Kurzgeschichten/1+2

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Ankurei

Mitglied
Fortsezung "Der Hobbykiller"

1. Im Namen der Menschlichkeit

Mag man mich auch für einen Pöbelhahn halten – gleich zu Anfang muss ich mein geplagtes Herz ausschütten und berichten, mit welchen Unzulänglichen meiner Köchin ich mich Tag für Tag herumzuschlagen habe. Steif und fest behauptet sie, das für mein Wohlbefinden lebensnotwendige Vitamin A stecke ausschließlich in Karotten, Sellerie, Brokkoli oder aber Erbsen. Woher mag sie dieses Wissen beziehen? Ich hingegen weiß nämlich bombensicher, dass Vitamin A in der Regel in Pommes mit Mayonnaise steckt, vereinzelt auch in Vollmilch-Nuss-Schokolade oder Chili Con Carne. Zwei Behauptungen, zwei Meinungen, doch ziehe ich als Haustier insofern den kürzeren, zumal ich bei Essenszubereitungen noch immer nichts zu melden habe.

Obwohl ich mich mehrmals darum bemüht habe, hier Wahlen auf die Beine zu stellen, damit endlich gewährleistet ist, dass auch meine Interessen ausreichend vertreten werden und ich Mitspracherecht erhalte, wenn es um die Abläufe in unseren vier Wänden geht, hat sich diesbezüglich nicht viel getan. Man behandelt uns halt auch weiterhin wie Pfiffi oder Waldi, erwartet im umgekehrten Fall jedoch, dass wir die Intelligenz mit Löffeln gefressen haben.

Außer der Chefin mischt hier auch noch der Oberboss bei uns mit, den ich mir vor nunmehr sieben Jahren als Sparring-Partner auserkoren habe. Es gibt Zeiten, in denen ich ihn in Ruhe lasse, bevor er schlapp macht oder mich gar zum Teufel jagt, aber die meisten Monate des Jahres muss er fest mit meiner Gegenwart rechnen. Er verdient den Zaster für meine Ernährung durch Kunstmalerei, weshalb ich mich bei ihm einschleime und ihn „Picasso“ nenne.

Unser Mütterlein hat mit Aufbesserung der Haushaltskasse nun überhaupt nichts an der Haube und steht uns daher den ganzen Tag zur Verfügung. Durch meine Ausbildung, die nicht immer einfach war und weswegen mir oft genug der Kragen zu platzen drohte, ist sie heute aber dazu in der Lage, regelmäßig und gewissenhaft mit Feudel und Staubsauger hinter uns her zu rennen, bis die Bude wieder glänzt. Keine einfache Aufgabe, das gebe ich ja gern zu, doch „Übung macht den Meister“, und wer rastet, der rostet“.

Halbgeschwister habe ich auch noch, aber die gehören nicht zu meinem Schwarm, sondern zu dem der Gegenseite. Ab und zu tanzen die hier mal an, mosern am Verhalten meiner Frau oder mir herum, verschwinden jedoch meist durch die Öffnung, wo der Maurer das Loch gelassen hat.

Im Grunde genommen bin ich ein friedlicher Mitbürger und eine Seele von Papagei, doch bei o.g. Unzulänglichkeit von seiten meiner Frau Mutter bleibt es leider nicht. Will ja nicht behaupten, dass sie mich bei Gänsewein und Körnern verhungern lässt, doch die meisten angeschafften Lebensmittel wandern umgehend in den Tresor, nachdem sie ins Haus geschleppt wurden. Außerdem tut sie sich mit dem Wort „Tempo“ ein wenig schwer. Steht sie endlich am Herd, wird in Töpfen und Pfannen herumgerührt, hin und her gesprungen, so dass es mitunter bis zu einer halben Stunde dauert, bis die Mahlzeit endlich auf dem Teller liegt. Da kann man sich den Schnabel dusslig quatschen, sie auch schocken, indem man in die Nähe der heißen Topfinhalte fliegt, es hat bisher nichts gebracht, und ich wage zu bezweifeln, sie jemals zur Olympiade der Köche anmelden zu können.

Als sie mich vor vielen, vielen Jahren zur Sprachausbildung geschickt hat, war ich anfangs überhaupt nicht davon begeistert. Was soll das, dachte ich mir, man kann auch mit herzhaften Bissen auf sich aufmerksam machen, doch heute weiß ich, dass der Kurs gut für mich und für sie kein weggeschmissenes Geld war. Ich bin mehrsprachig, beherrsche Worte aus Politik, Kultur, der Glotze oder dem Radio, kann längere Sätze zu Gehör bringen und Wahlreden halten.

Werde ich ungerecht von der Opposition angemacht – ich weiß, mich zu wehren. Es gibt Situationen, wo sie mich zusammenstaucht oder mit Blumenspritzflaschen einzuschüchtern versucht. In solchen Momenten ist mir mein Sprachschatz insofern nützlich, als dass ich exakt mit den Worten kontern kann, die mir regelmäßig an die Haube geschmissen wurden. Als besonders zugkräftig bezeichne ich meine Angewohnheit, genau die unfreundlichen Worte von mir zu geben, die sie bereits für mich in petto hat. Ist sie noch dabei, Sätze wie: „Hörst Du damit auf?“, „Jetzt ist aber Schluss“ oder „Los, ab, aber ganz schnell“ zu formulieren, habe ich ihr genau diese Satzfolge längst hingeklatscht, was mir anschließend entweder Knast oder aber Gelächter ihrerseits beschert. Vorher weiß man leider nie, zu wessen Gunsten das Wortgefecht ausgeht.

Ich setze voraus, dass auch Nussknacker mal Kinder waren, denen man eingetrichtert hat, wie ein braver Mensch sprechen sollte. Seit meiner Adoption bin ich jedoch der Auffassung, dass man sich fürs Mütterchen diesbezüglich nicht viel Mühe damit gegeben hat. Sie schmeißt mit Kraftausdrücken wie „Du Zombie“, „Monster“ oder „Verdammter Bengel“ rum, als handele es sich ums Ave Maria. Umgekehrt behauptet sie aber, dass ein Papagei in keiner Weise lustig wirkt, wenn er Kraftausdrücke benutzt. Wer soll das bitte verstehen?


2. Warten auf die Hinrichtung

Gnä’ Frau hat Gäste eingeladen. An und für sich kein Beinbruch. Geht man allerdings von der Tatsache aus, wie oft ich selbst schon Gäste bewirten durfte, wäre jeder Richter voll auf meiner Seite, denn außer einem geistig verwirrten Welli, der außerdem automatisiert und zum Roboter umfunktioniert wurde, da er von morgens bis spät in die Nacht den gleichen Mist quasselte, gehen hier mitunter zwar komische Vögel aus und ein, jedoch keine echten, keine Papageien, meine ich.

So, besagte Gäste hielten sich also in meinen heiligen Hallen auf, zogen wie auf Kommando die Birne ein, wenn ihnen meine Flughöhe als zu gering erschien und ließen den Herrgott einen guten Mann sein. Aus dem Abend hätte man im Grunde genommen noch was machen können, wären meine aufmerksamen Ohren nicht an einem Gesprächsfetzen hängen geblieben, welcher lautete: „Willst Du Dir das wirklich antun? Auf zwei Vögel, wie Bogi und Pyka aufzupassen, erforderte viel Geduld, Zeit und starke Nerven“. Muss man da zwei und zwei zusammenzählen, um hinter die Brisanz der Aussage zu gelangen? Verduften wollen sie, sich vom Acker machen, verdünnisieren!!!

Mir standen die Federn zu Berge, wie gelähmt war ich. Sah bereits die Zeitungsüberschrift der nächsten Tage vor meinem geistigen Auge: „Papageien verhungert“, oder „Luxusreisen zu Ungunsten befiederter Schutzbefohlener“. Man weiß ja, was die Revolverblätter so schreiben, doch in meinem Fall hätten sie wahrscheinlich eher untertrieben. Nervenzermürbende Tage und Wochen lagen vor uns. Pyka zog schon den Bürzel ein, sobald sie Hufgetrappel im Treppenhaus vernahm. Jeden Tag konnte es so weit sein, dass man Hänsel und Gretel aus uns macht. Meine Frau und ich irren durch den Wald und landen im Backofen einer älteren Dame. Nur stellte ich es mir nicht einfach vor, wie Hänsel Brotvorräte in der Tasche zu behalten, um später damit eine Spur für den polizeilichen Suchtrupp zu legen, zumal ich ernsthafte Schwierigkeiten damit habe, Nahrungsmittel unangetastet mit mir rumzuschleppen. Kennt man sogar aus der Werbung: „Wenn der kleine Hunger kommt“.

An einem sonnigen Montagmorgen. Ich war bereits seit Stunden auf den Beinen und staunte nicht schlecht, als selbst Königin Mutter zu dieser Tageszeit gut gelaunt durch mein Zimmer hüpfte. Dass da was im Busch war, konnte ich an meinen manikürten Krallen abzählen. Vielleicht wollte sie ja zur Frühmesse in die Kirche oder gar eine Arbeitsstelle antreten? Letzteres konnte ich mir eigentlich schlecht vorstellen, nur blieb mir wenig Zeit, um auf die Lösung zu kommen, denn es bimmelte an der Wohnungstür. Die kannte ich, die eingelassen wurde. Nicht näher, nur ist sie mir bisher nicht weiter aufgefallen, jedenfalls nicht unangenehm. Sie nannte sich Andrea und war tatsächlich mit Koffern erschienen, um bei uns einzuziehen. Ein rohes Karnickel, also ungebraten, hatte sie auch dabei.

Es folgte ein theatralischer Abschied, Küsschen hier, Küsschen da. „Tschüß, meine süßen Mäuse. Schön artig sein. Mami kommt bald wieder“. Bla, bla, bla, kennt man doch, das Gesülze, wenn das schlechte Gewissen plagt. Selber artig sein. Gar nicht erst die Flatter machen, sondern lieber um die Pflichten kümmern, die man sich durch Adoption eines Papageis aufgebrummt hat. Auflehnen brachte nichts, zumal sich die Lage wohl nicht mehr ändern ließ. Ich schloss die Augen, machte auf schlafbedürftig und betete zum Geiergott, er möge eine Wende eintreten lassen, doch als ich sie wieder öffnete, war mein Schicksal längst besiegelt. Tja, sagte ich mir. Bogi, mach was draus.

Andrea entließ ihren mitgebrachten Hoppler in eine Art von Laufstall für Kleinkinder, nur etwas mickriger. Man füllte den Behälter mit duftendem Heu auf, damit man sein Kackeknödel nicht sehen muss, gab ihm Wasser und undefinierbaren Körnerkram und forderte mich dreist auf, Meister Lampe nicht in die überdimensionalen Lauscher zu beißen.

Ich kramte meine Hasskappe raus, stülpte sie mir über den gelben Scheitel und stellte das Programm ‚komm mir bloß nicht in die Quere’ ein. Pyka fiel mir natürlich in den Rücken und begann ein Gespräch so von Frau zu Frau, ließ sich zu meinem Entsetzen dabei sogar mit Maisstücken bestechen. Weiber! Jetzt stellte ich noch die letzte meiner Kopffedern kerzengerade zur Schau, verkleinerte die Pupillen auf Stecknadelgröße und versuchte mein Glück mal mit Knurren „Marke Rottweiler“. Hat gesessen, denn Andrea wich tatsächlich ein paar Schritte zurück, quatschte uns jedoch weiterhin voll.

Meine innere Stechuhr verriet urplötzlich, dass es an der Zeit war, ein Brüllkonzert zu veranstalten, denn ohne Aufmerksamkeit zu erregen, bleibt die Knasttür erfahrungsgemäß geschlossen. Keine zehn Sekunden hat’s gedauert, bis die Haushaltshilfe angeprescht kam, um uns in die Küche zu bitten. Ihre Aufforderung, sie zu Tisch zu begleiten, hätte sie sich und uns ersparen können, denn wohin sollten wir um diese Tageszeit wohl sonst fliegen? Die Tafel war bereits gedeckt, aber vollkommen falsch. Seit wann steht mein Teller links, Pyka’s rechts? Wo sind wir eigentlich, in einer Fast-Food-Kneipe? Ist es wirklich so schlimm, ein bisschen Kultur zu verlangen? Und die Teller. Ein großer weißer Teller stand auf dem Platz, der wohl für die Köchin gedacht war, was aber sollten die kleinen gelben. Jeder Idiot weiß, dass ich schon immer aus weißem Porzellan gespeist habe, was ich auch in Zukunft so beizubehalten gedenke. Los Pyka, ab durch die Mitte. Eher lasse ich mich dazu herab, diesen Hasenfraß zu probieren, bevor ich derartige Unsitten entschuldige. Nicht mit mir, nicht so lange ich Bogi heiße.

Jetzt wurde telefoniert. Möchte wetten, dass Andrea mit unserer Deserteurin gequatscht hat. Ging eigentlich ratz-fatz, wie mir die Stoppuhr verriet. Nächster Versuch. Wieder wurden wir ersucht, in der Küche zu erscheinen, um vielleicht doch endlich was in den Magen zu kriegen. Pyka folgte der unmissverständlichen Aufforderung sofort, während ich mir noch ein akademisches Viertel erlaubte. Doch konnte ich später meinen Augen nicht trauen, als ich Pyka dabei erwischte, wie sie – noch immer am falschen Platz sitzend – Brokkoli-Auflauf in sich reinstopfte. Gar nicht mal so übel, wie ich schnell erkannte, doch bevor ich mir die erste Kostprobe davon in den Rachen stopfte, entdeckte ich einen zweiten Auflauf, der höchstwahrscheinlich für die Köchin persönlich reserviert war. So durfte Pyka seelenruhig an ihrer Portion arbeiten, ich entschied mich für die zweite Schüssel, und zwar ohne Kompromisse. Das blöde Gesicht der Guten half mir für den Augenblick über meinen angestauten Ärger hinweg, doch hatte ich mit mehr Gegenwehr gerechnet. Außerdem schmeckte mir das Zeug nicht besonders. Irgendwas war in der Zubereitung ungewohnt, weshalb ich mir sagte, ich wechsele zu meiner ursprünglich angebotenen Ration, was letztendlich äußerst clever war, denn mit dem Zeug konnte ich wenigstens etwas anfangen. Es schmeckte wider Erwarten obergut, bis ich mich in einen Essrausch reinfraß, bei dem ich leider vergaß, mich ungehörig zu benehmen.

Andrea raste uns sofort hinterher, als wir in die vorderen Räumlichkeiten voraus eilten. Hat sie etwa damit gerechnet, dass ich Bugs Bunny als Nachspeise einatme? Ich war dermaßen vollgefressen und hätte keinen Schritt mehr tun können. Somit bestand für den heutigen Tag nicht die klitzekleinste Gefahr eines Übergriffs meinerseits. Außerdem predigt meine Mom von morgens bis abends, wie gefährlich Fett für Vögel sei. Da werde ich doch nicht so dämlich sein, mich an einem übergewichtigen Karnickel zu vergehen. Stattdessen legte ich lieber den gemütlichen Gang ein und beobachtete das Geschehen von der Gardinenstange aus.

Doch an diesem Tag tat sich nicht mehr viel. Wir sahen uns zusammen ein paar unbedeutende Reportagen, später allerdings auch einen Spielfilm an, den die Freiwillige Selbstkontrolle Kindern ab 16 Jahren zugestand. Nicht schlecht, zu diesem Zeitpunkt war ich drei Jahre und vier Monate.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hm,

sehr nett und amüsant. aber warum unter erzählungen? nach meiner meinung sind das zwei normale kurzgeschichten. lg
 

Zefira

Mitglied
Liebe flammarion und Ankurei,
was "Auszug", "Vorwort" o. ä. übertitelt oder "Fortsetzung folgt" untertitelt ist, stecke ich immer in Erzählungen, auch wenn es für sich alleine bestehen könnte.
(@ flammarion: siehe http://www.leselupe.de/lw/showthread.php?threadid=30426

Ich muß ein bißchen auf das Gleichgewicht zwischen meinen beiden Foren achten, im KG-Forum ist der Durchschlag schon schnell genug.
Hoffe auf Euer Verständnis. Im übrigens ist das hier eindeutig ein erzählender Text, aber die literaturtheoretische Meßlatte will ich gar nicht erst anlegen, sonst kommen wir vom Hundertsten ins Tausendste...
Grüße
Zefira
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
aha,

danke für die freundliche aufklärung. ich wünsche dir, liebe zefira, dass du mehr freude als ärger bei deiner tätigkeit hast. ganz lieb grüßt
 



 
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