Karnevalsdienstag marschiert in Mönchengladbach der Zug. Der offizielle.
Den inoffiziellen veranstalten immer mein Kumpel Klaus und ich. Durch allerlei überfüllte Kneipen den späten Nachmittag, den Abend hindurch. Immer auf der Suche. Nach Stimmung, nach Trost im Alkohol und der Gegenwart der einen oder anderen Weiblichkeit, die ihrerseits sucht. Trost oder was auch immer.
Klappte dieses Jahr nicht besonders, die Damen kamen uns im Gedränge abhanden. Künstlerpech. Oder unser zunehmendes Alter, wer weiß?
Gegen ein Uhr morgens sitzen wir, reichlich abgefüllt, im Taxi, das uns heimbringen soll in den Nachbarort. Der Wagen hat einige Vorortstraßen durchquert, da wird meinem Kumpel bewusst, er müsse umgehend auf einen stillen Ort. Mir wird ein plötzlicher Mordshunger bewusst. Was blieb uns übrig? "Stoppen Sie irgendwo, wo noch Licht brennt, Kneipe, Imbiss, egal. Hauptsache Klo und was zu beißen."
Der Fahrer reagiert stinkig, da wir ihm den schönen Umsatz halbieren. Er kurvt durch allerlei gewundene, mir unbekannte Straßen und hält an einer Kneipe, an der noch Licht brennt. Wusste oder ahnte er, wo er uns absetzte? Im Nachhinein kam es uns so vor, zumal er uns mit einem seltsamen Grinsen "noch 'ne nette Nacht soweit" wünschte.
Klaus zahlt, wir steigen aus. "Panoptikum" stand dort in leuchtenden Lettern. "Klingt doch okay", stellt Klaus lallend fest. "Komm! Hab' Druck."
In dem Lokal herrschte von Anfang an eine komische Atmosphäre. Ich habe mich nicht zurückgehalten: " Was'n hier los? Beerdigung oder was? Keine Musik? Immerhin Kostüme? Sogar Kostümzwang? Nur Kerle?" Keine Antwort. Überhaupt keine Reaktion.
Fünf Typen nahm man wahr, eigenwillig verkleidet, um nicht zu sagen, verrückt, den Wirt eingeschlossen. Kein großer Raum, ein länglicher Schlauch. Zur Hälfte eingenommen von der Theke, die im Winkel verlief. Ein Sessel, zwei Tische. Von der Decke baumelten lieblos ein paar Girlanden.
Klaus guckt mich fragend an, ich ihn. "Egal", sagt er, "bestell was." Und ist schon weg auf'm Klo.
Hinter der Theke ein massiger Kerl, verkleidet wie ein altrussischer Bauer. Langes helles Hemd, Kordel als Gürtel. Wuchtiger Kopf mit Schnauzbart, scharf gezeichnete schwarze Brauen. Sah aus wie eine Kopie von Väterchen Großdiktator aus den Dreißigern.
"Prächtiges Kostüm", lobe ich ihn. "Hast bestimmt einen prima Wodka. Gib mal zwei. Gibt's noch was zu essen?"
"Kleinigkeiten", informiert er in glasklarem Deutsch. Verzieht keine Miene.
"Schnittchen oder so?"
"Käse oder Wurst?"
"Wurst."
Er schiebt eine kleine Rollade hoch und gibt meine Bestellung weiter. Ein älterer chinesischer Koch glotzt durch die Luke: "Plobillen lieber Choppe Suey! Leckelecke!"
Komme gar nicht zu einer Antwort, denn Klaus, zurück vom Klo, übernimmt: "Was'n das für einer? Der sieht ja aus wie Maos kleiner Bruder."
Der so Qualifizierte findet das nicht komisch und knallt die Rollade hinunter. Es geht ein Ruck durch den Raum. Ohnehin eine makabre Atmosphäre, es fällt auch weiterhin kein einziges Wort. Der Wirt tut, als sei nichts, ich fürchte um mein Essen.
Unsere Blicke wandern irritiert durch den Raum. Da gab es zunächst die beiden Herren rechts von uns, drei Meter entfernt. Klein und schmächtig der eine, Brillenträger, Beamtentyp. Der andere groß und schlank, blond, Offiziersgestalt. Beide in pechschwarzen Uniformen, Stiefel, Armbinden mit Hakenkreuz.
"He!" ranze ich die zwei an, "die Abzeichen da tragt ihr ja wohl nur hier drinnen, oder? Wenn ihr damit rausgeht, kommt der Staatsschutz."
Der Kleine, offenbar der Boss, schickt mir für Sekunden eine Eisesmiene herüber, die klar stellt, dass dies die letzten akustischen Signale zu sein haben, die ich in meinem Leben an ihn sende. Sofern mir dieses Leben noch irgendetwas bedeutet.
Ich verstand. Stoße mit Klaus an und spüle meine Beklemmung mit dem Wodka weg. Wir wenden unsre Blicke in den Hintergrund der Kneipe. In einem wuchtigen Ledersessel hockt hinter einem der Tische jemand in einer wie echt wirkenden Kardinalsrobe. Spendet mit seiner Rechten ununterbrochen stumme Segen in die Runde, wobei sein Mundwerk marionettenartig auf geht und zu und zu und auf. Junge, nahm der sein Kostüm ernst.
Richtig genießen konnten wir diesen Anblick nicht, da uns die ganze Zeit ein seltsames "tack-tack"-Geräusch ablenkte. Immer wieder begleitet von einem fiesen In-sich-hinein-kichern.
Wir blicken vorbei an den beiden Schwarzuniformierten und sehen am Ende der Theke eine auf Mozartzeit gebrasselte Type. Na, denke ich, endlich mal was Putziges in dem öden Schuppen hier.
Er war aber nicht putzig. Vor ihm stand eine Miniaturguillotine. Wie vernarrt kurbelte er immer wieder das kleine Fallbeil hoch, schob Streichhölzer hinein, die er gleich fünf-, sechsmal köpfte. Wenn er kicherte, dachte er offenbar an jemand Bestimmtes. Die Theke vor ihm, auch der Fußboden, war übersät von Holzstückchen.
"Sach ma ...", Klaus sucht nach Worten. "Wo simmer hier?"
"Panik ..., äääh, Panoptikum. Vielleicht hilft noch'n Wodka?"
Altvater gießt neu ein, ungerührte Miene. Klaus vergisst sich: " Weisse wat? Hier fehlt nur noch der Ajatollah Chomeini."
Das ist kaum draußen, da ringt sich hinter der Thekenfront rechts jemand in die Höhe. Ein Schrank von einem Kerl, schwarze Kleidung, der sich offensichtlich gegen Widerstand durchsetzt. "Was liegt an?" dröhnt er in den Raum.
Wird im selben Moment hinuntergezogen, ein zweiter taucht auf, Rabbikostüm, der klar stellt: "Du hast hier gar nichts zu verkünden. Wenn einer, dann ich!"
Die Antwort erfolgt kollektiv aus den Kehlen aller bislang so schweigsamen Anwesenden, laut, brutal: "Hach!"
Die beiden im Offiziersschwarz greifen sich an die Gürtel, Altvater macht eine Bewegung zu einer Schublade, der Koch schmeißt mit Töpfen.
Da half kein weitere Wodka, wir bekamen es mit der Angst. Klaus: "Ey, Benno, verzichte mal ganz schnell auf deinen Imbiss. Knall dem zwanzig Euro hin, aber rasch. Und dann nichts wie raus hier. Okay?"
Meinerseits kein Widerspruch. Ich schmeiße dem Alten das Geld hin. Und dann nahmen zwei rheinische Frohnaturen ihre Beine in die Hände und rannten draußen hemmungslos bis zur nächsten Biegung. Waren kaum dort, da knallte es hinter ihnen wie aus drei Kanonenrohren. Handgranaten, vermuteten wir später. Splitternde Fensterscheiben, die Eingangstür knallte heraus, ganz sicher Totalschaden im Innern, am Haus insgesamt.
Wir blickten fasziniert zurück, eilten dann aber rasch weiter, einem endlich gesichteten Taxi entgegen.
In die Gegend zurück trauten wir uns nicht. Tagelang warteten wir, ob und was die Lokalpresse berichtete. Nichts. Wir surften im Netz. Ebenfalls null.
Konnte so etwas unbemerkt bleiben?
Irgendwann meinte Klaus: ja, kann! "Weißte was? Die Medien sind doch voll alle Tage von so etwas. Und von solchen Typen. Mit oder ohne Kostüm. Also, was soll's?"
"Und nächsten Karnevalsdienstag?"
"Blöde Frage. Ziehen wir wieder los."
Den inoffiziellen veranstalten immer mein Kumpel Klaus und ich. Durch allerlei überfüllte Kneipen den späten Nachmittag, den Abend hindurch. Immer auf der Suche. Nach Stimmung, nach Trost im Alkohol und der Gegenwart der einen oder anderen Weiblichkeit, die ihrerseits sucht. Trost oder was auch immer.
Klappte dieses Jahr nicht besonders, die Damen kamen uns im Gedränge abhanden. Künstlerpech. Oder unser zunehmendes Alter, wer weiß?
Gegen ein Uhr morgens sitzen wir, reichlich abgefüllt, im Taxi, das uns heimbringen soll in den Nachbarort. Der Wagen hat einige Vorortstraßen durchquert, da wird meinem Kumpel bewusst, er müsse umgehend auf einen stillen Ort. Mir wird ein plötzlicher Mordshunger bewusst. Was blieb uns übrig? "Stoppen Sie irgendwo, wo noch Licht brennt, Kneipe, Imbiss, egal. Hauptsache Klo und was zu beißen."
Der Fahrer reagiert stinkig, da wir ihm den schönen Umsatz halbieren. Er kurvt durch allerlei gewundene, mir unbekannte Straßen und hält an einer Kneipe, an der noch Licht brennt. Wusste oder ahnte er, wo er uns absetzte? Im Nachhinein kam es uns so vor, zumal er uns mit einem seltsamen Grinsen "noch 'ne nette Nacht soweit" wünschte.
Klaus zahlt, wir steigen aus. "Panoptikum" stand dort in leuchtenden Lettern. "Klingt doch okay", stellt Klaus lallend fest. "Komm! Hab' Druck."
In dem Lokal herrschte von Anfang an eine komische Atmosphäre. Ich habe mich nicht zurückgehalten: " Was'n hier los? Beerdigung oder was? Keine Musik? Immerhin Kostüme? Sogar Kostümzwang? Nur Kerle?" Keine Antwort. Überhaupt keine Reaktion.
Fünf Typen nahm man wahr, eigenwillig verkleidet, um nicht zu sagen, verrückt, den Wirt eingeschlossen. Kein großer Raum, ein länglicher Schlauch. Zur Hälfte eingenommen von der Theke, die im Winkel verlief. Ein Sessel, zwei Tische. Von der Decke baumelten lieblos ein paar Girlanden.
Klaus guckt mich fragend an, ich ihn. "Egal", sagt er, "bestell was." Und ist schon weg auf'm Klo.
Hinter der Theke ein massiger Kerl, verkleidet wie ein altrussischer Bauer. Langes helles Hemd, Kordel als Gürtel. Wuchtiger Kopf mit Schnauzbart, scharf gezeichnete schwarze Brauen. Sah aus wie eine Kopie von Väterchen Großdiktator aus den Dreißigern.
"Prächtiges Kostüm", lobe ich ihn. "Hast bestimmt einen prima Wodka. Gib mal zwei. Gibt's noch was zu essen?"
"Kleinigkeiten", informiert er in glasklarem Deutsch. Verzieht keine Miene.
"Schnittchen oder so?"
"Käse oder Wurst?"
"Wurst."
Er schiebt eine kleine Rollade hoch und gibt meine Bestellung weiter. Ein älterer chinesischer Koch glotzt durch die Luke: "Plobillen lieber Choppe Suey! Leckelecke!"
Komme gar nicht zu einer Antwort, denn Klaus, zurück vom Klo, übernimmt: "Was'n das für einer? Der sieht ja aus wie Maos kleiner Bruder."
Der so Qualifizierte findet das nicht komisch und knallt die Rollade hinunter. Es geht ein Ruck durch den Raum. Ohnehin eine makabre Atmosphäre, es fällt auch weiterhin kein einziges Wort. Der Wirt tut, als sei nichts, ich fürchte um mein Essen.
Unsere Blicke wandern irritiert durch den Raum. Da gab es zunächst die beiden Herren rechts von uns, drei Meter entfernt. Klein und schmächtig der eine, Brillenträger, Beamtentyp. Der andere groß und schlank, blond, Offiziersgestalt. Beide in pechschwarzen Uniformen, Stiefel, Armbinden mit Hakenkreuz.
"He!" ranze ich die zwei an, "die Abzeichen da tragt ihr ja wohl nur hier drinnen, oder? Wenn ihr damit rausgeht, kommt der Staatsschutz."
Der Kleine, offenbar der Boss, schickt mir für Sekunden eine Eisesmiene herüber, die klar stellt, dass dies die letzten akustischen Signale zu sein haben, die ich in meinem Leben an ihn sende. Sofern mir dieses Leben noch irgendetwas bedeutet.
Ich verstand. Stoße mit Klaus an und spüle meine Beklemmung mit dem Wodka weg. Wir wenden unsre Blicke in den Hintergrund der Kneipe. In einem wuchtigen Ledersessel hockt hinter einem der Tische jemand in einer wie echt wirkenden Kardinalsrobe. Spendet mit seiner Rechten ununterbrochen stumme Segen in die Runde, wobei sein Mundwerk marionettenartig auf geht und zu und zu und auf. Junge, nahm der sein Kostüm ernst.
Richtig genießen konnten wir diesen Anblick nicht, da uns die ganze Zeit ein seltsames "tack-tack"-Geräusch ablenkte. Immer wieder begleitet von einem fiesen In-sich-hinein-kichern.
Wir blicken vorbei an den beiden Schwarzuniformierten und sehen am Ende der Theke eine auf Mozartzeit gebrasselte Type. Na, denke ich, endlich mal was Putziges in dem öden Schuppen hier.
Er war aber nicht putzig. Vor ihm stand eine Miniaturguillotine. Wie vernarrt kurbelte er immer wieder das kleine Fallbeil hoch, schob Streichhölzer hinein, die er gleich fünf-, sechsmal köpfte. Wenn er kicherte, dachte er offenbar an jemand Bestimmtes. Die Theke vor ihm, auch der Fußboden, war übersät von Holzstückchen.
"Sach ma ...", Klaus sucht nach Worten. "Wo simmer hier?"
"Panik ..., äääh, Panoptikum. Vielleicht hilft noch'n Wodka?"
Altvater gießt neu ein, ungerührte Miene. Klaus vergisst sich: " Weisse wat? Hier fehlt nur noch der Ajatollah Chomeini."
Das ist kaum draußen, da ringt sich hinter der Thekenfront rechts jemand in die Höhe. Ein Schrank von einem Kerl, schwarze Kleidung, der sich offensichtlich gegen Widerstand durchsetzt. "Was liegt an?" dröhnt er in den Raum.
Wird im selben Moment hinuntergezogen, ein zweiter taucht auf, Rabbikostüm, der klar stellt: "Du hast hier gar nichts zu verkünden. Wenn einer, dann ich!"
Die Antwort erfolgt kollektiv aus den Kehlen aller bislang so schweigsamen Anwesenden, laut, brutal: "Hach!"
Die beiden im Offiziersschwarz greifen sich an die Gürtel, Altvater macht eine Bewegung zu einer Schublade, der Koch schmeißt mit Töpfen.
Da half kein weitere Wodka, wir bekamen es mit der Angst. Klaus: "Ey, Benno, verzichte mal ganz schnell auf deinen Imbiss. Knall dem zwanzig Euro hin, aber rasch. Und dann nichts wie raus hier. Okay?"
Meinerseits kein Widerspruch. Ich schmeiße dem Alten das Geld hin. Und dann nahmen zwei rheinische Frohnaturen ihre Beine in die Hände und rannten draußen hemmungslos bis zur nächsten Biegung. Waren kaum dort, da knallte es hinter ihnen wie aus drei Kanonenrohren. Handgranaten, vermuteten wir später. Splitternde Fensterscheiben, die Eingangstür knallte heraus, ganz sicher Totalschaden im Innern, am Haus insgesamt.
Wir blickten fasziniert zurück, eilten dann aber rasch weiter, einem endlich gesichteten Taxi entgegen.
In die Gegend zurück trauten wir uns nicht. Tagelang warteten wir, ob und was die Lokalpresse berichtete. Nichts. Wir surften im Netz. Ebenfalls null.
Konnte so etwas unbemerkt bleiben?
Irgendwann meinte Klaus: ja, kann! "Weißte was? Die Medien sind doch voll alle Tage von so etwas. Und von solchen Typen. Mit oder ohne Kostüm. Also, was soll's?"
"Und nächsten Karnevalsdienstag?"
"Blöde Frage. Ziehen wir wieder los."