Kurz vor Mitternacht

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MIO

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„Wilhelm! Wilhelm! Du schnarchst wieder!“
Hermine rempelt ihren Mann kräftig zwischen die Rippen.
Wilhelm zuckt zusammen und reißt die Augen auf.
„Hermine. Ist was passiert?“
„Nein. Was soll hier passieren? Du wolltest mit mir den Dokumentarfilm über Pinguine anschauen. Stattdessen grunzt du wieder wie ein sabberndes Wildschwein.“
„Ich wollte den Krimi im Ersten sehen.“
„Ja, dann liegst du wieder stundenlang wach und machst dir vor Angst in die Hosen.“
„Hermine, was klappert hier?“
„Hier klappert nichts.“
„Doch. Hast du die Terrassentür offen gelassen?“
„Die hab ich gerade aufgemacht. Wegen der Hitze.“
„Du weißt doch, da draußen lauert die ganze Bagage.“
„ Welche Bagage?“
„Einbrecher, Gangster, Diebe, Raubmö…“
„Halt den Mund Wilhelm. Ich möchte den Pinguinfilm zu Ende schauen.“
„Telefon, Hermine. Das ist sicher Else. Sie hat heute schon drei Mal angerufen.“
Sie stehen Beide auf. Hermine geht in den Flur. Wilhelm schließt die Terrassentür. Zurück in seinem eingesessenem Sessel seufzt er ein paar Mal schwer in das Ticken der Wanduhr, das Kreischen der Piguine und Hermines säuselnde Stimme.

Plötzlich fliegt mit einem fürchterlichen Knall, ohne jegliche Vorwarnung die Terrassentür aus ihren Angeln. Glassplitter fliegen durch das Wohnzimmer. Aus dem Nichts erscheint eine finstere Gestalt vor ihm. Übergroß. Die Schultern breit, wie die von Arnold Schwarzenegger. Das Gesicht hinter einer schwarzen Maske verborgen, die nur eisige Blicke freigibt. Sie bohren sich tief in Wilhelms Augen. Der Revolver in Arnolds Hand zielt mitten in sein Herz. Ein zweiter Ganove taucht in der Tür auf.
„Ich hab den Wagen klar gemacht“, sagt er.
„Hände hoch!“, schreit der Erste mit verzerrter Stimme.
„Mitkommen!“
Wilhelm hebt die Arme. Sein Körper bebt. Kalter Schweiß läuft ihm den Rücken herunter. Ihm wird schwindlig.
„Steh endlich auf du alter Sack“, schreit der Typ, der ihn an seinen Helden Arnold erinnert. Grob packt er ihn am Arm, zieht ihn hoch und schiebt ihn in Richtung Tür. Wilhelm läuft wie in Trance, den Lauf des Revolvers im Rücken. Eine kratzige, tiefe Stimme überfällt sein Ohr.
„Kein Laut Opa! Sonst bist du tot!“
Sie gehen durch den Vorgarten zur Straße. Dort öffnet der Kleinere die Tür eines Geländewagens.
Arnold stößt Wilhelm brutal auf den Rücksitz und setzt sich neben ihn. Vorn beginnt der andere nervös mit zwei losen Kabelenden zu hantieren. Funken sprühen.
Der Motor stottert ein paar Mal, jault auf und läuft.
„Gib Gas!“, sagt Arnold.
Sie rasen durch die Stadt, Wilhelm schlottern die Knie.
„Pass auf, du Idiot!“, brüllt Arnold an einer roten Ampel.
Die Reifen quietschen. Das Auto rutscht quer über die Straße. Kurz vor einem Laternenpfahl bleibt es stehen. Wilhelm kracht mit dem Kopf gegen den Vordersitz. Im Revolver löst sich ein Schuss, der die Scheibe sprengt.
„Du Volltrottel! Willst du uns die Polizei auf den Hals hetzen“, zischt Arnold und stößt seinem Vordermann die Waffe zwischen die Schulterblätter.
Der startet erneut, setzt zurück und fährt weiter. Vor der Bank halten sie an.
„Aussteigen.“
„Nun zeig mal was du drauf hast“, raunt Arnold seinem Kumpel zu. An der Hintertür bringt dieser ein Säckchen mit einer Lunte an. Er hält ein Feuerzeug an die Zündschnur. Kurz darauf gibt es einen dumpfen Laut. Die Tür springt auf.
„Los vorwärts.“
In der Bank gelangen sie mit zwei weiteren Sprengsätzen in den Tresorraum. Wilhelm überlegt fieberhaft, warum ihn die Gangster hierher gebracht haben. Postwendend erhält er die Antwort. Arnold schiebt ihn vor den großen Safe.
„So jetzt bist du dran. Öffne den Safe.“
„Ich? Den Safe?“
„Tu nicht so blöd. Du bist doch der Bankdirektor.“
„Der Bankdirektor? Der wohnt im Haus nebenan.“
„Nebenan?“
„Denny, du hast gesagt der Bankdirektor wohnt in Nummer Sieben.“
„Sieben. Fünf. Acht. Was macht das schon?“
„Was macht das schon?“
„Fuck. Fuck. Fuck. Denny. Du gottverdammtes Rindvieh!“
Arnold stürzt sich wutentbrannt auf seinen Kumpanen. Er versetzt ihm einen kräftigen Kinnhaken. Der kracht taumelnd auf den Boden. Arnold zielt mit der Waffe auf Dennys Kopf und drückt ab. Einmal, zweimal, dreimal …
Blut spritzt. Denny bäumt sich stöhnend auf. Mit stumpfen, angsterfüllten Augen sackt er leblos zusammen.
Der Gangster dreht sich um.
„So Alter, jetzt bist du dran!“
Wilhelm starrt in den Lauf des Revolvers. Nein, er wird sich nicht kampflos ergeben. Er holt tief Luft, sieht Arnold fest in die Augen und sagt mit einer ihm unbekannten Stimme, die tief aus seinem Inneren kommt.
„Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich stinksauer.“
Er nimmt all seinen Mut zusammen, brüllt wie ein Löwe, vor dem Angriff, setzt zum Sprung an und stürzt sich auf den
verdutzten Verbrecher.

„Bist du total übergeschnappt. Warum schreist du so?“
„Hermine, wie kommst du hier her. Schau. Ich werde ihm wie einem Hühnchen das Genick brechen.“
„Wilhelm, hast du Fieber?“
Morgen Abend, denkt Wilhelm, während er langsam zu sich kommt. Morgen Abend, sehe ich mir meinen Krimi an. Schwerfällig erhebt er sich aus seinem Sessel und schlurft ins Schlafzimmer.
 

Soean

Mitglied
Schade, dass hier noch niemand etwas zu geschrieben hat.

Ich finde den anfänglichen Dialog sehr gestolpert, aber dennoch witzig.

Die Wendung finde ich super. Allerdings wurde Wilhelm doch bereits wärend des Dialogs von seiner Frau aufgeweckt oder verstehe ich das falsch? Hat Wilhelm diesen Dialog ebenfalls geträumt?

Die Wendung und die Pointe dahinter, dass er seinen "verdammten Krimi" gucken möchte, finde ich super und auch gelungen.

Schöne Idee!
 



 
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