Das Geräusch drang wie durch Schichten von Wasser in ihr Bewusstsein.[strike] An- und abschwellend. Laut und leiser werdend. Jetzt dicht an ihrem linken Ohr.[/strike] Anita erwachte. Der schlechte Atem ihres Mannes streifte von einem Pfeifton begleitet ihre Nase. [strike]Ein kräftiger Windzug, der sie frösteln ließ.[/strike] Schaudernd drehte sie sich auf die andere Seite. Natürlich. Was sollte es auch sonst sein, das sie da – wie fast jede Nacht – aus dem Schlaf schrecken ließ. Sie kannte all die Variationen dieser Schnarchkonzerte. Gleich würde aus dem Pfeifen ein immer schnelleres Hecheln werden, das dann in ein ersticktes Röcheln übergehen würde, worauf Bernhard kurz aufwachen und sich vom Rücken auf die Seite drehen würde, was ihr dann für einige Minuten die Chance gab, wieder in den Schlaf zu finden.
Nichts, aber auch nichts von dem, was sie ausprobiert hatte, war von Erfolg gekrönt gewesen.[strike] Keine Trillerpfeife, mit der sie versucht hatte, ihn aus dem Rhythmus zu bringen, kein Nase zuhalten oder in die Rippen stoßen. Irgendwann lag er wieder auf dem Rücken und tat das, was für ihn zur Nacht zu gehören schien wie für sie die Schlaflosigkeit.[/strike][blue]beispiele überflüssig.[/blue]
Selbst die Wissenschaft, derer sie versucht hatte, sich zu bedienen, half hier nicht weiter. Als sie ihm an einem Morgen beim Frühstück, als er einigermaßen gut gelaunt zu sein schien, die Gefährlichkeit seines Schnarchens mit Hilfe von Wörtern wie „Schlafapnoe“ deutlich zu machen versuchte und ihn überreden wollte, sich doch einmal in ein Schlaflabor zu begeben, sah er sie nur ärgerlich mit diesem „Kannst-du-nicht-aufhören-mich-zu nerven"-Blick an und das Thema war damit erledigt. Für ihn erledigt.
Sie konnte weiter sehen, wo sie ihren kostbaren Nachtschlaf her bekam. Getrennte Zimmer? Fehlanzeige. Ihren diesbezüglich vorgebrachten, mit genügend entschärfenden Erklärungen abgemilderten Wunsch (es ist doch bloß ein räumliches Getrennt-sein, es hat doch nichts mit meinen Gefühlen für dich zu tun, was glaubst du, wie viele Ehepartner getrennt schlafen) wischte er mit einem kurzen peitschenden Satz zur Seite: „Dann kannst du dir auch gleich eine andere Wohnung suchen!“
Und nachts heimlich still und leise auf die Couch im Wohnzimmer zu verschwinden, hatte sich auch als undurchführbar erwiesen. Diese in seinen Augen persönliche Beleidigung wurde strengstens geahndet. Nicht sofort. O nein! Er hatte diesbezüglich ein langes Gedächtnis. Er konnte warten, bis die Gelegenheit günstig war. [strike]Bis beispielsweise die Tochter kam mit den Enkelkindern und er sich wieder einmal so unmöglich aufführte, dass sie nicht wusste, wie sie da noch ausgleichend eingreifen konnte. Kein Wunder, dass sie sich kaum noch sehen ließen. Und wieder verschwand ein Grund, sich am Leben zu freuen. Für sie.[/strike][blue]das beispiel wieder überflüssig, tut nichts zur sache, wird auch so verstanden[/blue]
[strike]Oder er wartete den Zeitpunkt ab, wenn sie zu einem Besuch ihrer Tochter am anderen Ende Deutschlands fahren wollte. Ein- oder zweimal im Jahr. Dann ereilte ihn kurz vor ihrer Abfahrt eine plötzliche schwere Krankheit. Ein Angina pectoris Anfall beispielsweise. Oder er rief an, wenn sie dort war und teilte ihr mit schmerzverzerrter Stimme mit, wo er das Testament hinterlegt hatte. Er selbst war zu krank (bequem), um sich eine so lange Zugfahrt zumuten zu können. In jedem Fall saß er immer am längeren Hebel, ganz egal, was sie sich einfallen ließ, um ihr Leben mit ihm erträglicher zu machen.[/strike][blue]grins, ich streich dir deine beispiele.[/blue]
Ihn zu verlassen, diese Option hatte sie nicht nur einmal erwogen. Auch die Tochter fragte sie des öfteren, warum sie eigentlich noch mit dem Vater zusammen sei. Einen Grund aber vermochte Anita nicht zu nennen. Außer dem, dass sie dann seinen Tod, zumindest aber seinen kompletten Zusammenbruch verantworten müsse, da er ohne sie nicht lebensfähig sei. Über das andere jedoch, diese latent vorhandene Angst, wenn sie an die Alternative des Alleinlebens, an die damit zwangsläufig verbundene Einsamkeit dachte, darüber sprach sie nicht. Dann doch lieber ertragen, was sie kannte. Und sich ihre Fluchten gönnen. In ihre Welt aus Erinnerungen und Vorstellungen, zu der er keinen Zugang hatte.
Wie erwartet, begann jetzt der zweite Teil des Konzerts. Allegro. Kurze rhythmische Atemstöße, die einem Donnergrollen glichen und sich steigerten, bis der vibrierende Schleim in seinem Gang zwischen Nase und Rachen einen Hustenreiz auslöste. Meist griff ihr Gatte anschließend nach der Flasche mit Mineralwasser, die für diese Fälle neben dem Bett bereit stand.
[strike]In ein richtiges Konzert konnte sie sich mit ihm nicht mehr wagen, seit er dabei eingeschlafen war und zu schnarchen begonnen hatte. Es war ihr nicht gelungen, ihn aufzuwecken und man hatte beide verärgert hinaus komplimentiert. Wie peinlich![/strike][blue]unglaubwürdig und lenkt ab.[/blue]
Aber sie hatte ihre Tricks: Früher als er ins Bett gehen in der Hoffnung, schon zu schlafen, wenn er den ersten Schnarchgang einlegte. Notfalls mit Hilfe einer oder zweier Tabletten. Oder zweier oder dreier Gläser Wein. Alternativ Kognak. Oder Grog.
Doch nicht immer ließ er sie gehen. Er mochte es nicht, allein vor dem Fernseher zu sitzen und von Sender zu Sender zu zappen. Er mochte es vor allen Dingen nicht, sich sein Bier allein aus dem Kühlschrank holen zu müssen. Und er wollte, dass jemand da war, dem er seine Kommentare mitteilen konnte. Zu dem Krimi. Oder dem Fußballspiel. [strike]„Ist der so blöd, oder merkt der wirklich nicht, dass er auf der falschen Spur ist?“ „Schieß doch endlich nach rechts, da steht der Ballack doch völlig frei!“ Antworten erwartete er dabei nicht. Antworten missfielen ihm sogar. Er wollte lediglich zeigen, dass er die Sache durchschaut hatte. Dass er den Fall längst gelöst, das Tor längst geschossen hätte. Wer, wenn nicht seine Frau, sollte von seinen wirklichen Qualitäten wissen?[/strike]
Der beste Trick war aber der, den sie in den letzten Jahren bis an die Grenze der Perfektion trainiert hatte. Sie versetzte sich einfach weg. Weg aus dem Doppelbett mit ihrem übergewichtigen schnarchenden Ehemann, aus dem Schlafzimmer mit der Blümchentapete und den schnäbelnden Tauben überm Bett, aus der bald abbezahlten Eigentumswohnung mit Balkon, auf dem ihr Mann Kakteen züchtete, weg aus dem unbedeutenden Vorort der ebenso unbedeutenden Kleinstadt, in der sie nichts hielt, nicht einmal eine Freundin.
Bevorzugt beamte sie sich in den Wald. Der einzige Grund, nicht endgültig verrückt zu werden. Der Wald war von der Wohnung in wenigen Minuten zu Fuß zu erreichen. Und es verging ab dem Frühsommer bis in den Spätherbst kaum ein Tag, an dem sie nicht ihre bequemen Schuhe und eine alte Hose anzog, um dorthin zu gehen. Meist unter dem Vorwand, Pilze zu suchen. Ihr Mann nannte dies ihr „Hobby“. Es war mehr eine aus der Not erwachsene Beschäftigung. Wenn sie ihm den wahren Grund genannt hätte, wäre sie durch seinen beredten Blick noch ein Stück weiter demontiert worden. Jetzt ist sie vollends übergeschnappt!
[strike]Es war die Ruhe, die sie immer wieder unter das dichte Blätterdach des Waldes zog. Eine Ruhe, die keineswegs still war. Sie kannte die Geräusche des Waldes mittlerweile gut. Die verschiedenen Vogelstimmen, das Pochen des Spechtes, das knisternde Geräusch der im Herbst fallenden Blätter. Das Knacken des dürren Unterholzes, wenn ein kleines Tier umherstreifte. Und die Gerüche. Der schwere würzige Duft im Herbst, wenn sie am liebsten in den Wald ging.[/strike][blue]riech nicht an den blumen in deinem text, sonst wird der leser müde.[/blue]
Sie rieb ihr baumwollendes Nachthemd zwischen ihren Beinen und hielt sich die Hand an die Nase. Ja, so konnte sie sich am besten in den Wald versetzen. Zu der Krausen Glucke, die sie am heutigen Tag gefunden und am Abend mit Zwiebeln und Ei gebraten hatte, zu all den anderen Pilzen, essbaren und giftigen, die sie unterscheiden konnte und deren Standorte sie kannte, seit Jahren schon. Dabei hatte sich ihr nach einer besonders schlimmen Nacht der Gedanke geradezu aufgedränt, ein Stück Panther- oder Fliegenpilz in seinen Gulasch zu mischen. Doch erschrocken über sich selbst hatte sie diese Möglichkeit schnell in der großen Truhe mit ihren geheimsten Sehnsüchten verstaut und sie mit einem großen Schloss gesichert.
Das Pfeifen neben ihr wurde zum Wind, der durch die hohen Kronen der Nadelbäume fuhr, der Zapfen von den Zweigen zauste und manche Bäume ächzen ließ, als trügen sie an der Last ihrer Jahre.
Wie oft konnte sie der Versuchung nicht wiederstehen, sich auf ein sonnengeflecktes Stück Moos zu legen, sich tief hinab sinken zu lassen in diese Stille und endlich, endlich zu schlafen.
Nachdem dies einmal dazu geführt hatte, dass sie erst nach Einbruch der Dunkelheit wieder erwacht war und sich zu Hause aus der Tatsache, dass das Abendessen nicht pünktlich auf dem Tisch stand, ein handfester Ehekrach entwickelt hatte, nahm sie immer den Kurzzeitwecker mit, der sie nach genau einer Stunde wieder aus ihrem erholsamen Schlaf riss. Wie gern würde sie sich für immer dort eingraben, in das duftende Moos, das trocken raschelnde, nussig riechende Laub und das dicke weiche Polster aus Tannen- und Kiefernnadeln.
Undenkbar, dass ihr Mann sie früher auf ihren Spaziergängen begleitet, ja, diese genauso geliebt hatte wie sie selbst. Wann hatte er sich das letzte Mal aus seinem Fernsehsessel gehievt, um mit ihr in die Natur zu gehen? Wo war der Mann hin entschwunden, den sie geheiratet hatte? Abenteuerlustig und immer mit einem Scherz auf den Lippen?
Der Wind in den Bäumen wurde zum Sturm. Aus dem leichten Hauch, der über ihren Hals und ihr Gesicht strich, war eine kalte Hand geworden, die an ihren Haaren riss. Anita schlug wild um sich. Nein, sie wollte ihren Platz an diesem angenehmen Ort nicht verlassen. Auch die Geräusche des Waldes hatten sich verändert. Ein großes Tier schien auf ihr Lager zuzukommen. Bedrohlich knurrend näherte es sich. Aber sie hatte keine Angst. Sie würde ihren Platz verteidigen. Der einzige Platz, der ihr noch geblieben war. Wo sie sie selbst sein konnte. Reden oder schweigen, wann sie es wollte. Und vor allem schlafen. Schlaf brauchte sie dringend.
Ungeahnte Kräfte erwuchsen ihr. Sie schlug und schlug und schien das Tier wirklich zu erschrecken. Es ergab sich.
Als Anita erwachte, fiel ihr zuerst die Stille auf. So still war es sonst am Morgen nie. Meist erwachte sie von den letzten Ausläufern der nächtlichen Schnarchorgien. Verwundert drehte sie sich zu ihrem Mann herum. Sein Gesicht und ein Teil des Oberkörpers war von einem Kissen verdeckt. Wieso deckt er sein Kissen über sich, fragte sich Anita einen Moment. Dann wurde ihr klar, dass es sich um ihr Kissen handelte. Die Erkenntnis traf sie wie eine Keule. Vorsichtig entfernte sie das Kissen. Sein Mund war geöffnet wie bei einem Fisch, der auf dem Trockenen liegt. Anita betrachtete den unbeweglichen Körper einige Minuten. In ihrem Kopf waren Vogelstimmen und in ihrer Nase die Gerüche des Waldes.
[strike]„Siehst du, Bernhard, hättest du auf mich gehört! Ich habe dir doch immer wieder gesagt, wie gefährlich Schlafapnoe sein kann. Lebensgefährlich!“[/strike][blue]der sarkasmus passt nicht zum vorherigen erschrecken - keulenschlag[/blue]
Dann drehte sie sich um und fiel in einen tiefen traumlosen Schlaf.
du verwendest oft beispiele, die deinen text nicht unbedingt aufpeppen, da musst du aufpassen, hab ein wenig gestrichen, was unnötig ist.
liebe grüße gernot
PS. den korallenpilz "Krause Glucke" kennt vermutlich kein mensch, nimm einen anderen pilz, verwirrt sicherlich manchen leser etwas.