Krisensitzung mit Künstlerin

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Languedoc

Mitglied
Krisensitzung mit Künstlerin

- Und? Wann hast du zuletzt geschrieben?
- Heute morgen. Zwei, drei kurze Sätze in mein Tagebuch gefetzt.
- Also die üblichen lieblosen Textstrünke, meine Liebe, stimmt\'s? Ich kenne dich, du spuckst halbgegorene Gedanken aus und schmierst sie aufs Papier in einer Schlampigkeit, die dir alles Blut ins Gesicht treiben sollte. Wo bleibt die Disziplin? Reiß dich endlich zusammen!
- Das tu ich doch! Jeden Tag nach dem Frühstück zwinge ich mich dazu, etwas in mein Buch zu schreiben.
- Dieses unleserliche Gekritzel? Das kann man ja nicht mal entziffern! Geschweige denn verstehen, was du da mitteilen willst.
- Eh nichts. Mir fällt nichts Gescheites ein. Ich denke nach und denke nach und trotzdem fällt mir nichts ein. Es lebe hoch die Wurst Conchita / ganz Europ\' schlägt sie zum Ritta – und dann wusste ich nicht weiter. Das war\'s für heute morgen.
- In der Tat nicht sehr ergiebig. Was ist denn los? Warum schreibst du nichts mehr?
- Mir fällt nichts ein, das sagte ich doch! Was soll ich denn schreiben, wenn mir nichts einfällt, verdammt noch mal!
- Du strengst dich nicht an, das ist es. Du bist nichts als ein fauler Sack, der sich gehen lässt. Ein Tänzer muss jeden Tag tanzen, ein Sänger singen und ein Schriftsteller eben schreiben. Setz dich hin und schreib, was ist denn daran so schwer!
- Was soll ich denn aufschreiben? Dass die Stadtgärtner die jahrelang leeren Gemüsebeete hinter dem Chapiteau endlich bepflanzt haben, und zwar mit knackigen Küchenkräutern? Dass die hiesige Post für einen stinknormalen Briefversand umgerechnet 59 Cents verlangt, und ich im Baumarkt um die Ecke keinen passenden Stöpsel für den Küchenabwaschabfluss finden konnte, obwohl ich mir die Augen bis zur Beinahe-Erblindung ausgestarrt habe? Wirklich sagenhaft aufregende Neuigkeiten bringe ich mit von meiner heutigen Vormittagsrunde in der Stadt, deren einziges brauchbares Ergebnis darin besteht, bei der Post einen Brief aufgegeben zu haben.
- Du solltest eben zu Hause am Schreibtisch sitzen statt durch die Gegend zu strolchen. Nimm dir ein Beispiel an den seriösen Schriftstellern, die sich jeden Morgen hinsetzen und konzentrieren und notfalls simple Schreibübungen machen, wenn ihnen nichts Besseres einfällt. Die lassen erst gar nicht einreißen, derart aus der Übung zu kommen wie es dir offensichtlich passiert ist. Wie lange schluderst du denn schon herum auf diese erbärmliche Weise?
- Seit meiner Reise zur Geburtstagsfeier meiner Schwester. Das war vor fast drei Wochen. Zuvor hatte ich mein aktuelles Schreibprojekt in seiner dritten Fassung abgeschlossen bis auf zwei Kapitel, die komplett neu zu überarbeiten ich mir vornahm. Aber ich komme in die Geschichte ums Verrecken nicht mehr hinein. Wie soll ich zwei misslungene Kapitel verbessern? Warum soll ich aus schlechten Quark einen besseren machen, wenn\'s doch nur Quark ist und bleibt und wenn ich noch so daran herumfeile? Ne, ne, das ist sinnlos.
- Lass doch diese zwei Kapitel noch eine Zeitlang liegen und gib dem Käse Zeit zum Reifen. Inzwischen versuchst du was anderes. Du hast ja keine Abgabetermine oder dergleichen Druck von außen.
- Richtig. Kein Abgabetermin. Ich wünschte aber, ich hätte einen. Ich wünschte, von irgendwoher hieße es: Bitte liefern Sie bis Deadline dann und dann, wir brauchen Ihr Manuskript, unsere Leser warten sehnsüchtigst auf Ihren Roman!
- Ach, das ist doch in deinem Lehrlingsstadium nicht das Wichtigste. Schreib erst mal weiter ein paar Geschichten, bevor du von heißbegierigen Leserscharen träumst!
- Die müssten noch nicht mal begierig sein. Ich wünschte mir einfach einen Leser. Nur jemanden, der liest, was ich schreibe. Sonst schreib\' ich nur für die Luft und an die Wand. Das ist so trostlos.
- Wer bist du: eine Künstlerin? Ja? Nein? Wohl eher nein. Bist am Ende ein verkrachtes Biederfräulein, das nach sogenannter Expertenanerkennung buhlt, um die hohle Nuss alias ödes Innenleben nicht spüren zu müssen.
- Stop, hör auf, was fällt dir ein! Was weißt du schon von meinem Innenleben, von meiner elend\' Seelenqual!
- Das wahre Elend ist, mit dir zusammen in einer Wohnung zu hausen und mit ansehen zu müssen, wie schlapp du durch die Tage schlurfst. Du steckst mich noch an mit dieser Laschheit, das regt mich auf. Schau mal in den Spiegel, du abgehalftertes altes Weib. Zum Schämen ist das.
- Was kann ich für meine Falten? Und soll ich mich wegen der Tränensäcke aufhängen? Mann, in fünf Tagen bin ich 51 Jahre alt! Ich werde wohl noch alt werden dürfen!
- Ja, aber du lässt dich gehen. Du könntest dich ruhig ein bisschen schminken und frisieren und mal was anderes anziehen als den ewig gleichen Schlotterpyjama.
- Ich mag nur weite Pyjamahosen. Was soll ich mich in unbequemes G\'wand hineinzwängen. Davon geht es mir auch nicht besser.
- Aber ich hätte was Hübsches vor Augen.
- Was Hübsches! Als ob ich je hübsch gewesen wäre!
- Jetzt hörst du aber auf. Schluss mit dem Gejammer und diesen blöden Ausreden. Hinsetzen und schreiben, aber dalli!
- Ich will nicht. Ich kann nicht. Mir fällt nichts ein. Es ist sinnlos.
- Bravo. Und jetzt?
- Dead end.
- Aber irgendwie muss es weitergehen. Du kannst dich nicht ins Grab legen, nur weil dein angebliches Methusalem-Alter ach so schwer auf dir lastet.
- Ich spür\' aber den Sargdeckel. Er klappert über mir.
- Hör\' nicht hin. Der kracht schon irgendwann herunter und dann merkst es eh nicht.
- Schöne Aussichten sind das nicht.
- Guck doch rund um dich anstatt nach oben, wo der Klapperich droht.
- Hm. Na ja, heute habe ich Kräuterbeete hinterm Chapiteau gesehen. Petersil und Kerbel, Salbei und Thymian, Oregano und was weiß ich noch – das hat mir gefallen. Noch vor ein paar Tagen waren die Beete erdig nackt wie die Jahre zuvor auch. Ich habe mich immer gewundert, warum sie brach liegen, wo sie doch einst so aufwendig in Terrassen angelegt worden sind, hinein in diesen leicht geneigten, grasgrünen Hang, sorgfältig gesäumt mit alten dicken Holzbalken. Heute plötzlich sitzen Kräuterstauden drin und sprießen lustig der Frühsommersonne entgegen. Wenn ich mal einen der Gärtner antreffe, werde ich anfragen, ob ich ein paar Stängel pflücken darf.
- Gut! Ich koche dir auch was Feines damit.
- Klingt verlockend. Petersilpesto für eine frischere Haut?
- Und Thymiankartoffeln für einen warmen Bauch.
- Gibt\'s auch was gegen Dichterblockade?
- Wir werden es herausfinden. Dazu musst du aber eine Vorleistung bringen und zwei Verszeilen liefern.
- Wenn der Koch die Sauce rührt, der Dichter frische Säfte spürt.

- Na also. Übrigens, wem hast du denn heute geschrieben?
- Geschrieben?
- Na, du hast einen Brief auf die Post gebracht.
- Ach so. Ich habe nur meiner Bank eine Kopie geschickt von meiner Aufenthaltsbewilligung. Die Behörde hat sie letzte Woche für weitere drei Jahre ausgestellt und meine Bank braucht das für die Stammdaten betreffs meine Person. Ich schicke sowas immer, bevor ich dazu aufgefordert werde.
- Ah, die überkorrekte Kundin, da freut sich aber deine Bankberaterin. Ich freue mich übrigens auch. Demnach sind drei weitere Jahre Aufenthalt in unserem sonnenlichtverwöhnten Arkadien hiermit genehmigt?
- Ja, war kein Problem, nur ein Formalakt. Immerhin erfülle ich alle vorgeschriebenen Bedingungen, also gibt\'s keine Hindernisse seitens des Ausländeramtes.
- Drei Jahre frei schaffen im Paradies, frei schreiben comme il vous plaira. Shakespeare höchstselbst würde dich beneiden.
- Aber ich bin nicht Shakespeare.
- Wie denn auch, nach nicht mal zwei Jahren Schreibversuchen.
- Es ist so entmutigend. Fünf Geschichten von mir liegen auf den digitalen Self-Publishing-Plattformen herum und niemand liest sie. Klar, es sind Anfängerwerke, aber so mies sind sie auch wieder nicht. Warum liest sie niemand?
- Du machst ja nicht das geringste Marketing. So findet dich niemand im unendlichen Datennirwana aus Geschichten, seien sie gut, seien sie schlecht.
- Hm.
- Marketing hin oder her. Halte dich lieber an Rilke. Du kennst seinen Brief an einen jungen Poeten. Da heißt es: Geh in dich - musst du wirklich schreiben? Drängt eine innere Notwendigkeit? Wenn ja, dann schreib und frag nicht, ob es \"gut\" ist. Diese Einkehr an sich sei das Lohnende, meint Rilke, ganz unabhängig davon, ob sie zu edlen Versen führt oder zu was anderem. Du kennst doch Rilkes Brief?
- Ja. Schon.
- Und? Hast du es schon ausprobiert mit dem In-dich-Gehen?
- Weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich seit drei Wochen nichts geschrieben habe und ich unentwegt grüble, wie ich zu einem tauglichen Plot komme. Wovon meine neue Geschichte eigentlich handeln soll. Ich bringe nichts zusammen und schön langsam werde ich verrückt.
- Ich bitte dich, was sind schon drei Wochen? Es gibt Künstler, die haben jahrelang keine neue Idee.
- Aber wenn mir jetzt nichts einfällt, fällt mir vielleicht nie mehr was ein. Dann bleibt von mir als Autorin nicht mehr übrig als ein paar ungelesene Erzählungen in der Internet-Datenwolke. Und wenn irgendwann mal der Strom ausfällt, sind die Datensätze erloschen für immer und ewig.
- Für immer und ewig! Mein Gott, deine Befürchtungen möchte ich haben. Dann schreib halt einen tractatus philosophicus über die Ewigkeit.
- Ich bin kein Philosoph. Ich bin nicht mal ein Schriftsteller.
- Eine Nervensäge bist du. Formidable! Ich wünschte dich schon allein deshalb zurück an den Schreibtisch, damit ich endlich mal wieder ruhige Stunden habe. Kannst du nicht einfach irgendwas schreiben? Es muss wirklich nicht gleich das eine große gewaltige Epos mit dem umwerfenden Megaplot sein.
- Mir fällt nichts ein. Nicht eine Zeile. Gar nichts.
- Schreib über das Nichts.
- Ist überflüssig. Das haben schon größere Geister als ich erledigt. Wie vermessen wäre das denn, denen noch etwas hinzufügen zu wollen aus der unbeholfenen Hand einer unterbelichteten Amateurliteratin?
- Diese Bescheidenheit ist allzu durchsichtig. Im Grunde bist du unerträglich überheblich.
- Nenn\' es, wie du willst. Ich weiß nur, dass ich nicht weiß, was ich schreiben soll.
- Dann lies mal deinen Rilke genauer. \"Retten Sie sich vor den allgemeinen Motiven zu denen, die Ihnen Ihr eigener Alltag bietet\" – heißt es in seinem besagten Brief. Sagt dir das denn gar nichts?
- Motive aus meinem Alltag? Kräuterbeete vielleicht? Oder Briefportoberechnungen? Gar Küchenabwaschbeckendrehverschluss? Für den kenn ich nicht mal den Fachbegriff. Wie heißt dieses Ding eigentlich?
- Recherche, meine Liebe, Recherche. Ohne Recherche läuft gar nichts. Hättest ja heute Vormittag im Baumarkt fragen können, wo du schon mal dort warst.
- Stimmt, hätte ich. Hab ich glatt vergessen.
- Na ja, es gibt Schlimmeres. Außerdem hat das Wort Küchenabwaschbeckendrehverschluss auch seinen Charme.
- In meinem Kopf hat sich was ähnliches festgesaugt, so eine Art Dichterdenkverschluss. Der verkorkt reichlich uncharmant die Ganglien und verhindert jeglichen Gedankenfluss. Übel, übel.
- Und wie steht es mit deinem persönlichen \"Schatzhaus der Erinnerungen\" im Kopf? Kommst du da noch rein und kannst was anzapfen?
- Erinnerungen? Wo? Welche? Oje, selbst die Geburtstagsfeier meiner Schwester von neulich hab ich schon vergessen. Übel, übel.
- Ich helfe dir auf die Sprünge. Also, deine Schwester hatte ihren 50. Geburtstag, so wie du den deinen letztes Jahr hattest . . .
- Sehr übel. Danke, ich hab genug gehört.
- Oh, oh, wunde Stelle, jetzt tut was weh!
- Lass uns lieber über meine Verdauungsprobleme reden. Die tun mir auch weh.
- Was? Die Vorgänge in deinem Bauch willst du zu Literatur verwursten? Also wirklich!
- Ja verflixt noch mal, bleibt mir sonst noch was übrig? Was denn? Soll ich etwa über dich schreiben?
- Über mich? Was gäbe es da schon groß zu sagen? Ich bin doch nur dein ungeliebtes Alter Ego, und ich kann mir schwerlich vorstellen, dass Betrachtungen über eine ungeliebte Person zu einem schönen Text führen.
- Ein guter Text muss ja nicht \"schön\" sein.
- Möglich. Ich versteh nichts vom Schreiben. Das ist dein Metier. Und lass das Rauchen jetzt. Du hast dir soeben die x-te Zigarette angezündet.
- Ach, halt deine Klappe / ich geh jetzt schreiben / und wird\'s eine Schlappe / DU wirst mir bleiben.
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Eine humorvolle Betrachtung der Qualen, die der künstlerische Schöpfungsakt, oder soll ich sagen, der künstlerische Schöpfungszwang, mit sich bringt. Jeder von uns Möchtegern – Literaturschaffenden kennt die alte Frau Ego, die im Nacken sitzend, Dinge verlangt, die gerade überhaupt nicht mit der Tagesagenda vereinbar sind.

Bitte geh eventuell noch mal im Editor drüber und korrigiere Formatierungen und Absätze, da der Import in die Leselupe wohl nicht das Textbild widerspiegelt, dass du dir erhofft hast.

Ein paar kleine Korrekturvorschläge:

… hatte ihren 50. Geburtstag, so wie du den [red]D[/red]deinen letztes Jahr hattest . . .
In meinem Kopf hat sich was [red]Ä[/red]ähnliches festgesaugt …
und meine Bank braucht das für die Stammdaten betreffs meine[red]r[/red] Person.
. Das war's für heute [red]M[/red]morgen.
Ich bin doch nur dein ungeliebtes [red]a[/red]Alter[red]s[/red] Ego ... [red]???[/red]

Ansonsten ein herzliches Willkommen auf der Leselupe und kreative Phasen ohne Ego und Ende,

wünscht der Ironbiber
 

Languedoc

Mitglied
Krisensitzung mit Künstlerin

- Und? Wann hast du zuletzt geschrieben?
- Heute morgen. Zwei, drei kurze Sätze in mein Tagebuch gefetzt.
- Also die üblichen lieblosen Textstrünke, meine Liebe, stimmt\'s? Ich kenne dich, du spuckst halbgegorene Gedanken aus und schmierst sie aufs Papier in einer Schlampigkeit, die dir alles Blut ins Gesicht treiben sollte. Wo bleibt die Disziplin? Reiß dich endlich zusammen!
- Das tu ich doch! Jeden Tag nach dem Frühstück zwinge ich mich dazu, etwas in mein Buch zu schreiben.
- Dieses unleserliche Gekritzel? Das kann man ja nicht mal entziffern! Geschweige denn verstehen, was du da mitteilen willst.
- Eh nichts. Mir fällt nichts Gescheites ein. Ich denke nach und denke nach und trotzdem fällt mir nichts ein. Es lebe hoch die Wurst Conchita / ganz Europ\' schlägt sie zum Ritta – und dann wusste ich nicht weiter. Das war\'s für heute Morgen.
- In der Tat nicht sehr ergiebig. Was ist denn los? Warum schreibst du nichts mehr?
- Mir fällt nichts ein, das sagte ich doch! Was soll ich denn schreiben, wenn mir nichts einfällt, verdammt noch mal!
- Du strengst dich nicht an, das ist es. Du bist nichts als ein fauler Sack, der sich gehen lässt. Ein Tänzer muss jeden Tag tanzen, ein Sänger singen und ein Schriftsteller eben schreiben. Setz dich hin und schreib, was ist denn daran so schwer!
- Was soll ich denn aufschreiben? Dass die Stadtgärtner die jahrelang leeren Gemüsebeete hinter dem Chapiteau endlich bepflanzt haben, und zwar mit knackigen Küchenkräutern? Dass die hiesige Post für einen stinknormalen Briefversand umgerechnet 59 Cents verlangt, und ich im Baumarkt um die Ecke keinen passenden Stöpsel für den Küchenabwaschabfluss finden konnte, obwohl ich mir die Augen bis zur Beinahe-Erblindung ausgestarrt habe? Wirklich sagenhaft aufregende Neuigkeiten bringe ich mit von meiner heutigen Vormittagsrunde in der Stadt, deren einziges brauchbares Ergebnis darin besteht, bei der Post einen Brief aufgegeben zu haben.
- Du solltest eben zu Hause am Schreibtisch sitzen statt durch die Gegend zu strolchen. Nimm dir ein Beispiel an den seriösen Schriftstellern, die sich jeden Morgen hinsetzen und konzentrieren und notfalls simple Schreibübungen machen, wenn ihnen nichts Besseres einfällt. Die lassen erst gar nicht einreißen, derart aus der Übung zu kommen wie es dir offensichtlich passiert ist. Wie lange schluderst du denn schon herum auf diese erbärmliche Weise?
- Seit meiner Reise zur Geburtstagsfeier meiner Schwester. Das war vor fast drei Wochen. Zuvor hatte ich mein aktuelles Schreibprojekt in seiner dritten Fassung abgeschlossen bis auf zwei Kapitel, die komplett neu zu überarbeiten ich mir vornahm. Aber ich komme in die Geschichte ums Verrecken nicht mehr hinein. Wie soll ich zwei misslungene Kapitel verbessern? Warum soll ich aus schlechten Quark einen besseren machen, wenn\'s doch nur Quark ist und bleibt und wenn ich noch so daran herumfeile? Ne, ne, das ist sinnlos.
- Lass doch diese zwei Kapitel noch eine Zeitlang liegen und gib dem Käse Zeit zum Reifen. Inzwischen versuchst du was anderes. Du hast ja keine Abgabetermine oder dergleichen Druck von außen.
- Richtig. Kein Abgabetermin. Ich wünschte aber, ich hätte einen. Ich wünschte, von irgendwoher hieße es: Bitte liefern Sie bis Deadline dann und dann, wir brauchen Ihr Manuskript, unsere Leser warten sehnsüchtigst auf Ihren Roman!
- Ach, das ist doch in deinem Lehrlingsstadium nicht das Wichtigste. Schreib erst mal weiter ein paar Geschichten, bevor du von heißbegierigen Leserscharen träumst!
- Die müssten noch nicht mal begierig sein. Ich wünschte mir einfach einen Leser. Nur jemanden, der liest, was ich schreibe. Sonst schreib\' ich nur für die Luft und an die Wand. Das ist so trostlos.
- Wer bist du: eine Künstlerin? Ja? Nein? Wohl eher nein. Bist am Ende ein verkrachtes Biederfräulein, das nach sogenannter Expertenanerkennung buhlt, um die hohle Nuss alias ödes Innenleben nicht spüren zu müssen.
- Stop, hör auf, was fällt dir ein! Was weißt du schon von meinem Innenleben, von meiner elend\' Seelenqual!
- Das wahre Elend ist, mit dir zusammen in einer Wohnung zu hausen und mit ansehen zu müssen, wie schlapp du durch die Tage schlurfst. Du steckst mich noch an mit dieser Laschheit, das regt mich auf. Schau mal in den Spiegel, du abgehalftertes altes Weib. Zum Schämen ist das.
- Was kann ich für meine Falten? Und soll ich mich wegen der Tränensäcke aufhängen? Mann, in fünf Tagen bin ich 51 Jahre alt! Ich werde wohl noch alt werden dürfen!
- Ja, aber du lässt dich gehen. Du könntest dich ruhig ein bisschen schminken und frisieren und mal was anderes anziehen als den ewig gleichen Schlotterpyjama.
- Ich mag nur weite Pyjamahosen. Was soll ich mich in unbequemes G\'wand hineinzwängen. Davon geht es mir auch nicht besser.
- Aber ich hätte was Hübsches vor Augen.
- Was Hübsches! Als ob ich je hübsch gewesen wäre!
- Jetzt hörst du aber auf. Schluss mit dem Gejammer und diesen blöden Ausreden. Hinsetzen und schreiben, aber dalli!
- Ich will nicht. Ich kann nicht. Mir fällt nichts ein. Es ist sinnlos.
- Bravo. Und jetzt?
- Dead end.
- Aber irgendwie muss es weitergehen. Du kannst dich nicht ins Grab legen, nur weil dein angebliches Methusalem-Alter ach so schwer auf dir lastet.
- Ich spür\' aber den Sargdeckel. Er klappert über mir.
- Hör\' nicht hin. Der kracht schon irgendwann herunter und dann merkst es eh nicht.
- Schöne Aussichten sind das nicht.
- Guck doch rund um dich anstatt nach oben, wo der Klapperich droht.
- Hm. Na ja, heute habe ich Kräuterbeete hinterm Chapiteau gesehen. Petersil und Kerbel, Salbei und Thymian, Oregano und was weiß ich noch – das hat mir gefallen. Noch vor ein paar Tagen waren die Beete erdig nackt wie die Jahre zuvor auch. Ich habe mich immer gewundert, warum sie brach liegen, wo sie doch einst so aufwendig in Terrassen angelegt worden sind, hinein in diesen leicht geneigten, grasgrünen Hang, sorgfältig gesäumt mit alten dicken Holzbalken. Heute plötzlich sitzen Kräuterstauden drin und sprießen lustig der Frühsommersonne entgegen. Wenn ich mal einen der Gärtner antreffe, werde ich anfragen, ob ich ein paar Stängel pflücken darf.
- Gut! Ich koche dir auch was Feines damit.
- Klingt verlockend. Petersilpesto für eine frischere Haut?
- Und Thymiankartoffeln für einen warmen Bauch.
- Gibt\'s auch was gegen Dichterblockade?
- Wir werden es herausfinden. Dazu musst du aber eine Vorleistung bringen und zwei Verszeilen liefern.
- Wenn der Koch die Sauce rührt, der Dichter frische Säfte spürt.

- Na also. Übrigens, wem hast du denn heute geschrieben?
- Geschrieben?
- Na, du hast einen Brief auf die Post gebracht.
- Ach so. Ich habe nur meiner Bank eine Kopie geschickt von meiner Aufenthaltsbewilligung. Die Behörde hat sie letzte Woche für weitere drei Jahre ausgestellt und meine Bank braucht das für die Stammdaten betreffs meiner Person. Ich schicke sowas immer, bevor ich dazu aufgefordert werde.
- Ah, die überkorrekte Kundin, da freut sich aber deine Bankberaterin. Ich freue mich übrigens auch. Demnach sind drei weitere Jahre Aufenthalt in unserem sonnenlichtverwöhnten Arkadien hiermit genehmigt?
- Ja, war kein Problem, nur ein Formalakt. Immerhin erfülle ich alle vorgeschriebenen Bedingungen, also gibt\'s keine Hindernisse seitens des Ausländeramtes.
- Drei Jahre frei schaffen im Paradies, frei schreiben comme il vous plaira. Shakespeare höchstselbst würde dich beneiden.
- Aber ich bin nicht Shakespeare.
- Wie denn auch, nach nicht mal zwei Jahren Schreibversuchen.
- Es ist so entmutigend. Fünf Geschichten von mir liegen auf den digitalen Self-Publishing-Plattformen herum und niemand liest sie. Klar, es sind Anfängerwerke, aber so mies sind sie auch wieder nicht. Warum liest sie niemand?
- Du machst ja nicht das geringste Marketing. So findet dich niemand im unendlichen Datennirwana aus Geschichten, seien sie gut, seien sie schlecht.
- Hm.
- Marketing hin oder her. Halte dich lieber an Rilke. Du kennst seinen Brief an einen jungen Poeten. Da heißt es: Geh in dich - musst du wirklich schreiben? Drängt eine innere Notwendigkeit? Wenn ja, dann schreib und frag nicht, ob es \"gut\" ist. Diese Einkehr an sich sei das Lohnende, meint Rilke, ganz unabhängig davon, ob sie zu edlen Versen führt oder zu was anderem. Du kennst doch Rilkes Brief?
- Ja. Schon.
- Und? Hast du es schon ausprobiert mit dem In-dich-Gehen?
- Weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich seit drei Wochen nichts geschrieben habe und ich unentwegt grüble, wie ich zu einem tauglichen Plot komme. Wovon meine neue Geschichte eigentlich handeln soll. Ich bringe nichts zusammen und schön langsam werde ich verrückt.
- Ich bitte dich, was sind schon drei Wochen? Es gibt Künstler, die haben jahrelang keine neue Idee.
- Aber wenn mir jetzt nichts einfällt, fällt mir vielleicht nie mehr was ein. Dann bleibt von mir als Autorin nicht mehr übrig als ein paar ungelesene Erzählungen in der Internet-Datenwolke. Und wenn irgendwann mal der Strom ausfällt, sind die Datensätze erloschen für immer und ewig.
- Für immer und ewig! Mein Gott, deine Befürchtungen möchte ich haben. Dann schreib halt einen tractatus philosophicus über die Ewigkeit.
- Ich bin kein Philosoph. Ich bin nicht mal ein Schriftsteller.
- Eine Nervensäge bist du. Formidable! Ich wünschte dich schon allein deshalb zurück an den Schreibtisch, damit ich endlich mal wieder ruhige Stunden habe. Kannst du nicht einfach irgendwas schreiben? Es muss wirklich nicht gleich das eine große gewaltige Epos mit dem umwerfenden Megaplot sein.
- Mir fällt nichts ein. Nicht eine Zeile. Gar nichts.
- Schreib über das Nichts.
- Ist überflüssig. Das haben schon größere Geister als ich erledigt. Wie vermessen wäre das denn, denen noch etwas hinzufügen zu wollen aus der unbeholfenen Hand einer unterbelichteten Amateurliteratin?
- Diese Bescheidenheit ist allzu durchsichtig. Im Grunde bist du unerträglich überheblich.
- Nenn\' es, wie du willst. Ich weiß nur, dass ich nicht weiß, was ich schreiben soll.
- Dann lies mal deinen Rilke genauer. \"Retten Sie sich vor den allgemeinen Motiven zu denen, die Ihnen Ihr eigener Alltag bietet\" – heißt es in seinem besagten Brief. Sagt dir das denn gar nichts?
- Motive aus meinem Alltag? Kräuterbeete vielleicht? Oder Briefportoberechnungen? Gar Küchenabwaschbeckendrehverschluss? Für den kenn ich nicht mal den Fachbegriff. Wie heißt dieses Ding eigentlich?
- Recherche, meine Liebe, Recherche. Ohne Recherche läuft gar nichts. Hättest ja heute Vormittag im Baumarkt fragen können, wo du schon mal dort warst.
- Stimmt, hätte ich. Hab ich glatt vergessen.
- Na ja, es gibt Schlimmeres. Außerdem hat das Wort Küchenabwaschbeckendrehverschluss auch seinen Charme.
- In meinem Kopf hat sich was Ähnliches festgesaugt, so eine Art Dichterdenkverschluss. Der verkorkt reichlich uncharmant die Ganglien und verhindert jeglichen Gedankenfluss. Übel, übel.
- Und wie steht es mit deinem persönlichen \"Schatzhaus der Erinnerungen\" im Kopf? Kommst du da noch rein und kannst was anzapfen?
- Erinnerungen? Wo? Welche? Oje, selbst die Geburtstagsfeier meiner Schwester von neulich hab ich schon vergessen. Übel, übel.
- Ich helfe dir auf die Sprünge. Also, deine Schwester hatte ihren 50. Geburtstag, so wie du den Deinen letztes Jahr hattest . . .
- Sehr übel. Danke, ich hab genug gehört.
- Oh, oh, wunde Stelle, jetzt tut was weh!
- Lass uns lieber über meine Verdauungsprobleme reden. Die tun mir auch weh.
- Was? Die Vorgänge in deinem Bauch willst du zu Literatur verwursten? Also wirklich!
- Ja verflixt noch mal, bleibt mir sonst noch was übrig? Was denn? Soll ich etwa über dich schreiben?
- Über mich? Was gäbe es da schon groß zu sagen? Ich bin doch nur dein ungeliebtes Alter Ego, und ich kann mir schwerlich vorstellen, dass Betrachtungen über eine ungeliebte Person zu einem schönen Text führen.
- Ein guter Text muss ja nicht \"schön\" sein.
- Möglich. Ich versteh nichts vom Schreiben. Das ist dein Metier. Und lass das Rauchen jetzt. Du hast dir soeben die x-te Zigarette angezündet.
- Ach, halt deine Klappe / ich geh jetzt schreiben / und wird\'s eine Schlappe / DU wirst mir bleiben.
 

Languedoc

Mitglied
Krisensitzung mit Künstlerin

- Und? Wann hast du zuletzt geschrieben?
- Heute morgen. Zwei, drei kurze Sätze in mein Tagebuch gefetzt.
- Also die üblichen lieblosen Textstrünke, meine Liebe, stimmt's? Ich kenne dich, du spuckst halbgegorene Gedanken aus und schmierst sie aufs Papier in einer Schlampigkeit, die dir alles Blut ins Gesicht treiben sollte. Wo bleibt die Disziplin? Reiß dich endlich zusammen!
- Das tu ich doch! Jeden Tag nach dem Frühstück zwinge ich mich dazu, etwas in mein Buch zu schreiben.
- Dieses unleserliche Gekritzel? Das kann man ja nicht mal entziffern! Geschweige denn verstehen, was du da mitteilen willst.
- Eh nichts. Mir fällt nichts Gescheites ein. Ich denke nach und denke nach und trotzdem fällt mir nichts ein. Es lebe hoch die Wurst Conchita / ganz Europ\' schlägt sie zum Ritta – und dann wusste ich nicht weiter. Das war's für heute Morgen.
- In der Tat nicht sehr ergiebig. Was ist denn los? Warum schreibst du nichts mehr?
- Mir fällt nichts ein, das sagte ich doch! Was soll ich denn schreiben, wenn mir nichts einfällt, verdammt noch mal!
- Du strengst dich nicht an, das ist es. Du bist nichts als ein fauler Sack, der sich gehen lässt. Ein Tänzer muss jeden Tag tanzen, ein Sänger singen und ein Schriftsteller eben schreiben. Setz dich hin und schreib, was ist denn daran so schwer!
- Was soll ich denn aufschreiben? Dass die Stadtgärtner die jahrelang leeren Gemüsebeete hinter dem Chapiteau endlich bepflanzt haben, und zwar mit knackigen Küchenkräutern? Dass die hiesige Post für einen stinknormalen Briefversand umgerechnet 59 Cents verlangt, und ich im Baumarkt um die Ecke keinen passenden Stöpsel für den Küchenabwaschabfluss finden konnte, obwohl ich mir die Augen bis zur Beinahe-Erblindung ausgestarrt habe? Wirklich sagenhaft aufregende Neuigkeiten bringe ich mit von meiner heutigen Vormittagsrunde in der Stadt, deren einziges brauchbares Ergebnis darin besteht, bei der Post einen Brief aufgegeben zu haben.
- Du solltest eben zu Hause am Schreibtisch sitzen statt durch die Gegend zu strolchen. Nimm dir ein Beispiel an den seriösen Schriftstellern, die sich jeden Morgen hinsetzen und konzentrieren und notfalls simple Schreibübungen machen, wenn ihnen nichts Besseres einfällt. Die lassen erst gar nicht einreißen, derart aus der Übung zu kommen wie es dir offensichtlich passiert ist. Wie lange schluderst du denn schon herum auf diese erbärmliche Weise?
- Seit meiner Reise zur Geburtstagsfeier meiner Schwester. Das war vor fast drei Wochen. Zuvor hatte ich mein aktuelles Schreibprojekt in seiner dritten Fassung abgeschlossen bis auf zwei Kapitel, die komplett neu zu überarbeiten ich mir vornahm. Aber ich komme in die Geschichte ums Verrecken nicht mehr hinein. Wie soll ich zwei misslungene Kapitel verbessern? Warum soll ich aus schlechten Quark einen besseren machen, wenn's doch nur Quark ist und bleibt und wenn ich noch so daran herumfeile? Ne, ne, das ist sinnlos.
- Lass doch diese zwei Kapitel noch eine Zeitlang liegen und gib dem Käse Zeit zum Reifen. Inzwischen versuchst du was anderes. Du hast ja keine Abgabetermine oder dergleichen Druck von außen.
- Richtig. Kein Abgabetermin. Ich wünschte aber, ich hätte einen. Ich wünschte, von irgendwoher hieße es: Bitte liefern Sie bis Deadline dann und dann, wir brauchen Ihr Manuskript, unsere Leser warten sehnsüchtigst auf Ihren Roman!
- Ach, das ist doch in deinem Lehrlingsstadium nicht das Wichtigste. Schreib erst mal weiter ein paar Geschichten, bevor du von heißbegierigen Leserscharen träumst!
- Die müssten noch nicht mal begierig sein. Ich wünschte mir einfach einen Leser. Nur jemanden, der liest, was ich schreibe. Sonst schreib' ich nur für die Luft und an die Wand. Das ist so trostlos.
- Wer bist du: eine Künstlerin? Ja? Nein? Wohl eher nein. Bist am Ende ein verkrachtes Biederfräulein, das nach sogenannter Expertenanerkennung buhlt, um die hohle Nuss alias ödes Innenleben nicht spüren zu müssen.
- Stop, hör auf, was fällt dir ein! Was weißt du schon von meinem Innenleben, von meiner elend' Seelenqual!
- Das wahre Elend ist, mit dir zusammen in einer Wohnung zu hausen und mit ansehen zu müssen, wie schlapp du durch die Tage schlurfst. Du steckst mich noch an mit dieser Laschheit, das regt mich auf. Schau mal in den Spiegel, du abgehalftertes altes Weib. Zum Schämen ist das.
- Was kann ich für meine Falten? Und soll ich mich wegen der Tränensäcke aufhängen? Mann, in fünf Tagen bin ich 51 Jahre alt! Ich werde wohl noch alt werden dürfen!
- Ja, aber du lässt dich gehen. Du könntest dich ruhig ein bisschen schminken und frisieren und mal was anderes anziehen als den ewig gleichen Schlotterpyjama.
- Ich mag nur weite Pyjamahosen. Was soll ich mich in unbequemes G'wand hineinzwängen. Davon geht es mir auch nicht besser.
- Aber ich hätte was Hübsches vor Augen.
- Was Hübsches! Als ob ich je hübsch gewesen wäre!
- Jetzt hörst du aber auf. Schluss mit dem Gejammer und diesen blöden Ausreden. Hinsetzen und schreiben, aber dalli!
- Ich will nicht. Ich kann nicht. Mir fällt nichts ein. Es ist sinnlos.
- Bravo. Und jetzt?
- Dead end.
- Aber irgendwie muss es weitergehen. Du kannst dich nicht ins Grab legen, nur weil dein angebliches Methusalem-Alter ach so schwer auf dir lastet.
- Ich spür' aber den Sargdeckel. Er klappert über mir.
- Hör' nicht hin. Der kracht schon irgendwann herunter und dann merkst es eh nicht.
- Schöne Aussichten sind das nicht.
- Guck doch rund um dich anstatt nach oben, wo der Klapperich droht.
- Hm. Na ja, heute habe ich Kräuterbeete hinterm Chapiteau gesehen. Petersil und Kerbel, Salbei und Thymian, Oregano und was weiß ich noch – das hat mir gefallen. Noch vor ein paar Tagen waren die Beete erdig nackt wie die Jahre zuvor auch. Ich habe mich immer gewundert, warum sie brach liegen, wo sie doch einst so aufwendig in Terrassen angelegt worden sind, hinein in diesen leicht geneigten, grasgrünen Hang, sorgfältig gesäumt mit alten dicken Holzbalken. Heute plötzlich sitzen Kräuterstauden drin und sprießen lustig der Frühsommersonne entgegen. Wenn ich mal einen der Gärtner antreffe, werde ich anfragen, ob ich ein paar Stängel pflücken darf.
- Gut! Ich koche dir auch was Feines damit.
- Klingt verlockend. Petersilpesto für eine frischere Haut?
- Und Thymiankartoffeln für einen warmen Bauch.
- Gibt's auch was gegen Dichterblockade?
- Wir werden es herausfinden. Dazu musst du aber eine Vorleistung bringen und zwei Verszeilen liefern.
- Wenn der Koch die Sauce rührt, der Dichter frische Säfte spürt.

- Na also. Übrigens, wem hast du denn heute geschrieben?
- Geschrieben?
- Na, du hast einen Brief auf die Post gebracht.
- Ach so. Ich habe nur meiner Bank eine Kopie geschickt von meiner Aufenthaltsbewilligung. Die Behörde hat sie letzte Woche für weitere drei Jahre ausgestellt und meine Bank braucht das für die Stammdaten betreffs meiner Person. Ich schicke sowas immer, bevor ich dazu aufgefordert werde.
- Ah, die überkorrekte Kundin, da freut sich aber deine Bankberaterin. Ich freue mich übrigens auch. Demnach sind drei weitere Jahre Aufenthalt in unserem sonnenlichtverwöhnten Arkadien hiermit genehmigt?
- Ja, war kein Problem, nur ein Formalakt. Immerhin erfülle ich alle vorgeschriebenen Bedingungen, also gibt's keine Hindernisse seitens des Ausländeramtes.
- Drei Jahre frei schaffen im Paradies, frei schreiben comme il vous plaira. Shakespeare höchstselbst würde dich beneiden.
- Aber ich bin nicht Shakespeare.
- Wie denn auch, nach nicht mal zwei Jahren Schreibversuchen.
- Es ist so entmutigend. Fünf Geschichten von mir liegen auf den digitalen Self-Publishing-Plattformen herum und niemand liest sie. Klar, es sind Anfängerwerke, aber so mies sind sie auch wieder nicht. Warum liest sie niemand?
- Du machst ja nicht das geringste Marketing. So findet dich niemand im unendlichen Datennirwana aus Geschichten, seien sie gut, seien sie schlecht.
- Hm.
- Marketing hin oder her. Halte dich lieber an Rilke. Du kennst seinen Brief an einen jungen Poeten. Da heißt es: Geh in dich - musst du wirklich schreiben? Drängt eine innere Notwendigkeit? Wenn ja, dann schreib und frag nicht, ob es "gut" ist. Diese Einkehr an sich sei das Lohnende, meint Rilke, ganz unabhängig davon, ob sie zu edlen Versen führt oder zu was anderem. Du kennst doch Rilkes Brief?
- Ja. Schon.
- Und? Hast du es schon ausprobiert mit dem In-dich-Gehen?
- Weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich seit drei Wochen nichts geschrieben habe und ich unentwegt grüble, wie ich zu einem tauglichen Plot komme. Wovon meine neue Geschichte eigentlich handeln soll. Ich bringe nichts zusammen und schön langsam werde ich verrückt.
- Ich bitte dich, was sind schon drei Wochen? Es gibt Künstler, die haben jahrelang keine neue Idee.
- Aber wenn mir jetzt nichts einfällt, fällt mir vielleicht nie mehr was ein. Dann bleibt von mir als Autorin nicht mehr übrig als ein paar ungelesene Erzählungen in der Internet-Datenwolke. Und wenn irgendwann mal der Strom ausfällt, sind die Datensätze erloschen für immer und ewig.
- Für immer und ewig! Mein Gott, deine Befürchtungen möchte ich haben. Dann schreib halt einen tractatus philosophicus über die Ewigkeit.
- Ich bin kein Philosoph. Ich bin nicht mal ein Schriftsteller.
- Eine Nervensäge bist du. Formidable! Ich wünschte dich schon allein deshalb zurück an den Schreibtisch, damit ich endlich mal wieder ruhige Stunden habe. Kannst du nicht einfach irgendwas schreiben? Es muss wirklich nicht gleich das eine große gewaltige Epos mit dem umwerfenden Megaplot sein.
- Mir fällt nichts ein. Nicht eine Zeile. Gar nichts.
- Schreib über das Nichts.
- Ist überflüssig. Das haben schon größere Geister als ich erledigt. Wie vermessen wäre das denn, denen noch etwas hinzufügen zu wollen aus der unbeholfenen Hand einer unterbelichteten Amateurliteratin?
- Diese Bescheidenheit ist allzu durchsichtig. Im Grunde bist du unerträglich überheblich.
- Nenn' es, wie du willst. Ich weiß nur, dass ich nicht weiß, was ich schreiben soll.
- Dann lies mal deinen Rilke genauer. "Retten Sie sich vor den allgemeinen Motiven zu denen, die Ihnen Ihr eigener Alltag bietet" – heißt es in seinem besagten Brief. Sagt dir das denn gar nichts?
- Motive aus meinem Alltag? Kräuterbeete vielleicht? Oder Briefportoberechnungen? Gar Küchenabwaschbeckendrehverschluss? Für den kenn ich nicht mal den Fachbegriff. Wie heißt dieses Ding eigentlich?
- Recherche, meine Liebe, Recherche. Ohne Recherche läuft gar nichts. Hättest ja heute Vormittag im Baumarkt fragen können, wo du schon mal dort warst.
- Stimmt, hätte ich. Hab ich glatt vergessen.
- Na ja, es gibt Schlimmeres. Außerdem hat das Wort Küchenabwaschbeckendrehverschluss auch seinen Charme.
- In meinem Kopf hat sich was Ähnliches festgesaugt, so eine Art Dichterdenkverschluss. Der verkorkt reichlich uncharmant die Ganglien und verhindert jeglichen Gedankenfluss. Übel, übel.
- Und wie steht es mit deinem persönlichen "Schatzhaus der Erinnerungen" im Kopf? Kommst du da noch rein und kannst was anzapfen?
- Erinnerungen? Wo? Welche? Oje, selbst die Geburtstagsfeier meiner Schwester von neulich hab ich schon vergessen. Übel, übel.
- Ich helfe dir auf die Sprünge. Also, deine Schwester hatte ihren 50. Geburtstag, so wie du den Deinen letztes Jahr hattest . . .
- Sehr übel. Danke, ich hab genug gehört.
- Oh, oh, wunde Stelle, jetzt tut was weh!
- Lass uns lieber über meine Verdauungsprobleme reden. Die tun mir auch weh.
- Was? Die Vorgänge in deinem Bauch willst du zu Literatur verwursten? Also wirklich!
- Ja verflixt noch mal, bleibt mir sonst noch was übrig? Was denn? Soll ich etwa über dich schreiben?
- Über mich? Was gäbe es da schon groß zu sagen? Ich bin doch nur dein ungeliebtes Alter Ego, und ich kann mir schwerlich vorstellen, dass Betrachtungen über eine ungeliebte Person zu einem schönen Text führen.
- Ein guter Text muss ja nicht "schön" sein.
- Möglich. Ich versteh nichts vom Schreiben. Das ist dein Metier. Und lass das Rauchen jetzt. Du hast dir soeben die x-te Zigarette angezündet.
- Ach, halt deine Klappe / ich geh jetzt schreiben / und wird\'s eine Schlappe / DU wirst mir bleiben.
 

Languedoc

Mitglied
Krisensitzung mit Künstlerin

- Und? Wann hast du zuletzt geschrieben?
- Heute morgen. Zwei, drei kurze Sätze in mein Tagebuch gefetzt.
- Also die üblichen lieblosen Textstrünke, meine Liebe, stimmt's? Ich kenne dich, du spuckst halbgegorene Gedanken aus und schmierst sie aufs Papier in einer Schlampigkeit, die dir alles Blut ins Gesicht treiben sollte. Wo bleibt die Disziplin? Reiß dich endlich zusammen!
- Das tu ich doch! Jeden Tag nach dem Frühstück zwinge ich mich dazu, etwas in mein Buch zu schreiben.
- Dieses unleserliche Gekritzel? Das kann man ja nicht mal entziffern! Geschweige denn verstehen, was du da mitteilen willst.
- Eh nichts. Mir fällt nichts Gescheites ein. Ich denke nach und denke nach und trotzdem fällt mir nichts ein. Es lebe hoch die Wurst Conchita / ganz Europ' schlägt sie zum Ritta – und dann wusste ich nicht weiter. Das war's für heute Morgen.
- In der Tat nicht sehr ergiebig. Was ist denn los? Warum schreibst du nichts mehr?
- Mir fällt nichts ein, das sagte ich doch! Was soll ich denn schreiben, wenn mir nichts einfällt, verdammt noch mal!
- Du strengst dich nicht an, das ist es. Du bist nichts als ein fauler Sack, der sich gehen lässt. Ein Tänzer muss jeden Tag tanzen, ein Sänger singen und ein Schriftsteller eben schreiben. Setz dich hin und schreib, was ist denn daran so schwer!
- Was soll ich denn aufschreiben? Dass die Stadtgärtner die jahrelang leeren Gemüsebeete hinter dem Chapiteau endlich bepflanzt haben, und zwar mit knackigen Küchenkräutern? Dass die hiesige Post für einen stinknormalen Briefversand umgerechnet 59 Cents verlangt, und ich im Baumarkt um die Ecke keinen passenden Stöpsel für den Küchenabwaschabfluss finden konnte, obwohl ich mir die Augen bis zur Beinahe-Erblindung ausgestarrt habe? Wirklich sagenhaft aufregende Neuigkeiten bringe ich mit von meiner heutigen Vormittagsrunde in der Stadt, deren einziges brauchbares Ergebnis darin besteht, bei der Post einen Brief aufgegeben zu haben.
- Du solltest eben zu Hause am Schreibtisch sitzen statt durch die Gegend zu strolchen. Nimm dir ein Beispiel an den seriösen Schriftstellern, die sich jeden Morgen hinsetzen und konzentrieren und notfalls simple Schreibübungen machen, wenn ihnen nichts Besseres einfällt. Die lassen erst gar nicht einreißen, derart aus der Übung zu kommen wie es dir offensichtlich passiert ist. Wie lange schluderst du denn schon herum auf diese erbärmliche Weise?
- Seit meiner Reise zur Geburtstagsfeier meiner Schwester. Das war vor fast drei Wochen. Zuvor hatte ich mein aktuelles Schreibprojekt in seiner dritten Fassung abgeschlossen bis auf zwei Kapitel, die komplett neu zu überarbeiten ich mir vornahm. Aber ich komme in die Geschichte ums Verrecken nicht mehr hinein. Wie soll ich zwei misslungene Kapitel verbessern? Warum soll ich aus schlechten Quark einen besseren machen, wenn's doch nur Quark ist und bleibt und wenn ich noch so daran herumfeile? Ne, ne, das ist sinnlos.
- Lass doch diese zwei Kapitel noch eine Zeitlang liegen und gib dem Käse Zeit zum Reifen. Inzwischen versuchst du was anderes. Du hast ja keine Abgabetermine oder dergleichen Druck von außen.
- Richtig. Kein Abgabetermin. Ich wünschte aber, ich hätte einen. Ich wünschte, von irgendwoher hieße es: Bitte liefern Sie bis Deadline dann und dann, wir brauchen Ihr Manuskript, unsere Leser warten sehnsüchtigst auf Ihren Roman!
- Ach, das ist doch in deinem Lehrlingsstadium nicht das Wichtigste. Schreib erst mal weiter ein paar Geschichten, bevor du von heißbegierigen Leserscharen träumst!
- Die müssten noch nicht mal begierig sein. Ich wünschte mir einfach einen Leser. Nur jemanden, der liest, was ich schreibe. Sonst schreib' ich nur für die Luft und an die Wand. Das ist so trostlos.
- Wer bist du: eine Künstlerin? Ja? Nein? Wohl eher nein. Bist am Ende ein verkrachtes Biederfräulein, das nach sogenannter Expertenanerkennung buhlt, um die hohle Nuss alias ödes Innenleben nicht spüren zu müssen.
- Stop, hör auf, was fällt dir ein! Was weißt du schon von meinem Innenleben, von meiner elend' Seelenqual!
- Das wahre Elend ist, mit dir zusammen in einer Wohnung zu hausen und mit ansehen zu müssen, wie schlapp du durch die Tage schlurfst. Du steckst mich noch an mit dieser Laschheit, das regt mich auf. Schau mal in den Spiegel, du abgehalftertes altes Weib. Zum Schämen ist das.
- Was kann ich für meine Falten? Und soll ich mich wegen der Tränensäcke aufhängen? Mann, in fünf Tagen bin ich 51 Jahre alt! Ich werde wohl noch alt werden dürfen!
- Ja, aber du lässt dich gehen. Du könntest dich ruhig ein bisschen schminken und frisieren und mal was anderes anziehen als den ewig gleichen Schlotterpyjama.
- Ich mag nur weite Pyjamahosen. Was soll ich mich in unbequemes G'wand hineinzwängen. Davon geht es mir auch nicht besser.
- Aber ich hätte was Hübsches vor Augen.
- Was Hübsches! Als ob ich je hübsch gewesen wäre!
- Jetzt hörst du aber auf. Schluss mit dem Gejammer und diesen blöden Ausreden. Hinsetzen und schreiben, aber dalli!
- Ich will nicht. Ich kann nicht. Mir fällt nichts ein. Es ist sinnlos.
- Bravo. Und jetzt?
- Dead end.
- Aber irgendwie muss es weitergehen. Du kannst dich nicht ins Grab legen, nur weil dein angebliches Methusalem-Alter ach so schwer auf dir lastet.
- Ich spür' aber den Sargdeckel. Er klappert über mir.
- Hör' nicht hin. Der kracht schon irgendwann herunter und dann merkst es eh nicht.
- Schöne Aussichten sind das nicht.
- Guck doch rund um dich anstatt nach oben, wo der Klapperich droht.
- Hm. Na ja, heute habe ich Kräuterbeete hinterm Chapiteau gesehen. Petersil und Kerbel, Salbei und Thymian, Oregano und was weiß ich noch – das hat mir gefallen. Noch vor ein paar Tagen waren die Beete erdig nackt wie die Jahre zuvor auch. Ich habe mich immer gewundert, warum sie brach liegen, wo sie doch einst so aufwendig in Terrassen angelegt worden sind, hinein in diesen leicht geneigten, grasgrünen Hang, sorgfältig gesäumt mit alten dicken Holzbalken. Heute plötzlich sitzen Kräuterstauden drin und sprießen lustig der Frühsommersonne entgegen. Wenn ich mal einen der Gärtner antreffe, werde ich anfragen, ob ich ein paar Stängel pflücken darf.
- Gut! Ich koche dir auch was Feines damit.
- Klingt verlockend. Petersilpesto für eine frischere Haut?
- Und Thymiankartoffeln für einen warmen Bauch.
- Gibt's auch was gegen Dichterblockade?
- Wir werden es herausfinden. Dazu musst du aber eine Vorleistung bringen und zwei Verszeilen liefern.
- Wenn der Koch die Sauce rührt, der Dichter frische Säfte spürt.

- Na also. Übrigens, wem hast du denn heute geschrieben?
- Geschrieben?
- Na, du hast einen Brief auf die Post gebracht.
- Ach so. Ich habe nur meiner Bank eine Kopie geschickt von meiner Aufenthaltsbewilligung. Die Behörde hat sie letzte Woche für weitere drei Jahre ausgestellt und meine Bank braucht das für die Stammdaten betreffs meiner Person. Ich schicke sowas immer, bevor ich dazu aufgefordert werde.
- Ah, die überkorrekte Kundin, da freut sich aber deine Bankberaterin. Ich freue mich übrigens auch. Demnach sind drei weitere Jahre Aufenthalt in unserem sonnenlichtverwöhnten Arkadien hiermit genehmigt?
- Ja, war kein Problem, nur ein Formalakt. Immerhin erfülle ich alle vorgeschriebenen Bedingungen, also gibt's keine Hindernisse seitens des Ausländeramtes.
- Drei Jahre frei schaffen im Paradies, frei schreiben comme il vous plaira. Shakespeare höchstselbst würde dich beneiden.
- Aber ich bin nicht Shakespeare.
- Wie denn auch, nach nicht mal zwei Jahren Schreibversuchen.
- Es ist so entmutigend. Fünf Geschichten von mir liegen auf den digitalen Self-Publishing-Plattformen herum und niemand liest sie. Klar, es sind Anfängerwerke, aber so mies sind sie auch wieder nicht. Warum liest sie niemand?
- Du machst ja nicht das geringste Marketing. So findet dich niemand im unendlichen Datennirwana aus Geschichten, seien sie gut, seien sie schlecht.
- Hm.
- Marketing hin oder her. Halte dich lieber an Rilke. Du kennst seinen Brief an einen jungen Poeten. Da heißt es: Geh in dich - musst du wirklich schreiben? Drängt eine innere Notwendigkeit? Wenn ja, dann schreib und frag nicht, ob es "gut" ist. Diese Einkehr an sich sei das Lohnende, meint Rilke, ganz unabhängig davon, ob sie zu edlen Versen führt oder zu was anderem. Du kennst doch Rilkes Brief?
- Ja. Schon.
- Und? Hast du es schon ausprobiert mit dem In-dich-Gehen?
- Weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich seit drei Wochen nichts geschrieben habe und ich unentwegt grüble, wie ich zu einem tauglichen Plot komme. Wovon meine neue Geschichte eigentlich handeln soll. Ich bringe nichts zusammen und schön langsam werde ich verrückt.
- Ich bitte dich, was sind schon drei Wochen? Es gibt Künstler, die haben jahrelang keine neue Idee.
- Aber wenn mir jetzt nichts einfällt, fällt mir vielleicht nie mehr was ein. Dann bleibt von mir als Autorin nicht mehr übrig als ein paar ungelesene Erzählungen in der Internet-Datenwolke. Und wenn irgendwann mal der Strom ausfällt, sind die Datensätze erloschen für immer und ewig.
- Für immer und ewig! Mein Gott, deine Befürchtungen möchte ich haben. Dann schreib halt einen tractatus philosophicus über die Ewigkeit.
- Ich bin kein Philosoph. Ich bin nicht mal ein Schriftsteller.
- Eine Nervensäge bist du. Formidable! Ich wünschte dich schon allein deshalb zurück an den Schreibtisch, damit ich endlich mal wieder ruhige Stunden habe. Kannst du nicht einfach irgendwas schreiben? Es muss wirklich nicht gleich das eine große gewaltige Epos mit dem umwerfenden Megaplot sein.
- Mir fällt nichts ein. Nicht eine Zeile. Gar nichts.
- Schreib über das Nichts.
- Ist überflüssig. Das haben schon größere Geister als ich erledigt. Wie vermessen wäre das denn, denen noch etwas hinzufügen zu wollen aus der unbeholfenen Hand einer unterbelichteten Amateurliteratin?
- Diese Bescheidenheit ist allzu durchsichtig. Im Grunde bist du unerträglich überheblich.
- Nenn' es, wie du willst. Ich weiß nur, dass ich nicht weiß, was ich schreiben soll.
- Dann lies mal deinen Rilke genauer. "Retten Sie sich vor den allgemeinen Motiven zu denen, die Ihnen Ihr eigener Alltag bietet" – heißt es in seinem besagten Brief. Sagt dir das denn gar nichts?
- Motive aus meinem Alltag? Kräuterbeete vielleicht? Oder Briefportoberechnungen? Gar Küchenabwaschbeckendrehverschluss? Für den kenn ich nicht mal den Fachbegriff. Wie heißt dieses Ding eigentlich?
- Recherche, meine Liebe, Recherche. Ohne Recherche läuft gar nichts. Hättest ja heute Vormittag im Baumarkt fragen können, wo du schon mal dort warst.
- Stimmt, hätte ich. Hab ich glatt vergessen.
- Na ja, es gibt Schlimmeres. Außerdem hat das Wort Küchenabwaschbeckendrehverschluss auch seinen Charme.
- In meinem Kopf hat sich was Ähnliches festgesaugt, so eine Art Dichterdenkverschluss. Der verkorkt reichlich uncharmant die Ganglien und verhindert jeglichen Gedankenfluss. Übel, übel.
- Und wie steht es mit deinem persönlichen "Schatzhaus der Erinnerungen" im Kopf? Kommst du da noch rein und kannst was anzapfen?
- Erinnerungen? Wo? Welche? Oje, selbst die Geburtstagsfeier meiner Schwester von neulich hab ich schon vergessen. Übel, übel.
- Ich helfe dir auf die Sprünge. Also, deine Schwester hatte ihren 50. Geburtstag, so wie du den Deinen letztes Jahr hattest . . .
- Sehr übel. Danke, ich hab genug gehört.
- Oh, oh, wunde Stelle, jetzt tut was weh!
- Lass uns lieber über meine Verdauungsprobleme reden. Die tun mir auch weh.
- Was? Die Vorgänge in deinem Bauch willst du zu Literatur verwursten? Also wirklich!
- Ja verflixt noch mal, bleibt mir sonst noch was übrig? Was denn? Soll ich etwa über dich schreiben?
- Über mich? Was gäbe es da schon groß zu sagen? Ich bin doch nur dein ungeliebtes Alter Ego, und ich kann mir schwerlich vorstellen, dass Betrachtungen über eine ungeliebte Person zu einem schönen Text führen.
- Ein guter Text muss ja nicht "schön" sein.
- Möglich. Ich versteh nichts vom Schreiben. Das ist dein Metier. Und lass das Rauchen jetzt. Du hast dir soeben die x-te Zigarette angezündet.
- Ach, halt deine Klappe / ich geh jetzt schreiben / und wird\'s eine Schlappe / DU wirst mir bleiben.
 

Languedoc

Mitglied
Danke, lieber Ironbiber,
für das herzliche Willkommen und die Anregungen zur Textkorrektur, die ich vorhin sogleich umgesetzt habe. Lediglich das originale ALTER EGO lass ich vorläufig unangetastet und schreibe es nicht um in ALTES EGO, wie vorgeschlagen, obgleich Zweiteres eine bedenkenswerte Alternative wäre. Ich werde mal darüber schlafen ...
Freundlichste Grüße und allen Literaten frohes Schaffen
wünscht
Languedoc
 

Languedoc

Mitglied
Krisensitzung mit Künstlerin

- Und? Wann hast du zuletzt geschrieben?
- Heute morgen. Zwei, drei kurze Sätze in mein Tagebuch hingefetzt.
- Hingefetzt, so, so, die üblichen lieblosen Textstrünke, meine Liebe, stimmt's? Ich kenne dich, du spuckst halbgegorene Gedanken aus und schmierst sie aufs Papier in einer Schlampigkeit, die dir alles Blut ins Gesicht treiben sollte. Wo bleibt die Disziplin? Reiß dich endlich zusammen!
- Das tu ich doch! Jeden Tag nach dem Frühstück zwinge ich mich dazu, etwas in mein Buch zu schreiben.
- Dieses unleserliche Gekritzel? Das kann man ja nicht mal entziffern! Geschweige denn verstehen, was du da mitteilen willst.
- Eh nichts. Mir fällt nichts Gescheites ein. Ich denke nach und denke nach und trotzdem fällt mir nichts ein. Es lebe hoch die Wurst Conchita / ganz Europ' schlägt sie zum Ritta – und dann wusste ich nicht weiter. Das war's für heute Morgen.
- In der Tat nicht sehr ergiebig. Was ist denn los? Warum schreibst du nichts mehr?
- Mir fällt nichts ein, das sagte ich doch! Was soll ich denn schreiben, wenn mir nichts einfällt, verdammt noch mal!
- Du strengst dich nicht an, das ist es. Du bist nichts als ein fauler Sack, der sich gehen lässt. Ein Tänzer muss jeden Tag tanzen, ein Sänger singen und ein Schriftsteller eben schreiben. Setz dich hin und schreib, was ist denn daran so schwer!
- Was soll ich denn aufschreiben? Dass die Stadtgärtner die jahrelang leeren Gemüsebeete hinter dem Chapiteau endlich bepflanzt haben, und zwar mit knackigen Küchenkräutern? Dass die hiesige Post für einen stinknormalen Briefversand umgerechnet 59 Cents verlangt, und ich im Baumarkt um die Ecke keinen passenden Stöpsel für den Küchenabwaschabfluss finden konnte, obwohl ich mir die Augen bis zur Beinahe-Erblindung ausgestarrt habe? Wirklich sagenhaft aufregende Neuigkeiten bringe ich mit von meiner heutigen Vormittagsrunde in der Stadt, deren einziges brauchbares Ergebnis darin besteht, bei der Post einen Brief aufgegeben zu haben.
- Du solltest eben zu Hause am Schreibtisch sitzen statt durch die Gegend zu strolchen. Nimm dir ein Beispiel an den seriösen Schriftstellern, die sich jeden Morgen hinsetzen und konzentrieren und notfalls simple Schreibübungen machen, wenn ihnen nichts Besseres einfällt. Die lassen erst gar nicht einreißen, derart aus dem Tritt zu kommen wie es dir offensichtlich passiert ist. Wie lange schluderst du denn schon herum auf diese erbärmliche Weise?
- Seit meiner Reise zur Geburtstagsfeier meiner Schwester. Das war vor fast drei Wochen. Zuvor hatte ich mein aktuelles Schreibprojekt in seiner dritten Fassung abgeschlossen bis auf zwei Kapitel, die komplett neu zu überarbeiten ich mir vornahm. Aber ich komme in die Geschichte ums Verrecken nicht mehr hinein. Wie soll ich zwei misslungene Kapitel verbessern? Warum soll ich aus schlechten Quark einen besseren machen, wenn's doch nur Quark ist und bleibt und wenn ich noch so daran herumfeile? Ne, ne, das ist sinnlos.
- Lass doch diese zwei Kapitel noch eine Zeitlang liegen und gib dem Käse Zeit zum Reifen. Inzwischen versuchst du was anderes. Du hast ja keine Abgabetermine oder dergleichen Druck von außen.
- Richtig. Kein Abgabetermin. Ich wünschte aber, ich hätte einen. Ich wünschte, von irgendwoher hieße es: Bitte liefern Sie bis Deadline dann und dann, wir brauchen Ihr Manuskript, unsere Leser warten sehnsüchtigst auf Ihren Roman!
- Ach, das ist doch in deinem Lehrlingsstadium nicht das Wichtigste. Schreib erst mal weiter ein paar Geschichten, bevor du von heißbegierigen Leserscharen träumst!
- Die müssten noch nicht mal begierig sein. Ich wünschte mir einfach einen Leser. Nur jemanden, der liest, was ich schreibe. Sonst schreib' ich nur für die Luft und an die Wand. Das ist so trostlos.
- Wer bist du: eine Künstlerin? Ja? Nein? Wohl eher nein. Bist am Ende ein verkrachtes Biederfräulein, das nach sogenannter Expertenanerkennung buhlt, um die hohle Nuss alias ödes Innenleben nicht spüren zu müssen.
- Stop, hör auf, was fällt dir ein! Was weißt du schon von meinem Innenleben, von meiner elend' Seelenqual!
- Das wahre Elend ist, mit dir zusammen in einer Wohnung zu hausen und mit ansehen zu müssen, wie schlapp du durch die Tage schlurfst. Du steckst mich noch an mit dieser Laschheit, das regt mich auf. Schau mal in den Spiegel, du abgehalftertes altes Weib. Zum Schämen ist das.
- Was kann ich für meine Falten? Und soll ich mich wegen der Tränensäcke aufhängen? Mann, in fünf Tagen bin ich 51 Jahre alt! Ich werde wohl noch alt werden dürfen!
- Ja, aber du lässt dich gehen. Du könntest dich ruhig ein bisschen schminken und frisieren und mal was anderes anziehen als den ewig gleichen Schlotterpyjama.
- Ich mag nur weite Pyjamahosen. Was soll ich mich in unbequemes G'wand hineinzwängen. Davon geht es mir auch nicht besser.
- Aber ich hätte was Hübsches vor Augen.
- Was Hübsches! Als ob ich je hübsch gewesen wäre!
- Jetzt hörst du aber auf. Schluss mit dem Gejammer und diesen blöden Ausreden. Hinsetzen und schreiben, aber dalli!
- Ich will nicht. Ich kann nicht. Mir fällt nichts ein. Es ist sinnlos.
- Bravo. Und jetzt?
- Dead end.
- Aber irgendwie muss es weitergehen. Du kannst dich nicht ins Grab legen, nur weil dein angebliches Methusalem-Alter ach so schwer auf dir lastet.
- Ich spür' aber den Sargdeckel. Er klappert über mir.
- Hör' nicht hin. Der kracht schon irgendwann herunter und dann merkst es eh nicht.
- Schöne Aussichten sind das nicht.
- Guck doch rund um dich anstatt nach oben, wo der Klapperich droht.
- Hm. Na ja, heute habe ich Kräuterbeete hinterm Chapiteau gesehen. Petersil und Kerbel, Salbei und Thymian, Oregano und was weiß ich noch – das hat mir gefallen. Noch vor ein paar Tagen waren die Beete erdig nackt wie die Jahre zuvor auch. Ich habe mich immer gewundert, warum sie brach liegen, wo sie doch einst so aufwendig in Terrassen angelegt worden sind, hinein in diesen leicht geneigten, grasgrünen Hang, sorgfältig gesäumt mit alten dicken Holzbalken. Heute plötzlich sitzen Kräuterstauden drin und sprießen lustig der Frühsommersonne entgegen. Wenn ich mal einen der Gärtner antreffe, werde ich anfragen, ob ich ein paar Stängel pflücken darf.
- Gut! Ich koche dir auch was Feines damit.
- Klingt verlockend. Petersilpesto für eine frischere Haut?
- Und Thymiankartoffeln für einen warmen Bauch.
- Gibt's auch was gegen Dichterblockade?
- Wir werden es herausfinden. Dazu musst du aber eine Vorleistung bringen und zwei Verszeilen liefern.
- Wenn der Koch die Sauce rührt, der Dichter frische Säfte spürt.

- Na also. Übrigens, wem hast du denn heute geschrieben?
- Geschrieben?
- Na, du hast einen Brief auf die Post gebracht.
- Ach so. Ich habe nur meiner Bank eine Kopie geschickt von meiner Aufenthaltsbewilligung. Die Behörde hat sie letzte Woche für weitere drei Jahre ausgestellt und meine Bank braucht das für die Stammdaten betreffs meiner Person. Ich schicke sowas immer, bevor ich dazu aufgefordert werde.
- Ah, die überkorrekte Kundin, da freut sich aber deine Bankberaterin. Ich freue mich übrigens auch. Demnach sind drei weitere Jahre Aufenthalt in unserem sonnenlichtverwöhnten Arkadien hiermit genehmigt?
- Ja, war kein Problem, nur ein Formalakt. Immerhin erfülle ich alle vorgeschriebenen Bedingungen, also gibt's keine Hindernisse seitens des Ausländeramtes.
- Drei Jahre frei schaffen im Paradies, frei schreiben comme il vous plaira. Shakespeare höchstselbst würde dich beneiden.
- Aber ich bin nicht Shakespeare.
- Wie denn auch, nach nicht mal zwei Jahren Schreibversuchen.
- Es ist so entmutigend. Fünf Geschichten von mir liegen auf den digitalen Self-Publishing-Plattformen herum und niemand liest sie. Klar, es sind Anfängerwerke, aber so mies sind sie auch wieder nicht. Warum liest sie niemand?
- Du machst ja nicht das geringste Marketing. So findet dich niemand im unendlichen Datennirwana aus Geschichten, seien sie gut, seien sie schlecht.
- Hm.
- Marketing hin oder her. Halte dich lieber an Rilke. Du kennst seinen Brief an einen jungen Poeten. Da heißt es: Geh in dich - musst du wirklich schreiben? Drängt eine innere Notwendigkeit? Wenn ja, dann schreib und frag nicht, ob es "gut" ist. Diese Einkehr an sich sei das Lohnende, meint Rilke, ganz unabhängig davon, ob sie zu edlen Versen führt oder zu was anderem. Du kennst doch Rilkes Brief?
- Ja. Schon.
- Und? Hast du es schon ausprobiert mit dem In-dich-Gehen?
- Weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich seit drei Wochen nichts geschrieben habe und ich unentwegt grüble, wie ich zu einem tauglichen Plot komme. Wovon meine neue Geschichte eigentlich handeln soll. Ich bringe nichts zusammen und schön langsam werde ich verrückt.
- Ich bitte dich, was sind schon drei Wochen? Es gibt Künstler, die haben jahrelang keine neue Idee.
- Aber wenn mir jetzt nichts einfällt, fällt mir vielleicht nie mehr was ein. Dann bleibt von mir als Autorin nicht mehr übrig als ein paar ungelesene Erzählungen in der Internet-Datenwolke. Und wenn irgendwann mal der Strom ausfällt, sind die Datensätze erloschen für immer und ewig.
- Für immer und ewig! Mein Gott, deine Befürchtungen möchte ich haben. Dann schreib halt einen tractatus philosophicus über die Ewigkeit.
- Ich bin kein Philosoph. Ich bin nicht mal ein Schriftsteller.
- Eine Nervensäge bist du. Formidable! Ich wünschte dich schon allein deshalb zurück an den Schreibtisch, damit ich endlich mal wieder ruhige Stunden habe. Kannst du nicht einfach irgendwas schreiben? Es muss wirklich nicht gleich das eine große gewaltige Epos mit dem umwerfenden Megaplot sein.
- Mir fällt nichts ein. Nicht eine Zeile. Gar nichts.
- Schreib über das Nichts.
- Ist überflüssig. Das haben schon größere Geister als ich erledigt. Wie vermessen wäre das denn, denen noch etwas hinzufügen zu wollen aus der unbeholfenen Hand einer unterbelichteten Amateurliteratin?
- Diese Bescheidenheit ist allzu durchsichtig. Im Grunde bist du unerträglich arrogant.
- Nenn' es, wie du willst. Ich weiß nur, dass ich nicht weiß, was ich schreiben soll.
- Dann lies mal deinen Rilke genauer. "Retten Sie sich vor den allgemeinen Motiven zu denen, die Ihnen Ihr eigener Alltag bietet" – heißt es in seinem besagten Brief. Sagt dir das denn gar nichts?
- Motive aus meinem Alltag? Kräuterbeete vielleicht? Oder Briefportoberechnungen? Gar Küchenabwaschbeckendrehverschluss? Für den kenn ich nicht mal den Fachbegriff. Wie heißt dieses Ding eigentlich?
- Recherche, meine Liebe, Recherche. Ohne Recherche läuft gar nichts. Hättest ja heute Vormittag im Baumarkt fragen können, wo du schon mal dort warst.
- Stimmt, hätte ich. Hab ich glatt vergessen.
- Na ja, es gibt Schlimmeres. Außerdem hat das Wort Küchenabwaschbeckendrehverschluss auch seinen Charme.
- In meinem Kopf hat sich was Ähnliches festgesaugt, so eine Art Dichterdenkverschluss. Der verkorkt reichlich uncharmant die Ganglien und verhindert jeglichen Gedankenfluss. Übel, übel.
- Und wie steht es mit deinem persönlichen "Schatzhaus der Erinnerungen" im Kopf? Kommst du da noch rein und kannst was anzapfen?
- Erinnerungen? Wo? Welche? Oje, selbst die Geburtstagsfeier meiner Schwester von neulich hab ich schon vergessen. Übel, übel.
- Ich helfe dir auf die Sprünge. Also, deine Schwester hatte ihren 50. Geburtstag, so wie du den Deinen letztes Jahr hattest . . .
- Äußerst übel. Danke, ich hab genug gehört.
- Oh, oh, wunde Stelle, jetzt tut was weh!
- Lass uns lieber über meine Verdauungsprobleme reden. Die tun mir auch weh. Wie grausam du mit mir umgehst
- Was? Die Vorgänge in deinem Bauch willst du zu Literatur verwursten? Also wirklich!
- Ja verflixt noch mal, bleibt mir sonst noch was übrig? Was denn? Soll ich etwa über dich schreiben?
- Über mich? Was gäbe es da schon groß zu sagen? Ich bin doch nur dein ungeliebtes Alter Ego, und ich kann mir schwerlich vorstellen, dass Betrachtungen über eine ungeliebte Person zu einem schönen Text führen.
- Ein guter Text muss ja nicht "schön" sein.
- Möglich. Ich versteh nichts vom Schreiben. Das ist dein Metier. Und lass das Rauchen jetzt. Du hast dir soeben die x-te Zigarette angezündet.
- Ach, halt deine Klappe / ich geh jetzt schreiben / und wird\'s eine Schlappe / DU wirst mir bleiben.
 

Languedoc

Mitglied
Krisensitzung mit Künstlerin

- Und? Wann hast du zuletzt geschrieben?
- Heute Morgen. Zwei, drei kurze Sätze ins Tagebuch hineingeschludert.
- Sätze hineingeschludert, so, so, die üblichen herzlosen Phrasen – stimmt’s, meine Gute? Ich kenne dich, du spuckst halbgegorene Gedanken aus und schmierst sie aufs Papier in einer Schlampigkeit, die dir alles Blut ins G’sichterl treiben sollte. Wo bleibt die liebe Disziplin? Nimm dich endlich zusammen!
- Das tu ich ja! Jeden Tag nach dem Frühstück zwinge ich mich, etwas in mein Buch zu schreiben.
- Dieses unleserliche Gekritzel? Das kann man nicht einmal entziffern! Geschweige denn verstehen, was du uns irdischen Gemütern Erhebendes zu künden hast.
- Eh nichts. Mir fällt nichts Gescheites ein. Ich denke nach und denke nach und trotzdem fällt mir nulli ein.
- Null? Glaub ich nicht.
- Halt, Moment: Es lebe hoch die Wurst Conchita / ganz Europ’ schlägt sie zum Ritta – das habe ich heute aufgeschrieben, und dann wusste ich nicht weiter. Das war’s gewesen mit dem Gold im Mund zur Morgenstund’.
- In der Tat nicht sehr ergiebig. Was ist los? Warum schreibst du nichts mehr?
- Mir fällt nichts ein, das sagte ich doch! Was soll ich schreiben, verflixt noch eins, wenn mir nichts einfällt? Schei…benkleister, verdammt!
- Du strengst dich nicht an, das ist es. Du bist nichts als ein fauler Sack, und ein Jammerlappen obendrein. Ein Tänzer muss täglich tanzen, ein Sänger singen und ein Schriftsteller eben schreiben. Setz dich hin und fang an, ein Wort nach dem andern, Satz um Satz!
- Was soll ich denn aufschreiben? Ha! Die Stadtgärtner haben die jahrelang leer gestandenen Gemüsebeete hinter dem Chapiteau bepflanzt, und zwar mit Kräutern für die Küche. Die hiesige Post kassiert für einen stinknormalen Briefversand 59 Eurocents – huch! Im Baumarkt um die Ecke konnte ich keinen passenden Stöpsel für den Küchenabwaschabfluss finden, obwohl ich mir die Augen bis zur Beinahe-Erblindung ausgestarrt habe, na, ist das der Hammer? Welch sagenhafte Neuigkeiten! Wie ergiebig, diese Beute meines heutigen Rundgangs durch die Stadt! Das einzig brauchbare Ergebnis besteht darin, bei der Post einen Brief aufgegeben zu haben.
- Zu Hause am Schreibtisch solltest du sitzen, statt durch die Gegend zu strolchen. Nimm dir ein Beispiel an den seriösen Autoren, die sich regelmäßig hinsetzen und konzentrieren und notfalls simple Schreibübungen machen, wenn ihnen nichts Besseres einfällt. Die lassen erst gar nicht einreißen, derart aus dem Tritt zu kommen, wie es dir offensichtlich passiert ist. Wie lange eierst du schon herum auf diese erbärmliche Weise?
- Seit der Reise zur Geburtstagsfeier meiner Schwester. Das war vor fast einem Monat. Zuvor hatte ich mein aktuelles Schreibprojekt in seiner dritten Fassung abgeschlossen bis auf zwei Kapitel, die ich komplett überarbeiten wollte. Aber ich komme in die Geschichte ums Verrecken nicht mehr hinein. Wie soll ich zwei misslungene Kapitel verbessern? Warum soll ich aus schlechten Quark einen besseren machen, wenn’s doch nur Quark ist und bleibt und wenn ich noch so heftig feile an dem dummen Topfen? Naa, sinnlose Maloche. Das wird nix.
- Lass halt die zwei Kapitel liegen und gib dem Käse Zeit zum Reifen. Inzwischen versuchst du was anderes. Du hast ja keine Abgabetermine oder dergleichen Druck von außen.
- Richtig. Kein Abgabetermin. Ich wünschte freilich, ich hätte einen. Ich wünschte, von irgendwoher hieße es: "Bitte liefern Sie bis Deadline dann und dann, wir brauchen Ihr Manuskript, unsere Leser warten sehnsüchtigst auf Ihren Roman!"
- Ach, das ist wirklich nicht das Wichtigste in deinem Stadium als Lehrling. Arbeite lieber anständig an deinen Geschichten, bevor du träumst von Scharen heißbegieriger Leser!
- Die müssten nicht einmal begierig sein. Ich wünschte mir einfach einen Leser, jemanden, der liest, was ich schreibe. Sonst schreib’ ich nur für die Luft und an die Wand. Das ist unendlich trostlos.
- Wer bist du: eine Künstlerin? Ja? Nein? Eher nein, oder? Ich glaube, du bist ein verkorkstes Biederfräulein, das nach der Experten Anerkennung buhlt, um die hohle Nuss alias ödes Innenleben nicht spüren zu müssen.
- Stopp, hör auf! Was fällt dir ein! Was weißt du schon von meinem Innenleben, von meiner Seele Dichterelend!
- Das wahre Elend ist, mit dir zusammen in einer Wohnung zu hausen und mitansehen zu müssen, wie schlapp du durch die Tage schlurfst. Du steckst mich an mit dieser Laschheit, das regt mich maßlos auf. Schau in den Spiegel, du abgehalftertes altes Weibsbild! Zum Schämen, deine Visage!
- Meine Falten? Dafür kann ich nichts! Und soll ich mich wegen der Tränensäcke aufhängen? Mann, in einer Woche bin ich einundfünfzig! Ich werde wohl noch alt werden dürfen!
- Natürlich darfst du alt werden, aber du versumpfst und lässt dich gehen. Du könntest dich ruhig ein bisschen schminken und frisieren und öfters schicke Klamotten überwerfen. Dauernd läufst du rum in diesen ausgebleichten Schlotterhosen.
- Das nennt man Schlabber, nicht Schlotter. Ich mag den Schlabberlook. Wozu soll ich mich in unbequemes G’wand hineinzwängen? Davon geht es mir auch nicht besser.
- Zumindest hätt’ ich einen hübschen Aufzug vor den Augen.
- Hübsch! Als ob ich je hübsch gewesen wäre!
- Hör auf, sofort! Schluss mit dem Gejammer und diesen blöden Ausreden. Hinsetzen und schreiben, marschomarsch!
- Ich will nicht. Ich kann nicht. Mir fällt nichts ein. Es ist sinnlos. Ich sterbe sowieso.
- Bravo. Und jetzt?
- Dead end.
- Na prächtig, aber so tot sind wir noch nicht, dass es nicht irgendwie weitergehen muss. Außerdem kannst du dich nicht einfach deswegen ins Grab legen, weil dein angebliches Methusalem-Alter ach so schwer auf deinem Haupte lastet.
- Ich spüre den Sargdeckel. Er klappert über mir.
- Ignorier ihn. Der kracht eben irgendwann herunter und dann merkst es eh nicht.
- Finstere Aussichten, fürwahr.
- Guck rundherum, anstatt nach oben, von wo der böse Klapperich herunterdroht.
- Hm, okay. Ist eh schon wurscht. Na schön, ich denk mal nach. Also, ich habe heute rumgeguckt und was hab ich gesehen? – Die Beete hinterm Chapiteau, mit Petersil und Kerbel, Thymian und Salbei, Oregano und weiß der Teufel welchen Kräutern noch – eine Überraschung, ehrlich. Bis vor Kurzem nämlich waren die Beete nackig, ich meine, es gab nichts als braune Erde und ausgedörrte Hundekacke! Saison um Saison sah es dermaßen öd und triste aus! Ich habe mich immer gewundert, warum die Beete brach liegen, wo sie damals echt aufwendig in Terrassen angelegt worden sind, hinein in den grasigen Hang, eingerahmt mit dicken Balken aus altem Holz, ein bildschöner Anblick. Es schien botanisch alles über die Klinge gesprungen zu sein in diesen Kästen, doch siehe da, wie aus heiterm Himmel hergeflogen sitzen jetzt die grünen Stauden drin und sprießen lustig in der Sommersonne. Wenn ich einen der Gärtner antreffe, werde ich ihn fragen, ob ich ein paar von den grünen Bombern pflücken darf.
- Gut! Aus dieser Munition mix ich dir was Feines in der Küche.
- Klingt verlockend. Petersilienpesto für eine straffere Haut?
- Und Thymiankartoffeln für ein warmes Bäuchlein.
- Gibt’s auch eine Mixtur gegen Dichterblockade?
- Wir werden es herausfinden. Dazu musst du allerdings eine Vorleistung bringen und zwei Verszeilen liefern. Allez hopp!
- Voilà: Wenn der Koch die Sauce rührt / der Dichter frische Säfte spürt.
- Na also. Übrigens, wem hast du eigentlich geschrieben?
- Geschrieben?
- Na, du hast einen Brief auf die Post gebracht.
- Ach so. Ich habe meiner Bank eine Kopie geschickt von meiner Aufenthaltsbewilligung. Die Behörde hat sie letzte Woche für drei Jährchen verlängert und meine Bank braucht den Bescheid für die Stammdaten betreffs meiner Person. Ich erledige sowas immer, bevor diesbezüglich eine dringende Aufforderung auf den Tisch flattert.
- Ah, die überkorrekte Kundin, da freut sich deine Bankberaterin. Ich freue mich ebenfalls. Demnach sind drei weitere Jahre Wohnen und Arbeiten hiermit genehmigt in unserem sonnenlichtverwöhnten Arkadien?
- Oui, mon pote. Ein Formalakt, kein Problem. Immerhin erfülle ich sämtliche Bedingungen, also gibt’s keine Hindernisse seitens der Amtsorgane.
- Stell dir vor, drei Jahre frei schaffen im Paradies, frei schreiben comme il vous plaira. Shakespeare höchstselbst würde dich beneiden.
- Ich bin nicht Shakespeare.
- Wie denn, nach erst zwei mickrigen Jahren Kritzelversuchen.
- Es ist so entmutigend. Fünf Geschichten von mir liegen auf den digitalen Plattformen herum und niemand liest sie. Klar, es sind Anfängerwerke, aber so mies sind sie auch wieder nicht. Warum liest sie niemand?
- Weil du nicht das geringste Marketing machst. So findet dich kein Mensch im Datennirwana, seien die Texte gut, seien sie schlecht.
- Hm. Stimmt wahrscheinlich.
- Marketing hin oder her. Halte dich besser an Rilke. Du kennst seinen Brief an einen jungen Poeten. Dort heißt es sinngemäß: Geh in dich - musst du wirklich schreiben? Drängt eine innere Notwendigkeit? Wenn es so ist, dann geh ans Werk und frage nicht, ob es „gut“ ist. Diese Einkehr an sich sei das Lohnende, meint Rilke, ganz unabhängig davon, ob sie zu edlen Versen führt oder zu was anderem. Du kennst doch Rilkes Brief?
- Äh … ja.
- Und? Hast du es ausprobiert mit dem In-dich-Gehen?
- Weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich seit einem Monat nichts produziert habe und ich unentwegt grüble, wie ich zu einem tauglichen Plot komme. Wovon meine neue Geschichte im Grunde genommen handeln soll. Ich bringe nichts zusammen und schön langsam werde ich verrückt.
- Ich bitte dich, was ist schon ein Monat? Es gibt Künstler, die haben jahrelang keine neue Idee.
- Aber wenn mir jetzt nichts einfällt, fällt mir am Ende nie mehr etwas ein, und von mir als Autorin bleibt nichts weiter übrig als ein paar ungelesene Erzählungen in der Internet-Cloud. Und wenn ein Meteor die Erde rammt und unsre Elektrifizität total vernichtet, dann sind die Datensätze erloschen und verloren für immer und auf ewig.
- Für immer und ewig! Allmächtiger, deine Befürchtungen möchte ich haben. Dann schreib in Gottes Namen einen tractatus philosophicus über die Ewigkeit.
- Ich bin kein Philosoph. Ich bin nicht einmal ein toter Dichter.
- Eine Nervensäge bist du. Formidable! Ich wünschte dich schon allein deshalb zurück an den Schreibtisch, um endlich wieder ruhige Stunden zu haben. Kannst du nicht einfach irgendwas schreiben? Es muss ja nicht gleich das eine große gewaltige Epos mit dem umwerfenden Megaplot sein.
- Mir fällt nichts ein. Nicht eine Zeile. Null. Nichts.
- Schreib über das Nichts.
- Ist überflüssig. Diese Aufgabe haben bereits größere Geister als ich besorgt. Wie vermessen wär’ es denn, denen etwas hinzufügen zu wollen aus der unbeholfenen Hand einer unterbelichteten Amateurliteratin?
- Bescheidenheit in Ehren, aber die deine ist allzu durchsichtig. Willst du die Wahrheit wissen? Du bist unerträglich arrogant.
- Nenn es, wie du willst. Ich weiß nur, dass ich nicht weiß, was ich schreiben soll.
- In diesem Falle rat’ ich dir: Lies deinen Rilke genauer. In seinem besagten Brief heißt es: „Retten Sie sich vor den allgemeinen Motiven zu denen, die Ihnen Ihr eigener Alltag bietet“ – und? Klingelt es bei dir?
- Motive aus meinem Alltag? Kräuterbeete vielleicht? Hundereinlichkeitserziehung? Pflanzenwachstumsproblematiken? Oder Briefportoberechnungen? Fragen über Fragen. Wie wär’s mit Küchenabwaschbeckendrehverschlüsse? Für diese ollen Dinger kenn ich nicht einmal den Fachbegriff. Wie heißen die eigentlich?
- Recherche, meine Liebe, Recherche. Ohne Recherche läuft gar nichts. Du hättest heute im Baumarkt fragen können, wo du schon dort gewesen bist.
- Stimmt, hätte ich. Hab ich glatt vergessen.
- Na ja, es gibt Schlimmeres. Außerdem hat das Wort Küchenabwaschbeckendrehverschluss auch seinen gewissen Charme.
- In meinem Kopf hat sich was Ähnliches festgesaugt, ich vermute, eine Art Dichterdenkverschluss. Der verkorkt reichlich uncharmant die Ganglien und verhindert jeglichen Gedankenfluss. Das ist übel.
- Und wie steht es mit deinem persönlichen „Schatzhaus der Erinnerungen“ im Kopf? Kommst du da hinein und kannst sie anzapfen?
- Erinnerungen? Wo? Welche? Oje, selbst die Geburtstagsfeier meiner Schwester von neulich hab ich längst vergessen. Übel, übel.
- Ich helfe dir auf die Sprünge. Hör zu, deine Schwester hatte ihren fünfzigsten Geburtstag, so wie du Deinen Fünfziger letzten Sommer hattest …
- Äußerst übelst. Mein Lebenslicht ist am Erlöschen. Wie grausam du mit mir umgehst.
- Oh, oh, dein Alter, ein wunder Punkt, jetzt tut’s weh!
- Apropos Schmerzen, lass uns gleich über mein Verdauungsgewürge reden. Das tut mir nämlich richtig weh.
- Wie bitte? Die Vorgänge in deinem Bauch willst du zu Literatur verwursten? Mensch Mädchen!
- Himmel Arsch verflixt verflaxt, was bleibt mir sonst denn übrig? Sag mir, was? Wo ist mein Plot?
- Na?
- Plot, oh Plot, wo bist du?
- Hier!
- Soll ich etwa über dich schreiben?
- Über mich? Was gäbe es da schon groß zu sagen? Ich bin nichts als dein ungeliebtes Alter Ego, und ich kann mir schwerlich vorstellen, dass Betrachtungen über eine ungeliebte Person zu einem schönen Text führen.
- Herzchen, ein guter Text muss nicht „schön“ sein.
- Möglich. Ich bin kein Kritiker. Das ist dein Metier.
- Böse Dinge werd’ ich jagen durch das Tintenfass!
- Tja, dann kommen deine Laster mal beinhart aufs Papier. Nebenbei bemerkt, die Pastisflasche ist leer und soeben hast du dir den zehnten Sargnagel angezündet.
- Ach, halt’ du deine Klappe / ich gehe jetzt schreiben / und wird’s eine Schlappe / DU wirst mir bleiben.
 



 
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