Kurstag beim Arbeitsamt

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van Geoffrey

Mitglied
Ein Kurstag beim Arbeitsamt


Die Kursleiterin heißt Frau Weinböck und wir dürfen sie duzen.
Sie ist Psychologin.
In den kalten Kellerräumen meines Unterbewusstsein echot es: Psychologin, Psychologin, ...
N. ist der Grinser der Nation.
Er wird uns noch einmal alle niedergrinsen -
Auch und selbst den Bundespräsidenten.
Selbst den Verteidigungsminister -
Pf, was sind schon ein paar Panzer.
Mein Sitznachbar ist ein sympathischer Mann mit viel Willenskraft.
Trotzdem - einen Panzer könnte er NICHT niedergrinsen.
Das ist N's Job.
Barbara, der Kursteilnehmerin der ersten Kurswoche weiche ich aus.
Sie hat die unfassbar aufdringliche Angewohnheit,
Mich schöner Mann zu nennen.
Eine andere Kursteilnehmerin ist eine gründliche Zeitungsleserin.
Sie sagt: Heute geht es um 15 Millionen im Euromillionen Jackpot.
Ein anderer: Schoen wärs.
Die Campusgebäude sind rosa-orange Ziegelbauten -
Wie Punschkrapfen.
Die Kursleiterin bzw. Pszchologin mag Grünzeug.
Eine Pflanze, die ich als zu klein geratene Amaryllis ansehe
Neigt ihre Blüte über den Psychologinnenschreibtisch.
Sie könnte tagelang mitfühlend reden. Bis alle eingeschlafen sind,
Selbst der Bundespräsident.
Mein Sitznachbar zeichnet etwas, das wie ein Feld mit Saatrillen aussieht
Oder wie ein Weg, der zum Horizont zu ziehen scheint, und der kein Ende andeutet.
Der Weg, wenn es einer ist, ist noch nicht, oder eben erst beschritten worden.
Ein Kursteilnehmer sieht aus wie Papa Putz aus der Werbung.
Im Kurs sitzen 2 Zeichner. Halt - 3 wenn man mich hinzuzählt.
N. kann immer noch wie ein Haifisch grinsen.
Ein neues Mädchen als Sitznachbarin.
Sie sieht wie ein Küken mit hinten hochgestecktem Zopf aus.
Sie gehört zur Partei der Zeichner.
Die Psychologin verliest den Hippokratischen Eid
Und würgt meinen Versuch ab, die Diskussion auf den Verlust der Ärztlichen Ethik zu lenken.
Das Haarband des Mädchens sieht wie ein Häuflein Sahne aus.
Also muss es weiß sein. Ja, richtig: es IST weiß.
Wir notieren unsere Ziele und welche Schritte es braucht, diese zu erreichen.
Einer will eine Frau.
Ich bloß einen Job.
Wir sind eben alle unterschiedliche Individuen.
Tarzan ist ein Gentleman.
Deshalb ist er mein Vorbild.
Deshalb will ich nicht in diesem Kursraum sitzen,
Sondern im dampfenden Dschungel sein.
Ein Kursteilnehmer sieht wie Gorbatschow mit langen Haaren aus.
Unterforderung ist eine schwere Misshandlung der Seele.
In diesem Kurs sitzen IST eine Unterforderung.
Meine Gedanken sind einsame Schiffe zur See,
Die zum Horizont wollen.
Sie lassen die Psychologin auf ihrer Insel zurück.
Sie soll unter tropischer Sonne Handschuhe stricken.
 

Perry

Mitglied
Hallo van Geoffrey,

leider hatte ich nie das zweifelhafte Vergnügen an so einem Kurs teilzunehmen, weshalb ich mit Interesse die Internas des LI verfolgt habe. Nun das Fazit scheint klar, "Wir sind eben alle unterschiedliche Individuen" und leider erst ganz zum Schluss wirds dann doch noch etwas poetisch,

"Meine Gedanken sind einsame Schiffe zur See,
Die zum Horizont wollen.."

Gern Gelesen und LG
Manfred
 

Tula

Mitglied
Hallo van Geoffrey

Zitat:
Unterforderung ist eine schwere Misshandlung der Seele.

Das hat dein Text sehr schön herausgearbeitet!

LG
Tula
 

van Geoffrey

Mitglied
Hallo, Manfred!

Danke für die Kritik!
Ja, ich hatte auch so meine Zweifel, ob ich das unter "Ungereimtes" reinstellen soll oder doch lieber unter "Kurzprosa" oder "Fingerübungen".

Die Einblicke in die Kurswelt der vom Arbeitsamt angebotenen Kurse ist freilich subjektiv.

Mein Verdacht in diesem Kurs war, man wolle uns durch subtile Foltermethoden (Untätigkeit und Unterforderung) dazu anstacheln, um so aktiver nach Arbeit zu suchen.
Allerdings meine ich, dass das bei denen, die nicht wollen, nicht hilft und bei denen, die arbeiten wollen auch eher kontraproduktiv wirkt, weil es Frustration bewirkt.
Alles in diesem Text habe ich so geschrieben, wie es sich - unter dem Aspekt meiner "subjektiven Brille" - mir dargestellt hat.
Man fühlte sich permanent wie ein Kleinkind gegängelt, als sei man unmündig. Vom Programm abweichende Vorstellungen wurden nicht akzeptiert.
Das Arbeitsamt (hier in Österreich AMS genannt) beauftragt Subfirmen mit der Durchführung dieser Kurse. (Das Institut, bei dem ich diesen Kurs hatte, habe ich im Text bewusst nicht namentlich genannt.) Diese Institute verweisen dann natürlich auf eine gewisse "Erfolgsquote" - weil die Arbeitsuchenden ja ohnehin auch ohne deren Zutun innerhalb der Kursdauer Arbeit gefunden hätten. Somit wird hier mit hohem finanziellem Aufwand ein "Beratungsmarkt" geschaffen.
Das Pradoxon lautet: Arbeitslose schaffen Arbeitsplätze DURCH ihr Arbeitslossein.
Wirklich weiterführende Kurse, die in meinem Beruf hilfreich wären, habe ich noch nie bekommen, obwohl theoretisch die Chance dazu besteht. Hatte immer "zu rasch" Arbeit gefunden, um in den Genuss der spezifischen Kurse zu kommen.
 

van Geoffrey

Mitglied
Hallo, Tula!

Danke - ja, ich bin verschiedentlich mit Unterforderung konfrontiert gewesen, und habe tatsächlich gefühlt, dass damit eine stumme Qual verbunden ist, die mit der Bestimmung des Menschen, wenn nicht der Menschheit zusammenhängt, tätig und nützlich zu sein.

Der Kurs war freilich eine halb angenehme, halb quälende Unterforderung.
Seltsam, wie schnell Kursleiter bereit sind, andere Erwachsene wie Unmündige zu behandeln. Das ist auch so ein Punkt, wo ich finde, dass diese Institute, die diese Kurse anbieten, an der Wirklichkeit vorbei gehen.
 



 
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