Laura

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Plejadus

Mitglied
Ich habe einen zweitbrutalstmöglich unsichtbaren Migrationshintergrund;
meine Wiege stand in Lohdorf.
Der Lohdorf gen Südosten verlässt, und eine andere Richtung ist kaum denkbar, erreicht nach etwa zwölf Kilometern Baeringhausen, eine Kreisstadt mit knapp dreitausend Einwohnern;
und einer davon bin ich.

Ein weiterer ist meine Freundin. Sie hört auf den Namen Laura, und dies ist keineswegs despektierlich aufzufassen. Riefe ich sie mit einem anderen: Das wäre despektierlich!
Sie ist fünfundvierzig, ich bin vierundfünfzig.
Mathematik war nie so meins und oft habe ich mich verwundert, weshalb manch einer vor seiner Obstschale mit, sagen wir, drei Mangos und fünf Äpfeln steht und sich fragt, wieviel Fruchtexemplare ihm blieben, sofern er eine Mango äße und zwei Äpfel an die verhassten Nachbarskinder verschenkte.
Ich hielte so eine Berechnung für ausnehmend bedeutungslos.
Trotzdem ist mir natürlich dies Jahr aufgefallen, dass Lauras Alter - verdrehte man die Ziffern - das meine ergäbe.

Laura wäre vermutlich eine Frau, die mit anschwellender Panik auf ihre herannahende Menopause zusteuerte, hätten nicht bereits in der Vergangenheit andere Männer Eier in ihren Korb gelegt und sie zur Mutter dreier Kinder bezeugt.
Sie ist ganz entspannt und überaus indifferent hinsichtlich der Orte und Höhlungen, in welche ich meine finalen Schüsse platziere.
"Menopause" ist ohnehin ein recht amüsanter Euphemismus, nachgerade buddhistisch, suggeriert er doch etwas Vorübergehendes.

Manchmal, vorzugsweise an sonnigen Wochenenden, fahre ich nach Lohdorf und besuche meine Mutter. Sie bewohnt unterdessen allein das Haus meiner Kindheit.
"Es ist so groß geworden und wird mit jedem Jahr größer", bemerkt sie beinahe jedesmal. Ich verstehe das. Und doch ist es ein Gedanke, den ich stets genau konträr empfand, jener Tage und Jahre, da ich dort heraufwuchs - auch das verstehe ich.
Als ich einmal zu Laura sagte:
"Du, ich glaube, meine Mutter wird bald sterben.", da antwortete sie nur:
"Ja, alle Mütter tun das."
 

ackermann

Mitglied
Guten Abend, also ich persönlich lese solche Prosa gerne. Kurz und trocken, gewürzt mit trockenem Humor, wunderbar :)

Gruß, ackermann
 

Veil

Mitglied
Das ist mir ja ganz neu, Plejadus, dass du sowas schreibst!
Muss ich erschtemoal verdauen.
:)
Schön, dass du hier bist.

Veil (bekannt für eine gnadenlose Veile)
 

Plejadus

Mitglied
Nicht minder Moin, anbas!

Liest es sich sonderbar?
Natürlich ginge auch 'wer'.
Aber nicht auch 'der', im Sinne von
[Jener], der...?
Ich bin jetzt genauso irritiert.
Gibt's hier keine Grammafaschistoiden, die
einen aus Patschen (ab)führen?

BG
Plej.
 

Veil

Mitglied
Der oder Wer?
Ich bevorzöge auch Wer, aber Der (dieser, jener) geht natürlich auch.
(mal vulgärdeutsch und nicht (rein)grammatisch erklärt).
Ich hätte noch einiges zu meckern, aber dann kommen alle deine Verteidiger und hauen mir (dich anbetend) auf die Mütze. Also lass ichs. Ist dein schöner Text.

;-*

Dein Veil(Beil)
 

Plejadus

Mitglied
Nun, so manches Veil. ward schon durch so manches V.beilchen zur Schnittblume verkürzt, verehrtes Veillein, die Dinge haben ja stets zwei Seiten, sogar die einseitigen.
Aber wer erzähl ich der!
Apropos:
Sofern es die Grammatik gestattet, ziehe ich doch hier dem W das D vor; irgendwie liest es sich prätentiöser, und an Stellen, an welchen ich prätentiös schreiben möchte, bemühe ich mich, möglichst prätentiös zu schreiben.
Mit deinem Gemecker hinterm Hügel zu halten
geht gar nicht.
Mein sympathischer Protagonist giert ja geradezu danach. Oder soll er sich etwa eigens, schweigens eine Ziege zulegen?
Und dem Autoren einen Fanzirkel an den Schenkel zu ketten, auch nicht.
Also schön das Hauwerkzeug aus dem Spint geholt und druff!
Live aus dem Nebel:
Plej.
 

James Blond

Mitglied
Was die "Wer oder Der"-Frage anbelangt, so schlage ich mich auf die Seite der W-Fraktion. Im Gegensatz zum "Wer" benötigt das "Der" ein vorausgehendes Bezugswort (derjenige, der ...).

Aber das ist nur eine Nebensächlichkeit. In der Hauptsache machen sich abirrende Gedanken und ein erzwungener humoristischer Stil unangenehm bemerkbar.

Im Gegensatz zur im Titel angekündigten "Laura" beginnt der Text zunächst mit dem Ich des Erzählers. Die dann im zweiten Absatz eingeführte Freundin Laura wird nach Erwähnung ihres Namens und Alters zugunsten einer Selbstbetrachtung des Autors über Zahlenspielereien gleich wieder verlassen.

Der dritte Absatz befasst sich auf recht ein- bis abseitige Weise mit den Vorteilen einer Freundin in den Wechseljahren, die bereits mehrfach Mutter geworden ist, um sich abschließend in begrifflichen Betrachtungen zur Menopause zu ergehen.

Der letzte Absatz erwähnt Besuche im Hause der Mutter. Hier kommen in wörtlicher Rede die Mutter, der Autor und abschließend Laura zu Wort, was ich nach den vorausgegangenen Selbstreflektionen als wohltuend empfunden habe, allerdings kommt der Erzähler auch hier nicht ohne sie aus:
Ich verstehe das. Und doch ist es ein Gedanke, den ich stets genau konträr empfand, jener Tage und Jahre, da ich dort heraufwuchs - auch das verstehe ich.
Für mich spiegelt der Text damit hauptsächlich die Selbstverliebtheit eines Autoren, der sich in seiner verschraubten Sprache (siehe Zitat) um Originalität und Witzigkeit bemüht, und dabei zumeist auf der eigenen Nase landet. Die Verschwurbelungen entstehen dort, wo sich umgangssprachlicher Stil mit einer gespreizten Sprachattitüde aufzuwerten sucht.

"Und dies ist keineswegs despektierlich aufzufassen"
"Mathematik war nie so meins und oft habe ich mich verwundert"
"für ausnehmend bedeutungslos"
"ist mir natürlich dies Jahr aufgefallen"
"sie zur Mutter dreier Kinder bezeugt."
"nachgerade buddhistisch"
"Sie bewohnt unterdessen allein"

Im Gegensatz dazu gewinnt der Text vor allem in seinen lapidar anmutenden Passagen. Ich könnte mir eine wunderbare Erzählung vorstellen, die folgendermaßen ansetzt:

Manchmal fahre ich nach Lohdorf und besuche meine Mutter. Sie bewohnt jetzt allein das Haus meiner Kindheit.
"Es ist so groß geworden und wird mit jedem Jahr größer", bemerkt sie jedesmal.
Als ich einmal zu Laura sagte:
"Du, ich glaube, meine Mutter wird bald sterben.", da antwortete sie nur:
"Ja, alle Mütter tun das."



Grüße
JB
 

Plejadus

Mitglied
Moin Herr Blond,
vielen Dank zunächst für die Textbefassung. Ich stimme der Einschätzung weitgehend zu.

Für mich spiegelt der Text damit hauptsächlich die Selbstverliebtheit eines Autoren, der sich in seiner verschraubten Sprache (siehe Zitat) um Originalität und Witzigkeit bemüht, und dabei zumeist auf der eigenen Nase

:)
Sei gewiss, der Autor ist noch ne Schippe umsympathischer, als der von ihm hier inszenierte Protagonist aus Baeringhausen.

Dass die Erwartungshaltung, Kurzprosa mit Frauennamentitel, hier
nicht bedient, sondern hintergangen wird, ist kein Un- oder Zufall, sondern eher schon generelles Leitmotiv des gerade tippenden Autoren.

Du hast mir mit Deiner Besprechung das beabsichtigte Textkonzept
bestätigt, was sie für mich sehr wertvoll macht.
Dass, wenn ich recht verstehe, Dir die Lektüre wohl eher weniger
behagte, freut mich natürlich nicht.
Aber, wenn man etwas Unangenehmes schafft, muss man immer auch darauf gefasst sein, dass es so empfunden wird.

BG
Plej.
 
A

aligaga

Gast
Oft sind, so meint @ali, die verständnislosesten Kritiken die besten, zeigen sie doch auf, was wirklich in manchem Text steckt.

In einem haben sie hier allerdings recht: ein Relativpronomen schreit nach einem Bezug - "Lohdorf" wäre der falsche, und der Einschub zwischen die doppelte Satzaussage macht's noch verquerer. Kein geschicktes, sonder schlechtes Doitsch! Korrekt müsste der Satz heißen:
[blue]Wer[/blue] Lohdorf gen Südosten verlässt, und eine andere Richtung ist kaum denkbar, [blue](der)[/blue] erreicht nach etwa zwölf Kilometern Baeringhausen
.

Was die Kritiker an diesem Text Luschtiges finden können, verschließt sich @ali. Er hält Zynismus für etwas anderes als Humor; lachen kann darüber, wenn überhaupt, nur das lührische Ich, und zwar bitter.

Gleichwohl ein gar hübscher Text!

Heiter

aligaga
 



 
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