Kurzbesuch

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Nina K

Mitglied
Er holt mich vom Bahnhof ab. Das hat mich die ganze Zugfahrt beschäftigt. Wir werden alleine im Auto sitzen und wissen, worum es geht. Zur Ablenkung stelle ich den Walkman so laut, dass mein Sitznachbar hustet. Dann geh ich in’s Bistro und trink einen Kaffee.

Als der Zug einläuft, stehe ich im Mantel an der Tür, die Tasche geschultert. Der Bahnsteig wäre auf der anderen Seite, aber ich will nicht gleich sehen, wie er da steht. Dann kreischen die Bremsen und ich muss nun raus. Ganz hinten an der Treppe ist er und hebt kurz die Hand, die beige Wildlederjacke über der Schulter. Mir ist irgendwie schlecht und ich würde gern rauchen. Das geht hier jetzt aber ja nicht. Ein Nichtraucherbahnhof und mein Dad ist auch da, der es sich abgewöhnt hat, wenn auch irgendwie nicht. Er kommt nah, nimmt mich in den Arm und alles ist anders. Ich schäme mich fast, denn er ist wirklich sehr traurig.

Wir fahren zum Krankenhaus, einfach stillschweigend. Ich war lange nicht hier und blicke aufmerksam um mich. Eigentlich erkenne ich nichts und ich will auch nichts sehen. Aber ich denke, es passt so. Wir parken auf dem Krankenhausparkplatz und Dad holt umständlich einen Beutel aus dem Kofferraum. „Obst“, sagt er und er tut mir sehr leid. Dann zeigt er auf ein Fenster, rechts oben im zweiten. „Da liegt sie, das ist ihr Fenster. Der Blick ist ganz schön…“.

Wir gehen am Empfang vorbei und grüssen gleichzeitig. Dann bleibe ich immer einen Schritt hinter ihm, weil ich nicht weiß, wo wir hin müssen. Er geht zum Fahrstuhl und drückt auf den zweiten. Fahrstühle und Krankenhäuser finde ich furchtbar, aber wer mag die schon? Dann gehen wir Richtung Intensiv und da ist eine Klingel. Er drückt kurz. „Ja, bitte?“ Er sagt, wir wollen zu ihr und die Stimme sagt, wir sollen warten, weil der Arzt erst mal kommt. Jetzt schweigen wir wieder, bis die Tür summt. Dann sind wir in einer Schleuse. Es summt wieder. Er drückt die zweite Tür auf und wir stehen im Flur.

„Meine Tochter ist eben angekommen“, sagt er und zeigt auf mich. Der Arzt gibt mir die Hand. Ob ich bescheid weiß, will er wissen. Ich nicke, „darf ich jetzt zu Mum?“ Er schaut mich an und meint, ob mir klar ist, wie es um sie steht. Dann gehen wir den Gang runter. Ich gucke stur auf den Boden. Ich will nicht durch die Scheiben rechts und links in die Zimmer sehen. Ich bin wegen Mum hier.

Sie sieht plötzlich alt aus, so klein und so grau und der Mund ist verzerrt. Sie schaut mich an. Der Blick ist glasig und ich denke, sie weiß grad nicht, wer ich bin. Ich gehe zu ihr, nehme sie in die Arme und sage laut „Hallo, Mum. Gut, Dich zu sehen.“ Da lacht sie leise. Dann schiebt sie mich weg, schlägt die Decke zurück und zeigt mir ihren Katheter. „Guck mal, so einfach kann es sein“ und sie lacht noch mal so schräg. Dann plötzlich flüstert sie ganz verschwörerisch: „Ich wollte das nicht, das weißt Du doch wohl!“ Ich decke sie sanft wieder zu. „Mum, nur das hat Konsequenzen“, murmele ich leise. „Du hast wirklich schöne Haut“, sagt sie da, und guckt mir in den Ausschnitt. Dann kommt endlich die Schwester und bringt was zu essen. Ich frag sie, wo Dad ist und wäre plötzlich ganz froh, wenn er da wäre.

Als ich mit Dad in ihr Haus fahre, denke ich, dass wir morgen noch mal hingehen werden. Aber dann darf ich heim. Ein Heim ist manchmal gar nicht so schlimm. Und dann lach auch ich etwas schräg und mein Dad guckt verbittert.
 

Roni

Mitglied
hallo nina,

ohne schnoerkel, ohne ruehrseligkeit - und dennoch enorm viel stimmung. gefaellt mir gut.
vielleicht koenntest die letzten zwei saetze auch streichen.

lieben gruss
roni
 



 
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