Lady Delorian - The Racer

bluesnote

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Verhaßtes Rot!
Tom hielt an der Ampel vor der Kreuzung.
Er saß in seiner nachtblauen Viper und blickte nach links.
- Das gibt’s doch nicht! Mit dunkel röhrenden Sound stellte sich ein Straßenflieger neben ihn auf die Überholspur.
Es war tatsächlich ein Dodge Challenger, ein Highway-Burner vor dem Herrn.
550 PS, vorne tief und hinten hoch mit den typisch breiten Walzen versehen.
Das Seitenfenster des Dodge fuhr elektrisch betätigt ein Stück hinab, kleine Tropfen Nieselregens perlten am Gummi ab, zwischen dem die Scheibe nach unten versank.
Dunkel war es in dem anderen Fahrzeug, er sah nur eine bleiche, knöcherne Hand. Langsam strebte sie den am Innenspiegel befestigten, obligatorischen zwei Würfeln aus Schaumstoff und Textil entgegen.
- OK, Baby! Tom schob die selbst gebrannte Scheibe mit Rock ’n’ Roll von Motörhead zurück in den heimischen Schacht und startete per Knopfdruck. Er blickte nach vorn, die grellbunten Lichter des Amüsierviertels glänzten auf dem nassen Asphalt.
Er schaute wieder nach links zum Gegner. Sacht tippten die weißen Finger der Hand
zweimal gegen die flauschigen Würfel.
Motörheads Leader schrie die Zeile „Kiss Your Ass“, da sprang die Ampel um auf Grün.
Das Rennen war gestartet.

Sein Gegner zeigte gute Reflexe, sein Dodge flog nach vorn, war enorm spurtstark. Aber Tom hielt mit und wollte zeigen, was er mit seiner Viper drauf hatte.
Brüllender Lärm und Abgase bliesen ihm ins Gesicht. Nichts anderes wollte er; daß und das Rennen ließen ihn seinen öden Alltag vergessen.
Der Dodge bog links ab und Tom folgte ihm. Im Rückspiegel verschwanden die schlaffen Titten und faltigen Ärsche, die hier im Milieu jede Nacht über die Bordsteinkanten gehalten wurden. Motörhead war bei „Eat The Rich“ angelangt.

Es war nicht seine übliche Rennstrecke. Sein Gegner besaß einen leichten Vorsprung, Tom beschleunigte auf der Geraden.
Die Vorderreifen seiner Roaring Viper gelangten bis an das Heck des Challengers. Sie fuhren aus der Stadt hinaus. Bremslichter leuchteten auf, eine Kurve vor ihnen. Egal, er würde so spät wie möglich bremsen. Für ihn galt es nicht nur, dieses Rennen zu gewinnen; je schneller, um so weiter entfernt vom ewig gleichen Trott!

Die Landstrasse wurde schmaler und es regnete jetzt stärker. Links und rechts der Fahrbahn gab es nur noch Wald. Sie rasten durch die mondlose Nacht, noch eine Kurve.
Er setzte sich vor seinem Kontrahenten, gab noch mehr Gas und schaffte es Meter um Meter soviel Raum zu gewinnen...

... in dem ihm mit einem Blick durch die Scheibe klar wurde, daß er sich an die Songs von Chuck Berry und Dion gewöhnen mußte.
Tom sah fliegende Petticoats auf Rollern. Lachende Mädchen mit wippenden Pferdeschwänzen. Rock ’n’ Roll auf Rädern, Jungs, frisiert wie James Dean lehnten an verrußten Häuserwänden.
Er schaute in den Innenspiegel und hatte es vorher gewußt. Sein Haupt krönte eine lackschwarze Elvis-Tolle.
Überhaupt war das nicht mehr sein Wagen. Tom saß in dem Dodge. Er lehnte sich zurück in dem Ledersitz und stemmte die Arme gegen das Lenkrad.
Hatte er gewonnen. War das sein Preis?
Vorne auf der Haube stand etwas in Weiß geschrieben, indem er sich wieder nach vorn beugte, konnte er lesen: THE RACER!
Ja. Das war sein Ding! Eine langbeinige Schöne auf High Heels und bekleidet mit einem knappen, schwarzen Lederrock kam auf ihn zu und beugte sich an der Tür hinunter.
„Da bist du ja endlich. Mein Rock ’n’ Roll Nigger! Du hast in meiner Sammlung gefehlt.”

Er gab Gas. Neben ihm heulte ebenfalls ein Motor auf. Die Frau in Schwarz mit der langen, langen blonden Mähne baute sich mit einer schwarz-weiß karierten Flagge zwischen den beiden Fahrzeugen auf.
Die Lady mit den nackten Beinen hob die Flagge, die Menge längs der Strecke johlte.
Er wollte laute Musik.
Doch Nein! Die Magie, der Mechanismus, daß, was ihn vorhin hierher brachte. War es möglich, das nur ein Knopfdruck ihn womöglich auch wieder zurück katapultierte? In seine Zeit!
Wer war er schon dort in seiner Zeit. Einer unter vielen.
In seiner Zeit war er ein durchnumerierter Malocher. Was gab es dort schon für ihn. Schuften, nach Haus kommen, alte Schinken im TV. Vorm PC sitzen, Ablechzen im Downloadbereich und dann ab zu der Alten ins Bett. Ohne Hoffnung auf Besserung.
In dieser Welt aber war er... The Racer!
Tom suchte das Radio und brach den Startknopf ab.
Nach dem letzten Rennen ist vor dem nächsten Rennen. Sie waren vorhin vorwärts gefahren. Aber in der Zeit rasten sie zurück. Tom wußte jetzt, es war immer ein Fehler gewesen: die Flucht nach vorn vor dem Alltagstrott. Die Erfüllung seiner Träume lag in der Vergangenheit.
Seine Hand griff nach den zwei Würfeln am Innenspiegel, zärtlich tippte er mit dem Zeigefinger daran. Die Flagge fiel.

Im Westen, Februar 2004
 
Lieber bluesnote,

du weißt, dass ich deine Sprache und die dichte Atmosphäre deiner Texte schätze. Auch in dieser Szene findet sich vieles, was mir gefällt. Allein Wörter wie „nachtblaue Viper“, „Dodge Challenger“, „Straßenflieger“ machen das Lesen zu einer Entdeckungsfahrt.

In einem anderen Thread wurde ja schon angesprochen, inwieweit die Szenen authentisch sind, man denkt an Chicago oder an die Bronx. Ich habe damit an sich kein Problem. Ein Wort wie „Amüsierviertel“ fällt dann aber aus der Diktion heraus, das klingt wie ein Name, den das Deutsche Ordnungsamt vergibt. Es sind nur einige wenige Begriffe, die zu überprüfen wären. Eventuell auch das Wort „Alltagstrott“.

Worüber ich nachdenke, sind folgende Sätze:
In seiner Zeit war er ein durchnumerierter Malocher. Was gab es dort schon für ihn. Schuften, nach Haus kommen, alte Schinken im TV. Vorm PC sitzen, Ablechzen im Downloadbereich und dann ab zu der Alten ins Bett. Ohne Hoffnung auf Besserung.

Der „durchnummerierte Malocher“ ist ausgezeichnet. Auch die Wortwahl ist stimmig. Die dann folgenden Sätze könnten etwas erklärend wirken. Als wolltest du nun eine Begründung für das lebensgefährliche Rasereispiel gegeben. Ich glaube nicht, dass das nötig ist. Jedenfalls ist das in einer so kurzen Szene kaum machbar. Es sollte sich schon eher wie von selbst aus dem Kontext ergeben, vor allem, wenn es ein Ausschnitt aus einer längeren Story wäre. Also statt einfach zu sagen „vorm PC sitzen“ ect. müsste man das ggf. darstellen. Glaubhaft machen. Wenn es sich hier aber bei deinem Text um eine allein stehende, abgeschlossene Szene handelt, würde ich solche erklärenden Aussagen eher kürzen oder weglassen.

Nicht ganz leicht zu lesen ist der Text für mich gegen Ende, wenn es in die Fantasie übergeht. Was im Einzelnen wie vor sich geht, ist nicht ganz leicht zuzuordnen.

Ein kleiner Hinweis: „War es möglich, [red]dass [/red](bzw. daß) nur ein Knopfdruck..."

Ich empfinde deinen Text als ästhetisch. Kann es sein, dass du das Milieu quasi als „Stilmittel“ einsetzt? Spannend zu lesen, originelle Wortwahl, starke Bilder – davon lebt die Szene.

Liebe Grüße

Monfou
 

bluesnote

Mitglied
Hallo Monfou

Ich glaube, ich habe das Milieu insofern als Stilmittel eingesetzt, um einfach ein paar derbe Wörter einzubringen, die den Frust über Toms "Alltagstrott" verdeutlichen sollten.
Dieses Wort, wie ich übrigens jetzt zugeben muss, passt wirklich nicht in den Text.
Show, don't tell erschien mir für die Gedankengänge Tom's zu aufwendig, wäre aber, wie ich zugeben muss, auch machbar gewesen. Vieleicht, bevor Tom überhaupt an der roten Ampel steht. Er hat halt einfach nicht das Glückslos gezogen, das ihm die lebenslange Sofortrente sichert.

Lieber Monfou - Nicht ganz leicht zu lesen... .
Das sagt mir, das ich den Teil, ab dem Tom in Lady Delorians Reich, der Twilight Zone weilt, für den Leser einfach nicht kantenscharf aufgezeigt habe.
Dann noch die Sache mit dem leidigen dass! Ich muss endlich ein vernünftiges Rechtschreibbuch finden!
Zum Abschluss möchte ich mich bedanken, für die Mühe, die du dir mit meinem Text gemacht hast.

Viele Grüsse.

Udo
 



 
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