Leben und Sterben

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mountainhope

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Leben und Sterben

Die Turmuhr des Klosters schlug acht, als ich meinen Blick aus dem Fenster richtete. Ein Vogel hüpfte fröhlich pfeifend von einem Ast der dicken Eiche zum anderen. Es sah aus, als ob der Baum schon seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten dort stand. Und er lebte noch immer.
Der Tag war so hell und fröhlich außerhalb dieser Mauern. Alles freute sich seines Lebens und die ganze Welt schien voll davon zu sein; voll von neuem, frischem Leben.
Die saftigen grünen Blätter der Eiche wiegten sich im Wind, das Gras auf den Wiesen winkte mir zu und der Wetterhahn drehte sich lustig, als wäre er auch lebendig.
Eine Träne glitt an meiner Wange hinunter. Sie tropfte auf meine Hand. Ein lautes, plätscherndes Geräusch durchdrang die Stille.
"Du brauchst nicht zu weinen," sagte meine Oma," Großvater ist jetzt im Himmel, er hat es bestimmt gut dort oben bei den Engeln."
Weitere Tränen tropften auf meine Hand und auf den Boden. Oma hatte auch geweint, aber sie hat es nicht gezeigte. Es ist wohl mehr innerlich gewesen.
Ich schloß die Augen und sah meinen Opa an. Wie friedlich er dort lag, aber so unnatürlich, so tot. Sein Mund war zu einem künstlichen Lächeln geformt.
"Warum mußtest du sterben. Warum ist Gott so grausam und läßt Menschen sterben. - Ich werde dich vermissen, Opa." flüsterte ich. Und ich wußte, er hörte es, irgendwie nahm er es wahr.
Ich wandte mich wieder Pater Sean zu.
"Eigentlich ist es ja viel zu schön draußen, um über dieses Thema zu sprechen, aber es gibt Menschen, die auch an schönen Tagen sterben. Sie können sich das leider nicht aussuchen, meine Damen."
Pater Sean setzte sich auf einen Stuhl, dem einzigen im Raum und schaute durch die Reihe. Pater Sean war groß, und er sah wirklich gut aus. Ich schätzte sein Alter auf ungefähr 23 oder 24. Seine breiten Schultern und sein gut gebauter Körper zeigten, daß er ein sportlicher Mann war, nicht so wie die Mönche in den Filmen, die immer dicke Bäuche und ein fettes Gesicht hatten. Seine wahrscheinlich dunkelbraunen Haare waren zu kurzen Stoppeln gestutzt. Die Augen waren ebenfalls dunkel. Es waren aber keine bösen, durchdringenden Augen. Er schaute so gütig, lieb und freundlich, wie ein Engel. Warum war er wohl Mönch geworden? Viele Frauen wären ihm nachgelaufen und viele Männer wären neidisch auf ihn neidisch gewesen.
Ob er schwul war? Ich weiß es nicht. Ist ja egal.
"Ich würde sagen wir stellen uns erst einmal gegenseitig vor, jeder erzählt etwas von sich, und dann sehen wir weiter. Also ich bin Pater Sean, bin 26 Jahre alt und seit 7 Jahren Mönch. Ich stamme aus England bin aber seit 24 Jahren hier in Deutschland, da mein Vater hier als Soldat stationiert war. Ich habe Schreiner gelernt und übe diesen Beruf auch neben meinem Theologiestudium aus. So jetzt ist jemand von ihnen dran. Fräulein, möchten Sie zu erst?"
Er schaute mir mit einem freundlichen Blick tief in die Augen. Und ich sah hinunter bis in seine Seele. Durch einen Tunnel voll Güte und Freundlichkeit zu einem Raum so hell wie der erste Tag, so schön wie die Geburt neuen Lebens. Stunden, nein, Tage lang flog mein Blick hinunter und ich sah nur Gutes und Schönes. Dann blieb ich stehen, da war ein unglaublich helles Licht, es blendete nicht, aber es war so hell: man konnte nicht hinein sehen. Dann durchzuckte es meinen Körper und verlegen blickte ich zu Boden. Ich stand auf und fing an von mir zu erzählen.
"Ich heiße Melanie Lenz, bin 19 Jahre alt und komme aus Versmold. Ich will Krankenschwester werden, weil ich sehr früh meine Eltern und meinen Bruder bei einem Autounfall und vor 2 Monaten meinen Opa bei einem Unglück in einer Kiesgrube verloren habe."
Ich setzte mich wieder hin und beobachtete Pater Sean. Es war ein unglaublicher Mann, was war das für ein Licht in seinen Augen. Ichhörte mir die Geschichten der anderen an. Jede war anders, aber alle Mitschülerinnen wollten helfen Menschen vor dem Tod zu bewahren und zu schützen.
Die Sonne kam hinter den Hügeln hervor und warf ihre hellen Strahlen in den dunklen, leeren Raum. Wir saßen auf dem Boden in einem Halbkreis um den Stuhl des Paters herum, und hörten zu, was er uns zu erzählen hatte. Er redete von Leben, vom Tod und vom Leben nach dem Tod, vom Leid der Angehörigen und von der Bibel.
"Alles quatsch," sagte Opa plötzlich. Ich zuckte zusammen.
"Aber Opa, was ist Quatsch."
"Der junge Hüpfer da hat gesagt, man lebe nur um später im Tode beim LIEBEN Gott zu sein. Ich habe von dem LIEBEN Gott noch nichts gesehen."
"Aber so steht es in der Bibel, und was in der Bibel steht müssen wir doch glauben, die werden uns doch keine Lügen erzählen."
Auch Vater fragte mich plötzlich:" Wenn du mir sagst, wer Gott ist und warum er die Menschen sterben läßt, schenke ich dir eine neue Puppe."
"Und ich lasse dich mit meinen Autos spielen." fügte Peter, mein Bruder hinzu "Ich will ihn auch sehen und fragen warum ich sterben mußte."
Opas Stimme war durchdringender "Sag´ mir: wo ist Gott, was ist Gott? Verrat es mir, vielleicht bin ich ja blind."
Ich fühlte wie ein dumpfes Gefühl durch meine Adern in mein Herz kroch, wie es sich meinem Gehirn ermächtigte und auf die Tränendrüsen drückte.
"Er ist überall." Pater Sean schaute mich an. "Gott ist das Leben, er ist der Tod und die Auferstehung."
Und ich sah wieder das Licht, das Licht war rein, so unglaublich rein und hell.
"Ich habe Gott gesehen," sagte Opas Stimme,"das muß Gott sein."
Pater Sean lächelte mich an. Gütigkeit und Friede strahlte aus seinen Augen heraus, und es traf mich in meinem Herz. Sein Blick traf mich genau an der Stelle, wo sich dieses Gefühl festgesetzt hatte. Es löste sich auf, wie ein Stück Karies, das aus einem kranken Zahn gebohrt wird, und es sprengte aus mir hinaus.
Ich fiel zurück und heulte. Die entsetzten Blicke der anderen, die um mich herum standen, nahm ich nicht wahr. Ich sah nur dieses reine Licht.
Die Trauer und der Frust des Todes floßen in Strömen aus meinen Augen.
Endlich konnte ich den Schmerz loswerden, der sich seit meiner Kindheit, seit dem tragischen Autounfall vor 12 Jahren, in meine Seele gebohrt hatte. Ich weinte um meine Eltern und um meinen Bruder. Ich hatte nie verstanden warum sie sterben mußten. Immer wieder habe ich danach gefragt, aber keiner sagte es mir.
"Weine dich aus. Laß´ deinen Schmerzen freien Lauf." Pater Sean kniete neben mir und tröstete mich. Er hatte mir geholfen. Er war es der meinen Frust aus dem innersten meiner Seele gebohrt hatte. Er hatte ihn schon vom Anfang der Stunde an in meinem Blick gesehen. Ich umarmte ihn und heulte bis ich einschlief. Ich konnte wieder ruhig schlafen und auch die Stimmen von Vater, Mutter, Peter und Opa waren weg. Sie hatten ihren Frieden gefunden.
 

hopeless-1

Mitglied
hallo mountainhope!

Deine Geschichte ist wirklich gut. Sie hat Gefühl und Realtität. Man spürt die Seele deines Erzählers. Den Schmerz, die Trauer und die Verzweiflung.
Aber irgendwie habe ich die ganze Zeit darauf gewartet, dass nun noch etwas zu dem Pastor erzählt wird. Dein Ich-Erzähler macht sich Gedanken zu dem Pastor, wieso er diesen Beruf gewählt hat und so. Ich hatte gehofft, dass diese Fragen vielleicht beantwortet werden.
Aber auch so hat die Geschichte Hand und Fuß. Ich finde sie wirklich gut.

LG, Hopeless-1
 
K

kaffeehausintellektuelle

Gast
ich hab die geschichte dreimal begonnen, ich wollte sie wirklich lesen. aber ich bin immer gedanklich abgeschweift. sie hat mich einfach nicht gefesselt.
ich fand es einfach ein bisschen langatmig.

aber sterben ist selten so richtig spannend, nehm ich an. ich bin ja noch nie gestorben.

die k.
 

chrissieanne

Mitglied
Hallo mountainhope!

Eine wirklich schöne Geschichte über das schwierige Thema Trauer.
Das einzige, was mich ein wenig irritiert hat, ist das Wort Frust.

anstatt

"Die Trauer und der Frust des Todes floßen in Strömen aus meinen Augen"
"Wein Dich aus, laß Deinen Schmerzen freien Lauf"
"Er war es, der meinen Frust aus dem Innersten meiner Seele gebohrt hatte"

vielleicht

"Die Trauer floß in Strömen aus meinen Augen"
"Wein Dich aus, laß Deinen Tränen freien Lauf"
"Er war es, der meinen Schmerz aus dem Innersten meiner Seele gelöst hatte"

Das Wort bohren finde ich hier auch ewas unpassend. Der Mönch bohrt ja nicht mit Fragen oder ähnlichem. Allein die Gestalt und die Persönlichkeit des Mönches berühren den Ich-Erzähler derart, das die bis dahin erstarrte Trauer sich löst.

Das ist mir aufgefallen. Ansonsten hat mich der Text sehr berührt.
Liebe Grüße
Chrissieanne.
 
K

kaffeehausintellektuelle

Gast
ich werde mich in zukunft mit meiner meinung zu deinen geschichten zurückhalten. vielleicht solltest du aber ins profil schreiben, dass du nur auf zustimmung stehst.
es ärgert mich einfach immer wieder, wenn ich ehrlich bin und dafür dann meine watschn bekomme.

die k.
 



 
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