Lebensspuren

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Ord

Mitglied
Es ist Samstag, kurz nach zehn. Träge erwacht das Leben im Shoppingcenter.
Ich stehe unter dem Werbeplakat der Parfümerie für eine kostenlose Schmink-Sitzung und bin neugierig, wer sich wohl heute meinen Händen anvertrauen wird.
Eine junge Frau schlendert anscheinend ziellos den Gang entlang. Sie ist sportlich angezogen, ihre Turnschuhe tragen sie fast lautlos in meine Richtung, die hellbraunen Haare sind streng nach hinten gebunden.
Sie fällt mir auf, aber ich kann nicht sagen, warum. Also beobachte ich sie weiter. Nur ein halber Meter trennt sie vom Schaufenster, hinter dem Ketten und Ringe verlockend ausgelegt sind, doch sie geht vorbei, ohne den Schmuck eines Blickes zu würdigen.
Und sie hat keine Handtasche dabei. Ungewöhnlich.
Sie schaut mich kurz an, dann fällt ihr Blick auf das Werbeplakat.
Ihr Gesicht wirkt nachdenklich und ich glaube, auch ein wenig Misstrauen darin zu entdecken. Sie taxiert mich. Ich gebe ihr Zeit, einen ersten Eindruck zu gewinnen.
Dann spreche ich sie an und frage in einem freundlichen, ruhigen Tonfall, ob ich ihr ein kostenloses Make-up anbieten dürfe.
Ihr Blick wandert den fast menschenleeren Gang entlang, dann liest sie das Namensschild auf meiner Brust und meint nach kurzem Zögern: "Ich kann's ja mal versuchen."
Ich bitte Sie, sich zu setzen und ihre Brille abzunehmen.
Die Frau ist nicht so jung, wie ich sie auf den ersten Blick geschätzt habe, erste feine Fältchen zeigen sich unter ihren Augen.
Ich nehme Kosmetiktücher mit einer milden Reinigungslotion zur Hand und erkläre ihr Schritt für Schritt, was ich mache. Zuerst wische ich ihr Gesicht ab, dann ihren Hals. Dabei merke ich, wie sie sich verkrampft. Etwas in Ihren Augen warnt mich, besonders vorsichtig im Umgang mit ihr zu sein.
Normalerweise fangen meine Kundinnen von sich aus ein Gespräch an. Diese nicht.
Schweigsam lässt sie das Auftragen der Grundierung über sich ergehen. Um das Eis zu brechen, frage ich, wieviel Zeit sie denn hätte. Sie antwortet, dass sie halb elf eine Hose aus der Näherei abholen möchte.
Mit dem Pinsel trage ich Puder auf und versuche weiter, eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
"Welches Make-up benutzen Sie normalerweise?"
"Keins."
"Und welche Creme?"
"Keine."
Für mich als Kosmetiker sind diese Antworten unbegreiflich.
"Ich empfehle Ihnen eine spezielle Creme, damit die ersten Fältchen unter Ihren Augen geglättet werden."
"Wissen Sie," antwortet sie, "unsere Erlebnisse hinterlassen ihre Spuren und das macht Gesichter meiner Meinung nach erst richtig interessant."
Ich bin verblüfft.
So etwas hat bisher noch keine Frau zu mir gesagt. Ich denke an William Somerset Maugham, der so treffend bemerkte, dass die Zeit ein schlechter Kosmetiker sei.
Ich reiße mich zusammen und versuche, mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren.
Um die richtige Farbe für den Lidschatten auszuwählen, betrachte ich ihre Iris: Graubraun. Auf der linken entdecke ich einen faszinierenden blauen Punkt.
Nun bitte ich sie, ihre Augen zu schließen.
Diesen Anblick lasse ich immer kurz auf mich wirken und fertige im Kopf eine Skizze an.
Ihre Gesichtszüge sind angespannt.
Mit einem leichten Schwung lege ich einen dezenten Goldton auf die Lider. Danach öffnet sie die Augen und ich bürste dunkelblaue, glitzernde Mascara auf ihre Wimpern. Ein angenehmer, unaufdringlicher Parfüm-Geruch umhüllt sie.
Ich trete zurück, um meine Arbeit zu beurteilen und sie strahlt mich an. Die Wirkung ist viel intensiver, als ich sie mit meinen Farben hätte erreichen können und mir entweicht ein überraschtes "Wow !"
Was ist denn nur in mich gefahren! 'Konzentriere Dich!', ermahne ich mich streng.
Ich verwende Lipgloss in der selben Farbe wie ihre Lippen.
Dann schaue ich auf ihre Hände. Sie sehen breiter aus, als ich erwartet hatte. Ihre Nägel sind sauber und kurz geschnitten. Kein Ring.
Ich frage, ob sie auch den passenden Nagellack für ihre Fingernägel wünscht, doch sie lehnt ab, weil der Lack nicht lange halten würde in ihrem Jobb. Sie setzt ihre Brille wieder auf.
Jetzt bin ich wirklich neugierig geworden: "In welchem Beruf arbeiten Sie, wenn ich fragen darf?" "Ich bin Fluggeräteelektronikerin."
Ich hebe die Augenbrauen.
Sie setzt hinzu: "Wir verlegen Kabel in Flugzeugen, montieren elektronische Geräte, schließen sie an und testen sie."
Den Spiegel in meiner Hand habe ich völlig vergessen.
Sie tippt ihn an und erinnert mich daran. Ich reiche ihn ihr. Prüfend betrachtet sie mein Werk.
"Schön, " urteilt sie und lächelt, "es gefällt mir. Es ist ungewohnt. Dankeschön!"
"Gerne. Ich gebe Ihnen eine Probepackung einer Tagescreme mit, extra entwickelt für zarte Haut.
Möchten Sie einige der Produkte erwerben, die ich bei Ihnen verwendet habe?"
"Nein, danke."
Sie steht auf und mir wird klar, dass ich sie wahrscheinlich nie wieder sehe, wenn sie jetzt geht.
Ich gebe ihr meine Visitenkarte.
Dann nehme ich meinen Mut zusammen und frage sie, ob ich sie heute Nachmittag auf eine Tasse Kaffee einladen dürfe.
Überraschung macht sich auf ihrem Gesicht breit: "Danke, das ist nett. Aber ich bin verheiratet."
Ich sehe ihr in Gedanken versunken hinterher.
Sie dreht sich noch einmal um, winkt zum Abschied und ist verschwunden.
Zusammen mit der Maske, die ich ihr auf's Gesicht gelegt habe.

Am Abend suche ich im Internet nach Fotos älterer, ungeschminkter Menschen und entdecke ihre Schönheit.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Ord, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Du hast Dir tolle Themen ausgesucht: Schönheit, Vergänglichkeit, Alter! Bis auf ein paar handwerkliche Schwächen - Rechtschreibung überprüfen! - ist Dir die Umsetzung gelungen. Allerdings habe ich den Hinweis auf das Verheiratetsein nicht ganz verstanden. Handelt es sich um gleichgeschlechtliche Liebe, weil die Ich-Erzählerin weiblich ist? Davon gehe ich jedenfalls aus. Oder ist ein Visagist?

Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 

ThomasQu

Mitglied
Hallo Ord,

für ein Erstlingswerk nicht schlecht.
Du erwähnst zweimal, wie angespannt die Dame während der Behandlung ist und das wird in dem Text nicht aufgelöst. Natürlich will ich wissen, warum, wenn du es schon so deutlich mitteilst.
Also, entweder raus mit dem Angespannt sein, oder darauf eingehen.

Viele Grüße,

Thomas
 

Ji Rina

Mitglied
Hallo Ord,
Ich verstehe es so, dass die Dame angespannt ist, weil sie normalerweise keine Kosmetiker aufsucht – in diesem Fall wohl nur, weils kostenlos war.
Anscheinend fällt der Kosmetiker, "bei einem solchen Natur-Exemplar" aus allen Wolken.:)
Den Kosmetiker hast Du sehr “zärtlich” gezeichnet: Was mir richtig gut gefallen hat: Deine Form des Erzählens.
Gruss,
Ji
 

Hilga

Mitglied
Das Ungesagte

Hallo Ord,
dein Text hat mir sehr gut gefallen.

Gleich nach dem ersten Absatz hatte ich das Gefühl, dass es sich beim Erzähler um einen Mann handelt, obwohl das mit keinem Wort gesagt wird. Zwischendurch beschlich mich die Frage, ob ich da richtig liege, da es sich um einen für Männer eher unüblichen Beruf handelt. Irgendwie war ich erleichtert, als sich mein "Verdacht" zum Schluss bestätigte.

Auch in der Frage, warum die Frau angespannt auf die Behandlung reagiert, beantwortet sich nicht direkt aus dem Text, sonder nur aus dem eigenen Gefühl heraus. Wer sich nie schminkt, noch nicht einmal Creme benutzt, empfindet die Berührung im Gesicht durch eine unbekannte Person als äußerst befremdlich.
Es bleibt das Gefühl, das sich durch diese Behandlung beim Erzähler mehr verändert hat, als bei der Frau. Sein Blick auf Schönheit und Maske muss sich einigen neuen Fragen stellen.
Die Essenz, die diese Kurzgeschichte ausmacht (und nach meiner Meinung die Existenzberechtigung für Kurzgeschichten): eine mehr oder weniger flüchtige Begegnung löst eine tiefgehende Veränderung aus.

Gerade das Fehlen mancher Information und die Spannung, die aus der Frage entsteht, ob die eigenen Vermutungen wohl stimmen, machen für mich einen guten Text aus.
Wenig "tell" viel "show" und ein Bisschen "think yourself".
Glückwunsch!
 
A

aligaga

Gast
Das ist keinen Kurzgeschichte, sondern eine wirklich hübsch beobachtete und hübsch geschilderte Impression. Leider wird sie durch den beleerenden Epilogsatz am Ende ihres Zaubers ziemlich beraubt. Weg damit - den braucht keiner, denn alles, was der so platt nur behauptet, hat der Leser doch vorher schon längst selbst sehen resp. kapieren können!

Witzig die Rekation der Leser, die sofort zu debattieren beginnen, ob das Lyrich männlich oder weiblich sei.

Dabei spielt das hier doch gar keine Rolle, denn was das Lyrich und die Leser hier als attraktiv anssehen, ist ebengerade nicht geschlechtsspezifisch.

Enttäuschend die Antwort der Protagonistin auf die Frage nach einem Wiedertreffen. Die ist so spießbürgerlich, dass man das Klirren des Glases zu hören vermeint, während der Flakon mit dem - endlich mal! - ungewöhnlichen Duft auf dem Boden der Tatsachen zerklirrt. Schade. Da wäre gewiss eine bessere, literarische Lösung denkbar gewesen, ne?

Heiter

aligaga
 

Ord

Mitglied
Es ist Samstag, kurz nach zehn. Träge erwacht das Leben im Einkaufszentrum.
Ich stehe vor der Parfümerie und rücke meine Krawatte zurecht. Über mir bietet das Werbeplakat eine kostenlose Schmink-Sitzung an und ich bin neugierig, wer sich wohl heute meinen Händen anvertrauen wird.
Eine junge Frau schlendert anscheinend ziellos den Gang entlang. Sie ist sportlich angezogen, ihre Turnschuhe tragen sie fast lautlos in meine Richtung, die hellbraunen Haare sind streng nach hinten gebunden.
Sie fällt mir auf, aber ich kann nicht sagen, warum. Also beobachte ich sie weiter. Nur ein halber Meter trennt sie vom Schaufenster, hinter dem Ketten und Ringe verlockend ausgelegt sind, doch sie geht vorbei, ohne den Schmuck eines Blickes zu würdigen.
Und sie hat keine Handtasche dabei. Ungewöhnlich.
Sie schaut mich kurz an, dann fällt ihr Blick auf das Werbeplakat.
Ihr Gesicht wirkt nachdenklich und ich glaube, auch ein wenig Misstrauen darin zu entdecken. Sie taxiert mich. Ich gebe ihr Zeit, einen ersten Eindruck zu gewinnen.
Dann spreche ich sie an und frage in einem freundlichen, ruhigen Tonfall, ob ich ihr ein kostenloses Make-up anbieten dürfe.
Ihr Blick wandert den fast menschenleeren Gang entlang, dann liest sie das Namensschild auf meiner Brust und meint nach kurzem Zögern: "Ich kann's ja mal versuchen."
Ich bitte Sie, sich zu setzen und ihre Brille abzunehmen.
Die Frau ist nicht so jung, wie ich sie auf den ersten Blick geschätzt habe, erste feine Fältchen zeigen sich unter ihren Augen.
Ich nehme Kosmetiktücher mit einer milden Reinigungslotion zur Hand und erkläre ihr Schritt für Schritt, was ich mache. Zuerst wische ich ihr Gesicht ab, dann ihren Hals. Dabei merke ich, wie sie sich verkrampft. Etwas in ihren Augen warnt mich, besonders vorsichtig im Umgang mit ihr zu sein.
Normalerweise fangen meine Kundinnen von sich aus ein Gespräch an. Diese nicht.
Schweigsam lässt sie das Auftragen der Grundierung über sich ergehen. Um das Eis zu brechen, frage ich, wieviel Zeit sie denn hätte. Sie antwortet, dass sie halb elf eine Hose aus der Näherei abholen möchte.
Mit dem Pinsel trage ich Puder auf und versuche weiter, eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
"Welches Make-up benutzen Sie normalerweise?"
"Keins."
"Und welche Creme?"
"Keine."
Für mich als Kosmetiker sind diese Antworten unbegreiflich.
"Ich empfehle Ihnen eine spezielle Creme, damit die ersten Fältchen unter Ihren Augen geglättet werden."
"Wissen Sie," antwortet sie, "unsere Erlebnisse hinterlassen ihre Spuren und das macht Gesichter meiner Meinung nach erst richtig interessant."
Ich bin verblüfft.
So etwas hat bisher noch niemand zu mir gesagt. Ich denke an William Somerset Maugham, der so treffend bemerkte, dass die Zeit ein schlechter Kosmetiker sei.
Ich reiße mich zusammen und versuche, mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren.
Um die richtige Farbe für den Lidschatten auszuwählen, betrachte ich ihre Iris: graubraun. Auf der linken entdecke ich einen faszinierenden blauen Punkt.
Nun bitte ich sie, ihre Augen zu schließen.
Diesen Anblick lasse ich immer kurz auf mich wirken und fertige im Kopf eine Skizze an.
Ihre Gesichtszüge sind angespannt.
Mit einem leichten Schwung lege ich einen dezenten Goldton auf die Lider. Danach öffnet sie die Augen und ich bürste dunkelblaue, glitzernde Mascara auf ihre Wimpern. Ein angenehmer, unaufdringlicher Parfüm-Geruch umhüllt sie.
Ich trete zurück, um meine Arbeit zu beurteilen und sie strahlt mich an. Die Wirkung ist viel intensiver, als ich sie mit meinen Farben hätte erreichen können und mir entweicht ein überraschtes "Wow!"
Was ist denn nur in mich gefahren! 'Konzentriere Dich!', ermahne ich mich streng.
Ich verwende Lipgloss in der selben Farbe wie ihre Lippen.
Dann schaue ich auf ihre Hände. Sie sehen breiter aus, als ich erwartet hatte. Ihre Nägel sind sauber und kurz geschnitten. Kein Ring.
Ich frage, ob sie auch den passenden Nagellack für ihre Fingernägel wünscht, doch sie lehnt ab, weil der Lack nicht lange halten würde in ihrem Jobb. Sie setzt ihre Brille wieder auf.
Jetzt bin ich wirklich neugierig geworden: "In welchem Beruf arbeiten Sie, wenn ich fragen darf?"
"Ich bin Fluggeräteelektronikerin."
Ich hebe die Augenbrauen.
Sie fügt hinzu: "Wir verlegen Kabel in Flugzeugen, montieren elektronische Geräte, schließen sie an und testen sie."
Den Spiegel in meiner Hand habe ich völlig vergessen.
Sie tippt ihn an und erinnert mich daran. Ich reiche ihn ihr. Prüfend betrachtet sie mein Werk.
"Schön," urteilt sie und lächelt, "es gefällt mir. Es ist ungewohnt. Dankeschön!"
"Gerne. Ich gebe Ihnen eine Probepackung einer Tagescreme mit, extra entwickelt für zarte Haut.
Möchten Sie einige der Produkte erwerben, die ich bei Ihnen verwendet habe?"
"Nein, danke."
Sie steht auf und mir wird klar, dass ich sie wahrscheinlich nie wieder sehe, wenn sie jetzt geht.
Ich gebe ihr meine Visitenkarte.
Dann nehme ich meinen Mut zusammen und frage sie, ob ich sie heute Nachmittag auf eine Tasse Kaffee einladen dürfe.
Überraschung macht sich auf ihrem Gesicht breit: "Danke, das ist nett. Aber ich bin verheiratet."
Ich sehe ihr in Gedanken versunken hinterher.
Sie dreht sich noch einmal um, winkt zum Abschied und ist verschwunden.
Zusammen mit der Maske, die ich ihr aufs Gesicht gelegt habe.

Am Abend suche ich im Internet nach Fotos älterer, ungeschminkter Menschen und entdecke ihre Schönheit.
 

Ord

Mitglied
Hallo DocSchneider,

ich freue mich sehr auf die Arbeit mit den Leselupen-Mitgliedern.
Herzlichen Dank für Dein Lob und die Anmerkungen.
Zu Deiner Frage: Ich habe einen männlichen Ich-Erzähler gewählt und werde diese Information am Anfang der Geschichte mit einbauen.
In meinem Plot hat der Erzähler eine einjährige Ausbildung zum Kosmetiker absolviert.

Es grüßt Dich
Ord
 

Ord

Mitglied
Hallo ThomasQu,

danke für Deinen Kommentar.
Die Reaktion der Kundin auf Berührungen ist ein spannungsgebender Teil der Geschichte und soll nicht aufgelöst werden, damit dem Leser Raum für Mutmaßungen auf der Grundlage individueller Erlebnisse bleibt.

Es grüßt Dich
Ord
 

Ord

Mitglied
Hallo Ji Rina,

ich freue mich, dass Dir meine Erzählweise in dieser Geschichte gefallen hat.
Danke, dass Du mir Deine Überlegungen schilderst. So kann ich überprüfen, ob das, was ich beabsichtigt habe, auch richtig ankommt.
In meinem Plot steht tatsächlich, dass durch die Wahl des Einkaufszentrums auch Kunden angesprochen werden könnten, die normalerweise nicht ins Kosmetikstudio gehen. Das hast Du gut beobachtet!
Ein gutes Einfühlungsvermögen des Kosmetikers (in diesem Fall ein Mann, wie Du richtig erkannt hast) ist wichtig für den Umgang mit Kunden.

Es grüßt Dich
Ord
 

Ord

Mitglied
Hallo Hilga,

ich freue mich, dass Dir meine Geschichte gefällt.
Danke für die Anmerkungen und den Glückwunsch!
Ich wollte den Fokus des Lesers nicht auf die Frage lenken, ob der Ich-Erzähler männlich oder weiblich sei. Deshalb habe ich diese Information jetzt am Anfang der Geschichte mit eingebaut.
Der Bruch mit der typisch weiblichen/männlichen Rollenverteilung der Berufe passt meiner Meinung nach gut in die Geschichte.

Mir gefällt der passender Titel Deines Kommentars: Das Ungesagte
Über die Reaktion der Kundin auf Berührungen darf der Leser Mutmaßungen anstellen.
Deine Erklärung passt und ist genau so richtig, wie mögliche Erklärungen andere Leser.
Ich bin froh, dass das geplante Ziel meiner Geschichte erkennbar ist: Die beginnende Veränderung des Ich-Erzählers. Wie wird es mit ihm weitergehen?
Die Antwort darauf zu finden überlasse ich wieder dem Leser.

Es grüßt Dich
Ord
 

Ord

Mitglied
Hallo aligaga,

ich danke Dir für Deinen Kommentar, der mich meine Geschichte noch einmal durchdenken ließ.

Mein hübsch geschildertes Stimmungsbild passt meiner Meinung nach gut in den Rahmen einer Kurzgeschichte: Wenig Personalaufwand, kein bestimmtes Genre, unmittelbarer Beginn, linearer Verlauf, Wirklichkeitsausschnitt, offener Ausgang.

Der vermeintlich leere abschließende Satz soll nicht als Belehrung zu verstehen sein.
Schade, dass er für Dich die Geschichte entzaubert.
Er ist das Bindeglied zwischen der Überschrift:
"Lebensspuren",
und der Kernaussage:
... "unsere Erlebnisse hinterlassen ihre Spuren und das macht Gesichter meiner Meinung nach erst richtig interessant."
Er soll den Leser zu der Frage führen, wie sehr sich die beginnende Veränderung des Ich-Erzählers durch die verblüffende Meinung der Protagonistin wohl auf dessen weiteres Leben auswirken könnte.
Deshalb bleibt der Satz stehen.

Meinen beiden Figuren habe ich die Chance auf ein Wiedersehen genommen, und zwar so richtig spießbürgerlich, ja! Das hast Du mit dem Bild des zerschellenden Flakons sehr gut beschrieben.
Eine andere literarische Lösung wäre sicher interessant gewesen, aber sie hätte mich meinem angestrebten Ziel nicht näher gebracht und ich glaube, auch den Rahmen dieser Kurzgeschichte gesprengt.
Allerdings hast Du mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, was geschehen könnte, wenn die Figuren sich näher kommen würden. Danke dafür!

Es grüßt Dich
Ord
 

ThomasQu

Mitglied
Hallo Ord, ich noch mal!

Etwas Spannungsgebendes, das nicht aufgelöst wird, finde ich leider nicht so gut.
Wie ein Krimi, bei dem man die letzten zehn Minuten verpasst.
Also auf Deutsch, du solltest nicht Spannung aufbauen und dann den Leser damit unaufgeklärt in der Luft hängen lassen.

Grüße, Thomas
 
A

aligaga

Gast
Du hast nicht auf das hören wollen, was @ali dir gesagt hatte, o @ord.

Deine "Geschichte" (die keine ist, weil ja gar nichts passiert, sondern nur Beobachtungen gemacht und Gefühle beschrieben werden) leidet nicht unter zu wenig, sondern unter zu viel (unnöthigem) Brimborium.

Lass es weg und dem Leser die eigene Fantasie. Das ist bei allen kurzen Texten die Kunst der Fuge. Es gibt wenige, die sie wirklich beherrschen.

Heiter immer weiter

aligaga
 

Ord

Mitglied
Es ist Samstag, kurz nach zehn. Träge erwacht das Leben im Einkaufszentrum.
Ich stehe vor der Parfümerie und rücke meine Krawatte zurecht. Über mir bietet das Werbeplakat eine kostenlose Schmink-Sitzung an und ich bin neugierig, wer sich wohl heute meinen Händen anvertrauen wird.
Eine junge Frau schlendert anscheinend ziellos den Gang entlang. Sie ist sportlich angezogen, ihre Turnschuhe tragen sie fast lautlos in meine Richtung, die hellbraunen Haare sind streng nach hinten gebunden.
Sie fällt mir auf, aber ich kann nicht sagen, warum. Also beobachte ich sie weiter. Nur ein halber Meter trennt sie vom Schaufenster, hinter dem Ketten und Ringe verlockend ausgelegt sind, doch sie geht vorbei, ohne den Schmuck eines Blickes zu würdigen.
Und sie hat keine Handtasche dabei. Ungewöhnlich.
Sie schaut mich kurz an, dann fällt ihr Blick auf das Werbeplakat.
Ihr Gesicht wirkt nachdenklich und ich glaube, auch ein wenig Misstrauen darin zu entdecken. Sie taxiert mich. Ich gebe ihr Zeit, einen ersten Eindruck zu gewinnen.
Dann spreche ich sie an und frage in einem freundlichen, ruhigen Tonfall, ob ich ihr ein kostenloses Make-up anbieten dürfe.
Ihr Blick wandert den fast menschenleeren Gang entlang, dann liest sie das Namensschild auf meiner Brust und meint nach kurzem Zögern: "Ich kann's ja mal versuchen."
Ich bitte Sie, sich zu setzen und ihre Brille abzunehmen.
Die Frau ist nicht so jung, wie ich sie auf den ersten Blick geschätzt habe, erste feine Fältchen zeigen sich unter ihren Augen.
Ich nehme Kosmetiktücher mit einer milden Reinigungslotion zur Hand und erkläre ihr Schritt für Schritt, was ich mache. Zuerst wische ich ihr Gesicht ab, dann ihren Hals. Dabei merke ich, wie sie sich verkrampft. Etwas in ihren Augen warnt mich, besonders vorsichtig im Umgang mit ihr zu sein.
Normalerweise fangen meine Kundinnen von sich aus ein Gespräch an. Diese nicht.
Schweigsam lässt sie das Auftragen der Grundierung über sich ergehen. Um das Eis zu brechen, frage ich, wieviel Zeit sie denn hätte. Sie antwortet, dass sie halb elf eine Hose aus der Näherei abholen möchte.
Mit dem Pinsel trage ich Puder auf und versuche weiter, eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
"Welches Make-up benutzen Sie normalerweise?"
"Keins."
"Und welche Creme?"
"Keine."
Für mich als Kosmetiker sind diese Antworten unbegreiflich.
"Ich empfehle Ihnen eine spezielle Creme, damit die ersten Fältchen unter Ihren Augen geglättet werden."
"Wissen Sie," antwortet sie, "unsere Erlebnisse hinterlassen ihre Spuren und das macht Gesichter meiner Meinung nach erst richtig interessant."
Ich bin verblüfft.
So etwas hat bisher noch niemand zu mir gesagt. Ich denke an William Somerset Maugham, der so treffend bemerkte, dass die Zeit ein schlechter Kosmetiker sei.
Ich reiße mich zusammen und versuche, mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren.
Um die richtige Farbe für den Lidschatten auszuwählen, betrachte ich ihre Iris: graubraun. Auf der linken entdecke ich einen faszinierenden blauen Punkt.
Nun bitte ich sie, ihre Augen zu schließen.
Diesen Anblick lasse ich immer kurz auf mich wirken und fertige im Kopf eine Skizze an.
Ihre Gesichtszüge sind angespannt.
Mit einem leichten Schwung lege ich einen dezenten Goldton auf die Lider. Danach öffnet sie die Augen und ich bürste dunkelblaue, glitzernde Mascara auf ihre Wimpern. Ein angenehmer, unaufdringlicher Parfüm-Geruch umhüllt sie.
Ich trete zurück, um meine Arbeit zu beurteilen und sie strahlt mich an. Die Wirkung ist viel intensiver, als ich sie mit meinen Farben hätte erreichen können und mir entweicht ein überraschtes "Wow!"
Was ist denn nur in mich gefahren! 'Konzentriere Dich!', ermahne ich mich streng.
Ich verwende Lipgloss in der selben Farbe wie ihre Lippen.
Dann schaue ich auf ihre Hände. Sie sehen breiter aus, als ich erwartet hatte. Ihre Nägel sind sauber und kurz geschnitten. Kein Ring.
Ich frage, ob sie auch den passenden Nagellack für ihre Fingernägel wünscht, doch sie lehnt ab, weil der Lack nicht lange halten würde in ihrem Jobb. Sie setzt ihre Brille wieder auf.
Jetzt bin ich wirklich neugierig geworden: "In welchem Beruf arbeiten Sie, wenn ich fragen darf?"
"Ich bin Fluggeräteelektronikerin."
Ich hebe die Augenbrauen.
Sie fügt hinzu: "Wir verlegen Kabel in Flugzeugen, montieren elektronische Geräte, schließen sie an und testen sie."
Den Spiegel in meiner Hand habe ich völlig vergessen.
Sie tippt ihn an und erinnert mich daran. Ich reiche ihn ihr. Prüfend betrachtet sie mein Werk.
"Schön," urteilt sie und lächelt, "es gefällt mir. Es ist ungewohnt. Dankeschön!"
"Gerne. Ich gebe Ihnen eine Probepackung einer Tagescreme mit, extra entwickelt für zarte Haut.
Möchten Sie einige der Produkte erwerben, die ich bei Ihnen verwendet habe?"
"Nein, danke."
Sie steht auf und mir wird klar, dass ich sie wahrscheinlich nie wieder sehe, wenn sie jetzt geht.
Ich gebe ihr meine Visitenkarte.
Dann nehme ich meinen Mut zusammen und frage sie, ob ich sie heute Nachmittag auf eine Tasse Kaffee einladen dürfe.
Überraschung macht sich auf ihrem Gesicht breit: "Danke, das ist nett. Aber ich bin verheiratet."
Ich sehe ihr in Gedanken versunken hinterher.
Sie dreht sich noch einmal um, winkt zum Abschied und ist verschwunden.
Zusammen mit der Maske, die ich ihr aufs Gesicht gelegt habe.
 

Ord

Mitglied
Hallo aligaga,

ich lasse den Satz weg, und dem Leser die eigene Fantasie.

Mir ist noch etwas aufgefallen, nämlich (reimt sich so schön auf dämlich):

Es grüßt Dich
Ord

Diese Grußformel habe ich schlecht gewählt. Es hat mich dafür bestraft und mich heute Nacht besucht.
Ich will nicht, dass Es von Dir Notiz nimmt, geschweige denn Dich grüßt.
Es als Pronomen funktioniert auch nicht: Wer oder was ist "Es"? Das Unbewusste? Einsteinium?

"Es grüßt
Ord"
Das will ich erst recht nicht!

Eventuell finde ich ja irgendwann eine andere Grußformel, die mir gefällt.
Bis dahin:

Viele Grüße

Ord
 

Ord

Mitglied
Hallo Thomas,

danke für Deinen zweiten Kommentar.
Ich habe überlegt, was geschehen wäre, wenn meine beiden Figuren sich näher gekommen wären.
Eventuell schreibe ich mein Erstlingswerk irgendwann zu einer längeren Geschichte um mit der dazugehörigen Auflösung.
Doch jetzt lasse ich es erst einmal so stehen.

Entschuldige bitte, dass meine Antwort auf Deinen ersten Kommentar öffentlich zu sehen ist.
Ich habe beim Benutzen der Knöpfe nicht genug aufgepasst.

Viele Grüße

Ord
 

FrankK

Mitglied
Hallo, Ord
Auch von mir zunächst ein herzliches Willkommen auf und unter der Leselupe.

Wie DocSchneider so treffend feststellte:
Du hast Dir tolle Themen ausgesucht: Schönheit, Vergänglichkeit, Alter!

Der Plot
Du präsentierst uns hier eine Kurzgeschichte mit dem Basisplot „Wandlung“, basierend auf der Begegnung zweier Menschen.

Die Charaktere
Zusätzlich durchbrichst Du glaubwürdig die üblichen Charakter-Schemata. Hier haben wir es mit einem Mann in der Kosmetikbranche und einer Frau aus der Flug-Ingenieurstechnik zu tun. Die Glaubwürdigkeit der Charaktere steigt meines Erachtens dadurch, dass die Frau ihren Beruf innerhalb der Geschichte nur beiläufig, wie selbstverständlich, erwähnt und der Mann in seinem Job ein professionelles auftreten zeigt.

Konflikt
Getragen wird die Geschichte von zwei dezenten Konflikten – einmal ihre Überwindung, überhaupt eine kosmetische Behandlung anzunehmen (zögern am Plakat), zum anderen die duldsame Berührung im Gesicht (Anspannung) durch eine ihr fremde Person. Es spricht für seine Qualität des Umgangs, mit diesen Problemen fertig zu werden.

Fazit
Das Thema „Wandlung“ bezieht sich auf ihn, indem er seine Ansichten über das äußere Erscheinungsbild anpasst.

Meiner Meinung nach verliert der Text durch den Wegfall des letzten Satzes. Hier wurde auf eine gewisse Nachhaltigkeit dieser Wandlung hingedeutet, die sich bis über den Dienstschluss hinaus ausdehnt. Ohne diesen Abschluss verliert die Wandlung an Bedeutung.


Krümelzählerei:
Um das Eis zu brechen, frage ich, [blue]wieviel[/blue] Zeit sie denn hätte.
Duden behauptet getrennte Schreibung: „wie viel“

"Gerne. Ich gebe Ihnen eine Probepackung einer Tagescreme mit, extra entwickelt für zarte Haut.
Möchten Sie einige der Produkte erwerben, die ich bei Ihnen verwendet habe?"
Hinter „Haut“ ist kein Zeilenwechsel notwendig, da sich die Perspektive nicht ändert (es ist die selbe sprechende Person).


Alternative Fantasie für den Leser:
Durch den Wegfall des letzten Satzes, so glaube ich, weder verstärkt noch vermindert. Es gibt für meinen Geschmack nur eine Position innerhalb des Textes, der für zusätzliche Fantasien Raum bietet:
Nun bitte ich sie, ihre Augen zu schließen.
Diesen Anblick lasse ich immer kurz auf mich wirken und fertige im Kopf eine Skizze an.
Im Zusammenspiel mit der Erwähnung des Begriffes „Maske“ fast am Schluss keimt bei mir der Verdacht auf, er gestaltet seine Kundinnen nach einem bestimmten Schema, ein spezielles Design (Vorbild?), eines das seinen Vorstellungen am nächsten kommt. Er versucht (hintergründig) damit auch eine Wandlung (nur Temporär und nur äußerlich) bei seinen Kundinnen.


Herzliche und aufmunternde Grüße aus Westfalen
Frank
 
A

aligaga

Gast
Lass dir kein Guhgelwissen aufschwätzen, o @rd. Wieviel kann und darf man immer noch zusammenschreiben; der "Zeilenwechsel hinter der Haut" macht deshalb Sinn, weil er dem Leser die Gelegenheit bietet, sich eine Veränderung in der Position der beiden vorzustellen und weil das Thema ein anderes wird.

Deine Impression lebt von der Uneindeutigkeit; sie gehört nicht in die Schubladen der Fantasielosen, die unbedingt einen Mann sehen wollen, wenn das Wort "Krawatte" auftaucht.

Schade, dass du die öde "Ichbinverheiratet"-Nummer nicht abgestellt hast. Sie ruiniert, wie schon gesagt, so ziemlich das ganze Flair, das sich ein Leser bei einem Text wie diesem aufbauen konnte (wenn er denn wollte). Es ist, als ob es zusammengefaltet würde.

Heiter

aligaga
 



 
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