Kriegsende

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Odilo Plank

Mitglied
Kriegsende am Landstuhler Bruch

Frühjahr 1945: Ich war sechs und hatte ein aufregendes Leben. Draußen war Frühling – Schneeglöckchen und Zizipee der Kohlmeisen. Die Spatzen lärmten, als gehörte die Welt ihnen. Meine Aufgabe war es unsere drei Ziegen auf die Bruchwiesen zu treiben. Das war nicht leicht; denn die weißen hornlosen Wesen rissen gerne die Pflöcke aus dem weichen Boden und zogen ihre Stricke ins Moor, wo sie mit den Hufen Fuß fassen konnten, ich aber hüpfte von einer Seggeninsel zur nächsten und sank oft bis über die Knöchel in den braunen Morast. Ich lernte mühsam ihre Würde anzuerkennen, ließ sie ziehen und suchte nach Fröschen. Mit ihnen würden die Störche und Kiebitze kommen – und die Lerchen. Das Moor war voller Wunder – und darüber donnerten die Jabos, die Jagdbomber der Amerikaner. Es gab genug Gräben, in die man sich werfen konnte, und die Ziegen straften die Ungeheuer am Himmel und mein Schimpfen mit Verachtung. So tauschte ich meine Wut gegen die Zuversicht: Die kriegen uns nicht! Aber die Amis schossen, so sagte man, auf alles, was sich bewegte. Angst hatte ich nur vor der Mutter; denn ich sah Tag für Tag aus wie aus dem Moor gezogen. Wirkliches Grauen jagten uns die SS-Trupps ein, die auf den Hügeln im Norden um ihre Geschütze saßen, mal hier, mal da, mal nirgendwo.
Eines Tages hatte ich Glück mit den Ziegen. Sie blieben gegen ihre Gewohnheit sanft, fraßen brav einen Kreis um ihren Pflock – und ich konnte nach dem ersten Löwenzahn Ausschau halten. Da riss sich die jüngste, die Liese los. Sie war in letzter Zeit recht dick geworden. Sie lief nicht ins Moor, sondern zu mir und drehte mir ihr Hinterteil zu. Da sah ich den Grund: Blut tropfte heftig aus dem Spalt. Ich erschrak und wollte die Mutter rufen – erstarrte; denn der Spalt weitete sich, ein großer, unförmiger blutiger Klumpen drängte heraus und klatschte auf die Erde. Das also war das Zicklein! Unter ihrer Zunge wurde es weiß und rein. Ein wunderschönes Zicklein. Es roch so streng und doch so herrlich. Es meckerte zum ersten Mal, bewegte die Beine, stand auf und brach wieder zusammen. Da lief ich endlich um Hilfe,
Am nächsten Tag war ich für vier Tiere verantwortlich – und in der Ferne, hinter dem Höcher Berg, hörte man schon das dumpfe Grollen der Front, aber nur bei Westwind.
Da erschienen plötzlich drei Jabos und drehten auf uns zu. Sie flogen niedriger als sonst und ich war schneller im Graben. Schon waren sie über uns hinweg und das Heulen der Motoren war aus der Richtung des Friedhofs zu hören. Da war kein Soldat, das wusste ich. Schüsse aus einem Maschinengewehr, das hatte ich noch nie gehört. Die Flieger stiegen auf in den Himmel und dröhnten heller, zogen eine Schleife und stießen immer dumpfer heulend herab. Schüsse knatterten. Sie stiegen auf und stießen herab, zum Friedhof, dreimal, viermal. Dann verklang ihr Hornissengebrumm in der Ferne. Ich stand auf, die Ziegen drängten willig in den Stall – und ich machte mich auf den Weg. Der Friedhof lag da wie immer – und was ich sonst noch zu sehen bekam, weiß ich nicht mehr. Sah ich die toten Kühe, den zerschossenen Leiterwagen, das tote Mädchen wirklich? Das Blut? Die Leute erzählten sich im Dorf den Schrecken von der Seele.
Es war Nacht. Vater, Mutter, mein jüngerer Bruder und ich zitterten im Keller, in Decken gehüllt. Um uns saßen und standen unsere Russen, Kriegsgefangene, die im Saal der alten Schule unter unserer Wohnung hausten. Vater betete: Herr, erbarme dich unser, Christus, erbarme dich unser! Der Anführer der Russen, Lehrer wie mein Vater, drückte meinen Bruder an die Brust und fiel ein: Gospodin pomiluj, Christos pomiluj! Das Beten erstarb unter schrecklichen Explosionsgeräuschen vor dem Dorf, auf der Straße nach Hauptstuhl. Einige Lastwagen mit Munition wurden beschossen.
Am nächsten Tag waren die Russen verschwunden. Im alten Schulsaal lag noch das Stroh und auf den Fensterbänken fand ich einige Hindenburglichter, die sie oft gegen Salz mit uns getauscht hatten.
Über dem Bruch war es still. In der Ferne graste ein Maultier. Ich stapfte um die Moortümpel zu ihm hin und es ließ sich einfangen. Ich nahm es am Zügel und führte es heim. Freudig wieherte es durch die Tür in den Ziegenstall, wo es sehr unfreundlich empfangen wurde. Sehr unfreundlich reagierte auch mein Vater. Das arme Tier musste zurück ins Niemandsland zwischen die Fronten.
Endlich hörten wir von Miesau her das mahlende Dröhnen der ersten amerikanischen Panzer.
Für uns wenigstens sei jetzt Frieden, erklärte mein Vater.
In der Kirche war Passionsandacht. Wir sangen: Ich sehe dich, o Jesus, schweigen, da dich die Welt verdammt zum Tod.. . Der Pfarrer stimmte an: Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und preisen dich. Die Gemeinde antwortete: Denn durch dein heiliges Kreuz hast du –
Die Schwalben waren wieder da!
 
K

Kasper Grimm

Gast
Wunderbarer Sprachschnappschuß aus einer dunklen Zeit! Schön die Perspektive des Kindes, das mit verschiedensten Mächten zu ringen hat, sei es der Eigensinn der zu beaufsichtigenden Ziegen, die Angst vor der Mutter die Gefahren des Moores oder gar jene Alliiertenmächte, die seinen Horizont weit überschreiten. Nichtsdestotrotz die Wunder allenthalben, die Geburt des Zickleins vor seinen Augen bis hin zur Wiederkehr der Schwalben!
Wie gesagt: wunderbar.
Kasper
 
K

Kasper Grimm

Gast
Hallo Odilo,
das ist das schönste Kompliment für mich: daß ein vorangegangener Text von mir Dich zu DIESEM inspiriert hat ;-)
Kasper
 

Leise Wege

Mitglied
Hallo Odilo,

diesen Text beherrscht ein entspannter Erzählstil. Schön finde ich auch die Sicht des Jungen, die hier auch, aber nicht nur den Krieg im Auge hat. Vielmehr interessiert ihn die Natur und deren Wunderlichkeiten.
Insgesamt ein warmer Erinnerungstext, bei dem die Familien und Heimatverbundenheit zu spüren ist. Gerne gelesen.

Lieben Gruß
Moni
 



 
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