Kovalsky
Mit einem ohrenbetäubenden Quietschen bahnte sich die Eiserne Schlage ihren Weg in den Hauptbahnhof. Hunderte von Angestellten, Arbeitern und Reisenden krochen aus ihrem Bauch und machten Jagd auf die viel zu wenigen Taxen. Maria ließ diesen Strom menschlichen Gewimmels an sich vorbei und wartete auf freie Sicht der Dinge. Sie hatte diesen Bahnhof in anderer Erinnerung – irgendwie gemütlicher. Sie richtete ihre großen braunen Augen auf die Leuchtreklamen an allen Wänden. Die Globalisierung war offenbar auch hier angekommen.
Sie hatte geplant, sofort das Elternhaus zu besuchen – aber als sie auf den Bahnhofsplatz heraustrat, war sie derart überwältigt von den Veränderungen überall, dass sie sich spontan in ein Café setzte – sie musste ihre Gedanken ordnen. Danach entschied sie, den Weg bis zum Elternhaus zu Fuß zurückzulegen, um eventuelle weitere Veränderungen wahrzunehmen.
An der Ecke zu ihrer Strasse angekommen, zögerte Maria auf einmal in diese einzubiegen. Irgendetwas machte ihr Angst, obwohl sie primär zum Wiedersehen des Elternhauses hierher gereist war. Der Spaziergang durch die Stadt hatte sie irgendwie verwirrt. Tief durchatmend glättete sie ihren Rock in einer Geste der Entscheidung und lief langsam die menschenleere Strasse entlang. Die meisten Häuser erkannte sie wieder, auch wenn viele erweitert und umdekoriert waren. Und dann stand sie vor ihrem Elternhaus - doch auf dessen Grundstück herrschte jetzt ein zweistöckiges Gebäude mit mehreren Wohnungen. Wie in Trance öffnete sie das Gartentürchen und trat in den jetzt viel kleineren Hof ein. Was war aus dem Garten geworden – dort, wo sie so oft gespielt hatte ? Sie umkreiste das Gebäude und erschrak. Das hölzerne Gartenhaus, vom Großvater für sie persönlich errichtet – mit einigen Schnitzereien und anderen Verzierungen - stand auch nicht mehr.
Doch dann sah sie ihn. Den Kirschbaum, unter dem sie so oft mit dem geliebten Großvater gesessen und geplaudert hatte – er stand noch, etwas älter geworden wie sie ja auch. Alte Bilder schossen vor ihre Augen, unzählige Erinnerungen wurden wieder wach. Sie lief die wenigen Schritte zum Baum und pflückte einige vorreife Kirschen, die bereits leichte Rötungen zeigten.
Eine schrille Stimme weckte sie aus ihren Träumen.
"Hey, was treiben Sie da auf unserem Grundstück ?"
Sie zuckte zusammen und drehte sich rasch der Frau auf einem der Balkone zu. In einer Art Reflex antworte sie leise "Wissen Sie, dies ist mein Elternhaus – ich habe viele Jahre hier gewohnt."
"Das können Sie der Polizei erklären, wenn Sie nicht sofort verschwinden !" war die laute und prompte Antwort.
Maria erkannte, dass hier eine weitere Diskussion sinnlos und für sie schmerzlich sein würde. Ohne die Frau weiter zu beachten schaute sie noch einmal zum Kirschbaum und verließ das Grundstück. Auf der anderen Straßenseite glaubte sie die ehemalige Nachbarstochter Anna zu erkennen, die wahrscheinlich wegen dem Geschrei am offenen Fenster stand. Doch Maria schaute rasch weg – sie fühlte sich nicht in der Verfassung, jetzt sofort mit jemanden zu reden.
Sie nahm den nächsten Bus zurück zum Bahnhof, wo sie noch zwei Stunden bis zu ihrem Zug hatte. Die Gedanken wieder klar, lief sie zu einem kleinen Café, in dem sie sich mit ihren Schulkameraden oft getroffen und auch ihre erste Liebe erlebt hatte.
Sie bestellte eine Brause – wie früher – und hörte auf einmal "Ja ist das nicht unsere Maria aus der Vierten ?".
Erstaunt blickte sie auf und erkannte zwei Tische weiter Herrn Kovalsky, ihren ehemaligen Klassenlehrer. Er hatte jetzt weißes Haar und seine vielen Sommersprossen hatten sich wohl noch vermehrt. Früher war er rötlich gewesen, was ihm den Spitznahmen "der Ire" - bei bösen Zungen auch der "Irre" - eingebracht hatte. Seine Augen waren hell und wach wie früher, und mit einer freundlichen Geste winkte er sie zu sich. Sie zögerte, sah aber keine andere Wahl und setzte sich ihm gegenüber.
"Ja trinkst du denn immer noch Brause", lachte der alte Mann und betrachtete sie wohlwollend.
Das Plaudern und die vielen gemeinsamen Erinnerungen ließ sie fast ihren Zug verpassen – sie musste beinahe rennen und erreichte ihn außer Atem.
Vom Zugfenster aus betrachtete sie in der untergehenden Sonne die Häuser und Gebäude bis zur Ausfahrt aus der Stadt. Viele standen Schulter an Schulter, als ob sie sich stützen müssten um nicht zu fallen.
Auch sie war heute gefallen - aus alten Träumen, aber Herr Kovalsky hatte sie aufgefangen.
Mit einem ohrenbetäubenden Quietschen bahnte sich die Eiserne Schlage ihren Weg in den Hauptbahnhof. Hunderte von Angestellten, Arbeitern und Reisenden krochen aus ihrem Bauch und machten Jagd auf die viel zu wenigen Taxen. Maria ließ diesen Strom menschlichen Gewimmels an sich vorbei und wartete auf freie Sicht der Dinge. Sie hatte diesen Bahnhof in anderer Erinnerung – irgendwie gemütlicher. Sie richtete ihre großen braunen Augen auf die Leuchtreklamen an allen Wänden. Die Globalisierung war offenbar auch hier angekommen.
Sie hatte geplant, sofort das Elternhaus zu besuchen – aber als sie auf den Bahnhofsplatz heraustrat, war sie derart überwältigt von den Veränderungen überall, dass sie sich spontan in ein Café setzte – sie musste ihre Gedanken ordnen. Danach entschied sie, den Weg bis zum Elternhaus zu Fuß zurückzulegen, um eventuelle weitere Veränderungen wahrzunehmen.
An der Ecke zu ihrer Strasse angekommen, zögerte Maria auf einmal in diese einzubiegen. Irgendetwas machte ihr Angst, obwohl sie primär zum Wiedersehen des Elternhauses hierher gereist war. Der Spaziergang durch die Stadt hatte sie irgendwie verwirrt. Tief durchatmend glättete sie ihren Rock in einer Geste der Entscheidung und lief langsam die menschenleere Strasse entlang. Die meisten Häuser erkannte sie wieder, auch wenn viele erweitert und umdekoriert waren. Und dann stand sie vor ihrem Elternhaus - doch auf dessen Grundstück herrschte jetzt ein zweistöckiges Gebäude mit mehreren Wohnungen. Wie in Trance öffnete sie das Gartentürchen und trat in den jetzt viel kleineren Hof ein. Was war aus dem Garten geworden – dort, wo sie so oft gespielt hatte ? Sie umkreiste das Gebäude und erschrak. Das hölzerne Gartenhaus, vom Großvater für sie persönlich errichtet – mit einigen Schnitzereien und anderen Verzierungen - stand auch nicht mehr.
Doch dann sah sie ihn. Den Kirschbaum, unter dem sie so oft mit dem geliebten Großvater gesessen und geplaudert hatte – er stand noch, etwas älter geworden wie sie ja auch. Alte Bilder schossen vor ihre Augen, unzählige Erinnerungen wurden wieder wach. Sie lief die wenigen Schritte zum Baum und pflückte einige vorreife Kirschen, die bereits leichte Rötungen zeigten.
Eine schrille Stimme weckte sie aus ihren Träumen.
"Hey, was treiben Sie da auf unserem Grundstück ?"
Sie zuckte zusammen und drehte sich rasch der Frau auf einem der Balkone zu. In einer Art Reflex antworte sie leise "Wissen Sie, dies ist mein Elternhaus – ich habe viele Jahre hier gewohnt."
"Das können Sie der Polizei erklären, wenn Sie nicht sofort verschwinden !" war die laute und prompte Antwort.
Maria erkannte, dass hier eine weitere Diskussion sinnlos und für sie schmerzlich sein würde. Ohne die Frau weiter zu beachten schaute sie noch einmal zum Kirschbaum und verließ das Grundstück. Auf der anderen Straßenseite glaubte sie die ehemalige Nachbarstochter Anna zu erkennen, die wahrscheinlich wegen dem Geschrei am offenen Fenster stand. Doch Maria schaute rasch weg – sie fühlte sich nicht in der Verfassung, jetzt sofort mit jemanden zu reden.
Sie nahm den nächsten Bus zurück zum Bahnhof, wo sie noch zwei Stunden bis zu ihrem Zug hatte. Die Gedanken wieder klar, lief sie zu einem kleinen Café, in dem sie sich mit ihren Schulkameraden oft getroffen und auch ihre erste Liebe erlebt hatte.
Sie bestellte eine Brause – wie früher – und hörte auf einmal "Ja ist das nicht unsere Maria aus der Vierten ?".
Erstaunt blickte sie auf und erkannte zwei Tische weiter Herrn Kovalsky, ihren ehemaligen Klassenlehrer. Er hatte jetzt weißes Haar und seine vielen Sommersprossen hatten sich wohl noch vermehrt. Früher war er rötlich gewesen, was ihm den Spitznahmen "der Ire" - bei bösen Zungen auch der "Irre" - eingebracht hatte. Seine Augen waren hell und wach wie früher, und mit einer freundlichen Geste winkte er sie zu sich. Sie zögerte, sah aber keine andere Wahl und setzte sich ihm gegenüber.
"Ja trinkst du denn immer noch Brause", lachte der alte Mann und betrachtete sie wohlwollend.
Das Plaudern und die vielen gemeinsamen Erinnerungen ließ sie fast ihren Zug verpassen – sie musste beinahe rennen und erreichte ihn außer Atem.
Vom Zugfenster aus betrachtete sie in der untergehenden Sonne die Häuser und Gebäude bis zur Ausfahrt aus der Stadt. Viele standen Schulter an Schulter, als ob sie sich stützen müssten um nicht zu fallen.
Auch sie war heute gefallen - aus alten Träumen, aber Herr Kovalsky hatte sie aufgefangen.