Lächeln in der Stille

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Silberpfeil

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Jana stand schweigend neben Burrbur, der wie betäubt auf den Haufen Schutt starrte, der sich vor ihnen ausbreitete. Während sie das Chaos betrachteten, das einmal Burrburs Heimat gewesen war, wunderte Jana sich, wie gefasst er trotz allem wirkte. Sie war sprachlos.
Die anderen Touristen machten sich bereits lachend und schwatzend auf den Rückweg zum Reisebus, doch Jana wagte es nicht, sich zu bewegen. Sie fühlte sich wie ein begossener Pudel, unfähig den Blick abzuwenden. Als plötzlich Timos johlende Stimme die Stille zerriss, zuckte sie vor Schreck zusammen.
„Boar, wie krass!“, staunte Timo, als würde er eines der sieben Weltwunder betrachten. Wut und Scham stiegen in Jana auf, Burrbur dagegen blieb gelassen. Für einen marokkanischen Reiseführer sprach er zwar relativ gut Deutsch, doch Jana bezweifelte, dass er Worte wie „boar“ oder „krass“ kannte.
„Das ist alles, was von meinem Dorf übrig“, sagte Burrbur mit seinem berberischen Akzent. „Kommt! Wir müssen zurück zu Bus.“
„Halt, ich will noch schnell ein paar Bilder knipsen!“, rief Timo, schaltete seine teure Spiegelreflexkamera ein und ließ Burrbur und Jana links liegen.
„Spinnst du?“, knurrte Jana. „Du kannst doch hier nicht fotografieren.“
Timo fummelte bereits an dem Objektiv herum. „Warum denn nicht?“, rief er über die Schulter zurück und klang dabei wie ein kleines Kind. „Ich tu doch keinem was.“
Ein starker Wind kam auf und wehte das lose Ende von Burrburs Turban um seinen Hals, während er mit stoischer Ruhe auf die beiden wartete. Sand und Staub, die sich im Laufe der Jahre auf den Ruinen der Häuser abgesetzt hatten, wurden aufgewirbelt und während Jana die Augen zukniff, hörte sie Timo jauchzen. Wie schön, das dürfte seinem Foto wohl das gewisse Etwas verleihen, dachte sie verärgert.
Auf der Rückfahrt zum Hotel wurde es um Jana herum immer leiser. Sie sah zu Timo, der konzentriert die Fotos auf dem Display seiner Kamera betrachtete. Trotz der Müdigkeit, die nach dem langen Tag in der heißen Sonne immer mehr von Jana Besitz ergriff, fand sie keine Ruhe. Aufgebracht fragt sie sich, ob sie die Einzige in diesem Bus voller privilegierter, mitteleuropäischer Reisender war, die Burrburs Traurigkeit bemerkt hatte, als er die Geschichte des Dorfes, seine Geschichte, erzählt hatte.
„Es war vor drei Jahren, als es nicht hörte auf zu regnen. Nach ein paar Tagen der Fluss Bengueribi ist über die Ufer getreten“, hatte Burrbur stockend erzählt. „Wasser kam immer näher an unser Dorf und dann alles wurde überschwemmt.“
Jana hatte schlucken müssen, als sie dies hörte. „Und dann musstet ihr in ein anderes Dorf umsiedeln?“, hatte sie gefragt.
„Ja, am Ende wir mussten unser Dorf verlassen. Aber vorher kam Berg.“
„Wie bitte?“, hatte sie verwirrt gestammelt, denn sie hatte diesen Satz zunächst nicht einordnen können.
Burrbur hatte daraufhin erklärt, dass die Hänge des Berges, an den das Dorf sich anschmiegte, von den sintflutartigen Regenfällen gefährlich aufgeweicht wurden. Ein schwerer Erdrutsch hatte mehrere Menschen unter Schlamm und Geröll begraben. Einer davon war Burrburs Sohn Yassin. Rettungshelfer, die mit Schlauchbooten zu dem von der Außenwelt abgeschnittenen Dorf angerückt waren, konnten nichts mehr für die Verschütteten tun. Das Dorf hatte sich in ein Katastrophengebiet verwandelt und Burrbur kam nur noch hierher, weil Touristen nun mal dafür bezahlten, von Einheimischen an abenteuerliche Orte geführt zu werden.
Jana wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als der Bus am Hotel hielt und es um sie herum laut wurde. Ihr Blick wanderte automatisch zu Burrbur und sie bekam Bauchschmerzen bei dem Gedanken daran, in welchem Überfluss sie als deutsche Bankangestellte im Gegensatz zu den Menschen hier lebte und wie glücklich sie war, mit ihrem Partner in einer schönen Wohnung zu leben und einen festen Arbeitsplatz zu haben. Das Glück war bisher stets auf ihrer Seite.
Burrbur fing Janas Blick auf und schenkte ihr, der Fremden aus einer anderen Welt, ein Lächeln, so echt und wahrhaftig, wie Jana meinte, es noch nie zuvor erlebt zu haben. Zaghaft lächelte sie zurück und senkte dann schnell den Blick, als heiße Tränen ihr in die Augen schossen.
„Warum weint so schöne Frau?“, fragte Burrbur besorgt.
„Es tut mir so leid, dass du deinen Sohn verloren hast.“
„Nicht seien traurig. Ich noch haben meine Frau und Sohn Mohammed. Wir sehr vermissen unseren Yassin, aber wir auch glücklich in unsere neue Heimat. Wir jetzt haben eine neue Hütte und die Sonne scheint jeden Tag.“ Burrbur tätschelte ihren Rücken.
Hastig trocknete Jana ihre Tränen und sah auf, doch ehe sie etwas erwidern konnte, trat Timo an ihre Seite, die geliebte Kamera im Anschlag, und seufzte: „Boar, endlich sind wir zurück am Strand. Bei dieser trostlosen Landschaft heute sind fast nur miese Fotos entstanden.“
Burrbur schenkte Jana ein letztes Lächeln und sie verstand seine Bedeutung augenblicklich. Leb wohl! Wie gerne hätte sie diese Worte laut ausgesprochen, doch Burrbur wandte sich bereits um und verschwand.
 

Aligator

Mitglied
Hallo Silberpfeil!

Ich habe deine Geschichte gern gelesen. Ein paar Kleinigkeiten:
Bei dem "Haufen Schutt" kam mir eben nur ein kleiner Schutthaufen in den Sinn. Ich würde z.B. "Trümmerfeld" bevorzugen.
Wut und Scham stiegen in Jana auf, Burrbur dagegen blieb gelassen.
Das hört sich abgedroschen an, nicht viel über Gefühle schreiben, eher welche durch Bilder beim Leser erzeugen. z.B sie ballte ihre Fäuste
Beim Burrburrs Dialekt würde ich eher in Richtung französich-deutsch gehen. Hört sich bei Marrokkanern so an. Ist aber nicht so wichtig.
Den Timo würd ich auch nicht so "krass" reagieren lassen, nicht so stereotyp.

Mir hats gefallen!
Aligator
 



 
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