Leben und Sterben

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chinaski

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JENSEITS

Karl lag flach atmend in seinem mit Blumen dekorierten Sterbezimmer, dort wo er als kleiner Junge gespielt, geschlafen und seinen Hausarrest abgesessen hatte. Was für eine Idee des Menschen, diese farbenfrohen Blumen um einen Sterbenden zu arrangieren. Sie verkörpern das Lebendige und sollen dem Sterbenden optimistischer stimmen, aber eigentlich ist es eine Geste, die bewusst macht, dass man dabei ist, sich von der Welt zu verabschieden.
Karls Kindheit lag weit hinter ihm, er bereitete sich nun für den Gang ins Jenseits vor. Nach 72 Jahren erschien ihm das auch mehr als gerecht, wenngleich ihm seine Kindheit niemals näher war, als just zu diesem Zeitpunkt. Da er im Sterben lag, gedachte er der vielen kleinen Augenblicke, die ihm damals beim Erleben überaus nichtig vorkamen. Und die Streifzüge, die er in seiner Kindheit durch den angrenzenden Wald direkt hinter dem Hof der Eltern machte, weckten in ihm den Wunsch jetzt hinunterzuschauen auf das Laubgemisch aus Rot, Braun und Gelb. Doch er war außerstande, sich zu bewegen. Das einst so saftig grüne Laub war welk geworden und war im Begriff vom Baum des Lebens abzufallen. Ein Fall auf den modrigen Boden der Zeit. Karl war auf dem Weg wieder ein Teil der Erde zu werden. Schon in ein paar Monaten würden seine Enkel über ihn hergehen und sich in wilden Drehungen auf ihn fallen lassen.
Es war nicht schlimm! Es war nur ein seltsamer Gedanke, bald nur noch ein geistiger Teil dieser Welt zu sein. - Denn ist man erst mal nur noch eine handvoll Erde, verweilt man auch die meiste Zeit nicht mehr unter den Lebenden! - Nur noch die Erinnerungen seiner Kinder, der Verwandten und Freunde an ihn wären weiterhin existent. Ganz weg wäre er nicht. Fotos und Filme würden ihn noch sehr lange auf der Erde bleiben lassen. Nur er, der lebende Karl, der schüchterne Junge von Damals, der aufmüpfige Dorfjugendliche, der tüchtige Bauer, der liebende Ehemann, der Vater, der zu oft keine Zeit hatte und sehr häufig zu streng war und schließlich der alte kranke Karl werden nicht mehr da sein, um die Zukünftigen willkommen zu heißen.
Das Leben kam ihm gleichzeitig lang und kurz vor. Die Zeit schien nur eine Erfindung des Menschen zu sein und bleibt so unvollkommen wie der Mensch selbst. Wie schnell ist sie vergangen, nun da er sich im Zimmer wiederfand, wo sein Leben einst begann. Er spürte einen Kampf in sich zwischen der Sehnsucht eine zweite Chance zu bekommen und dem schnellen Ende. Er betrachtete ein Bild an der Wand aus Tagen, da er noch volles schwarzes Haar trug. Der Karl des Augenblicks der Aufnahme war kraftvoll und zuversichtlich, ohne Fragen, die er nicht selbst beantworten konnte; dem Leben die Stirn bietend und seinen Weg sehend, der ihm zu jener Zeit noch als einzig Möglicher im Sinn war. Wie sein ganzes Leben durchschneidend erschien es ihm zu erkennen, was seine Erinnerung ihm jetzt darbot, da er dem Tode gewiss. Nicht sein rastloses Tun, nicht seine im Leben für wichtig gehaltenen Entscheidungen kamen ihn in den Sinn; sondern Szenen, die nur Nebenbei erlebt, drängen sich in den Vordergrund seiner letzten Gedanken: - Die Woche seiner akuten Lungenentzündung, in der er dem Tode schon einmal ganz nahe war. In seinem Kopf hat sich all die Jahre jener Moment festgehalten, der das Gesicht seiner Mutter zeigte, über ihn gebeugt, lächelnd ihm die schweißbedeckte Stirn abwaschend. Immer wieder sagend, es werde alles gut! Wie sehr war ihm dies verloren gegangen. Nie zuvor hatte er nochmals daran gedacht. Es schien ihm fast so, als wäre das Teil der Abrechnung mit seinem Leben. Er spürte mit all seinen Gefühlen und Gedanken die wirkliche Bedeutung, die sein Dasein hatte. Es war ihm beinahe so, als wenn das Leben ihm noch kurz vor dem Ende, Klarheit über die irrtümliche Gewichtung seines Gelebten geben wollte.
In der Stunde seines Abtretens, wollte Karl dennoch Nichts bedauern. Die ihn umgarnende Erkenntnis, die ihm ins Gesicht springend, seinen Irrtum bewusst machte, dass Arbeit, Gehorsam, Disziplin und Rechnungen nicht sein bedeutendster Lebensinhalt waren. Er lachte in sich hinein, bei dem Gedanken sein halbes Leben lang im Labyrinth des Erwachsenseins erst zum Schluss wieder zurückzukehren in das kindliche Gemüt. Zwar wusste er als Kind nicht zu schätzen, was er besaß, aber dennoch war sein Empfinden und Tun in diesem Abschnitt seines Lebens instinktiv auf das Eigentliche ausgerichtet. Erst jetzt, da er sich auf dem Weg ins Jenseits befand, konnte er den Geist dieser Tage wieder vollkommen durch sich strömen hören.
Ein letztes Mal sah er sich als Kind mit selbst gefertigten Stöcken durch das Dickicht des heimatlichen Waldes streifen. Er lachte und rief hell nach dem Schurken, der jetzt plötzlich aus dem Dickicht des Waldes auftauchte. Er spürte eine dunkle Macht von ihm ausgehen und Karl musste sich nun rüsten, den letzten Kampf gegen diesen Titanen, der Äste und grüne Blätter trug, zu gewinnen...nicht nur für sich. Er spürte: Er musste die Welt retten
Das Lächeln auf Karls Gesicht verblasste auch nach seinem Gehen nicht. Die Lebenden waren besänftigt in ihrer Trauer, da sie recht sicher waren, er wäre wenigstens friedlich und zufrieden aus seinem Leben entschlafen. Doch Karls letzte Gedanken waren fest verbunden mit dem Gegenüber von Augenblicken seiner Kindheit und solchen der Zeit danach. Alles brach nun im Dunkeln seines Abschieds zusammen, nur die Dinge aus der Zeit seines Kindseins blieben wie einzelne Säulen in einer Ruine stehen. Und das Lächeln auf seinem Antlitz, war das eines Kindes, dass frei über die Dummheit eines Schulfreundes spottet, der etwas sehr wichtiges vergessen hat.
 

Retep

Mitglied
Hallo chinaski, jetzt versuche ich zum dritten Mal, einen Kommentar abzugeben.
Zweimal stürzte mein Rechner ab! Ich werde es etwas kürzer machen als vorher.

Dein Text lässt Bilder beim Leser entstehen, was ich gut finde.

Ein paar Anmerkungen und Korrekturen.

(Bei blauer Farbe würde [blue]ich[/blue] anders formulieren)

Karl lag [blue]flach atmend [/blue]in seinem mit Blumen dekorierten Sterbezimmer, dort wo er als kleiner Junge gespielt, geschlafen und seinen Hausarrest abgesessen hatte. Was für eine Idee des Menschen, diese farbenfrohen Blumen um einen Sterbenden zu arrangieren. Sie verkörpern das Lebendige und sollen dem Sterbenden optimistischer stimmen, aber eigentlich ist es eine Geste, die bewusst macht, dass man dabei ist, sich von der Welt zu verabschieden.
Karls Kindheit lag weit hinter ihm, [blue]er bereitete sich nun für den Gang ins Jenseits vor.[/blue] Nach 72 Jahren erschien ihm das auch mehr als gerecht, wenngleich ihm seine Kindheit niemals näher war, als just zu diesem Zeitpunkt. Da er im Sterben lag, gedachte er der vielen kleinen Augenblicke, die ihm damals [blue]beim Erleben [/blue]überaus nichtig vorkamen. Und die Streifzüge, die er in seiner Kindheit durch den angrenzenden Wald direkt hinter dem Hof der Eltern [blue]machte,[/blue] weckten in ihm den Wunsch [red],[/red]jetzt hinunterzuschauen auf das Laubgemisch aus Rot, Braun und Gelb. Doch er war außerstande, sich zu bewegen. Das einst so saftig grüne Laub war welk geworden und war im Begriff vom [blue]Baum des Lebens [/blue]abzufallen. Ein Fall auf den modrigen Boden der Zeit. Karl war auf dem Weg [red],[/red] wieder ein Teil der Erde zu werden. Schon in ein paar Monaten würden seine Enkel über ihn hergehen und sich in wilden Drehungen auf ihn fallen lassen.
Es war nicht schlimm! Es war nur ein seltsamer Gedanke, bald nur noch ein geistiger Teil dieser Welt zu sein. -[blue] Denn ist man erst mal nur noch eine [red]h[/red]andvoll Erde, verweilt man auch die meiste Zeit nicht mehr unter den Lebenden! [/blue]- Nur noch die Erinnerungen seiner Kinder, der Verwandten und Freunde an ihn wären weiterhin existent. Ganz weg wäre er nicht. Fotos und Filme würden ihn noch sehr lange auf der Erde bleiben lassen. Nur er, der lebende Karl, der schüchterne Junge von Damals, der aufmüpfige Dorfjugendliche, der tüchtige Bauer, der liebende Ehemann, der Vater, der zu oft keine Zeit hatte und sehr häufig zu streng war und schließlich der alte kranke Karl werden nicht mehr da sein, [blue]um die Zukünftigen willkommen zu heißen. [/blue]
Das Leben kam ihm gleichzeitig lang und kurz vor. Die Zeit schien nur eine Erfindung des Menschen zu sein und [blue]bleibt so unvollkommen[/blue] wie der Mensch selbst. Wie schnell ist sie vergangen, nun da er sich im Zimmer wiederfand, wo sein Leben einst begann. Er spürte einen Kampf in sich zwischen der Sehnsucht[red] , [/red]
eine zweite Chance zu bekommen und dem schnellen Ende. Er betrachtete ein Bild an der Wand aus Tagen, da er noch volles schwarzes Haar trug. Der Karl [blue]des Augenblicks der Aufnahme [/blue]war kraftvoll und zuversichtlich, ohne Fragen, die er nicht selbst beantworten konnte; dem Leben die Stirn [blue]bietend [/blue]und seinen Weg [blue]sehend[/blue], der ihm zu jener Zeit [blue]noch als einzig Möglicher im Sinn war.[/blue] Wie sein ganzes Leben [blue]durchschneidend[/blue] erschien es ihm zu erkennen, was seine Erinnerung ihm jetzt darbot, [blue]da er dem Tode gewiss[/blue]. Nicht sein rastloses Tun, nicht seine im Leben für wichtig gehaltenen Entscheidungen kamen ihn in den Sinn; sondern Szenen, die nur [red]N[/red]ebenbei erlebt, dräng[blue]t[/blue]en sich in den Vordergrund seiner letzten Gedanken: - Die Woche seiner akuten Lungenentzündung, in der er dem Tode schon einmal ganz nahe war. In seinem Kopf hat[blue]te [/blue]sich all die Jahre jener Moment festgehalten, der das Gesicht seiner Mutter zeigte, über ihn gebeugt, lächelnd [red],[/red] ihm die schweißbedeckte Stirn [blue]abwaschend[/blue]. Immer wieder [blue]sagend[/blue], es werde alles gut! Wie sehr war ihm dies verloren gegangen. Nie zuvor hatte er nochmals daran gedacht. Es schien ihm fast so, als wäre das Teil der Abrechnung mit seinem Leben. Er spürte mit all seinen Gefühlen und Gedanken die wirkliche Bedeutung, die sein Dasein hatte. Es war ihm beinahe so, als wenn das Leben ihm noch kurz vor dem Ende, Klarheit über die irrtümliche Gewichtung seines Gelebten geben wollte.
In der Stunde seines Abtretens, wollte Karl dennoch [red]N[/red]ichts bedauern. Die ihn [blue]umgarnende[/blue] Erkenntnis, [blue]die ihm ins Gesicht springend, [/blue]seinen Irrtum bewusst machte, dass Arbeit, Gehorsam, Disziplin und [blue]Rechnungen[/blue] nicht sein bedeutendster Lebensinhalt waren.[blue] Er lachte in sich hinein, bei dem Gedanken sein halbes Leben lang im Labyrinth des Erwachsenseins erst zum Schluss wieder zurückzukehren in das kindliche Gemüt[/blue]. Zwar wusste er als Kind nicht zu schätzen, was er besaß, aber dennoch war sein Empfinden und Tun in diesem Abschnitt seines Lebens instinktiv auf das Eigentliche ausgerichtet. Erst jetzt, da er sich auf dem Weg ins Jenseits befand, konnte er den Geist dieser Tage wieder vollkommen durch sich strömen [blue]hören[/blue].
Ein letztes Mal sah er sich als Kind mit selbst gefertigten Stöcken durch das Dickicht des heimatlichen Waldes streifen. Er lachte und rief hell nach dem Schurken, der jetzt plötzlich aus dem Dickicht des Waldes auftauchte. Er spürte eine dunkle Macht von ihm ausgehen und [blue]Karl[/blue] musste sich nun rüsten, den letzten Kampf gegen diesen Titanen, der Äste und grüne Blätter trug, zu gewinnen...nicht nur für sich. Er spürte: Er musste die Welt retten
Das Lächeln auf Karls Gesicht verblasste auch nach seinem Gehen nicht. Die Lebenden waren besänftigt in ihrer Trauer, da sie recht sicher waren, er wäre wenigstens friedlich und zufrieden aus seinem Leben entschlafen. [blue]Doch Karls letzte Gedanken waren fest verbunden mit dem Gegenüber von Augenblicken seiner Kindheit und solchen der Zeit danach. (Das hattest du schon beschrieben.)[/blue] Alles brach nun im Dunkeln seines Abschieds zusammen, nur die Dinge aus der Zeit seines Kindseins blieben wie einzelne Säulen in einer Ruine stehen. Und das Lächeln auf seinem Antlitz, war das eines Kindes, dass frei über die Dummheit eines Schulfreundes spottet, der etwas sehr wichtiges vergessen hat.


Schau mal, was du mit meinen Korrekturvorschlägen anfangen kannst, es ist deine Geschichte, es ist dein Stil!


Gruß

Retep
 



 
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