das hatte er gar nicht gern, wenn jemand anders als er selbst sich in seiner Werkstatt herumtrieb - das gab nur Unordnung. Mit einem Ruck machte er die Tür auf und sah tatsächlich seine Frau an der Werkbank sitzen, in einem viel zu weiten, blauen Arbeitskittel aber frisch und lieblich. Mit Buntstiften in den Händen und hinter den Ohren und einem niedlichen Farbtupfer auf der rosigen Wange. Vor ihr schwebte eine in zarten Nebel gehüllte, saphirblaue Kugel, die langsam rotierte. Sie bemerkte ihren Mann sofort und drehte sich mit einem strahlenden Lächeln nach ihm um.
"Guten Morgen Schatz, hast du gut geschlafen?"
"Nenn mich um die Zeit noch nicht Schatz", knurrte Gott verdrossen, als er erkannte, dass seine Frau sich an seinem jüngsten Werk zu schaffen machte. "Wo bleibt das Frühstück? Und was zum Teufel tust du da eigentlich?"
"Ach weißt du Schatz, dieses Ding, das du da letzte Woche geschaffen hast ... es sah so schmucklos und nüchtern aus. Ich dachte, mit ein paar netten Verzierungen hier und da wirkt es gleich viel freundlicher..."


(c) 2002 by Achim Hildebrand


Ich weiß nicht, sollte man den folgenden Absatz noch dran hängen oder besser weglassen?

Ihr Lächeln schwand, als sie beobachtete, wie ihr Mann begann, in den Schubladen herumzuwühlen. Sie wusste, wenn er jetzt seinen Radiergummi fand würde er die ganze Oberfläche wieder ratzekahl rubbeln...
 

Mazirian

Mitglied
Nahmt

Hi Criss,

vielen Dank für die Hilfe.
Bescheiden oder nicht - du hast recht. Es gibt in der Geschichte eigentlich keinen Faden, der den Zusatz motivieren würde (Apokalypse, Strafe oder so). Ich werd ihn also weglassen.

schönen Tag noch

Achim
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Wunderbar! Nur die zu offensichtliche Namenähnlichkeit störte mich etwas. Vor allem, weil das Bild, das ich aus dem Text bekam nicht wirklich zu dem passte, das ich von den "Originalen" hatte.

Ich würde den letzen Absatz auch weglassen.

Da sind noch paar Winzigkeiten:

Das „dass“ lässt mich vermuten, dass du neue Rechtschreibung meinst – ich geh es mal durch.
...Auch Günther Lauch, der bekannte TV-Moderator[red]Komma[/red] und sein Team waren natürlich mit von der Partie. Der Vorfall passte perfekt in die saure-Gurken-Zeit [red]Saure-Gurken-Zeit[/red]und in seine Infotainment-Show. Er stand am Feldrand und schaute mit säuerlicher Miene auf seine neuen Designer-Schuhe. Die ganze Nacht über hatte es genieselt und der schwere Boden pappte [blue] nun (?)[/blue]wie Kitt an den Sohlen.
Nervös warf er das Mikrofon von einer Hand in die andere und blickte sich suchend nach Riedel, seinem Assistenten[red] Komma [/red] um. ... "Herr von Dumbard, wenn's um übersinnliche Phänomene geht, sind sie [red]Sie[/red] einer der versiertesten Experten in Deutschland. Sie sind jetzt seit zwei Tagen hier und haben sich die Sache angesehen. Gibt es für sie [red]Sie [/red] eine einleuchtende Erklärung?"
von [red]Von [/red] Dumbard schob selbstsicher das markante Kinn vor. Seine kleinen aber stahlblauen Augen [blue]wieso aber?[/blue]suchten die Kamera, bevor sich ein Lächeln auf seine Züge stahl.
"Ja, in der Tat, die gibt es. Alles deutet darauf hin, das [red]dass [/red] diese sogenannten [red]so genannten[/red] Kornkreise die Manifestation einer hyperdimensionalen Vortex sind. Einer parallelweltlichen, strukturierten Matrix, die sich gewissermaßen durch eine dünne Stelle des Raum-Zeit-Blasengefüges hindurchpreßt [red]hindurch presst [/red] und sozusagen [red] so zu sagen [/red] ihren Abdruck in unserer Welt hinterlässt. .......
"Das hört sich alles sehr kompliziert und technisch an. Haben sie [red] Sie [/red] denn auch schon Beweise für ihre [red]Ihre[/red] Theorie. [blue] lieber mit ? enden[/blue]"
"Ich denke, wir sind bereits über die Phase der reinen Theorie hinaus. Schauen sie [red]Sie [/red] , wir haben einige dieser Kreise sehr genau vermessen. ............Riedel sorgte mit sanfter Gewalt dafür, dass die beiden Nervtöter aus dem Blickfeld der Kamera verschwanden, als Lauch sich nunmehr an den nächsten Gesprächspartner wandte:
"Kanga Roohmishwar, sie [red]Sie [/red] gehören ja der streng wissenschaftlichen Gegenpartei an............ Ich halte es da eher mit Sherlock Holmes.[red] Komma [/red] der mal sagte: 'Wenn ich alles unmögliche ausschließe, dann muss das, was übrig bleibt die Wahrheit sein.'"
"... und wenn sie noch so fantastisch anmuten mag"! [red]!",[/red] ergänzte von Dumbard mit gedehnter Stimme das unvollständige Zitat.
"Und wie sieht demnach Ihre Wahrheit aus?"[red]Komma [/red] bohrte Lauch.
.............. Aber wir sollten wartem [red]warten, [/red] bis es soweit ist[red]Komma [/red] und nich [red]nicht [/red] vorzeitig wilde Spekulationen in die Welt setzen."
.......
Reiweisen verschränkte die Arme vor der Brust und brummte:
"Also, als erschtes dacht ich: schad [red]Schad [/red] um des scheene Korn. ........


Und zum Schluss noch die Wertung… Fette 9.

Tschüß bis zum hoffentlich nächsten Text!
 

Mazirian

Mitglied
Hi jon,

wieder mal heißen Dank für deine selbstlose "Futzelarbeit"! Kann man gar nicht oft genug sagen. Und ein verschärftes Danke für das "Wunderbar" (das kannst DU nicht oft genug sagen, hihi).
Deine Korrekturen werd' ich einarbeiten. Nur noch zweidrei kurze Bemerkungen:
J.v.B. hab ich früher selbst gern gelesen und ich weiß, dass er eine große Fangemeinde hat. Aber seit er sich zu offensichtlich auf jede kommerzielle Sau setzt die durch's Dorf getrieben wird (eben Diät und Kosmetik bei QVC) geht er mir ziemlich auf den Zeiger. Ich musste es einfach mal loswerden *g*.
Und mit R.Y. hatte ich tatsächlich ziemliche Schwierigkeiten bei der - sprachlichen - Charakterisierung - der Kleine (ist er überhaupt klein?) ist einfach zu glatt.
"Kleine Augen" empfindet man oft als eher unschön (stechender Blick usw.), ABER "stahlblaue" als eher attraktiv. Deswegen, das "aber".

Der nächste Text wird aber eher episch-tragisch-bedeutungsschwer. Hoffentlich magst du auch sow ... so was.

schöne Grüße und ein noch schöneres Wochenende

Achim
 



 
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