Lebenspause

Lebenspause

Hier sitzt er nun: Die Tasse Mate-Tee mit seinen Händen umklammert, die Luft befleckt von den dampfenden Gerüchen, die den Kräutern inmitten der heißen Flüssigkeit entweichen. Er betrachtet die weiße Tasse mit den eingravierten Koala-Bildern und fühlt die Wärme seine Finger entlangschleichen. Die Menükarte auf dem Tisch wirbt mit einem freundlichen Lächeln einer jungen Frau, ihre blonden, welligen Haare fallen ihr über den leicht betonten Ausschnitt darüber. Dieses perfekte Lächeln, diese weißen, glänzenden Zähne, die selbst im Dämmerlicht der künstlichen Lampen in diesem sonderbaren Café noch erkennbar sind. Ihre Züge sind makellos, nicht einmal eine einzige, winzige Sommersprosse ziert ihre Haut. Die Wangen sind hoch und das Gesicht scharf geschnitten, selbst das Kinn fügt sich fehlerlos ein, ohne unpassend oder auffallend zu wirken. Die Stupsnase aber erregt mehr als nur einen flüchtigen Blick, sie zieht an und lässt die Augen darauf verweilen, denn so ganz gehört sie dort nicht hin. Er hebt seine Tasse wieder mit der einen Hand am Bügel hoch und trinkt einige Schlücke daraus - Ahhhhh. Die warme Flüssigkeit gleitet seinen Gaumen hinunter, erfüllt ihn mit Lebenskraft, vertreibt die Kälte des Winters, die ihn draußen vor einigen Minuten noch gefröstelt und erzittert hat. Ein Schmunzeln fährt ihm über die Lippen, er schnaubt ungläubig und wendet seinen Blick von der verführerischen Frau auf der Karte ab. Alles um ihn herum ist leer, niemand sitzt hier außer ihm. Es gibt noch nicht einmal eine Bedienung, die sich um ihn kümmert, ihn fragt, ob er noch etwas möchte und wie der Tee geschmeckt hat. Die feinen, berauschenden Gerüche der vielen Teetassen, die auf den einsamen Tischen stehen, vermischen sich zu einer benebelnden Kraft, die durch seine Nase hinauf in den Verstand zieht. Zuckende Schatten wirft das Dämmerlicht dabei über die anderen Stühle, sodass es wirkt, als säße an jedem davon eine Gestalt, die nur aus schwarzen Umrissen und Konturen besteht. Noch nicht einmal ein Fenster ermöglicht ihm einen Blick nach draußen in die Welt, die dort auf ihn wartet. Er will es auch gar nicht, hier drinnen in diesem geräumigen Zimmer, den schattenhaften Gestalten, den vielen Teetassen und der warmen, geschmacksstarken Flüssigkeit, die sein Herz umstreichelt, fühlt er sich wohl. Dieses Gefühl kann ihm niemand nehmen, es ist keiner da, der ihn verletzen oder belustigen könnte, hier ist er sicher. Doch mit einem Mal erwacht er aus seiner Trance und starrt auf die rote Ampel, dessen Licht auf Gelb und schließlich Grün überspringt. Die Menschenmasse um ihn herum schiebt und stößt ihn vorwärts. Er taumelt, stolpert, aber schafft es, das Gleichgewicht zu halten. Zügig schwimmt er mit den anderen Fischen mit, schnell über die Straße, das Herz beginnt zu hämmern. Die unzähligen Autos hupen und fahren hetzend aneinander vorbei, brummende Motoren überschallen jedes Geräusch. Er ernnert sich noch an das einstige Zwitschern der Vögel, das hier früher einmal gewesen ist, als diese Straße noch nicht gebaut wurde. Nicht einmal die Sonne strahlt in dieser grauen Stadt, nur die Wolken liegen verhangen darunter, während fade, dämmrige Dunkelheit sich langsam über den Tag legt. Er will zurück in sein Café, zurück an den einsamen Ort, der ruhevoll seine Sinne umschlingt und ihm köstlich die Seele pflegt, obgleich die schattenhaften Gestalten, wie Dämonen auf den Stühlen sitzen, spiegeln sie doch die unterdrückten Gefühlen seines Herzens wider. Er hat gelernt, ihnen Freiraum zu gewähren und keine Angst mehr vor ihnen zu haben, aber vor den Menschen und der kalten Stadt… vor ihnen hat er Angst. Und diese Angst bekommt er nicht in den Griff.
 

Isegrims

Mitglied
Hallo adrianoeljero
eine flüssig und anregend geschriebene geschichte...die bilder werden greifbar,,,
ich brauche allerdings eine weile bis ich begreife, dass es ein tagtraum ist, den ich lese ...
für meinen empfinden ist selbst die szene mit dem warmen mate-tee dann doch zu bedrückend....
"Dieses Gefühl kann ihm niemand nehmen, es ist keiner da, der ihn verletzen oder belustigen könnte, hier ist er sicher"
ein satz, der mir so vorkommt als hätte ich ihn schon oft und ohne genuss gelesen...
schöner wäre es eine lebendigere idylle zu lesen.....oder zu erfahren worin die bedrohung der welt besteht....
ein paar absätze wären hilfreich und freundlich für den leser..
viele grüße
Isegrims
 
ich danke für deinen Kommentar :)

Der Text war etwas spontan und, hm, das Konkrete fehlt, das gebe ich zu. Mir ging es mehr darum, zu testen, wie ich das so mit dem "Show, dont tell" hinbekomme, wenn ich mich mal eher darauf konzentriere. Und pssst, das mit dem Tagtraum war gar nicht geplant, aber plötzlich kam mir die Idee das reinzubringen, kann funktionieren, oder kann nicht ;)
 



 
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