Kurt auf dem Bürgerbüro

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Elbbatz

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Kurt hatte für seine betagte Mutter allerlei zu erledigen. Da waren die Weiterzahlung des Wohngelds und eine Ermäßigung der Hundesteuer zu beantragen, eine Kopie des Rentenbescheids musste beglaubigt werden und dergleichen mehr. Jemand riet ihm, ein Bürgerbüro aufzusuchen. Dort könne man alles bei nur einem Berater erledigen, müsse also nicht auf der Suche nach dem richtigen Ansprechpartner durch die Korridore der kommunalen Macht irren.
Nun ja, irren musste Kurt schon, ehe er das Bürgerbüro versteckt hoch droben im Gebäude mit den vielen Einkaufstempeln entdeckte. Eine kundige Bürgerin wies ihm schließlich den Weg. Durch die verbotene Tür neben dem Schuhgeschäft, über die steile Rampe links vom Drogeriemarkt und dann einfach vier Stockwerke hinaufsteigen. Ja, es gebe auch einen anderen Eingang, bequem mit Aufzug, doch den finde man nur mit diesen neumodischen Geräten, und er habe doch wohl keinen Satelliten bei sich.
Atemlos kam Kurt im Büro an. Kurz darauf rief die jugendliche Beraterin schockiert: „Er hat keinerlei Ausweise mit!“. Das hörten alle im Bürgerberatungssaal: die drei anderen Beraterinnen und die Ratsuchenden, die nun diesen seltsamen Mann ohne Ausweis kritisch musterten. Eine der Beraterinnen telefonierte kurz und leise.
Kurt fühlte sich elend. Der Ausweis steckte noch in dem neuen Sakko mit den modischen Längsstreifen, das er für das Bürgerbüro nicht passend gefunden hatte. Er bereute das sehr. Lieber aufgedonnert als ohne Ausweis. Jetzt war er ein Niemand, eine Null, eine Unperson ohne Identität. Der Ausweis, dass wusste er doch, sagte der Behörde mehr über ihn als er selbst. Und das Fehlen des Aus-weises ließ Abgründe erahnen.
Schon sah er zwei bullige Polizisten auf sich zukommen, die ihn barsch abführten und der Ausländerbehörde zwecks Einbürgerungstest überstellten. Wie war noch der zweite Vorname von Angela Merkel? Es fiel ihm nicht ein. Oh, er würde mit Pauken und Trompeten durchfallen. Zumal er mit der neuen Rechtschreibung nicht zurecht kam. Oder zu Recht kam? Zurechtkam?
Man würde ihn abschieben. Aber wohin? Gab es irgendwo auf der Welt ein Land ohne Personalausweise und Rechtschreibreform? War es dort sengend heiß oder eisig kalt? Wimmelte es von Skorpionen, Entführern oder gar kommerziellen Volksmusikanten?
Doch dann lief alles glimpflich ab. Kurt musste der Beraterin versichern, Kurt zu sein, der ganze Kurt und nichts als Kurt, so wahr ihm das Bürgerbüro helfe. Und baldigst wiederzukommen, mit Ausweis.
Er bedankte sich mit Tränen in den Augen und wollte gehen. Da aber betrat der Herr den Raum. Mit kornblumenblauen Augen und eben solcher Krawatte auf blütenweißem Hemd. Sein Sakko hatte modische Längsstreifen.
„Der Amtsleiter“, wisperte Kurts Beraterin, dann wurde es ganz still. Langsam kam der Herr auf Kurt zu.
„Darf ich Sie in mein Dienstzimmer bitten?“
Kurt zitterte. Also doch Hitze, Skorpione und Volksmusik? Wie aus weiter Ferne hörte er: „Sie sind der fünftausendste Besucher im neuen Bürgerbüro.“
Den nächsten Satz hörte er nicht mehr. „Und der erste, der uns hier umkippt.“
 



 
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